Auch wenn die Ministerpräsidenten den Schul-Vorstoß des Kanzleramts vorerst zurückgewiesen haben: Mit seiner geschickten Taktiererei hat der Bund jetzt sogar den Präsenzunterricht für Grundschüler erfolgreich auf Bewährung gesetzt. Das ist epidemiologisch fragwürdig und ungerecht.
SO EINFACH kann Politik sein: Erst setzt das Bundeskanzleramt eine offenbar nicht mit den Ländern abgesprochene Beschlussvorlage in die Welt. Und als die Ministerpräsidenten sie erwartungsgemäß ablehnen, kontert Angela Merkel: Dann kommt sie eben nächste Woche wieder auf den Tisch. Und wenn die Infektionszahlen dann nicht deutlich gesunken sind, dann stimmt ihr dem zu, was ich schon diese Woche wollte.
Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben nach ihrem Streit bei ihrer Shutdown-Zwischenbilanz heute keinen Beschluss gefasst. Doch das Kalkül der Bundeskanzlerin könnte aufgehen.
Die Vorlage aus dem ihrem Amt sah vor, dass die Schulen zwar geöffnet bleiben sollten, aber nur unter den folgenden Begleitumständen: eine Maskenpflicht für alle Schüle und Lehrkräfte auch im Unterricht. Die Trennung von Lerngruppen und Klassen im Schulgebäude und auf dem Weg zur Schule.
Am einschneidensten aber: die vom Kanzleramt geforderte Einführung der Abstandsregel auch im Klassenraum – was, da Ausweichräume fast nirgendwo existieren, auf halbe Klassengrößen und damit nur noch maximal halb so viel Präsenzunterricht hinausliefe. Das Ende des Regelbetriebs. Der Einstieg in den Distanzunterricht für alle. Für Abiturienten genauso wie für Erstklässler.
Obwohl Unter-10-Jährige nicht nur deutlich seltener an Covid-19 erkranken, sondern, diese Erkenntnisse erhärten sich immer weiter, sich seltener infizieren und wahrscheinlich auch seltener andere anstecken. Und obwohl der Distanzunterricht im Frühjahr – positive Ausnahmen ausgenommen – deutschlandweit ziemlich danebengegangen ist. Worunter wiederum die Grundschüler und ihre Familien am meisten litten, weil sie am dringendsten der direkten pädagogischen Betreuung, Ansprache und Anleitung bedürfen. Nicht zu vergessen, dass den jüngsten Schülern zuvor schon mit am längsten der Präsenzunterricht komplett versagt worden war.
Eine undifferenzierte Antwort auf
ein differenziertes Pandemiegeschehen
Für heute hat die Mehrheit der Ministerpräsidenten diese undifferenzierte Antwort auf ein differenziertes Pandemiegeschehen mit noch dazu sehr unterschiedlichen Auswirkungen auf die betroffenen Altersstufen verhindern können.
Klar ist: Für ältere Jugendliche müsste tatsächlich nächste Woche, wenn die Regierungschefs von Bund und Ländern erneut zur Videoschalte verabredet sind, bei nicht zurückgehenden Zahlen als Teil eines Pakets zusätzlicher, alle gesellschaftlichen Bereiche betreffenden Maßnahmen über Hybrid-Unterricht geredet werden.
Doch hat der Bund mit seiner Taktierei öffentlichkeitswirksam und erfolgreich den täglichen Präsenzunterricht für alle Kinder und Jugendlichen auf Bewährung gesetzt. Gehen die gesamtgesellschaftlichen Infektionszahlen bis nächsten Montag nicht deutlich zurück, dann sollen auch die Kleinsten und ihre Familien dafür wie schon im Frühjahr bildungs- und sozialpolitisch bezahlen. Das wäre nicht nur epidemiologisch fragwürdig, es wäre auch widersinnig und ungerecht.
Von einem Verbot von Gottesdiensten oder Einschränkungen für den Einzelhandel war übrigens heute nicht die Rede. Sie wurden auch nicht auf Wiedervorlage gesetzt. Eine Verengung der Pandemiedebatte auf die junge Generation. Wie gesagt: So einfach kann Politik sein.
Kommentar schreiben