Die Studentenwerke fordern einen Hochschulsozialpakt und eine grundlegende BAföG-Reform, die Hochschulrektorenkonferenz will ein eines Digital-Bundesprogramm – und auch die Bundestagsopposition verlangt Taten von Ministerin Karliczek.
DIE ZAHL DER STUDIERENDEN in Deutschland ist auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Das Statistische Bundesamt teilte mit, dass vorläufigen Ergebnisse zufolge im aktuellen Wintersemester 2,948 Millionen Menschen an den Hochschulen eingeschrieben seien. Allerdings handelt es sich um das nachlaufende Ergebnis früherer Höchststände auch bei Studienanfänger-Zahlen. Diese gingen nämlich zum dritten Mal in Folge zurück auf 488.600 Erstsemester, vier Prozent weniger als im Vorjahr – und der Abwärtstrend beschleunigt sich.
Als Gründe für den verstärkten Rückgang nannten die Statistiker das Ausbleiben vieler internationaler Studierender sowie die Beschränkung von Studienangeboten in Folge der Corona-Pandemie. Auch habe die vor Jahren beschlossene Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium in Niedersachsen dazu geführt, dass der dortige Abiturjahrgang 2020 teilweise ausgeblieben sei.
Erneut verschob sich das Verhältnis der eingeschriebenen Studierenden leicht in Richtung Fachhochschulen. Denn das Wachstum bei den eingeschriebenen Studierenden ging fast ausschließlich auf sie zurück – während die Studierendenzahl an den Universitäten nahezu stabil blieb. Mit 1.074.300 Studierenden stellen die FHs inzwischen rund 36,4 Prozent der Gesamt-Studierendenschaft in Deutschland.
Technische Fächer verzeichnen
teilweise starke Rückgänge
Technische Fächer, die bei internationalen Studierenden beliebt sind, verzeichneten offenbar besonders stark zurückgehende Anfängerzahlen. So hätten mit 39.000 Studierenden im ersten Hochschulsemester fünf Prozent weniger junge Menschen ein Informatik-Studium aufgenommen als im Vorjahr, berichtete das Statistische Bundesamt. Die 26.500 Erstsemester in Maschinenbau/Verfahrenstechnik bedeuteten einen Rückgang um zehn, die 13.500 in Elektro- und Informationstechnik sogar um 14 Prozent. Allein das Bauingenieurwesen verzeichnete mit 10.900 Studienanfänger zwei Prozent mehr als 2019. Über weitere Fächer machte das Amt noch keine Angaben.
Die aktuellen Daten machten Sorgen, kommentierte der Bildungsexperte Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft auf Twitter und wies auch auf den zurückgehenden Frauenanteil unter den MINT-Erstsemestern hin.
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) forderte angesichts der Rekord-Studierendenzahlen ein stärkeres finanzielles Engagement der Politik. HRK-Präsident Peter-André Alt sagte, es gelte, "die Chancen des andauernden Studierendenhochs im Interesse des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu nutzen". Zusätzlich zum zwischen Bund und Länder auf Dauer vereinbarten Zukunftsvertrag Studium und Lehre sei für "einen echten Innovationsschub" bei den digitalen Lehrangeboten ein weiteres Bund-Länder-Programm für digitale Infrastrukturen und Personal "jetzt äußerst sinnvoll".
Die linke Hochschulpolitikerin Nicole Gohlke sagte, spätestens jetzt brauche es eine Initiative des Bundes zur Grundfinanzierung der Hochschulen, damit diese ihren Aufgaben gerecht werden könnten. "Der Mehraufwand darf nicht zulasten der vielen prekär beschäftigten Wissenschaftler gehen. Gerade Fachhochschulen müssen besser ausgestattet werden. Dass sie fast alleine für die Zunahme der Studierenden sorgen, steht in keinem Verhältnis zu deren Unterfinanzierung".
