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Zurück Richtung Normalität

Das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft sinkt. Dramatisch ist das keineswegs. Allerdings sollten Politik und Wissenschaft ein paar Schlussfolgerungen ziehen.

Das Rekordhoch ist Vergangenheit: Das "Wissenschaftsbarometer 2020".
Quelle: Wissenschaftsbarometer – Wissenschaft im Dialog.

ES IST EINE der wenigen Normalisierungen, die sich derzeit beobachten lässt. 60 Prozent der Menschen in Deutschland geben an, dass sie eher oder voll und ganz in Wissenschaft und Forschung vertrauen. Das ist deutlich mehr als vor einem Jahr (46 Prozent) – aber deutlich weniger als im April 2020 (73 Prozent). Zu diesem Ergebnis kommt die repräsentative Umfrage "Wissenschaftsbarometer"; die "Wissenschaft im Dialog" (WID) regelmäßig durchführt. 

 

Doch der grüne Wissenschaftspolitiker Kai Gehring äußert sich angesichts des Rückgangs besorgt. Sinkendes Vertrauen müsse "ein Weckruf für die Bundesregierung sein, verantwortungsvoll mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Empfehlungen umzugehen".

 

Als das Vertrauen der Wissenschaft im April auf Rekordwerte stieg, betonte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU), darin spiegele sich die "gute Wissenschaftskommunikation in Deutschland, die wir seit Wochen stärker denn je erleben", wider – und auch der "wichtige Beitrag" der Wissenschaftsjournalisten beim Einordnen und Bewerten wissenschaftlicher Erkenntnisse. So wie an Karliczeks damaliger Einschätzung Zweifel angebracht sein konnten, so sind sie es  auch bei Gehrings Befürchtungen angesichts des Rückgangs: Vermutlich hat die Erklärung für beides weniger mit konkreten Handlungen von Wissenschaft oder Politik zu tun und mehr mit der Art, wie sich eine Pandemie auf die Gemütslage der Bevölkerung auswirkt.

 

Meine persönliche Erklärung im April lautete anders: In der Krise suchen viele Menschen von jeher nach Autoritäten und Beständigkeit. Wissenschaft ist so eine Autorität. So, wie im Frühjahr die Umfrageergebnisse für die CDU/CSU als Regierungspartei zunahmen und auch die persönlichen Beliebtheitswerte Angela Merkels, so hatte die Bundesrepublik auch innerhalb der Wissenschaft ihre personifizierte Autorität gefunden: zum Beispiel den Charité-Virologen Christian Drosten. "Wieviel von dieser Zustimmung", fragte ich damals, "hat mit Parteien, Forschungseinrichtungen und Personen zu tun, und wieviel mit dem auf sie projizierten Wunsch der Öffentlichkeit nach Orientierung in der Krise?"

 

Das Meinungspendel schlägt
erwartungsgemäß zurück

 

Diejenigen, die angesichts so positiver Umfragezahlen damals auf das Ende von Wissenschaftsskepsis oder des Infragestellens wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse hofften, sollten sich nicht täuschen lassen, warnte ich: "Vertrauen in Krisenzeiten ist auch ein besonders schnell brüchiges Vertrauen."

 

Acht Monate später hält die Pandemie an – nicht länger, als Wissenschaftler wie Christian Drosten es erwartet haben. Aber sicherlich länger, als sich viele, die im Frühjahr so auf Autoritäten setzten, es sich nicht hätten vorstellen können. Und so schlägt das Meinungspendel erwartungsgemäß zurück: Dem Hype folgt die Ernüchterung. Allerdings, und das ist die gute Botschaft, bleibt von dem Vertrauensgewinn des Frühjahrs trotzdem noch mehr als die Hälfte übrig. Während und obwohl die Coronakrise im Herbst in eine neue Phase eingetreten ist: Die zweite Welle rollt, und bislang bekommt Deutschland sie nicht in den Griff. 

 

Das zeigt, wieviel die Wissenschaft tatsächlich im vergangenen halben Jahr geleistet hat. Der Zugewinn im Frühjahr war ein Vertrauensvorschuss. Dass davon so viel übrig ist, kann und darf die Wissenschaft sich selbst zuschreiben. 

