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"Ich weiß nicht, warum das getwittert wird"

Zerlegt die Kultusministerkonferenz gerade sich selbst? Warum die neue KMK-Präsidentin Britta Ernst solche Kritik "abwegig" findet, die Corona-Schulpolitik der einzelnen Länder konsistent und den Digitalunterricht besser als seinen Ruf. Ein Interview über das Infektionsrisiko an Schulen hohe Erwartungen an die Bildungspolitik – und die Zukunft des Bildungsföderalismus.

Jedes Jahr übernimmt ein anderes Land die Präsidentschaft in der Kultusministerkonferenz (KMK). Dieses Jahr ist Brandenburg dran – und damit Bildungsministerin Britta Ernst. Normalerweise ist der Job der KMK-Präsidentin zu Jahresanfang recht geruhsam. So richtig geht es erst nach der offiziellen Amtsübergabe Mitte Januar los. Doch 2021 ist alles anders. Seit dem Neujahrstag gibt Ernst ein Interview nach dem anderen, so eine Dichte an Presseanfragen habe sie noch nicht erlebt, sagt ihre Pressesprecherin. Kein Wunder: Nach den Corona-Beschlüssen der Regierungschefs und ihrer umstrittenen Umsetzung durch die Länder gibt es viel zu besprechen. 

 

Frau Ernst, solange die Kultusminister dafür kämpften, die Schulen im Präsenzbetrieb zu halten, musste die Kultusministerkonferenz (KMK) teilweise heftige Kritik aushalten, wirkte aber für ihre Verhältnisse erstaunlich geschlossen. Dann kam der Shutdown – und plötzlich macht jeder wieder sein eigenes Ding?

 

Diesen Eindruck teile ich überhaupt nicht. Unsere Einigkeit in der KMK ist im vergangenen Jahr in der Tat gewachsen. Und sie ist ungebrochen – genau wie unser Plädoyer für offene Schulen. Fakt ist aber auch, dass auch die Bildungseinrichtungen die Kontakte minimieren müssen, um im Lockdown ihren Beitrag zu leisten, damit die Intensivbett-Kapazitäten entlastet werden. Dazu haben wir uns als Kultusministerinnen und Kultusminister bereiterklärt. 


Britta Ernst, 59, ist SPD-Politikerin und seit 2017 Bildungsministerin von Brandenburg. In diesem Jahr hat sie zusätzlich die Präsidentschaft in der Kultusministerkonferenz (KMK) inne. Von 2014 bis 2017 war die Sozialökonomin bereits Bildungsministerin in Schleswig-Holstein. Foto: ©MBJS/Axel Schön



Wo sehen Sie denn gegenwärtig noch eine gemeinsame Linie? Berlin lässt demnächst wieder fast alle Klassenstufen in den Unterricht gehen, Baden-Württemberg will am 18. Januar die Grundschüler in den Präsenzunterricht schicken. Währenddessen lassen Bayern, Sachsen oder Schleswig-Holstein erstmal alles zu.

 

Wir haben am Montag in der KMK einen gemeinsamen Stufenplan beschlossen, und an den Rahmen, den dieser Plan setzt, halten wir uns. Nachdem wir zuerst die Abschlussklassen in die Schulen zurückkehren lassen, werden wir, sobald die Inzidenzzahlen es erlauben, die Grundschulen öffnen. Im nächsten Schritt folgen die übrigen Klassen an den weiterführenden Schulen im Wechselmodell. Ich finde diese Stufen gut gewählt. Dass wir anders als in Frühjahr den Grundschulen höchste Priorität einräumen, halte ich darüber hinaus für richtig. Was die einzelnen Länder jetzt daraus machen, wie sie den Plan konkret umsetzen, hängt sehr wohl deutlich mit dem jeweiligen Infektionsgeschehen zusammen, weshalb es eben in Sachsen oder auch in Thüringen bis Ende des Monats keinen Präsenzunterricht gibt. Und dass Berlin sich entschieden hat, am 18. Januar einen kleinen ersten Schritt zu gehen und erste Grundschuljahrgänge zu öffnen, lässt sich ebenfalls gut mit den niedrigeren Inzidenzzahlen begründen, als wir sie etwa derzeit in Brandenburg haben. Also alles im Rahmen dessen, was wir vereinbart haben. 

