Der bekannte Physiker und Wissenschaftskommunikator könnte schon am 27. Januar zur Wahl stehen. Endet damit die Ausnahmesituation in Göttingen?
DER PHYSIKER UND COMMUNICATOR-PREISTRÄGER Metin Tolan ist einziger Kandidat für die Wahl des Präsidenten der Universität Göttingen. Dies bestätigte am Freitagabend Pressesprecher Thomas Richter auf Anfrage.
Nächsten Mittwoch treffen sich Senat und Stiftungsausschuss zu einer gemeinsamen Sitzung, in der, wie Richter sagte, Tolans Kandidatur "erörtert wird".
Was Richter nicht sagte: Diese Woche haben die beiden Gremien ihn bereits in nichtöffentlicher Sitzung kennengelernt. Sollten sie sich am 27. Januar einig sein, könnte es unmittelbar zur Wahl Tolans kommen.
Tolans Wahl wäre eine weitere spannende Wendung, seit die langjährige Uni-Präsidentin Ulrike Beisiegel nach dem enttäuschenden Abschneiden Göttingens bei der Exzellenzstrategie erst ihren Rücktritt angekündigt und dann sogar noch auf Ende September 2019 vorverlegt hatte. Als ihr Nachfolger war zunächst Sascha Spoun gewählt worden, doch folgte eine Konkurrentenklage, die Wahl wurde für fehlerhaft befunden, Spoun verzichtete.
Die Führungskrise eskalierte, der Konflikt zwischen verschiedenen Lagern an der Universität trat offen zu Tage. Relative Ruhe trat erst ein, nachdem Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) den renommierten Max-Planck-Forscher Reinhard Jahn als Interims-Präsident eingesetzt hatte – mit Zustimmung der universitären Gremien. Jahn war vom 1. Dezember 2019 an im Amt, sollte von Anfang an nur ein Jahr bleiben, verlängerte dann aber noch ein paar Wochen. Das Wichtigste sei für ihn gewesen, sagte Jahn im Sommer 2020, "wieder eine gemeinsame Gesprächsbasis herzustellen, einen gewissen Respekt zwischen allen Akteurinnen und Akteuren. Der war zwischenzeitlich verlorengegangen."
Jahns Abschied Anfang Januar hatte dann signalisiert, dass die eingesetzte Findungskommission offenbar erfolgreich gewesen war. Ursprünglich soll es zwei Kandidaten gegeben haben, doch es blieb jetzt nur noch Tolan übrig, den die Findungskommission den Universitätsgremien zur Wahl empfahl. Tolan ist Professor für Experimentelle Physik an der Technischen Universität Dortmund, renommierter Forscher, Wissenschaftskommunikator – und bekannter Wissenschaftskabarettist.
Neben seiner Forschung zum Verhalten von Grenzflächen so genannter "weicher Materie" (Polymere, Flüssigkeiten oder Biomaterialien) schrieb Tolan populärwissenschaftliche Sachbücher und hielt sehr erfolgreiche und humoristische Vorträge unter anderem zur Physik des Fußballs, der Physik bei Star Trek oder bei James Bond.
Forscher, Wissenschaftskommunikator, Manager
2011 zeichneten ihn die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Stifterverband mit dem 50.000 Euro schweren Communicator-Preis aus – "für seine vielfältige und besonders originelle Vermittlung physikalischer Fragestellungen und Forschungsergebnisse in die Öffentlichkeit und Medien".
Auch seine eigene Disziplin würdigte Tolan: 2017 erhielt er den Robert-Wichard-Pohl-Preis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, der außergewöhnliche Leistungen in der Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnis, in der Lehre, im Unterricht und in der Didaktik der Physik ehrt.
Bevor Senat und Stiftungsrat nächsten Mittwoch zusammenkommen, wird Tolan sich und seine Agenda hochschulöffentlich vorstellen – per Videokonferenz, zu der die gesamte Hochschule eingeladen ist.
Umfangreiche Führungserfahrung hat der Physiker: Er war seit 2008 drei Jahre lang Prorektor Forschung an der TU Dortmund, anschließend weitere fünf Jahre Prorektor für Studium und bis vor kurzem Prorektor für Finanzen.
