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Glücklich wird, wer Prof ist

Die neue DZHW-Wissenschaftsbefragung zeigt eine erstaunlich hohe Zufriedenheit mit dem Zustand der Wissenschaft in Deutschland – und an einigen Stellen eine deutliche Kluft zwischen den Statusgruppen.

Die Professoren sind am zufriedensten mit ihrer Jobsituation: ein so zentrales wie erwartbares Ergebnis. Andere Zahlen in der Studie überraschen dafür umso mehr. 

DIE ERGEBNISSE DER STUDIE sind so widersprüchlich wie das System, in dem die Befragten sich bewegen. Heute veröffentlicht das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) sein "Barometer für die Wissenschaft", eine repräsentative Befragung von 8.822 an Universitäten beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aller Statusgruppen.

 

Es ist die dritte nach 2010 und 2016, und die allgemeine Zufriedenheit mit dem Zustand des Wissenschaftssystems in Deutschland ist erstaunlich hoch. Ob Forschungsfreiheit, gesellschaftliche Relevanz der Forschung oder ihre Innovationsfähigkeit: All diese Dimensionen schätzen zum Teil deutliche Mehrheiten der Wissenschaftler als "eher gut" oder "sehr gut" ein. 

 

Gefragt nach ihrer beruflichen Zufriedenheit lautet die Antwort der Mehrheit ebenfalls: ziemlich hoch. Auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden) bis 5 (sehr zufrieden) liegt der Durchschnitt aller Antworten und aller drei Statusgruppen (Profs, Postdocs, Prädocs) bei den Aspekten Lehre, Forschung und erreichte berufliche Position durchgängig deutlich über 3. Wobei die Professoren, was wenig wundert, immer noch eine Ecke zufriedener sind. Beispiel erreichte Position: Da liegt der Prof-Schnitt bei 4,1, während Postdocs und Prädocs jeweils 3,4 erreichen. Trotzdem erstaunlich gute Werte. 

 

Deutlicher Ausreißer
nach unten

 

Einen deutlichen Ausreißer allerdings gibt es doch, und er sagt viel über die Regeln des real existierenden Wissenschaftssystems. Ihren beruflichen Perspektiven geben Professoren im Schnitt eine wiederum respektable 3,5. Die Prädocs kommen mit genau 3,0 immerhin noch zu einem Teils-Teils. Die Postdocs aber geben ihren Karriereaussichten nur eine 2,5. Ganz offenbar ein Spiegelbild der mit 87 Prozent immer noch sehr hohen Befristungsquote unter den befragten wissenschaftlichen Mitarbeitern, die von den Doktoranden tendenziell noch akzeptiert, von vielen Postdocs aber offenbar als unfair erfahren werden. 

 

Genau wie beim genaueren Hinsehen immer wieder dieselbe Diskrepanz auffällt. So beantworten nur 38 Prozent aller Befragten, sie seien zufrieden mit der Leistungsgerechtigkeit im Wissenschaftssystem, fast 62 Prozent gaben diesem Aspekt "eher" oder "sehr" schlechte Noten.

 

Ob unter den 38 zufriedenen Prozent überdurchschnittlich viele Professoren waren, ist angesichts der übrigen Daten durchaus wahrscheinlich. Deutschlandweit machen sie jedenfalls nicht einmal zehn Prozent des wissenschaftlichen Personals insgesamt aus. Zu der Gespaltenheit der Scientific Community, die hier durchscheint, passt, dass immerhin knapp 44 Prozent der Befragten den Zusammenhalt der wissenschaftlichen Gemeinschaft als eher oder sehr schlecht bewerten – wobei sich hier umgekehrt natürlich auch gut 56 Prozent positiv äußern. 

