Jugendliche und junge Erwachsene spielen in der Corona-Debatte meist die Rolle der Virenverbreiter. Was wir aber auch sehen sollten: Die Pandemie bringt sie um Lebenserfahrungen, die sich nicht nachholen lassen.
Die Party fällt aus. Foto: Free-Photos / Pixabay.
DIE BESTEN DINGE passieren einem nicht allzu oft im Leben. Diejenigen Ereignisse, an die man sich später am intensivsten erinnert, auch nicht.
Entsprechend ist das Corona-Jahr 2020 für viele von uns Älteren, die sich nicht an Gelenkstellen ihres Lebens befinden, die bislang nicht krank geworden sind und es hoffentlich nicht werden, die nicht ihren Job verloren haben und ihn hoffentlich auch nicht verlieren, vor allem eines: nervig. Und frustrierend. Aber es ist auch dies: endlich. Selbst wenn die Pandemie noch weit bis ins nächste Jahr hineinreichen sollte, sind wir danach, wenn es gut für uns läuft, knapp anderthalb Jahre älter als vor Corona, ansonsten aber dieselben. Und dann schütteln wir uns kurz und machen weiter.
Unter den gesellschaftlichen Gruppen, für die das nicht gilt, ist von einer sehr wenig die Rede. Und wenn, dann meist verbunden mit einem Kopfschütteln, gelten doch die 15- bis 25-Jährigen mit als die aktivsten Virenverbreiter. Oft werden die Jugendlichen und jungen Erwachsenen dann pauschal für ihr angeblich so unverantwortliches Verhalten gescholten. Und oft wird dabei vergessen, wie sehr sich viele von ihnen in Wirklichkeit doch zurücknehmen. Und vor allem wird vergessen, wie viel mehr ihnen das – im Vergleich zu uns Älteren – abverlangt. Denn altersgemäß ruft doch eigentlich alles in ihnen nach dem Gegenteil: Raus hier! Spaß haben! Die Welt entdecken!
Im Alter zwischen 15 und 25 passieren einem viele der besten Dinge im Leben und viele dieser intensiven, unvergesslichen Ereignisse, die nicht wiederkommen. Die erste Liebe. Die Europa-Tour mit den Freunden. Die Samstagabende mit der Clique.
Jetzt, gerade jetzt in diesen Wochen und Monaten, sollten Erinnerungen fürs Leben gemacht werden. Stattdessen haben all die, die dieses Jahr mit der Schule fertig wurden, keine rauschende Party gehabt. Keine Abschlussfahrt. Nur sterile Prüfungen. Zeugnisübergaben, wenn es sie denn gab, im kleinen Kreis und mit Abstand. Und wer ins Studium gestartet ist, hat nicht wie sonst im ersten Uniseminar neue Leute kennengelernt, mit denen man trinken und tanzen geht. Für den hieß es fast überall: Herzlich willkommen im Zoom-Call.
Es gibt nichts und niemanden, der das ändern könnte. Aber ein Bewusstsein für den unwiederbringlichen Verlust an Lebenserinnerungen, den viele junge Menschen, auch viele Studienanfänger, gerade mit besonderer Härte erfahren, das sollten wir als Gesellschaft haben.
Dieser Kommentar erschien heute zuerst im Newsletter ZEITWissen3.
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Josef König (Donnerstag, 10 Dezember 2020 10:17)
Danke, Jan-Martin,
Endlich einer, der das klar und offen sagt!
Herzlich
Josef (immerhin schon 72)
Julia Bobe (Donnerstag, 10 Dezember 2020 11:27)
Vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag. Dem kann ich nur ganz und gar zustimmen und bedanke mich, dass Sie es in so wohlklingende Worte gefasst haben.
Julia v. Helden (Donnerstag, 10 Dezember 2020 14:35)
Dieser Beitrag spricht mir aus dem Herzen! Vielen Dank! Es wäre wirklich gut, wenn man sich im Privaten wie auch institutionell Gedanken machte, wie das nach Abklingen der Pandemie kompensiert werden kann. Erstipartys für drei Kohorten sind sicher eine Herausforderung, aber ich halte sie für notwendig.
