Der Lockdown bleibt, doch Kitas und Grundschulen dürfen öffnen: Was die neuen Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern bedeuten und warum Merkel beim Bildungsthema einen Rückzieher gemacht hat.
JA, ES WIRD VIEL KRITIK an den heutigen Corona-Beschlüssen geben, die Kanzlerin Merkel, Berlins Regierender Bürgermeister Müller und Bayerns Ministerpräsident Söder am Abend vor der Presse vorgestellt haben. Nicht konsequent genug!, werden jene kritisieren, die angesichts der Virusmutationen eine Low- oder No-Covid-Strategie gefordert haben. Andere werden Merkel vorwerfen, sie sei bei der Schulfrage vor den Ministerpräsidenten eingeknickt, weshalb jetzt ein föderales Öffnungschaos drohe. Wieder andere werden kopfschüttelnd konstatieren, dass das einzige im Bund-Länder-Beschluss exakt hinterlegte Lockerungsdatum das für Friseursalons (1. März) ist. Wo, werden einige fragen, ist eigentlich der beim Januar-Krisentreffen versprochene bundesweit gültige Stufenplan, das "Konzept für eine sichere und gerechte Öffnungsstrategie", geblieben, das bis zur heutigen Sitzung erarbeitet werden sollte? Und wann hat die Politik eigentlich endlich den "Überblick über die Verbreitung von Mutationen in Deutschland", den schon der Beschluss vom 19. Januar als wesentliches Ziel genannt hatte?
Jeder dieser Kritikpunkte und noch weitere haben ihre Berechtigung. Und doch haben die Regierungschefs von Bund und Ländern einen klugen und ausgewogenen Beschluss gefasst. Sie sind nicht einfach abgerückt vom seit Monaten ausgegeben Inzidenzziel, unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen zu kommen. Doch sie haben das Ziel angesichts der Gefahren einer, wie Merkel es formulierte, bereits angelegten dritten Welle durch die absehbar zunehmenden Virusmutationen, nachgeschärft und differenziert. Indem sie den Lockdown im Wesentlichen bis zum 7. März fortsetzen, aber einzelne Lockerungen vornehmen.
Söders flammendes Plädoyer
für die Friseure
Nein, eigentlich nur zwei. Bei Friseuren und Bildungseinrichtungen. Er staune bei mancher Debatte, "wie groß die Rolle ist, die Friseure spielen", sagte Berlins Regierender Bürgermeister, um dann doch so etwas wie Verständnis für deren Priorisierung zu zeigen. Ein Verständnis, das freilich weit entfernt war von dem fast schon flammenden Plädoyer Markus Söders, demzufolge Friseure etwas mit Hygiene zu tun hätten, "aber auch mit Würde." Ein frischer Haarschnitt helfe den Menschen, "sich in der Pandemie selbst wiederzufinden", sagte Söder. Einige Länder (man kann jetzt raten, welche), so ist zu hören, hätten die Salons am liebten schon am 22. Februar aufgesperrt, Merkel bremste sie auf den 1. März ein.
Demgegenüber kündigte Söder an, bei den Schulen "etwas vorsichtiger und zurückhaltender" zu handeln als andere Länder. Aber auch Bayern wird wohl spätestens Anfang März die Kitas aufmachen und an den Grundschulen in den Wechselunterricht einsteigen. Viele andere Länder, sagte Bürgermeister Müller, werden wohl am 22. Februar starten, darunter auch Berlin. Einige wenige, womit er auf Niedersachen oder Sachsen anspielte, auch schon früher, fügte Müller hinzu.
Und Merkel? Wirkte nicht verbittert, sondern vor allem erleichtert bei der Nachfrage, ob es richtig sei, dass die Entscheidung über Kitas und Schulen jetzt wieder in den einzelnen Ländern liege, dass sie also faktisch schon ab nächster Woche aus dem Lockdown herausgenommen werden. Die Länder könnten also, wie der Süddeutsche-Journalist Nico Fried es in einer Frage an Merkel formulierte, jetzt wieder "tun und lassen, was sie wollen". Fürchte sie keine Unübersichtlichkeit und Frustration, wenn in dem einen Land die Kinder schon wieder in die Schule gehen könnten und in dem anderen nicht?
Nein, antwortete Merkel, das fürchte sie nicht, "weil das Verständnis der Länder ja sehr einheitlich ist, das heißt auf der einen Seite Kitaöffnung, das heißt auf der anderen Seite Grundschule im Wechselunterricht." Sie und die Ministerpräsidenten lägen auch nicht meilenweit auseinander, ihre Vorstellung sei der 1. März gewesen. Wenn jetzt einige Länder schon am 22. starteten, andere eine Woche vorher oder eine Woche später, dann sei das, "ein überbrückbarer Rahmen, aber das ist kein völliges Auseinanderlaufen, und ehrlich gesagt, die Differenzen hat es auch vorher schon gegeben. Das Verständnis unserer vorigen Beschlüsse war ähnlich disparat."
Merkel: "Kultushoheit
der Länder akzeptieren"
In der Tat: Im Umgang mit Kitas und Schulen hatten die Länder im Lockdown nie die Geschlossenheit wie bei anderen gesellschaftlichen Bereichen erreicht – was für Kopfschütteln bei Schülern, Eltern und Lehrern sorgte, zugleich aber auch zeigte, dass viele Regierungschefs sich nur notgedrungen oder nur teilweise dem Druck des Bundes beugten. