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Und jetzt: die Schulen

Die Schulpflicht vor Weihnachten aussetzen, aber die Geschäfte erstmal offen lassen? Die Forderung der Leopoldina nach einem "harten Lockdown" ist richtig, aber sie zeigt auch die befürchtete Einseitigkeit.

DER HARTE LOCKDOWN rückt näher. Es ist der Begriff, der sich in Abgrenzung zum gescheiterten "Wellenbrecher-Lockdown" einzubürgern scheint. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat am Sonntag mit der Ankündigung erster Maßnahmen vorgelegt, heute wollte Sachsens Staatsregierung folgen*, und überraschend, wenn auch inhaltlich zu erwarten, hat heute Morgen nun auch die Nationalakademie Leopoldina ihr Forderungen formuliert.

 

Die Wissenschaftler beschreiben ein zweistufiges Vorgehen: Bereits ab dem 14. Dezember müssten Kontakte im beruflichen wie im privaten Bereich "auf das absolute Mindestmaß reduziert werden". Das Homeoffice müsse, wo immer möglich, die Regel sein. Die Schulpflicht solle bis zum Beginn der Weihnachtsferien in allen Bundesländern aufgehoben werden. Gruppenaktivitäten in Sport und Kultur müssten eingestellt werden und, wo immer möglich, sollten digitale anstelle von Präsenzangeboten genutzt werden.

 

Ab dem 24. Dezember 2020 "bis mindestens zum 10. Januar 2021" solle dann in ganz Deutschland "das öffentliche Leben weitgehend ruhen und ein harter Lockdown" gelten. Hierfür sollten dann zusätzlich auch alle Geschäfte bis auf die des täglichen Bedarfs geschlossen und die Weihnachtsferien in den Bildungseinrichtungen verlängert werden.

 

Die Schulen sollten dann nach verlängerten Weihnachtsferien wieder ab dem 10. Januar starten – mit einer Maskenpflicht im Unterricht und für alle Jahrgangsstufen. Außerdem solle es ländereinheitliche Regeln für den Wechselunterricht ab der Sekundarstufe geben, die ab einer bestimmten Inzidenz greifen müssten. So wie die Leopoldina grundsätzlich "ein klares, mehrstufiges und bundesweit einheitliches System von Regeln" fordert, die ab einer bestimmten Anzahl von Fällen pro 100.000 Einwohner gelten müssten. Durch ein einheitliches und nachvollziehbares Vorgehen würden die Maßnahmen für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen transparent, verständlich und planbar.

 

In der Arbeitsgruppe zur Empfehlung waren mehrere Dutzend Wissenschaftler dabei, darunter viele MedizinerInnen und VirologInnen wie Christian Drosten oder Sandra Cziesek, aber auch der Bildungsforscher Olaf Köller, der Theologe und BBAW-Präsident Christoph Markschies oder die Schulpädagogin Felicitas Thiel.

 

Die Debatte entwickelt
sich genauso wie erwartet

 

Damit entwickelt sich die gesellschaftliche Debatte genau in die vorhersehbare Richtung. Erstens: Leider scheint der Mut zu fehlen, die Geschäfte bereits vor Weihnachten zu schließen. Shopping und Glühwein first. Zweitens: Stattdessen konzentrieren sich Ambitionen wieder einmal auf die Bildungseinrichtungen, die durch eine Aufhebung der Schulpflicht (=faktisch das Ende des regulären Unterrichts) in allen Klassenstufen schon ab kommender Woche und eine Verlängerung der Schulferien bis zum 10. Januar auf komplette Schulschließungen hinauslaufen würden. Und drittens: so gut wie kein langfristiger Plan für die Zeit nach dem Lockdown – bis auf eine Maskenpflicht für die Jüngsten.

 

Ich hatte vieles davon in meinem Kommentar am Sonntag kommen sehen und deshalb dafür plädiert, die absehbare Debatte zu kanalisieren. Mit einem klaren Votum für Präsenzunterricht in den Grundschulen bis zum Beginn der Weihnachtsferien. Und mit einer pünktlichen Rückkehr aus den Weihnachtsferien. Um dem spürbaren Drang zu kompletten Schulschließungen entgegenzuwirken, hatte ich für ein abgestuftes Vorgehen an weiterführenden Schulen bis hin zum Aussetzen des Präsenzunterrichts ab einer bestimmten Fallinzidenz plädiert. Und für einen zeitlich eng bis Ende Januar begrenzten Wechselunterricht auch an den Grundschulen – bei komplett offenbleibenden Kitas.

 

Mein Verdacht, dass es härter kommen könnte und dass (trotz des engagierten Widerstandes der Bildungsminister) doch wieder einmal vor allem die Kinder und Jugendlichen dran sein sollten, hat mich nicht getrogen – zumindest falls die Leopoldina-Vorschläge in ihrer Gänze umgesetzt werden sollten. Bei den Kitas haben die Experten übrigens eine ärgerliche Leerstelle gelassen: kein Wort dazu. Wäre es nicht wichtig, ihr Offenbleiben zu betonen? Und ebenso das der Grundschulen? Nicht nur ärgerlich, sondern unverantwortlich ist, dass die Leopoldina keinerlei Vorschläge zum Schutz der besonders vulnerablen Gruppen in den Alten- und Pflegeheimen macht.

