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Zeit für den Masterplan

Der bundesweite Lehrermangel wirkt sich in der Corona-Krise besonders dramatisch aus. Eine neue Ausgabe des "Monitor Lehrerbildung" zeigt: Die Länder schaffen es weiterhin nicht, adäquat auf die Personalprobleme zu reagieren.

Bildmontage: Alexas_Fotos / pixabay.

WAS CORONA für die Schulen noch bitterer macht: Der je nach Fach, Schulform und Region schon lange vor der Krise heftige Lehrermangel wirkt sich umso dramatischer aus, wenn Lehrkräfte in Quarantäne gehen müssen oder krankheitsbedingt ausfallen. Und weil viele Schulen personaltechnisch am Limit fahren, können sie zusätzlich zum laufenden Betrieb die Digitalisierung nicht so schnell vorantreiben, wie sie es müssten, um Risikoschüler adäquat zu Hause unterrichten zu können, aber auch um auf Phasen des klassen- oder sogar schulweiten Distanzunterrichts vorbereitet zu sein. 

 

Allein für die Grundschulen hatte die Bertelsmann-Stiftung bis 2025 einen Neueinstellungsbedarf von 105.000 Lehrerinnen und Lehrern berechnet, knapp 60.000 allein, um in Rente gehende Kollegen zu ersetzen. Wie die heute erscheinende, mir vorab vorliegende neue Publikation des "Monitor Lehrerbildung" berichtet, wären jedes Jahr 21.000 Berufsanfänger in den Grundschulen nötig – doch habe es 2019 weniger als 25.000 Hochschulabsolventen für ALLE Lehrämter insgesamt gegeben. Und obwohl Experten seit vielen Jahren vor dem Mangel gewarnt hatten, ging die Anzahl der Absolventen seit 2015 und auch noch in den Jahren 2018 und 2019 deutlich zurück: Von über 30.000 auf zuletzt rund 24.000. 

 

Viele Seiteneinstiege,
wenige Alternativen

 

Die zu erwartende Konsequenz wäre, dass die Kultusminister neben den traditionellen Studiengängen neue Wege ins Lehramt eröffnen – und tatsächlich hat der Anteil sogenannter Seiteneinsteiger ohne Lehramtsstudium und ohne Referendariat an allen Neueinstellungen bundesweit laut "Monitor Lehrerbildung" 2018 mit 13,3 Prozent einen Höchststand erreicht – im Vergleich zu 2,4 Prozent nur fünf Jahre zuvor. 2019 kletterte der Seiteneinsteiger-Anteil in Brandenburg sogar über 40 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern über 30 Prozent, die deutschlandweiten Spitzenwerte.

 

Doch ist nichts Erfreuliches – von wegen: "Kultusminister ermöglichen Flexibilität" – an diesen Zahlen. Im Gegenteil: Sie belegen deutlich, dass es den Kultusministern bislang nicht gelungen ist, qualitativ hochwertige Zugangswege zum Lehrerberuf neben dem klassischen grundständigen Lehramtsstudium zu schaffen.

 

Ja, es gibt die Variante, erst in einem Lehramts-Master quereinzusteigen, aber sie ist laut "Monitor Lehrerbildung" nicht sehr verbreitet: Von den 61 lehrerbildenden Hochschulen, die die Monitor-Macher befragt haben, verneinten 42 die Existenz eines solches Quereinsteigerprogramms, drei planen es gerade – und nur 16 bieten es an. Wobei von diesen 16 wiederum elf Hochschulen diese Möglichkeit nur für das Lehramt an Berufsschulen und dort wiederum fast ausschließlich für gewerblich-technische Fachrichtungen anböten. Womit am Ende nur fünf von 61 Hochschulen den Absolventen eines reinen Fach-Bachelors erlauben, in einen Lehramts-Master und von dort dann ins Referendariat zu wechseln, drei davon sind die großen Berliner Universitäten. 

 

Viel verbreiteter, allerdings sicherlich nicht einfacher für die angehenden Lehrkräfte oder für die sie betreuenden Schulen, ist die Option, nach einem Fach-Studium in ein Lehramts-Referendariat quereinzusteigen, laut Monitor-Projekt kommt diese Möglichkeit vor allem in Mangelfächern (etwa in MINT oder eben für die Grundschule) vor, wenn die freien Plätze im Vorbereitungsdienst nicht mit regulären Lehramts-Absolventen zu besetzen sind. 