Für die traditionsbewusste Universität Göttingen, deren Selbstbewusstsein sich von den ExStra-Misserfolgen und den Lagerkämpfen noch nicht erholt hat und jetzt auch noch durch frustrierende Spardebatten geht, könnte Tolan der ideale Kandidat sein: Ein hochanerkannter Forscher, ein geübter Uni-Manager – vor allem aber ein begnadeter Kommunikator, der allein schon durch seine Kandidatur in dieser schwierigen Phase Göttingens Mut beweist. Zugleich könnte sich die Universität mit der erfolgreichen Wahl selbst bestätigen, den schlimmsten Teil ihrer Krise hinter sich zu haben und gemeinsam den von Jahn nur eingeleiteten Neuanfang wagen zu wollen.
Darüber hinaus würde seine Wahl aber auch deutschlandweit ein Signal aussenden, nachdem gerade erst die Universität Freiburg einen eigenen Rektorats-Geschäftsbereich für Kommunikation eingerichtet hatte.
"Wohl selten zuvor", schrieb der ZEIT-Journalist Manuel Hartung diese Woche, "war Wissenschaft so wichtig für eine Gesellschaft wie heute, selten zuvor wurde Wissenschaft von einer so breiten Öffentlichkeit wahrgenommen." Wissenschaftskommunikation und Hochschulentwicklung nun zu verbinden, sei daher "eine große Chance, Hochschulen zu den zentralen Orten einer Gesellschaft zu machen, in der Forschung, Diskurs und – bald wieder – persönliche Begegnung wichtig sind."
Hartung schrieb über Freiburg. Doch sollte Tolan in Göttingen gewählt werden, wären diese Worte umso wahrer.
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Sven (Samstag, 23 Januar 2021 11:18)
In Göttingen gibt es keine Flügelkämpfe. Das ist eine Fehlwahrnehmung oder -darstellung der Universität. In der Tat wurden und werden Konflikte geführt, aber wie man mit der bevorstehenden Wahl von Herrn Tolan sieht auch gelöst. Das ist für mich nichts anderes als demokratische Mitbestimmung der akademischen Gruppen. Da scheint sich mein Ideal der Universität von dem des Autors zu unterscheiden.
R. Seiffert (Samstag, 23 Januar 2021 14:51)
Das ist doch eine wirklich positive Nachricht, nicht nur für die Universität Göttingen. Ein vermutlich idealer Kandidat für einen ziemlich idealen Standort. Für die vielen guten Leute am Standort wäre das eine gute Wahl, aber viele werden sich noch wundern. Herrn Tolan kann man nur viel Glück wünschen und vor allem den Mut, gegen die hilf- und mutlose Wissenschaftsfinanzierung in Hannover aufzubegehren.
B. W. Fischer (Sonntag, 24 Januar 2021 11:00)
Nun sind fast anderthalb Jahre vergangen seit der Göttinger "Revolte". Eine harte, aber offenbar notwendige
Zeit, um eine neue Ausrichtung zu finden. Man wird gewiß noch erfahren, wer hier hilfreich war. Vermutung: Neben Interimspräsident Jahn wohl auch der alte DFG-Chef ?! Jedenfalls ist die neue Lösung mit einem wirklich etablierten (Natur)-Wissenschaftler, dazu noch mit enormem Talent zur Kommunikation, deutlich besser als
eine Manager-Lösung,
Th. Klein (Montag, 25 Januar 2021 08:07)
"Ursprünglich soll es zwei Kandidaten gegeben haben, doch es blieb jetzt nur noch Tolan übrig, den die Findungskommission den Universitätsgremien zur Wahl empfahl."
- Bei aller Sympathie für Hr. Tolan, ist dies m.E. ein Fehler, den Findungskommissionen zu oft machen. Damit werden einerseits Konkurrentenklagen gestärkt, und andererseits wird die Wahl fast alternativlos. Für einen solchen demokratischen Prozess (siehe auch #1) finde ich das dürftig.
D. Grigorieff (Montag, 25 Januar 2021 14:19)
#4: Werter Herr Klein, generell mögen Sie ja recht haben,
im aktuellen Fall von Göttingen paßt es aber m.E. nicht. Hier braucht(e) man schon gehöriges Selbstvertrauen, um
anzutreten. Wenn dann ein Konkurrent offenbar kurz vorher zurückzieht, kann man dies nicht dem aktuellen Kandidaten anlasten. Weil man das Problem der Klage eines Konkurrenten in Göttingen im Sommer 2019
am Hals hatte, darf man von einer peinlich genauen Einhaltung aller Feinheiten des "demokratischen Prozesses" durch die Findungskommission und der hierüber entscheidenden Organe ausgehen. "Dürftig" geht
anders.