Anstatt auf Tesla & Co abwechselnd mit Überheblichkeit oder Angst zu reagieren, sollten Wissenschaft und Wirtschaft sich fragen, wo Typen wie Musk bei uns in Deutschland sind. Und wie sie ihnen helfen können.
Der alte Tesla Roadster von Elon Musk flog 2018 als Blindnutzlast des Raumschiff-Prototypen Falcon Heavy ins All. Eine Schaufensterpuppe in einem Raumanzug sitzt am Steuer. Foto: SpaceX, CC0, via Wikimedia Commons.
DER SPINNT DOCH, der Elon Musk. Jetzt will er sogar Flugzeuge mit Batterien fliegen lassen. Nein, nicht sofort. Aber irgendwann. Das kann gar nicht klappen, sagen die meisten, die sich damit auskennen. Und haben gute Gründe dafür. Doch Musk wird es trotzdem versuchen. Das mit dem Kopfschütteln der anderen kennt er ja bereits.
Der Elektroauto-Konzern Tesla ist gerade mal 17 Jahre alt, seit 16 Jahren ist Musk dabei. Noch vor zehn Jahren gab es viele in der deutschen Automobilindustrie, die dem Elektroantrieb nur ein Nischendasein einräumen wollten, irgendwo zwischen Nerd- und Liebhaberniveau.
Noch vor fünf Jahren erzählten führende KFZ-Ingenieure in Hintergrundgesprächen den anwesenden Journalisten und sich selbst, dass der Verbrennungsmotor natürlich die effizienteste und damit zukunftsträchtigste Antriebsform sei – was man schon daran erkennen könne, dass der Stoffwechsel des Menschen nach ganz ähnlichem Prinzip ablaufe.
Die Pandemie hat das industriepolitische Debakel der vergangenen Jahre vorübergehend zugedeckt
Machen wir es kurz. Heute ist Tesla der wertvollste Automobilkonzern der Welt, wertvoller als VW, BMW, Daimler und weitere Automarken zusammen.
Die deutsche Automobilindustrie steckt in einer tiefen Sinnkrise, vor Corona war sie zum Symbol einer verunsicherten und zukunftsängstlichen Nation geworden. Die Pandemie hat das industriepolitische Debakel der vergangenen Jahre vorübergehend zugedeckt. Dass parallel die deutschen Ausgaben für Forschung und Entwicklung gerade erst wieder Rekordniveau erreicht haben, macht die Innovationslücke umso schmerzhafter.
Bei der Digitalisierung und der IT sowieso – aber, wie Uwe Cantner, der Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation, schon zu Beginn dieses schwierigen Jahres sagte: In diesen Branchen sei Deutschland, von einigen wenigen Unternehmen abgesehen, "nie an der Weltspitze (gewesen), hatte nie eine Kernkompetenz." Wenn jetzt jedoch die deutschen Kernindustrien, der Automobil- und Maschinenbau, von der Transformation "in ihren Grundfesten erschüttert" würden, dann werde es tatsächlich gefährlich. "Jetzt müssen wir aufpassen, nicht überfahren zu werden."
Seit Tesla bei Berlin eine seiner "Giga Factories" baut, schwankt die öffentliche Debatte zwischen erhobenem Zeigefinger ("Dass die Amis bloß die Sozialstandards einhalten!") und fast unwilliger Faszination mit dem Machertypen Musk: Jeder seiner Besuche wird von einer Aufregung in Politik und Medien begleitet, die an eine Mischung aus Staatsgast und Celebrity erinnert. Auch Angst ist dabei: Wird der einstige KFZ-Weltmarktführer Deutschland jetzt zur Werkbank Teslas und anderer amerikanischer Tech-Konzerne?
Der erhobene Zeigefinger ist das, was von der Überheblichkeit früherer Jahre übrig geblieben ist. Doch er weist uns nicht die Richtung in die Zukunft.
Dafür müssen wir uns inspirieren lassen von Typen wie Musk, die sich verrückte Ziele setzen und dann einfach machen. Dessen Unternehmen SpaceX übrigens seit Jahren an einem Raumschiff für über 100 Personen tüftelt. Wir sollten uns fragen, wo Typen wie Musk bei uns in Deutschland sind. Und was wir tun können, um ihnen bei der Verwirklichung ihrer Visionen zu helfen – anstatt immer nur zu sagen, was nicht geht.
Immerhin: Es gibt
Hoffnungszeichen
Der deutschen Industrie ging es lange gerade deshalb so blendend, weil sie Gutes immer besser machte, aber die großen Risiken kompletter Technologiesprünge vermied. Genau das ist im Digitalisierungsjahrhundert der Grund für ihre tiefste Krise seit Jahrzehnten.
Es gibt Hoffnungszeichen: dass die Bundesregierung eine Agentur für Sprunginnovationen gegründet hat zum Beispiel – um genau diese Menschen mit der einen, auf den ersten Blick verrückt klingenden Idee zu unterstützen. Hauptsache, die Politik lässt die Agentur auch laufen.
Mut macht auch der neu entfachte Ehrgeiz, sich mit Milliardeninvestitionen beim grünen Wasserstoff in die erste Reihe der internationalen Innovationsführer zu schieben. Und Inspiration bedeutet die Geschichte von Uğur Şahin und Özlem Türeci und von dem Impfstoff, den ihr Unternehmen Biontech in Rekordzeit entwickelt hat.
Womöglich ist es ja ganz einfach: Was Elon Musk, Tesla und SpaceX machen, können wir auch. Wir müssen als Gesellschaft nur wieder zu träumen wagen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
Nachtrag: Die Expertenkommission, der Uwe Cantner vorsteht, heißt natürlich "Expertenkommission Forschung und Innovation" (EFI). Ich habe den entsprechenden Fehler korrigiert und bitte um Entschuldigung.
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myrle dziak mahler (Montag, 28 Dezember 2020 11:03)
Der Schluss des Artikels ist so verdammt richtig:
„Wir müssen als Gesellschaft nur wieder zu träumen wagen.“
Warum tun wir es nicht? Weil uns die Furcht festhält? Weil wir Träumen für Spökenkiekerei halten? Weil wir Angst vor der (dann notwendigen) Veränderung haben? Oder weil wir bequem (geworden) sind? Vielleicht von allem ein bisschen? Jede*r Einzelne*R hat eben seinen, ganz eigenen, Grund, das Träumen nicht zulassen zu wollen.
Träume zu wagen und ihre Kraft sich entfalten lassen, ist umso schwerer, desto stärker der Alltag die Sinne beherrscht. Gleichzeitig sind Träume der Motivator, der nicht nur unsere Hoffnung speist. Träume lassen die möglichen Zukünfte Gestalt annehmen. Und immer dann, wenn wir uns etwas vorstellen können, können wir es auch leben.
„Pass auf, was du dir wünscht, es könnte in Erfüllung gehen.“
Klaus Diepold (Montag, 28 Dezember 2020 19:17)
"Was Musk macht, können wir auch".
Genau das glaube ich nicht. Im Rückblick erscheint das was Elon Musk macht alles machbar.
Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland über die kulturellen Grundlagen verfügen, um es Musk gleich zu tun.
Und ob es eine staatlich alimentierte Agentur richten wird ... nun wir werden sehen. Das erscheint mir wie eine Therapie zu sein, ohne eine brauchbare Diagnose zu haben.