Studierdenwerke: Brauchen 3,5 Milliarden
für Hochschulsozialpakt
Der Studierendenwerke-Dachverband Deutsches Studentenwerk (DSW) erinnerte an seinen Vorschlag eines Bund-Länder-Hochschulsozialpakts in Höhe von rund 3,5 Milliarden Euro. Mit diesen Mitteln sollten die Wohnheim- und Mensa-Kapazitäten der Studierendenwerke ausgebaut, saniert, modernisiert und vor allem auch an die neuen Pandemie-Anforderungen angepasst werden. "Die Pandemie verschärft den Investitionsstau bei der sozialen Infrastruktur", sagte DSW-Präsident Rolf-Dieter Postlep.
Von den 3,5 Milliarden sollten 1,9 Millionen in Neubau, Sanierung, neue bauliche Hygienestandards und eine flächendeckende digitale Ausstattung der Studierendenwerke und ihrer Einrichtungen fließen, was weniger als die Hälfte des tatsächlich benötigten Bedarfs entspreche. Doch wollen die Studierendenwerke den Rest aus Eigenmitteln stemmen. Weitere 1,6 Milliarden Euro aus dem geforderten Hochschulsozialpakt sollten Bund und Länder für die Sanierung, Modernisierung sowie pandemiebedingte technische und bauliche Nachrüstung der Mensen zur Verfügung stellen. "Bis zum Jahr 2030 fließen über die großen Bund-Länder-Programme rund 160 Milliarden Euro in Wissenschaft, Forschung und Hochschulen", sagte Postlep. "Das ist eine immens wichtige Zukunftsinvestition. Nun muss genauso intensiv und zukunftsorientiert in die soziale Infrastruktur investiert werden. Eine gemeinsame Bund-Länder-Anstrengung ist gerade wegen der Pandemie dringender denn je."
Unterdessen hat eine Befragung durch das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) ergeben, dass ein Großteil der Studierenden ihr Studium durch die Pandemie nicht grundsätzlich gefährdet sieht. Doch gab jeder zehnte Studierende an, zur Vermeidung eines Studienabbruchs auf zusätzliche finanzielle Hilfe angewiesen zu sein. Zuerst berichtete der ZEIT-Newsletter Wissen3. Vor allem internationale Studierende und Studierende aus Nicht-Akademikerfamilien waren demnach betroffen, weil sie besonders häufig von ihren Nebenjobs leben müssen. Zwei Fünftel der Studierenden mit Job meldeten Schwierigkeiten durch die Pandemie, weil sie entweder ganz ihren Arbeitsvertrag verloren haben oder nur weniger Stunden arbeiten können. Die meisten versuchen, ihre Einkommensverluste durch eigene Ersparnisse, durch die Hilfe von Familie oder Freunden oder durch weiteres Jobben auszugleichen. Nur ein kleiner Teil der Befragten erhält staatliche Unterstützungsangebote wie eine Anpassung des BAföG-Anspruchs oder die Überbrückungshilfe des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Das BMBF hatte auch die in Zusammenarbeit von DZHW und der Konstanzer Arbeitsgruppe Hochschulforschung entstandene Befragung finanziert.
Eine grundlegende
BAföG-Reform?
"Während die Studierendenzahl ein neues Rekordhoch erreicht, werden immer weniger durch das BAföG gefördert", kritisierte der hochschulpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Jens Brandenburg. Das liege nicht nur an der wirtschaftlichen Lage, denn nicht erst seit der Corona-Krise fielen viele Bedürftige durchs Raster: Die größten Finanzierungsprobleme hätten Studierende, die bisher überhaupt keine Förderung erhalten. Ministerin Karliczek dürfe "die finanziellen Sorgen vieler Studierender nicht länger verschlafen. Es ist höchste Zeit für ein elternunabhängiges BAföG, das jedem eine Chance gibt."