 

Finden Sie? Berlin hat fast alle Klassen an den weiterführenden Schulen zu Abschlussklassen erklärt und lässt sie allesamt vor den Grundschulen kommen. Das widerspricht doch der Vereinbarung.

 

In Brandenburg gehen die Abschlussklassen auch in den Präsenzunterricht. Dass Berlin zudem die neunte Klasse als abschlussrelevant definiert, hängt damit zusammen, dass dort ein erster Abschluss erworben wird.

 

"Die Bundesländer nutzen die Spielräume,
die der Beschluss vorgibt."

 

Es gibt also keinen Widerspruch? Weder innerhalb der KMK noch zwischen den umfassenden Schulöffnungen in einzelnen Ländern und dem Wortlaut des Beschlusses, den die Ministerpräsidenten am Dienstag gefasst haben? Ihre Kollegin Karin Prien, übrigens Ihre Nachfolgerin als Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, scheint das anders zu empfinden. Sie sagt: "Wenn einzelne Regierungschefs, noch bevor die Tinte unter der Vereinbarung trocken ist, schon wieder überlegen, wie man sie großzügig interpretieren oder Ausnahmen in Anspruch nehmen kann, dann führt das dazu, dass die Bevölkerung für sich genauso handelt und die Lockdown-Maßnahmen am Ende insgesamt nicht die Wirkung haben, die wir uns wünschen." 

 

Die Bundesländer nutzen die Spielräume, die der Beschluss vorgibt, und diese Spielräume wurden bei den Gesprächen bei der Kanzlerin erörtert. 

 

Wie das? Im Beschluss ist von geschlossenen Schulen und Kitas die Rede.

 

Im Beschluss ist wird auf die am 13. Dezember vereinbarten Maßnahmen verwiesen, die verlängert werden sollen. Und die nennen das Ziel einer deutlichen Einschränkung der Kontakte und dass die Kinder, wann immer möglich, zu Hause betreut werden sollen. Als Mittel werden grundsätzliche Schließungen, aber auch eine Aussetzung der Präsenzpflicht genannt. Und auch, dass für Abschlussklassen gesonderte Regelungen vorgesehen werden können. Die Spielräume sind eindeutig.

 

Und wo ist die Einigkeit in der KMK, wenn Bremens Bildungssenatorin Claudia Bogedan Eltern jetzt sogar auffordert, ihre Grundschüler zur Schule zu schicken, sie übernehme die Verantwortung dafür gerne – während in Hamburg an die Eltern appelliert wird, die Kinder, wenn nur irgendwie möglich, zu Hause zu lassen?

 

Auch Bremen agiert vor dem Hintergrund der dortigen Inzidenzen und der sozialen Lage der Kinder und Jugendlichen.

 

Sie sehen also kein Problem darin, dass der Beschluss der Regierungschefs einen anderen Eindruck – die möglichst komplette Schließung von Schulen im Januar – erweckt haben könnte, als er jetzt in vielen Ländern umgesetzt wird? Und Inkonsistenzen in der Umsetzung zwischen den Ländern erkennen Sie auch nicht?

 

Alles, was die Länder machen, ist konsistent mit dem KMK-Beschluss und den Diskussionen in der Ministerpräsidentenkonferenz. 

 

"Mit den geeigneten Hygienemaßnahmen sind Schulen
gute Orte, um das Infektionsgeschehen einzudämmen." 

 

Der Spiegel-Journalist Armin Himmelrath twitterte gestern, er habe irgendwie den Eindruck, die KMK zerlege sich gerade selbst. 

 

Das ist völlig abwegig. Ich weiß nicht, warum das getwittert wird. Die Kultusministerkonferenz hat am Montag in einer komplizierten Situation in relativ kurzer Zeit einen sehr klaren einmütigen Beschluss gefasst. Da gibt es überhaupt keinen Hinweis auf Uneinigkeit.

 

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagt, es habe sich gezeigt, dass sich das Coronavirus auch in den Schulen verbreite. Und er warnte: Es dürfe keine überstützte Öffnung von Schulen und Kitas geben, denn es wäre aus seiner Sicht "angesichts der hohen Infektionszahlen verantwortungslos, Lehrer und Schüler einfach wieder komplett in die Schulen zu schicken“. Ihr Hamburger Kollege Ties Rabe bezeichnete Schulen demgegenüber in den vergangenen Monaten immer wieder als im Verhältnis zu anderen Lebensbereichen sichere Orte. Wie sehen Sie das?

