Der Druck auf Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, schnell zu reagieren, steigt. Wann gibt es Klarheit?
Mit dem erneuten Shutdown verlieren viele Studierende auch erneut ihren Nebenjob.
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GERADE EINEN MONAT ist es her, dass das Ministerium von Anja Karliczek (CDU) die Corona-Überbrückungshilfe für Studierende offiziell aussetzte – und dafür heftige Kritik und Spott erntete. "Unverantwortlich und unsozial" sei das angesichts steigender Infektionszahlen", schimpfte der grüne Hochschulpolitiker Kai Gehring. Karliczeks Krisenmanagement sei "ein Stück aus dem Tollhaus". Und sogar der Koalitionspartner SPD sprach von einem "bedenklichen Signal" in Zeiten steigender Infektionszahlen und allgemeiner Warnungen vor einer zweiten Infektionswelle.
Die nahm nur wenige Tage nach dem Einstellungsbeschluss Fahrt auf. Und seit gestern steht fest: Deutschlands Gastronomie geht Montag erneut in den Shutdown – mit schwerwiegenden Folgen für hunderttausende Servicekräfte und eine unbekannte Zahl von Studentenjobs.
Was bedeutet das für das Ende September vom Bundesbildungsministerium abgegebene Versprechen, unverzüglich zu reagieren, "sollte noch einmal eine Situation für Studierende entstehen wie zu Beginn der Pandemie"? Das "etablierte Instrument" Nothilfe stehe jetzt ja jederzeit schnell zur Verfügung, sagte BMBF-Staatssekretär Michael Meister damals.
Reicht ein Wiederaufguss
des Programms?
Die Frage ist: Ist das, was das BMBF unter "schnell" versteht, schnell genug? Und reicht ein Wiederaufguss eines Hilfsprogramms, dem sogar das Deutsche Studentenwerk (DSW), das fürs Vergabeverfahren zuständig gewesen war, nur eine gemischte Bilanz bescheinigte? "Die Überbrückungshilfe kam an; sie hat funktioniert, sie hat geholfen", sagte DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde Ende September. "Aber leider nicht allen."
SPD-Bildungspolitiker Oliver Kaczmarek sagte heute in einer ersten Reaktion auf die Bund-Länder-Beschlüsse, die angekündigten Corona-Maßnahmen würden "wieder viele Studierende in eine Notlage führen. Wir müssen jetzt handeln, damit Studierende ihre Ausbildung erfolgreich zu Ende führen können." Bundesministerin Karliczek sei aufgefordert, die Studierenden diesmal nicht "Monate zu spät mit einem schlechten Kredit zu unterstützen, sondern schnell eine geeignete Vorsorge zu treffen."
Ähnliche Töne kommen von der Opposition. Mit dem zweiten Lockdown sei die nächste Geldsorgenwelle für Studierende vorprogrammiert. "Im Frühjahr hat die Bildungsministerin fast vier Monate vertrödelt, bis die erste Hilfe kam. Das darf kein zweites Mal passieren", sagte Jens Brandenburg, der hochschulpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.
Nicht nur habe die Bundesregierung die Überbrückungshilfe bereits beendet. Auch die vorübergehende Zinsfreiheit des KfW-Studienkredits gelte nur bis Ende März, danach fielen wieder hohe Zinsen von über vier Prozent an. "Frau Karliczek muss jetzt schnell reagieren. Die Überbrückungshilfe muss schon im November wieder anlaufen und die Zinsfreiheit des KfW-Darlehens verlängert werden. Besser noch wäre die Öffnung des BAföG-Volldarlehens für alle Studierende, die ihren Nebenjob verloren haben. Dann wäre die zinsfreie Rückzahlung erst nach dem Studium einkommensabhängig fällig". Trotz finanzieller Nöte fielen noch immer viele Studierende durch das komplizierte Förderraster. Eine strukturelle Reform zu einem elternunabhängigen BAföG ist überfällig."
Deutsches Studentenwerk: Viele Studierende befinden
sich in einer "dauerhaft prekären Notlage"
Vorschläge für eine grundsätzliche Neuausrichtung der Ausbildungshilfe gibt es viele, nicht nur von der FDP. Die Grünen wollen morgen ihre "Pläne für einen grundlegenden Neustart des BAföG" mit einer "Grundsicherung für Studierende und Auszubildende" vorstellen. Auch das Deutsche Studentenwerk betont, der seit langem bestehende Reformbedarf sei durch die Corona-Krise noch einmal offensichtlicher geworden: So habe bei mehr als der Hälfte der abgelehnten Anträge auf die Überbrückungshilfe die Begründung gelautet: "Ablehnung, obwohl die Studierenden in einer Notlage sind – diese aber eben nicht pandemiebedingt ist."
Die Betroffenen befänden sich nicht durch den coronabedingten Verlust eines Nebenjobs oder wegbrechender Elterneinkommen in einer Ausnahmesituation, sondern "in einer dauerhaft prekären Notlage", sagte DSW-Generalsekretär Meyer auf der Heyde vor einem Monat. Es gebe eine strukturelle Armut unter den Studierenden, die schon vor der Pandemie virulent gewesen sei. "An ihnen musste die Überbrückungshilfe notwendigerweise vorbeigehen; diesen Studierenden konnten wir nicht helfen." Die "dringende" Konsequenz auch aus Sicht des DSW: "eine strukturelle Reform der Studienfinanzierung" insgesamt.
Die würde natürlich dauern. Zu lange für die erneut absehbare akute Finanznot vieler Studierender. SPD-Politiker Kaczmarek verwies deshalb heute auf einen Vorschlag seiner Fraktion, kurzfristig erst einmal einen Notfallmechanismus im BAföG einzurichten, um die Studierenden bei der Finanzierung von Lebenshaltungskosten und Miete zu unterstützen. Die Ministerin habe sechs Monate Zeit gehabt, die Lage auszuwerten und hier entsprechende Lösungen vorzubereiten. "Die Studierenden in Notlage brauchen jetzt eine schnelle und wirksame Lösung."
Zwischen Studentenwerken und BMBF
laufen gerade die Drähte heiß
Zwischen Studentenwerken und Bundesbildungsministerium liefen heute bereits die Drähte heiß, ist im Hintergrund zu hören. Der Zeitdruck ist allen Beteiligten bewusst. Aber geht da mehr als nur die Wiederauflage? Und will das BMBF dies überhaupt, wenn es die Überbrückungshilfe bei ihrer Aussetzung Ende September doch als "etabliert" und "erfolgreich" bezeichnet hatte?
Insgesamt hatte die Bundesregierung 100 Millionen Euro für die Zuschüsse bewilligt, die Studierende für jeweils einen Monat, aber auch mehrmals nacheinander beantragen konnten. Wichtigste Voraussetzungen: dass sie durch die Pandemie in eine wirtschaftliche Notlage geraten waren und deshalb nachweislich weniger als 500 Euro auf dem Konto haben. Dann erhielten sie nach Prüfung durch die Studierendenwerke je nach Kontostand bis zu 500 Euro, die sie nicht zurückzahlen mussten. Ursprünglich für die Monate Juni bis August vorgesehen, hatte das BMBF die Hilfen auch noch für den Monat September verlängert. Trotzdem dürften von den 100 Millionen noch zwischen 20 und 30 Millionen Euro übrig sein.
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