 

Ein ärgerlicher
Flickenteppich

 

Was bleibt, ist dann die – sicherlich problematischste – Variante des bereits erwähnten Seiteneinstiegs ohne Lehramtsstudium und ohne Referendariat, die häufig nur befristet eingestellt werden und so schnell als Lehrer zweiter Klasse behandelt werden. Die Länder, berichtet der "Monitor Lehrerbildung", hätten sehr unterschiedliche Herangehensweisen, um ihre Seiteneinsteiger zu qualifizieren – von "mehrtägigen Kompaktkursen", und das war's, bis zu "umfangreichen berufsbegleitenden Weiterbildungen".  Über all diese Wege und Varianten und die Regeln in den unterschiedlichen Ländern finden sich auf der Website des Monitors Lehrerbildung umfangreiche Angaben. Krass ist auch, dass die Qualifizierung der Seiten- und Quereinsteiger meist abseits der lehrerbildenden Hochschulen abläuft. 49 der 61 befragten lehrerbildenden Hochschulen böten keine entsprechenden berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengänge an, berichtet der "Monitor Lehrerbildung" – sie bleiben bei der Nachqualifikation außen vor.

 

In der Gesamtschau entsteht das Bild eines ärgerlichen Flickenteppichs unterschiedlicher Einstellungspraktiken und Anforderungen der Länder. Stark unterschiedlich ist auch der Ehrgeiz der Länder, den Seiten- und Quereinsteigern die nötige Qualifikation und damit echte Karrieremöglichkeiten zukommen zu lassen. Die ernüchternde Erkenntnis: Viele Jahre nach den ersten Warnungen vor einem neuen Lehrermangel und Jahre, nachdem die Kultusminister die Probleme eingeräumt haben, gibt es kein einziges Land mit einer wirklichen Strategie, schon gar nicht mit einer langfristigen, um den Lehrarbeitsmarkt gesunden zu lassen und einen nachhaltigen Ausgleich zwischen dem Angebot und der Nachfrage nach Lehrkräften herzustellen.

 

Eine solche Strategie würde vor allem zweierlei fordern: Qualitativ hochwertige und vor allem flächendeckend angebotene Alternativen zum klassischen Lehramtsstudium – und die Bereitschaft der Länder, gleichmäßig Lehrkräfte einzustellen anstatt in Wellen – auch wenn dies in einigen Ländern und Jahren auch einmal einen Schluck "über den Durst" bedeuten würde.

 

Doch die "Monitor"-Autoren schreiben: "Die Gestaltung der derzeitigen Sonderwege zum Lehramt wirkt widersprüchlich und inkonsistent", sie sei in vielen Fällen nicht qualitätsgesichert, noch dazu bestünden beim Seiteneinstieg "nicht nachvollziehbare Hürden", etwa, dass oft ein zweites Unterrichtsfach vorgewiesen werden müsse. Es gebe insgesamt zu wenige Möglichkeiten des Ein- und Umstiegs in das Lehramtsstudium. Auch sei die Zahl der Studienplätze gerade fürs Grundschul- und sonderpädagogische Lehramt immer noch zu niedrig, so seien etwa zwei Drittel der Grundschul-Lehramtstudienplätze zulassungsbeschränkt. 

 

Der große Wurf? 

Nicht in Sicht.

 

Der große Wurf? Nirgendwo in Sicht. Vor Jahren bereits forderte in diesem Sinne etwa der ehemalige Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Manfred Prenzel, einen "Masterplan Lehrerbildung". Doch weder einzelne Bundesländer noch die Kultusministerkonferenz, die einen solchen Masterplan bundesweit koordinieren müsste, lassen Aktivitäten in diese Richtung erkennen. Das gerade verabschiedete KMK-Bildungsabkommen wäre die Chance dafür gewesen, erschöpft sich aber in einigen wenigen Allgemeinplätzen zum Thema. 