 

Wir Kultusministerinnen und Kultusminister sagen alle, dass Schulen keine Treiber des Infektionsgeschehens sind. Ich persönlich sage, dass Schulen mit den geeigneten Hygienemaßnahmen, mit Abstandsregeln und mit einer kompletten Kontaktnachverfolgung für viele Jugendliche gute Orte sind, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Ich sage auch, dass das Infektionsgeschehen in Kita und Grundschule, was die Alterskohorte angeht, deutlich unter dem der Bevölkerung liegt. 

 

Und bei den älteren Jugendlichen?

 

Da haben wir in der zweiten Welle gesehen, dass das Infektionsgeschehen mitgegangen ist mit dem Infektionsgeschehen in der Bevölkerung. Woraus wir in der KMK unsere Schlussfolgerungen gezogen haben.

 

Auch aus dem Fall einer Hamburger Schule, wo es zu einer Massenansteckung gekommen ist?

 

Ich begrüße sehr, dass der Kollege Rabe sich die Mühe gemacht hat, das Infektionsgeschehen an den Schulen in Hamburg genau nachzuvollziehen. Er kam zu dem Ergebnis, dass auf eine Infektion, die in der Schule stattgefunden hat, vier Infektionen kamen, die von außen in die Schule hineingetragen worden sind. Trotzdem gibt es Schulen mit Häufungen, das ist nie bestritten worden. Keiner von uns Ministern hat je behauptet, dass es in der Schule gar kein Infektionsgeschehen gibt. Wir haben gesagt, dass die Schulen keine Treiber sind, und bei der Aussage bleibe ich. 

 

"Die Frage, um die es geht: Sollte man zugunsten von Kindern die Schulen offenhalten und im Gegenzug andere gesellschaftliche Bereiche umso stärker einschränken?"

 

Warum schließen dann Schulen jetzt im Shutdown überhaupt?

 

Weil in Schulen natürlich trotzdem Kontakte stattfinden und man durch die Einschränkung der Kontakte in Schulen sehr wohl zur Senkung des gesamtgesellschaftlichen Infektionsgeschehens beitragen kann. Die Frage, um die es in der gesellschaftlichen Debatte geht: Sollte man zugunsten von Kindern und Jugendlichen mehr Kontakte in den Schulen zulassen und sie deshalb offenhalten und im Gegenzug andere gesellschaftliche Bereiche umso stärker einschränken?

 

In der Realität haben die Regierungschefs in ihrem gemeinsamen Beschluss den Kitas und Schulen die Schließung verordnet und sind zugleich davor zurückgeschreckt, den Arbeitgebern schärfere Regeln vorzuschreiben. Zudem besteht eine wesentliche Verschärfung der Kontaktbeschränkungen darin, dass bei privaten Treffen jetzt auch Kinder mitzählen. Das mag, wir sprachen darüber, alles nicht so umgesetzt werden, aber erkennen Sie da nicht auch eine Schieflage – und zwar zuungunsten der Jüngsten?

 

Andere Staaten in Europa haben sehr harte Ausgangssperren für alle beschlossen, über die bei uns überhaupt niemand nachdenken mag, die Schulen aber offengelassen. Im Vergleich dazu verteilt Deutschland die Einschränkungen etwas, ich sage mal vorsichtig, gleichmäßiger. Keiner kann zurzeit beurteilen, was der bessere Weg ist. Aber sicherlich ist es kein Geheimnis, dass uns Kultusministerinnen und Kultusministern die gefassten Beschlüsse sehr wehtun, weil wir wissen, dass Kinder und Jugendliche durch sie in einer Art und Weise isoliert werden, unter der sie mehr leiden als Erwachsene. Umgekehrt verlangen wir aber auch zum Beispiel Selbstständigen sehr viel ab und auch den Älteren. Jeder hat sein Päckchen zu tragen.

 

Also alles doch irgendwie in Ordnung?

