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Bildung und Wissenschaft: Was wird 2021 wichtig?

Seit 2016 starte ich mit einem bildungs- und wissenschaftspolitischen Ausblick ins neue Jahr. Blicke ich auf meine Prognosen zurück, entdecke ich, welchen Vorlauf viele unserer heutigen Probleme hatten. Und wage für 2021 trotzdem keine Vorhersagen. Dafür habe ich einen Haufen Fragen.

Soll ich dieses Jahr einfach weitermachen und so tun, als könnte ich irgendwie seriös in die Glaskugel für 2021 schauen? Ich glaube nicht. Wenn ich mir durchlese, welchen Themen ich in den vergangenen Jahren eine dominante Rolle in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik eingeräumt habe, fällt mir zweierlei auf: Anfang 2016, 2017, 2018 und 2019 lag ich ziemlich richtig. Und 2020 komplett daneben. Nicht bei den Themen, nein. Aber bei den politischen Entwicklungen, die ich ihretwegen erwartete. Woraus für mich folgt, dass ich auch Anfang 2021 komplett daneben liegen würde – wenn ich anfange, jetzt konkrete Prognosen aufzustellen.

 

Was ich allerdings habe, sind jede Menge bildungs- und wissenschaftspolitische Fragen ans neue Jahr. Sie ergeben sich teilweise aus der Gesamtschau meiner früheren Jahresausblicke und den darin enthaltenen Dauerbrenner-Themen, teilweise aus den Ereignissen des Jahres 2020 selbst.

 

Die Digitalisierung und
die digitale Bildung

 

"Eigentlich kommt die Diskussion mindestens zehn Jahre zu spät, aber das ist ja oft so mit den eigentlich wichtigen Themen", schrieb ich Anfang 2016 über die aufkommenden Debatten zur digitalen Bildung in der Schule. Ein Jahr später beschrieb ich die Anfänge der Digitalpakt-Verhandlungen und folgerte: "Endlich wird (ein bisschen) Tempo gemacht." Anfang 2018 titelte ich: "Warten auf den Digi-Pakt". Anfang 2019 war zwar das 5,5-Milliarden-Programm von Bund und Ländern immer noch nicht verabschiedet, aber ich ging von einer Einigung im Vermittlungsausschuss aus – und davon, dass er längst nicht reichen würde als Einmal-Paket. Und ich fragte: "Wie geht es mit dem Verhältnis von Digitalisierung und Bildung auch jenseits der Schule weiter? Brauchen wir einen Digitalpakt Hochschule?"

 

Und dann kam das Jahr 2020, und mit der Pandemie kam es, wie es kommen musste: Die seit anderthalb Jahren verschleppte Digitalisierung in vielen Lebensbereichen der Bundesrepublik, auch und gerade in den Schulen, rächte sich so richtig.

 

Und ich fand mich in einer seltsamen Rolle wieder. Als Bildungsjournalist hatte ich seit Jahren auf die Langsamkeit hingewiesen und Tempo angemahnt. Und jetzt gehörte ich plötzlich zu denen, die mahnten, in Sachen Digitalisierung nicht zu viel von den Schulen zu erwarten. Weil ich gesehen hatte, wie es all die Jahre gelaufen war, war mir klar, was passieren würde, wenn die Schulen auf Distanzunterricht umstellen würden. Weil Digitalisierung im Unterricht erstens nicht dasselbe ist wie Distanzunterricht. Und weil mir zweitens klar war, dass selbst in neun Monaten seit März nicht die technischen und didaktischen Versäumnisse der vergangenen 15 Jahre aufzuholen sind – obwohl Bund und Länder (entgegen der Meinung vieler) für ihre Verhältnisse mal wirklich Tempo gemacht haben. 

 

Insofern hielt und halte ich die Kritik an der Langsamkeit der Bildungspolitik im Jahr 2020 bei der Digitalisierung der Schulen für wohlfeil und – ja – populistisch. Das Thema wurde in den Jahren seit 2005 und besonders seit 2015 versemmelt, verstolpert, verschleppt. Und darauf, dass mit Digitalisierung im Jahr 2020 vor allem (teilweise oder sogar kompletter) Distanzunterricht gemeint war, hatte keiner rechnen können. 