 

Stattdessen, auch das konstatiert der "Monitor Lehrerbildung", werben inzwischen fast alle Länder öffentlichkeitswirksam für ein Lehramtsstudium (ausgerechnet nur Brandenburg und das Saarland nicht). Hauptzielgruppe seien Studieninteressierte für MINT-Lehramtsfächer, für berufliche Schulen und fürs Grundschullehramt – weil dort aktuell der größte Mangel herrscht. Und genau das zeigt schon, so verständlich solche Aktionen sind, die Kurzsichtigkeit der Bildungspolitik, weil sie im besten Falle gerade dabei ist, die nächste Runde in einem Schweinezyklus einzuläuten.

 

Gut ist dagegen, wenn die Hochschulen sich um eine Senkung der traditionell hohen Abbrecherquoten im Lehramt bemühen – um möglichst viele derjenigen, die Lehrer werden wollen, auch dazu zu bringen, dass sie Lehrer werden können. Allerdings besteht ihr wichtigstes Instrument derzeit darin, die weniger geeigneten und weniger ernsthaften Bewerber vorher auszusortieren, was das Studium zwar effizienter machen wird (für die Betroffenen persönlich, aber auch im Hinblick auf die Ausbildungskapazitäten), aber am Ende kaum zusätzliche Absolventen produziert.

 

Der Monitor Lehrerbildung zählt auf: Eignungsprüfungen, Online-Self-Assessments, verpflichtende Eignungspraktika, Angebote zur Reflexion über die eigene Eignung. 29 der 61 Hochschulen sehen verpflichtende "Angebote zur Eignungsreflexion" vor, für knapp 35 Prozent der Lehramtsstudiengänge bzw. deren Teilfächer gibt es NC-Zulassungsbeschränkungen. Eignungsprüfungen sind dagegen nur in künstlerischen Fächern und in Sport sowie teilweise in Fremdsprachen erlaubt. Weitere freiwillige Beratungsangebote gibt es an fast allen Hochschulen – der Großteil allerdings wiederum nur vor Studienbeginn oder in den ersten beiden Fachsemestern. Etwas weniger Hochschulen berichten von Beratungsangeboten über den gesamten Studienverlauf und die Hälfte speziell für die Zeit nach dem ersten Studienjahr und später. 

 

Die Autoren kritisieren: Die Anforderungen des Lehrerberufs und eine Reflexion der persönlichen Eignung seien nach Studienbeginn "kaum verbindlicher Bestandteil des Studiums". Eine weitere der zahlreichen Baustellen in der Lehrerbildung, die den Schulen das Leben schwer macht. Schon vor der Coronakrise. Doch jetzt tun die politischen Versäumnisse besonders weh. Gut, dass der "Monitor Lehrerbildung" sie so deutlich aufzeigt.

 

Der "Monitor Lehrerbildung" ist die nach eigenen Angaben bundesweit einzige Datenbank zum Lehramtsstudium und ein gemeinsames Projekt von Bertelsmann Stiftung, CHE Centrum für Hochschulentwicklung, Deutsche Telekom Stiftung, Robert Bosch Stiftung GmbH und Stifterverband.

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Kommentare: 1
  • #1

    Stefan Wender (Montag, 09 November 2020 08:33)

    "Von den 61 lehrerbildenden Hochschulen, die die Monitor-Macher befragt haben, verneinten 42 die Existenz eines solches Quereinsteigerprogramms, drei planen es gerade – und nur 16 bieten es an." ... "Krass ist auch, dass die Qualifizierung der Seiten- und Quereinsteiger meist abseits der lehrerbildenden Hochschulen abläuft. 49 der 61 befragten lehrerbildenden Hochschulen böten keine entsprechenden berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengänge an, berichtet der "Monitor Lehrerbildung" – sie bleiben bei der Nachqualifikation außen vor."

    Herr Wiarda führt das so aus, wie ich es ebenfalls an meiner Universität wahrnehme - betonen möchte ich hier allerdings noch einmal, dass dies vom Land gesetzte Rahmenbedingungen sind, nicht selbst gewählte. Die Diskussion über eine qualitätsgesicherte Weiterqualifikation für Quer- und Seiteneinsteiger würden wir gerne führen, allein uns fehlt die rechtliche Rahmenbedingung dazu. Wie Herr Wiarda am Ende treffend attestiert, planen die Länder hier nur kurzsichtig (zumindest das Bundesland, in dem ich tätig bin).