Der grüne Hochschulpolitiker Kai Gehring warnte, die Corona-Pandemie schlage "voll auf die Studierenden durch. 40 Prozent der Studierenden, die nebenher jobben, müssen sparen oder Familie und Bekannte anpumpen. Hinzu kommt, dass der Zugang zum Online-Studium gerade in ländlichen Regionen herausfordernd ist, die Kontaktbeschränkungen erhöhen das Risiko psychischer Erkrankungen." Dass deutlich mehr Studierende über einen Studienabbruch nachdächten, sei ein "untrügliches Zeichen, dass die bisherige Corona-Hilfe der Bundesregierung für Studierende an der tatsächlichen Not vorbeigeplant ist". Die Corona-Pandemie zeige den großen Handlungsbedarf bei der Studienfinanzierung. "Das BAföG, wie wir es kennen, ist abgestürzt. Darum brauchen wir dringend einen BAföG-Neustart mit einer Grundsicherung für Studierende und Auszubildende."
Eine grundlegende Reform des BAföG hatte auch das DSW diese Woche auf seiner online durchgeführten Mitgliederversammlung gefordert. Ziel müsse es sein, dass das BAföG wieder deutlich mehr Studierende und Familien aus der Mittelschicht erreiche. "Es reicht nicht, in unregelmäßigen Abständen die BAföG-Fördersätze und -Elternfreibeträge anzuheben", sagte DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde, das BAföG müsse gestärkt und "endlich" stärker an die Studien- und Lebensrealität der Studierenden angepasst werden. Neben einer Erhöhung um 15 Prozent, der perspektivischem Rückkehr zum Vollzuschuss und der Verlängerung der Förderhöchstdauer über die Regelstudienzeit hinaus verlangten die Studierendenwerke für Krisensituationen wie die aktuelle Pandemie einen generellen Öffnungsmechanismus im BAföG.
Im Interview hier im Blog hatte Anja Karliczek allerdings bereits im November zurückhaltend auf Forderungen nach einer BAföG-Reform reagiert. Natürlich müsse man immer überlegen, ob ein Gesetz weiterentwickelt werden müsse, sagte Karliczek. Doch: "In dieser Legislaturperiode wird es für Änderungen ganz sicher keine Mehrheit mehr geben. Wir setzen gerade eine dreistufige BAföG-Reform um." Zur Überbrückungshilfe sagte Karliczek, diese sei "kein Dauer-Instrument, wie der Name bereits deutlich macht. Ich bin aber optimistisch, dass auch wieder neue Jobmöglichkeiten entstehen, etwa bei den Lieferdiensten."
Weniger Anträge auf die BMBF-
Überbrückungshilfe als im Sommer
Tatsächlich seien bundesweit im November mehr neue Stellen entstanden als weggefallen, sagte DSW-Generalsekretär Meyer auf der Heyde, das könnte sich, so seine Hoffnung, auch auf den studentischen Arbeitsmarkt ausgewirkt haben.
Für den ganzen Monat November, in dem die Überbrückungshilfe wieder aufgenommen wurde, verzeichneten BMBF und Studierendenwerke, die die Mittelvergabe übernommen haben, jedenfalls weniger eingegangene Anträge als im Sommer. 38.137 hätten um Unterstützung ersucht, teilte das Deutsche Studentenwerk mit. 31.582 davon seien bearbeitet worden. 19.272-mal hätten die Studierendenwerke eine Zusage erteilt, was einem Anteil von 70 Prozent und einem Zuschuss von mehr acht Millionen Euro entsprach. 8.129 Gesuche wurden bislang abgelehnt, bei 4.181 liefen noch Nachfragen.
Zwischen Juni und September hatten im Schnitt mehr als 60.000 Studierende pro Monat um Unterstützung ersucht, der größte Teil davon allerdings in den ersten beiden Monaten. Im September war das Antragsvolumen dagegen vergleichbar mit dem im November gewesen. Die bisherige Zusagequote für den November wiederum lag höher als im Juni und Juli, aber etwas niedriger als im August und September.
Für die gerade bis zum Ende des Wintersemesters verlängerte Corona-Überbrückungshilfe und die vergünstigten KfW-Studienkredite hatte der Haushaltsausschuss des Bundestages in seiner Bereinigungssitzung Ende November weitere 200 Millionen Euro freigegeben.
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