 

Schaut man nun etwas tiefer in die Umfrageergebnisse hinein, wird es dann doch beunruhigender. 40 Prozent der Deutschen gingen davon aus, "dass Wissenschaftler uns nicht alles sagen, was sie über das Coronavirus wissen", berichtet WID. 15 Prozent seien der Auffassung, dass es keine eindeutigen Beweise für die Existenz des Virus gebe. Und nur etwas mehr als die Hälfte der Menschen (55 Prozent) erklärte zum Umfragezeitpunkt November, dass sie sich "wahrscheinlich" impfen lassen würden – während knapp 30 Prozent dies als unwahrscheinlich bezeichneten. WID-Geschäftsführer Markus Weißkopf spricht von "einer relativ hohen Anzahl an Unentschiedenen und Zweifelnden", die beunruhigen müsse: "Die Wissenschaft muss sich noch stärker öffnen und auch mit denjenigen ins Gespräch kommen, die unsicher sind. Damit das gelingen kann, müssen wir alle Forschenden dabei unterstützen, ihr Wissen, ihre Werte und ihre Arbeitsweise zu vermitteln."

 

Wer ist verantwortlich für das
öffentlich Standing der Wissenschaft?

 

Das ist in der Schlussfolgerung sicherlich richtig, erst recht für eine Organisation wie den WID, die gegründet wurde, um die Wissenschaftskommunikation zu fördern. Zugleich aber schreibt Weißkopf damit der Wissenschaft dann doch viel (zu viel?) Verantwortung für ihr eigenes Standing in der Krise zu. 

 

Eher schon trägt die Politik in den nächsten Wochen eine besondere Verantwortung, um die weiter erfreulich (und erstaunlich) hohen Zustimmungswerte für die Wissenschaft nicht doch in ihr Gegenteil umschlagen zu lassen. Gehring sagt: "Gerade wenn in der Pandemiekrise neue Entdeckungen einen Politikwechsel erfordern, muss dies transparent und nachvollziehbar erklärt werden." Insbesondere in der Pandemie dürfe Frust und Kritik an politischen Maßnahmen nicht bei den Forschenden abgeladen werden.

 

Ministerin Karliczek  sieht das ähnlich. Die Politik müsse noch besser erklären, wie politische Entscheidungen zustande kämen. "Denn wir gewählten Politikerinnen und Politiker entscheiden auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und Beratung und wir tragen die Verantwortung."

 

Abhilfe, schlägt wiederum Kai Gehring vor, "könnte ein interdisziplinärer Pandemierat schaffen, der mit wissenschaftlicher Expertise Regierung und Parlament berät – auch um damit politische Entscheidungen öffentlich besser nachvollziehbar zu machen."

 

Und natürlich, da hat auch Karliczek Recht, ist es wichtig, "dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch direkt mit der Öffentlichkeit kommunizieren." Dass die Wissenschaft insgesamt noch aktiver Wissenschaftskommunikation betreibt.

 

Doch ist das zugleich eben auch eine Binse. Hierzu läuft aktuell ein vom BMBF angestoßener Strategieprozess in Form der "#FactoryWisskomm"-Workshops. Viel wird davon abhängen, ob der von Karliczek für April 2021 versprochene, von Wissenschaft, Wissenschaftsförderung und Wissenschaftsjournalismus zu erarbeitende "Aktionsplan" für Wissenschaftskommunikation wirklich so einträchtig und verbindlich wird, wie das BMBF sich das verspricht. 

 

Zunächst einmal ist der Rückgang der Vertrauenswerte für die Wissenschaft ein Stückweit eine Rückkehr zur Normalität und, angesichts des weiter hohen Niveaus, kein Grund zur Sorge. Der Autoritäten-Hype des Frühjahrs ist wie erwartet vorbei. Was im Umkehrschluss bedeutet: Die eigentliche Arbeit von Wissenschaft und Politik, um die Bevölkerung in der Coronakrise mitzunehmen, die beginnt erst jetzt.

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