 

Apropos Leistungsgerechtigkeit: Hier wartet die Studie mit weiteren spannenden Ergebnissen auf. Die Professoren berichten, dass sie im Schnitt nur 22 Prozent ihrer Arbeitszeit für die Forschung aufwenden können, 25,1 Prozent für die Lehre und – fast 40 Prozent für Tätigkeiten wie Drittmittelakquise, Gremien, Begutachtungen oder Management. Die 22 Prozent Arbeitszeit für Forschung bei den Professoren stehen nach Selbstauskunft 37,1 Prozent bei den Postdocs und 50,6 Prozent bei den Prädocs gegenüber. Und jetzt wird es interessant. Laut einer DZHW-Auswertung des durchschnittlichen Publikations-Outputs über alle Fächer hinweg kommen Professoren mit sechs Publikationen pro Jahr auf fast das Zehnfache von Doktoranden (0,7) und mehr als das Doppelte von Postdocs (2,5). Passend dazu berichten die Studienautoren Jens Ambrasat und Christophe Heger von einer "Leistungsillusion": "Zwar ist in den letzten Jahren der Output pro Person messbar gestiegen, dies lässt sich aber im Wesentlichen auf die Zunahme von Co-Autorenschaften zurückführen."

 

Immerhin: Den meisten Professoren ist
die Situation des Mittelbaus bewusst

 

Und wer von diesen Co-Autorenschaften am stärksten profitiert, liegt angesichts ihrer vergleichsweise geringen Forschungszeit auf der Hand. Mit die meisten Publikationen vereinen übrigens die Lebenswissenschaften-Profs auf sich – und gleichzeitig können die Postdocs und Prädocs in diesen Fächern am wenigsten publizieren. 

 

Fairerweise muss man dazu sagen, dass den Professoren die schwierige Situation des Mittelbaus bewusst ist. Die Karriereperspektiven für den "wissenschaftlichen Nachwuchs" seien zu unsicher: Auf der Skala von 1 (überhaupt keine Zustimmung) bis 5 (stimme voll und ganz zu) liegt der Schnitt der Prof-Antworten bei 4,1. Und die Aussage, dass die Einkommensmöglichkeiten für Nachwuchswissenschaftler nicht wettbewerbsfähig seien, erreicht einen Wert von 3,6. 

 

Die DZHW-Studie diene als empirische Datengrundlage für wissenschaftspolitische Diskussionen und Entscheidungen, sagt Projekleiter Jens Ambrasat. "Schön wäre es, wenn unsere Ergebnisse darüber hinaus die Selbstreflexion und den Diskurs innerhalb der wissenschaftlichen Community bereichern können."

 

Bleiben wir noch kurz beim Thema Unwuchten im Wissenschaftssystem. Immer noch haben 14,4 Prozent der Postdocs Arbeitsverträge mit einer Laufzeit von bis zu 12 Monaten. 22,8 Prozent müssen sich mit bis zu zwei Jahren begnügen. Womit sich die Laufzeiten seit der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes immerhin schon deutlich erhöht haben: 2016 hatten noch 27,0 Prozent der Postdocs maximal einen 12-Monatsvertrag, weitere 25,9 Prozent kamen auf bis zu 24 Monate. Deutlich verlängert haben sich auch die Laufzeiten bei den Prädocs. Inzwischen haben fast 57 Prozent Verträge über mindestens 25 Monate. 2016 hatten noch gut 40 Prozent maximal ein Jahr. Dieser Anteil hat sich immerhin auf 20 Prozent halbiert.

 

Dennoch steht am Ende die ernüchternde Feststellung: Noch immer haben den gesamten Mittelbau zusammengenommen nicht einmal ein Fünftel (17,1 Prozent) der Mitarbeiter Verträge, die länger als drei Jahre laufen. Mehr als zwei Fünftel (41,9 Prozent) liegen bei bis zu zwei Jahren. Und mit 68 Prozent sitzt immer noch die große Mehrheit der Postdocs auf befristeten Stellen. Von den zu 99 Prozent befristet beschäftigten Juniorprofessuren wiederum befinden sich immer noch nur 30 Prozentpunkte auf einer Tenure-Track-Position.