 

Dass wir als Kultusministerinnen und Kultusminister in der Gewichtung sehr hart für die Schulen kämpfen, muss so sein. Aber dass die Ministerpräsidentenkonferenz eine Gesamtentscheidung für Deutschland treffen muss, ist auch nachvollziehbar. Immerhin haben die Belange von Kindern und Jugendlichen in ihren Gesprächen eine große Rolle gespielt. Um kein Thema wird so gerungen wie um die Schulen. Das ist auch ein Erfolg der KMK. Und wir bleiben dran und haben sehr deutlich gemacht: Sobald es zu Lockerungen kommt, sind die Schulen und Kitas zuerst dran. Wir sehen das ja jetzt schon.  

 

"Eine Woche vor und eine Woche nach Weihnachten
ist etwas Anderes als Distanzunterricht den ganzen Januar hindurch, das schmerzt natürlich. "

 

Haben Sie es im Dezember als Niederlage der KMK erlebt, dass das Versprechen, Schulen und Kitas offenzuhalten in der zweiten Welle, von den Ministerpräsidenten gebrochen worden ist?

 

Natürlich waren wir bedrückt. Wir waren aber auch froh, dass wir als KMK der Notwendigkeit geöffneter Schulen so lange so deutliches Gehör verschaffen konnten. Allerdings wussten wir ja auch noch nicht, wie lange die Schließungen anhalten. Eine Woche vor und eine Woche nach Weihnachten ist etwas Anderes als Distanzunterricht den ganzen Januar hindurch, das schmerzt natürlich. 

 

Es gibt Leute, die sagen: Wenn die Kultusminister vorher mehr auf die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) gehört hätten, die Schulen ab einer Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro Woche und 100.000 Einwohner in den Wechselbetrieb zu schicken, dann hätten die Schulen am Ende gar nicht komplett geschlossen werden müssen. 

 

Diese Meinung teile ich nicht. Wir haben unsere Entscheidungen immer verantwortungsvoll abgewogen. Es gab bis zuletzt sehr wenige Schulen in Deutschland mit größeren Ausbrüchen. Meist gab es nur einzelne Infektionen.

 

Schulen wären Ihrer Meinung nach also so oder so geschlossen worden?

 

Das sehe ich so. Vor allem, weil wir gar nicht unterscheiden können, ob die vermehrten Infektionen der älteren Kinder ab 10 überhaupt etwas mit der Schule oder mit doch eher mit ihrem Freizeitverhalten zu tun haben. Das wird ja im Moment niemand beantworten können, ich kenne dazu keine Studie. 

 

Was kommt in Brandenburg auf die Schulen zu im Januar? 

 

Leider ist bei uns das Infektionsgeschehen nicht so niedrig, wie wir uns das wünschen würden. Außerdem ist wegen der Feiertage weniger getestet worden, sodass uns keine validen Daten vorliegen zurzeit. Wir müssen also abwarten und werden deshalb noch zwei Wochen grundsätzlich im Distanzunterricht bleiben und eine Öffnungsoption für die Woche ab dem 25. Januar schaffen. Das ist bei uns die Woche vor Winterferien, und wenn rechtzeitig vorher die landesweite Inzidenz deutlich nach unten geht, werden wir in den Grundschulen in den Wechselbetrieb starten. Bleibt das Infektionsgeschehen hoch, wird das erst im Februar möglich sein.  

 

Andere Bundesländer verlegen gerade Ferien vor. Machen Sie das in Brandenburg jetzt auch mit den Winterferien?

 

Das tun nur Bundesländer mit noch höheren Inzidenzen als wir. Wir haben entschieden, dass das bei uns nicht nötig ist.

 

"Wenn wir die Berliner Werte hätten,
würden wir andere Entscheidungen treffen."

 

Berlin möchte nach Möglichkeit Mitte Februar zum Regelunterricht für alle zurückkehren. Legen Sie sich auch schon auf einen Zeitpunkt fest, zu dem alle wieder Schüler wieder jeden Tag in die Schule gehen können?

 

Die brandenburgischen Daten erlauben solche Rückschlüsse nicht. 

 

Glauben Sie denn, dass die Daten in anderen Bundesländern solche Rückschlüsse erlauben?

 

Berlin hat ein niedrigeres Infektionsgeschehen als Brandenburg, das müssen wir einfach sehen. Wenn wir die Berliner Werte hätten, würden wir andere Entscheidungen treffen.