 

Im vergangenen Jahr aber haben die Kultusminister und Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) die Gelegenheit genutzt und zusätzliche Gelder freigemacht, die sie sonst nie erhalten hätten. Mit der Begründung, sie seien nötig für die Pandemie. Obwohl auch ihnen klar war, dass beim Tempo bundesdeutschen Verwaltungshandeln die Pandemie (hoffentlich!) schon vorbei sein würde, bevor die digitale Ertüchtigung mit flächendeckendem W-LAN, leistungsfähigen Schulclouds, Software-Lizenzen, genügend Endgeräten für sozial bedürftige Schüler und Lehrer, vor allem aber die didaktische Fortbildung und die Etablierung digitalpädagogischer Konzepte an der Mehrheit der Schulen abgeschlossen sein wird. Entscheidend ist: Die Pandemie hat den Bildungspolitikern endlich die breite finanzielle Unterstützung beschert, die sie vorher nicht hatten. Das war der positive Teil der Geschichte.

 

Der negative ist, dass ihre Wirkung vor allem nach der Pandemie zu spüren sein wird. Weshalb es richtig war und ist, dass die Kultusminister so stark für Präsenzunterricht eingetreten sind – bei allen Widerständen und bei allem epidemiologischen Risiko, das damit verbunden war, und trotz der Stimmen all jener, die der Meinung waren, so schwierig könne das doch mit der Digitalisierung der Bildung auch nicht sein und im Übrigen seien die Kultusminister ja selbst schuld, dass sie es verbockt haben.

 

Letzteres mag so sein, wobei es mangels gesamtgesellschaftlicher Unterstützung für massive Bildungsinvestitionen wiederum stark vereinfacht gedacht ist. Die Wahrheit ist wohl eher, dass die meisten Kultusminister all die Jahre sehr wohl wussten, was richtig ist, ihnen aber das politische Standing fehlte, sie sich schlicht nicht durchsetzen konnten in den Landesregierungen. Allerdings haben viele von ihnen – siehe die ewigen Verhandlungen um den Digitalpakt – auch selbst mitgemischt im oft wenig konstruktiven föderalen Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern. Doch wie auch immer: Sollen die Kinder und Jugendlichen für die politischen Versäumnisse wirklich die Zeche zahlen? Das ist meine erste bildungspolitische Frage ans Jahr 2021, das mit unabsehbar vielen Wochen "Distanzlernen" starten wird. 

 

Die Personalnot
in Kitas und Schulen

 

"Die Kitas ächzen, die Erzieherinnen und Erzieher warten weiter auf eine faire Bezahlung", schrieb ich Anfang 2016. Und 2019: Alle wollten gute Kitas, natürlich. "Aber mal ehrlich: Was braucht es denn dafür? Nur wenn Anerkennung, Auskommen und Entwicklungschancen stimmen, werden sich genügend Menschen dafür entscheiden, die frühe Bildung unserer Kinder zu verantworten. Zum Lehrermangel schrieb ich 2019, die Lösung könne nicht darin bestehen, jetzt einfach nur die Studienplatz-Kapazitäten hochzufahren, weil die zusätzlichen Absolventen viel zu spät und alle auf einmal in den Schulen ankämen. "Um die Lehrerbildung insgesamt flexibler zu machen und die Anpassungszeiträume zu verkürzen, sollten die Bildungsminister neue Studienmodelle erproben und sie neben dem bewährten etablieren." 

 

Lange vor der Krise stand fest: Die Verteilung der Bildungschancen, die in Deutschland überdurchschnittlich stark von der sozialen Herkunft bestimmt wird, beginnt in den Kitas – und setzt sich in den Grundschulen fort, weshalb deren angemessene Ausstattung ebenfalls schon vor der Pandemie besonders kritisch war. 

 

Doch erst die Pandemie hat die Personalnot in Schulen und Kitas, die seit Jahren immer drängender wurde, über die aber trotzdem fast nur Fachjournalisten berichteten, zu einem Top-Thema der Präsenz-Debatten werden lassen – zumal jetzt auch noch Angehörige der Risikogruppen nicht vor Ort sein konnten und viele Pädagogen in Quarantäne mussten.