 

Die Wissenschaftswelt
der Vor-Corona-Zeit

 

Oder befanden: Die Umfrageergebnisse stammen allesamt von vor der Pandemie. Was die Aussagekraft der neuen DZHW-Wissenschaftsbefragung über die gegenwärtige Stimmung unter deutschen Wissenschaftlern und die Bedingungen, unter denen sie arbeiten, eher einschränkt. Dafür wartet die Studie mit jeder Menge spannender Details und Einschätzungen auf, die oftmals eigene Artikel wert wären: Angefangen von einer sich andeutenden Vertrauenskrise in einigen Fachbereichen, was die Belastbarkeit des produzierten Wissens angeht, über den zu hoch eingeschätzten Aufwand für Drittmittelanträge, die Publikationskultur und die geringe Bedeutung von Open Access für die meisten Befragten bis hin zur Einschätzung  möglicher Reformen im Wissenschaftssystem. Wie Lotterieverfahren in der Forschungsförderung (wollen die meisten nicht) oder reine Lehrprofessuren (die Mehrheit der Profs ist dagegen, zwei Drittel im Mittelbau sind dafür). 

 

Bei einer viel diskutierten Reform indes sind sich wieder alle Statusgruppen einig: bei der zuletzt von der Jungen Akademie vorgeschlagenen Umstellung der Hochschulen auf eine Departmentstruktur. Lasse man die 38 Prozent außen vor, die sich dazu keine abschließende Meinung gebildet hätten, schreiben die DZHW-Studienautoren, "befürworten 69 Prozent das Departmentmodell". Sogar unter Profs findet sich dann eine Mehrheit von 61 Prozent, den Spitzenwert erreichen mit 78 Prozent erwartungsgemäß die Postdocs – weil sie von einem offeneren Karrieresystem am stärksten zu profitieren hoffen. 

 

Alle Ergebnisse der DZHW-Wissenschaftsbefragung 2019/20 können Sie hier abrufen.

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Kommentare: 2
  • #1

    Rainer Lange (Mittwoch, 25 November 2020 12:48)

    Danke für die gute Zusammenfassung des lohnenden Berichts. Mit dem Begriff der "Leistungsillusion" bin ich allerdings etwas unglücklich. Zwar ist der Befund richtig und seit Jahren stabil, dass längere Publikationslisten auf Individualebene systemisch durch zunehmende Co-Autorenschaften "neutralisiert" werden. Aber mein Eindruck ist doch, dass Veröffentlichungen mit vielen Co-Autor*innen häufig hoch verdichtete Wissenschaft enthalten, hinter der sehr umfangreiche wissenschaftliche Leistungen stecken. Publikationszahlen sind kein gutes Maß für wissenschaftliche Leistung, stagnierende Pro-Kopf-Publikationszahlen deshalb auch kein Beleg für eine "Leistungsillusion".

  • #2

    Silke Walther (Montag, 30 November 2020 18:44)

    Seit Jahren ist der "wissenschaftliche Nachwuchs unterhalb der Professur" Objekt von Studien. Seit 2014 sind die Resultate weithin ziemlich gleich geblieben: es gibt über 80 % Befristung, einen hohen Aufwuchs bei den Doktorierenden und Postdoktorierenden, aber einen kaum steigerfähigen Bedarf nach diesen Wissensarbeitern - mit Ausnahme der Bedarf an kurzfristig beschäftigten Lehrkräften im Mittelbau. Problematisch ist neben der Kurzbefristungspraxis und dem Zwang zu Drittmittelpersonal im Projektintervall von ca. 2-3 Jahren auch die völlig vernachlässigte Gestaltungsfreiheit der eigenen Laufbahn als Fachexperte, Forscher, Lehrender oder Manager. Es gilt wie im deutschen Schulsystem: mitgegangen, mitgehangen: kein Wechsel der Standbeine, Standorte und der Befreiung aus den pekuniären Zwängen der Institution Hochschule möglich. Die Ausweitung von Dauerstellen wäre ideal, ist aber umfinanzierbar. Besser wäre es, endlich über flexiblere Zu- und Abgänge, Reentrys und Gründeranreizsysteme für PostDocs nachzudenken.