 

Die Berliner Werte lagen so niedrig, weil viele Gesundheitsämter in den Bezirken über die Feiertage nicht richtig gearbeitet haben. Am Donnerstagmorgen verzeichnete das RKI für Berlin mit 122 schon wieder fast eine Inzidenz auf dem Niveau von Brandenburg mit 136. 

 

Unsere Zahlen gehen auch gerade hoch wegen der Nachholeffekte. Wir haben am Donnerstag 1.500 registrierte Neuinfektionen gehabt, da müssen wir vorsichtig bleiben. 

 

In der KMK wird es ja dieses Jahr hoffentlich nicht nur um Corona gehen. Um was noch?

 

Natürlich spielt das Corona-Krisenmanagement eine wichtige Rolle. Aber ich hoffe, dass wir auch noch Energie für das Schwerpunktthema haben, das ich mir für meine Präsidentschaft in diesem Jahr gesetzt habe: "Lernen und Lehren – guter Unterricht in Zeiten der digitalen Transformation". Dabei geht es um gute digitale Bildung. In der Krise liegt der Fokus gerade sehr stark auf Fragen der technischen Ausstattung. Für die Zeit nach Corona muss aber die Unterrichtsqualität der rote Faden sein. Ich würde gern mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der KMK noch einmal vertiefend darüber nachdenken und gemeinsam mit der Wissenschaft in den Austausch kommen, wie guter Unterricht mit digitalen Medien durchgeführt werden kann und wie Schule damit der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler noch besser gerecht werden kann. Dazu gehört vor allem auch die Frage, wie wir die vorhandenen Erkenntnisse aus der Forschung in die Schulpraxis transportieren. 

 

"Das immer gleiche Mantra, es habe sich
in den letzten Monaten in Sachen digitaler Bildung
nichts getan, spiegelt nicht die Realität."

 

Die digitale Bildung war 2016 schon einmal KMK-Schwerpunktthema.

 

Damals haben wir eine gemeinsame Strategie verabschiedet. Und jetzt hat die Krise das Thema noch einmal ganz anders auf die Agenda gebracht.  

 

Weil der digitale Distanzunterricht im neuen Shutdown genauso bescheiden läuft wie im März oder April?

 

Das stimmt nicht. Wir sind sowohl bei den Lernplattformen als auch bei der technischen Ausstattung der Schulen in den letzten Monaten deutlich vorangekommen. Solch pauschale Kritik bedeutet auch eine Schmähung all der Lehrkräfte, die in den vergangenen Monaten engagiert neue Instrumente entdeckt und ausprobiert haben, die ganz neue Wege gegangen sind, um ihre Schülerinnen und Schüler zu erreichen. Das verdient eine Würdigung. Das immer gleiche Mantra, es habe sich in den letzten Monaten nichts getan, spiegelt nicht die Realität. Ich gestehe zu, dass man sich noch viel mehr wünschen könnte. Aber die Versäumnisse, von denen wir dann reden, sind in den vergangenen fünf, acht Jahren entstanden, in denen die Digitalisierung an den Schulen viel zu wenig energisch betrieben wurde. Die Corona-Monate waren demgegenüber echte Innovationsbeschleuniger. 

 

Sie sind seit 2014 Kultusministerin, zunächst in Schleswig-Holstein, seit 2017 in Brandenburg. Das heißt, Sie siedeln die meisten Versäumnisse, die Sie beklagen, vor 2014 an?

 

Nein, an denen hatten wir alle unseren Anteil. Keiner von uns kann sagen, er oder sie habe alles Richtig gemacht. Aber die Frage ist auch: Seit wann ist die Gesellschaft überhaupt bereit, an der Stelle das nötige Geld auszugeben? Der Durchbruch ist letzten Endes erst durch den Digitalpakt des Bundes gekommen, das muss man wohl so festhalten.  

 

Was ist Ihnen neben Corona und der Digitalisierung als KMK-Präsidentin besonders wichtig in diesem Jahr?

 

Wir haben 2020 eine Reihe wichtiger Beschlüsse gefasst, die wir jetzt umsetzen müssen. Dazu gehört, dass wir in der ersten Jahreshälfte einen Vorschlag für die Berufung der neuen Ständigen Wissenschaftlichen Kommission bekommen. Ich bin davon überzeugt, dass diese Kommission die Arbeit Kultusministerkonferenz nochmal besser machen wird, weil wir dann systematisch und dauerhaft wissenschaftlichen Rat an unserer Seite haben. Es wird nicht mehr nur von der Initiative einzelner Ministerinnen oder Minister oder der jeweiligen KMK-Präsidentin abhängen. Wichtig ist auch, dass wir die gemeinsame Ländervereinbarung mit Leben erfüllen…

 

"Ich bin zuversichtlich, dass wir in allen Bundesländern normale Abschlussprüfungen durchführen können." 