 

Wie gern wäre dieses Jahr ich in den Chor derjenigen eingestimmt, die meinten, man könne doch jetzt einfach zusätzliches Hilfspersonal an Kitas und Schulen einstellen, dazu Räume in Kinos oder Kneipen anmieten, um überall die Abstandsregel einhalten und trotzdem tägliche Präsenz ermöglichen zu können. Auf der Grundlage der real existierenden staatlichen Personalpolitik der vergangenen Jahre konnte ich einfach nicht glauben, dass sich dies praktisch würde bewerkstelligen lassen. Mir war klar: Die Abstandsregel bedeutet automatisch weniger Teilhabe für Kinder und Jugendliche. Und zusätzliche Kräfte, wenn sie denn kommen, können nur die einige dieser Folgen abmildern.

 

Und so lautet meine zweite bildungspolitische Frage für 2021: Bereiten wir uns zumindest auf künftige bildungspolitische Krisen besser vor? Werden die Kultusminister endlich die lange überfällige Flexibilisierung der Lehrerausbildung in Angriff nehmen? Und die dritte Frage gleich hinterher: Werden die Länder nachhaltig in mehr und besser ausgebildete Kitakräfte investieren? Oder werden die großen Bund-Länder-Programme für Kitaausbau und Ganztagsbetreuung zu Strohfeuern, bevor in der zweiten Jahreshälfte brutale Corona-Sparhaushalte auch die Bildungseinrichtungen treffen? 

 

Die Zukunft der
Kultusministerkonferenz 

 

Auch das ist kein Thema, das erst die Pandemie gesetzt hat – auch wenn sich die KMK dieses Jahr härterer Kritik als je zuvor ausgesetzt sah. In meinen Ausblicken seit 2016 ging es immer um zwei Kernaspekte. Der eine: Wie steht es um den Bildungsföderalismus? Wie kann, wie muss er reformiert werden? Der andere: Wie leistungsfähig oder -unfähig ist die KMK als Club der zuständigen Minister? 

 

Von der "Krise der KMK" schrieb ich Anfang 2017. 2018 befand ich, dass mein Jahresausblick aus allen Nähten platzen würde, wollte ich die Genese der aktuellen Debatte ums Kooperationsangebot nochmal nacherzählen. 2020 fragte ich dann: "Hat die KMK eine Zukunft"?

 

Die Frage kann ich als eine weitere, als meine vierte bildungspolitische Frage für das Jahr 2021 nur erneut stellen. Sehe aber, ganz entgegen dem allgemeinen veröffentlichen Trend zurzeit, ein paar Hinweise, die mich hoffnungsvoll stimmen. Nicht zwangsläufig für die KMK als Gremium, aber für den Bildungsföderalismus.

 

Zu diesen Hinweisen zählt ausgerechnet die bereits erwähnte Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei den großen Digital-Sonderprogrammen im Zuge der Coronakrise. Aber auch, dass die Kultusminister sich dieses Jahr so oft und so intensiv abgestimmt haben wie nie zu vor. Dass sie tatsächlich ihr über Jahre versprochenes Bildungsabkommen geschlossen haben. Es ist schwächer als erhofft, aber es ist ein Schritt. Genauso wie die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK, die politisch unabhängig die Bildungspolitik beraten soll anstelle des gescheiterten Nationalen Bildungsrates. Erneut weniger als erhofft, aber mehr als befürchtet. Föderale Bildungspolitik ist und bleibt mühsam.

 

Und über ihre Schwächen und Versäumnisse zu berichten, bleibt ein Schwerpunkt in diesem Blog. Und dennoch bin ich nicht sicher, ob die Alternative – eine zentral verantwortete Bildungspolitik ohne Länderkomponente, die bessere Lösung wäre. Auch wenn sie auf den ersten Blick und gerade in der Krise einfache Antworten (Mehr Einheitlichkeit! Mehr Tempo! Weniger Reibungsverluste!) zu versprechen scheint. Doch schlägt dann eben auch jeder politische Fehler bundesweit durch, ebenso die jeweilige bildungspolitische Agenda der aktuellen Bundesregierung. Dann schon eher eine Weiterentwicklung dessen, was wir haben. Auch wenn ihre Langsamkeit besonders in der Pandemie schmerzlich bewusst geworden ist. 