René Krempkow (Donnerstag, 10 Dezember 2020 18:21)
Ja, wie wahr! Vielen Dank auch von mir - und ich kann obigen Kommentaren nur zustimmen!
Dorothea Brantz (Donnerstag, 10 Dezember 2020 18:47)
Gut nachgedacht. Vielen Dank.
Jürgen Güdler (Donnerstag, 10 Dezember 2020 20:37)
Sie sprechen mir aus dem Herzen. Zwei Kinder, bald 22 und 19 Jahre alt. Das Studium und das Abi - sehr sterile Veranstaltungen. Hoffen wir, dass sie und ihre Altersgenossen das Versäumte zumindest teilweise nachholen können!
tmg (Freitag, 11 Dezember 2020 22:29)
oh gott, mir kommen gleich die Tränen. Die armen armen jungen Leute. Eine Feierentzugstraumatisierung. Vielleicht sollte therapeutische Behandlung erfolgen, damit die ganze Generation nicht in Depression versinkt.
Geht es noch?
Karla K. (Sonntag, 13 Dezember 2020 11:02)
Lieber Herr Wiarda,
ohne die Corona-Auswirkungen an sich kleinreden zu wollen, erlaube ich mir Ihrer Sichtweise eine andere Facette hinzuzufügen:
Für einen nicht unerheblichen Teil von jungen Menschen gehört das, was Sie beschreiben, überhaupt nicht zur Lebensrealität - junge Menschen, die in Familien (oder Bruchstücken davon) aufwachsen, die von finanzieller Armut, einem überschaubar-kleinen sozialen Umfeld und geringer gesellschaftlicher Teilhabe geprägt sind. Für diese jungen Menschen sind die derzeitigen Einschränkungen also keine neue und vor allem auch keine temporäre Erfahrung, sondern sowieso Alltag und lebensprägend. Problematisiert werden diese Einschränkungen jetzt, wo auch die Mittelschicht (vorübergehend) betroffen ist?
Ähnliches ließe sich für die Diskussion rund um das Thema Schulschließungen aufmachen: Eine öffentliche Betroffenheit und einen medialen Aufschrei gab es, als Kinder, Jugendliche und ihre Eltern aus Mittelschichtsfamilien Einschränkungen erfuhren. Auch hier: Einschränkungen, die für viele andere Schüler*innen standardmäßig Lebensrealität sind, ohne Perspektive, dass sich dies nach Corona (zum Besseren zurück) ändert.
Vielleicht sollten wir (auch hier) die Jammerperspektive verlassen:
(1) Kinder und Jugendliche sind viel robuster, als ihre Helikopter- und Buldozer-Eltern dies vermitteln (oder wahrhaben wollen).
(2) Nicht-stattgefundene Partys sind nicht mehr, als Partys, die nicht stattgefunden haben.
(3) Viele Ereignisse und Erfahrungen wurden in den vergangenen Jahren eventisiert und in ihrer Bedeutung hochstilisiert, so dass eine Normalisierung ja vielleicht auch gar nicht so verkehrt sein könnten.
(4) Viele Erfahrungen sind gerade nicht lediglich an ein kleines und einmalig vorhandenes Zeitfenster gebunden, sondern es gibt viele Gelegenheiten dazu.
(5) In Kindergarten, Schule, Ausbildung und Hochschule ließe sich das "Corona-Jahr" bei entsprechender Herangehensweise als gewonnenes und nicht als verlorenes Jahr verstehen (wir müssten halt die richtigen Schlüsse ziehen).
Es bleibt abzuwarten, ob die selbstgemachten Erfahrungen der Einschränkungen bei meinungsbildenden und entscheidungsverantwortlichen Kreisen der Gesellschaft dazu führen, bei ihrem Tun zukünftig jene mit zu berücksichtigen, die ansonsten unter dem Radar sind.
Mit besten Grüßen
Ihre Karla K.
Dr. Barbara Veltjens (Sonntag, 13 Dezember 2020 15:13)
Sie sprechen mir aus dem Herzen! Die - aus meiner Sicht- wenig wahrgenommenen Belange der jungen Menschen könnten für meinen Geschmack in der öffentlichen Diskussion sehr viel mehr Raum einnehmen! Sie sind es die bald alles Schulter!