 

Stattdessen die erwartete Fixierung auf die Schulen. Nichts gegen Härte in dieser schwierigen Situation, aber dann bitte für alle gesellschaftlichen Bereiche und zum selben Zeitpunkt. Doch die Geschäfte bis Weihnachten offenhalten zu wollen und nicht an die Gottesdienste zu gehen, erinnert fatal an die politische Prioritätensetzung im Frühjahr. Damals konnten wir auch lernen: Sind die Schulen erstmal ganz zu, dauert es womöglich viel länger als versprochen, bis sie wieder richtig aufgehen. Und was bringt es, wenn die Schülerinnen und Schüler ab 14. Dezember, wie beispielsweise Schleswig-Holsteins Kultusministerin Karin Prien (CDU) in ihrer ersten Reaktion auf die Leopoldina warnte, "zu Tausenden in den Einkaufspassagen oder privat zusammen kommen und dabei sicher nicht die hohen Hygienestandards der Schulen gelten? Die Aufhebung der Schulpflicht würde zudem sogar Distanzunterricht unmöglich machen."

 

Ironischerweise führt die Leopoldina als Beispiel eines funktionierenden Lockdowns Irland an. Dort, aber auch in Belgien sei es gelungen, dass die Menschen ihre Kontakte drastischer zurückgefahren hätten als hierzulande. In Irland sind die Schulen übrigens bis heute offen.

 


Hinweis: Die Leopoldina-Server sind überlastet. Daher funktioniert der Link zur Empfehlung derzeit nicht. 

 

*Nachtrag um 13.45 Uhr:

Sachsen will Berichten zufolge schon ab Montag bis zum 10. Januar Schulen und Kitas sowie alle Läden bis auf Lebensmittel schließen. Gut und konsequent: dass der Einzelhandel trotz des Weihnachtsgeschäfts nicht ausgenommen werden soll. Leider wie befürchtet und offenbar ohne jede Differenzierung: das komplette Dichtmachen aller Bildungseinrichtungen, inklusive der Kitas und Grundschulen. Das ist ein Rückfall in die Undifferenziertheit des Frühjahrs, von der ich mir gewünscht hatte und zwischendurch tatsächlich dachte, wir hätten sie überwunden.

 

Nachtrag am 09. Dezember, 11 Uhr:

Interessantes berichtet Heike Schmoll heute in der FAZ.  "Die Präsenzpflicht – in der mit heißer Nadel gestrickten Stellungnahme stand fälschlicherweise Schulpflicht – soll bis zum Beginn der Weihnachtsferien in allen Bundesländern aufgehoben werden", gibt sie die Leopoldina-Empfehlung wieder. Was durchaus einen Unterschied machen würde: Wird nur die Präsenzpflicht aufgehoben, müssten die Schulen Distanzunterricht anbieten für die Schüler, die zu Hause bleiben. Beim Aufheben der Unterrichtspflicht bleibe dagegen nur eine Verpflichtung der Schulen zur Betreuung der Schüler vor Ort. Das dürfte noch spannende Diskussionen geben. 


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Kommentare: 3
  • #1

    Matthias Moser (Dienstag, 08 Dezember 2020 14:58)

    "Gut und konsequent: dass der Einzelhandel trotz des Weihnachtsgeschäfts nicht ausgenommen werden soll.". Ja nun wird es im Einzelhandel jetzt noch mehr Umsatzeinbrüche geben als ohnehin schon. Ich fürchte wir werden im Sommer/Herbst nächsten Jahres eine Insolvenz- und Arbeitslosenwelle erleben die wir uns noch nicht vorstellen können. Was sagen Sie den Inhabern und Arbeitnehmern der Einzelhandelsgeschäfte, die ja bislang auch schon Einschränkungen und Auflagen hatten? "Ja danke dass ihr euch an alles gehalten habt war aber trotzdem für den Arsch".
    Ich sehe die wirtschaftlichen Auswirkungen als Steuerberater jeden Tag und ich habe mittlerweile eindeutig mehr Angst vor den wirtschaftlichen Folgen der Lockdowns als vor dem Virus selbst.

  • #2

    Immo Korte (Mittwoch, 09 Dezember 2020 09:41)

    Auch in unserer Schule gibt es Fälle von infizierten Kindern, Lehrer_innen und Erzieher_innen. Mir ist aber bisher kein Fall bekannt, in dem die Infektion in der Schule erfolgt ist. Die Ansteckungen erfolgen im privaten Umfeld außerhalb der Einrichtungen. Daher finde ich es nicht nachvollziehbar, warum die Schulschließungen nun das Allheilmittel sein sollten. Zudem ist doch schon jetzt die Diskussion im Januar absehbar, ob die Ferien nicht doch noch ein, zwei Wochen verlängert werden sollten. Wo die (berufstätigen) Eltern dabei bleiben sollen, dafür hat die Politik keine Antwort. Von den Folgen für die Psyche und Bildung der Kinder ganz zu schweigen.

  • #3

    Working Mum (Donnerstag, 10 Dezember 2020 07:33)

    Dass das Vorweihnachtsgeschäft offenbar die Leitschnur politischen Handelns in Deutschland ist, frustriert ohnehin schon. Dass sich das jetzt aber auch die Wissenschaft in ihren Empfehlungen im vorauseilenden Gehorsam zu eigen macht, macht mich wirklich fassungslos.