 

Die deutsche
Innovationsschwäche

 

Anfang 2019 schrieb ich über Mahnungen aus dem Bundestag in Richtung der etablierten Forschungsorganisationen, ihr Output in Richtung Wirtschaft und Gesellschaft müsse gesteigert werden. Am pointiertesten äußerte sich damals wie so häufig der FDP-Wissenschaftspolitiker Thomas Sattelberger: Über die Förderung durch den Pakt für Forschung und Innovation seien die Max-Planck-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Leibniz-Gemeinschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft "zu ganz schön fetten Katzen geworden".

 

Anfang 2020 dann fragte ich noch viel grundsätzlicher: "Muss Deutschland (sich) neu erfinden?" Und weiter: "Wo ist die Begeisterung hin, die Faszination über die Möglichkeit des Neuen, der Glaube an gerade erst entstehende Technologien und an ihr Potenzial, dringend benötigte Lösungen für große gesellschaftliche Fragen zu bieten?" Doch ich schrieb auch: "Es stimmt nicht, dass die Deutschen nur noch Skepsis können, nur noch Schadenbegrenzung und ängstliches Hinterfragen."

 

Gedanken, die ich erst vergangene Woche in einem Essay wiederaufgenommen habe und von Hoffnungszeichen schrieb. Der von der Bundesregierung gegründeten Agentur für Sprunginnovationen zum Beispiel. Den Milliardeninvestitionen beim grünen Wasserstoff. Oder der Geschichte von Uğur Şahin und Özlem Türeci und von dem Impfstoff, den ihr Unternehmen Biontech in Rekordzeit entwickelt hat. Beide sind übrigens Wissenschaftler an einer staatlichen Hochschule, der Universität Mainz. 

 

Und doch hat die Pandemie schonungslos offengelegt, dass Deutschlands Innovationsproblem nicht nur darin besteht, dass seine Wissenschaftseinrichtungen zu wenig auf den Markt schauen. Dass zu wenig Risikokapitalgeber bereit sind, in vermeintlich verrückte Ideen zu investieren. Dass wir oft erst über die Gefahren neuer Technologien diskutieren und dann über deren Chancen. Oder dass die Digitalisierung von Behörden und Schulen, des Justizsystems oder (in Teilen) des Gesundheitswesens verschlafen worden ist. Die Pandemie hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft ein ganz grundsätzliches Problem hat, mit neuen Anforderungen und Problemstellungen umzugehen. Sie zunächst in ihrer Bedeutung zu erfassen, dann angemessen schnell zu handeln und eine geeignete Reaktion zu organisieren. "Agilität" nennen die Wirtschaftswissenschaftler das. Und so lautet meine nächste, eine wissenschaftspolitische Frage für das neue Jahr: Lehrt uns die Krise mehr Agilität? Und welche Verantwortung tragen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, dass wir sie erreichen können?

 

Diversität – und was sie für
Wissenschaftlerkarrieren bedeutet

 

Die Frage, wie unsere Gesellschaft die Diversität, die ihr innewohnt, nicht als Belastung, sondern als Chance be- und ergreift, beschäftigt mich in meinem Blog seit Anbeginn. "Neue Hochschulzugänge, nicht nur für Flüchtlinge", forderte ich im Ausblick auf 2016. "Ausgerechnet die Integration vieler Flüchtlinge, denen die nötigen Dokumente fehlen, führt nun an den Hochschulen dazu, dass wir insgesamt über neue Zugänge und über Eingangsprüfungen nachdenken."

 

Anfang 2020 sah ich in Sachen Diversität ein Thema zunehmend zur Schicksalsfrage deutscher Reformfähigkeit werden: "Wie können wir die Führungspositionen in Deutschlands Wissenschaft (und anderswo) endlich bunter besetzen, wann endlich spiegeln die Hochschulen und Forschungseinrichtungen jene Vielfalt wider, die unsere Gesellschaft prägt: in Hinblick auf Alter, Gender, ethnische, nationale und soziale Herkunft. Was muss noch alles schiefgehen, wieviel Mittelmäßigkeit wollen wir uns noch leisten, bis sich die Erkenntnis durchsetzt: Diversität ist kein Gedöns, kein Gutmenschentum, sondern die wichtigste, die zentrale Voraussetzung für Ideenreichtum und künftige Exzellenz?"

 

Die Ungeduld kam auch daher, dass ich schon 2016 "ein Nachdenken über Wissenschaftlerkarrieren", gefordert hatte. Weil ich nicht nur eine enge Verbindung zwischen Innovationskraft, Reformfähigkeit und Diversität einer Gesellschaft sehe, sondern auch zwischen Diversität und der Offenheit akademischer Karrierewege. Hier hat die Debatte 2020 gewaltig Fahrt aufgenommen, und sie ist ausführlich auch hier im Blog geführt worden: von den 95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz bis hin zu den 95 Prozent deutschen Hochschulrektoren, die einen deutschen Pass haben. Meine wissenschaftspolitische Fragen ans Jahr 2021: Steigt endlich die Zahl der Dauerstellen unterhalb der Professur, und wird der Weg zur Professur klarer, transparenter und planbarer – ohne dass sofort wieder jemand einen Qualitätsverfall befürchtet? 

 

Der Stellenwert

guter Hochschullehre

 

Die Verbindungen zu den Fragen der Digitalisierung und der Hochschulkarrieren sind bei diesem Thema offensichtlich. Und auch dieses Thema spielte in meinen Jahresausblicken eine Dauer-Hauptrolle. "Gute Lehre: Alle beschwören sie, doch die Anreize sind anders gesetzt", schrieb ich Anfang 2016.

 

2017 und 2018 darauf ging es mal wieder um Bologna und den Streit um die Studienreform, und Anfang 2020 schrieb ich über die beschlossene Gründung einer neuen Stiftung für Innovationen in der Hochschullehre: "Die Vorstellung eines neuen Akteurs, der allzu selbstbewusst die Gleichbehandlung der Lehre im Vergleich zur Forschung einfordert", habe weder Hochschulrektoren noch Landeswissenschaftsministern behagt. Und doch: "So diffizil sie unter diesen Bedingungen werden dürfte, die Etablierung der "unabhängigen Stimme", die der Wissenschaftsrat für die Lehre gefordert hat, klappt sie, wäre das ein wichtiges Signal für die Wissenschaftslandschaft insgesamt."

 

Die Coronakrise hat das Thema Digitalisierung der Lehre dann dringlicher denn je in den Vordergrund gespielt. Die Hochschulen haben sich dabei besser geschlagen als die Schulen – weil sie technisch besser ausgestattet sind und weil ihr Klientel erwachsen ist. Trotzdem wollten viele Hochschulen so schnell wie möglich zurück zur vermissten Präsenz – und versprachen mit der Unterstützung, zum Teil auch auf Druck der Wissenschaftsminister vieles, das sie dann im Spätherbst wieder kassieren mussten. Zum Leidwesen gerade der aktuellen Erstsemester.

 

Den von Ländern und Hochschulen schon vor der Pandemie geforderten Digitalpakt-Hochschule wiederum hat Bundesministerin Karliczek trotz der Corona-Schließungen auch 2020 beharrlich abgelehnt und stattdessen auf das 2021 offiziell startende Hochschulpakt-Nachfolgeprogramm ("Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken") verwiesen. Und auf die neue Stiftung. Deren 150-Millionen-Jahresbudget allerdings nur zu Anstößen reichen wird, zu Impulsen.

 

Die für exzellente Lehre ebenfalls nötigen zusätzlichen Dauerstellen kann sie nicht bringen. Aber sie kann einen Beitrag leisten, dass sich das Engagement für Lehre in individuellen Wissenschaftlerkarrieren endlich etwas mehr auszahlt. Immerhin: Ende 2020 offiziell gegründet, hat die Stiftung es trotz der Coronakrise das ganze Jahr immer wieder geschafft, durch eine geschickte und zum Mitdiskutieren einladende Kommunikation die Aufmerksamkeit auf das Thema Lehre zu lenken – und sich selbst als Reformmotor darzustellen. Kürzlich ging die erste große Ausschreibung raus. Meine Frage ans Jahr 2021: Kommt hier wirklich etwas Grundsätzliches in Bewegung? Und kann das Jahr 2021 hier überhaupt schon eine Antwort geben?