 

…die ja mal ein Bildungstaatsvertrag werden sollte und vor allem die Vergleichbarkeit im Bildungsföderalismus erhöhen soll. Geht es dieses Jahr beim Abitur und anderen Abschlüssen nicht zwangsläufig in die genaue Gegenrichtung? Jedes Land wird doch für sich schauen müssen, wie es seine Schüler in der Pandemie überhaupt erstmal zu Abschlüssen bringt?

 

Ich bin zuversichtlich, dass die Rahmenbedingungen so sein werden, dass wir in allen Bundesländern normale Prüfungen durchführen können. Aber natürlich hängt das vom Infektionsgeschehen ab. Wenn wir im Februar zu einer deutlichen Senkung kommen, werden die Rahmenbedingungen völlig vertretbar sein. Ich bin optimistisch, dass wir das schaffen. Wir haben es letztes Jahr ja schon einmal geschafft und trotz massiver Proteste das Abitur erfolgreich und konfliktfrei durchgeführt. 

 

Und wenn die Inzidenzen im Februar noch genauso hoch sind? Müssen Sie dann nicht auch darüber nachdenken, die Abschlussprüfungen abzuspecken oder gar teilweise abzusagen?

 

Dann muss man diese Situation neu bewerten. Wir sind uns in der KMK natürlich einig, dass wir fest an der Seite der Schülerinnen und Schüler stehen. Aber erstmal gehen wir von möglichst normalen Prüfungen aus und werden dabei die gemeinsamen KMK-Standards absichern. Zum Beispiel, indem wir den Schulen eine Abi-Prüfungsaufgabe mehr zur Verfügung stellen, die sie auswählen können. Das ist eine Veränderung, aber sie dient der Niveausicherung und ist in Zeiten der Corona-Pandemie eine gute Möglichkeit, den Schülerinnen und Schüler entgegenzukommen und trotzdem die KMK-Standards nicht in Frage zu stellen.

 

Die sie dann nach der Pandemie wie vereinheitlichen wollen?

 

Zum Beispiel, indem wir uns wie im Abkommen verabredet 2023 endlich darauf verständigt haben werden, wie viele Leistungs- und wie viele Grundkurse mit welcher Gewichtung in die Abiturnote eingehen. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn, und den schaffen wir. 

 

Muss die KMK nicht auch als Organisation insgesamt schlagkräftiger werden? 

 

Ich bin ja auch Mitglied in der Jugendministerkonferenz und in der Sportministerkonferenz, und im Vergleich zu den beiden muss sich die KMK wahrlich nicht verstecken. Es gibt sehr hohe Erwartungen an die KMK, und an die Politikerinnen und Politiker, die sie verantworten. Das ist zum einen sehr gut, weil es zeigt, welche unglaubliche Bedeutung die Gesellschaft diesem Politikfeld berechtigterweise zumisst. Bildungspolitik ist aber Ländersache. Die KMK ist nicht dafür da, die durch Landtagswahlen legitimierte Bildungspolitik zu korrigieren. 



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Kommentare: 2
  • #1

    Tatjana (Freitag, 08 Januar 2021 21:08)

    Nur eine kurze Anmerkung. Schleswig-Holstein lässt nicht erstmal alles zu. Der Plan ist zumindest an meiner Schule, im Kreis Pinneberg mit hoher Inzidenz, ab dem 18.1 die Abschlussklassen in der Schule (evtl. im Wechselunterricht).

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Samstag, 09 Januar 2021 11:14)

    @Tatjana: Vielen Dank für die Anmerkung! Sie haben Recht, die genaue Lage in allen Bundesländern (in Berlin ist sie ja seit gestern Abend überholt) finden Sie hier. Genauer wäre für SH gewesen zu sagen: "fast alles".

    https://www.jmwiarda.de/2021/01/06/kitas-und-schulen-was-die-länder-jetzt-vorhaben/