 

Die Sache mit dem Geld

 

Natürlich war die Finanzierung von Bildung und Wissenschaft in jedem Jahresausblick ein wichtiger Punkt. Auf die Wissenschaft bezogen durchaus optimistisch, zum Beispiel 2019: "Forschungsfinanzierung: Wer hat genug, wer braucht noch mehr?". Das war das Jahr, in dem die Politik so richtig Fahrt in Richtung 3,5-Prozent-Ziel aufnahm, also 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung in Forschung und Entwicklung investieren zu wollen. Mitte 2019 wurden auch die Wissenschaftspakte bis 2030 festgeklopft, Gesamtvolumen: geschätzte 160 Milliarden Euro.

 

Worüber wir uns heute noch mehr freuen sollten als vor gut anderthalb Jahren. Denn durch die Coronakrise wird ein Trend verstärkt, den ich schon im Ausblick 2016 beschrieb: "Reiche Länder, arme Länder." Ich schrieb: Klagten in der Vergangenheit alle Hochschulen in allen Bundesländern gleichermaßen über ihre schlechte Finanzierung (vor allem in der Lehre!), hat sich die Schere 2015 spürbar geöffnet. Eine Reihe von Ländern, darunter Baden-Württemberg, Bayern, aber auch Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz haben die Grundmittel ihrer Hochschulen erheblich aufgestockt – auch dank der Bafög-Millionen, deren Finanzierung der Bund ihnen abgenommen hat. Andere Bundesländer sparen heftig."

 

Hat sich daran bis 2020 etwas geändert? Kaum. So startet 2021 das neue fünfjährige Hochschulfinanzierungsprogramm in Baden-Württemberg, es soll erneut mehr Geld geben und auch mehr unbefristete Stellen. Bayern will über seine "Hightech-Agenda" drei Milliarden zusätzlich in die Wissenschaft stecken. Auch andere Länder geben mehr. Auf der anderen Seite kürzt etwa Niedersachsen, das vor ein paar Jahren noch kräftig aufgestockt hatte, die Zuschüsse für seine Hochschulen empfindlich, und Landeswissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) prophezeit: "Da, wo wir schon sind, werden die anderen Bundesländer auch noch hinkommen."

 

Woraus sich mir zwei weitere wissenschaftspolitische Fragen für das Jahr 2021 stellen: Erstens: Hat Thümler Recht? Sparen die Landesregierungen auch bei den Zukunftsressorts Bildung und Wissenschaft ein? In der Vergangenheit zumindest lief es bei größeren Haushaltskrisen eigentlich immer so. Und zweitens: Hält zumindest der Bund seine Versprechen ein? Dann nämlich zwingt er auch die Länder zur angemessenen Kofinanzierung. Der BMBF-Rekordhaushalt 2021 ergibt sich vor allem aus den Corona-Krisepaketen. Doch was ist dann? 

 

Die Fragen an die künftige Forschungsfinanzierung sind durch die Last-Minute-Einigung auf das neue EU-Budget ab 2021 und damit auch auf das neue europäische Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe noch größer geworden. Zwar gibt es etwas mehr Geld als befürchtet (aber immer noch viel weniger als gefordert), vor allem aber ist die EU-Forschungsfinanzierung Ausdruck des Zauderns und der Schwäche der europäischen Staatengemeinschaft, inmitten der bislang größten Krise des 21. Jahrhunderts einige mutige Prioritätensetzung Richtung Zukunft zu betreiben. Bitter, irgendwie aber auch typisch war denn auch, dass EU und Großbritannien sich bei den finalen Brexit-Verhandlungen ewig um Fischereirechte stritten, der britische Ausstieg aus dem Erasmus-Programm aber fast nebenbei besiegelt wurde.

 

Zurück nach Deutschland: Kurioserweise könnte das 3,5-Prozentziel übrigens schon 2020 erreicht worden sein und damit Jahre früher als angepeilt. Aber es wäre nicht mehr als eine statisches Artefakt – weil die Politik mit besagten Extra-Ausgaben gegensteuert. Und weil zugleich die Wirtschaftsleistung massiv sinkt in diesem Jahr. Bei den Gesamt-Bildungsausgaben (anteilig am Bruttoinlandsprodukt) hat Deutschland einen vergleichbaren Aufwärtstrend gar nicht erst geschafft – selbst in den fiskalisch besten Jahren nicht. Womit wir wieder bei den Themen 1 und 2 angekommen sind.  

 

Noch mehr Fragen ans Jahr 2021...

 

Nein, für 2021 habe ich keine Prognosen. Nur Fragen. Und davon noch viel mehr, als sie in diesen Text passen würden, viele davon gehen schon in Richtung Bundestagswahl und dem Programm der neuen Regierung, die dann folgen wird. Daher zum Schluss eine Auswahl im Schnelldurchlauf, wobei der Schnelldurchlauf nicht impliziert, dass ich sie für weniger wichtig halte – oder für wichtiger als andere, die ich hier nicht aufführen kann.

 

Also: Wie werden die Abschlussprüfungen 2021 an den Schulen ablaufen, wenn die Corona-Einschränkungen sich bis ins Frühjahr fortsetzen? Was bedeuten verzögerte Abiturprüfungen und verlegte Bewerbungs-Deadlines für die Studienplatzvergabe? Hält die Software der Stiftung für Hochschulzulassung stand? Apropos: Kommt die Stiftung auf ihrem dringend nötigen Reformkurs wie versprochen voran?

 

Kommen wir 2021 zu einem Neustart in der Studienfinanzierung, einer nachhaltigen BAföG-Reform, oder bleiben wir bei einem System, das der Lebensrealität vieler Studierender hinterherläuft und auf Krisen mit Notprogrammen reagiert?

 

Was folgt aus den Debatten um das neue Hochschulgesetz in Bayern? Ist bei aller Kritik an dessen Ausrichtung der Kernimpuls nicht doch wichtig: dass an den Hochschulen eine Debatte startet über zeitgemäße Formate der Governance und Partizipation?

 

Gelingt der Aufbruch in der Wissenschaftskommunikation, die 2020 so wichtig war und gleichzeitig an vielen Stellen ihre Unzulänglichkeiten offenbarte? Kommt es zu der vom BMBF gewünschten großen gemeinsamen Erklärung aller relevanten Akteure, und vor allem wird diese Erklärung irgendwelche praktische Folgen haben?

 

Wie geht es weiter mit der Exzellenzstrategie? Werden die Regeln für die nächste Runde nochmal nachgeschärft – vor allem in Bezug auf die Frage, wie der Wettbewerb offenbleibt für Newcomer? 

 

...und eine Einladung an Sie alle!

 

Ich belasse es mal dabei – und ende mit einem Aufruf. Mögen Sie vielleicht auch noch ein paar bildungs- und wissenschaftspolitische Fragen für 2021 beisteuern? Dann tun Sie es – sehr gern in den Kommentaren unter diesem Beitrag. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Stefan Lemke (Montag, 04 Januar 2021 09:21)

    Hallo Herr Wiarda,
    wo finden im Bildungsmarkt (inkl. der staatlichen Angebote) die Disruptionen statt und wer sind die neuen Akteure?
    Viele Grüße

  • #2

    Kathrin Busch (Montag, 04 Januar 2021 10:37)

    Wie kann Diversität in der Wissenschaft auch Personen mit Kindern einschließen bzw. wie kann es Wissenschaftler*innen besser ermöglicht werden, Nachwuchs zu bekommen (und sich darum zu kümmern), trotz und mit wissenschaftlicher Karriere? Hier fehlen Konzepte. Auch das Label "Beruf- und Familie", das schon relativ viele Einrichtungen tragen, bewirkt bisher nur erste Ansätze der Förderung von Familien. Die zwei Jahre + nach WissZeitvg reicht bei weitem nicht aus, um die Zeit, die für das Leben mit Kindern aufgewendet wird, auch nur annähernd zu berücksichtigen. Meiner Meinung nach könnte es ein Weg sein, Teilzeitstellen auch nur als solche in die "verbrauchte" Vertragszeit einzurechnen. Dies würde Wissenschaftler*innen die Zeit geben, sich in der offiziellen Nicht-Arbeitszeit wirklich um ihre Familie zu kümmern.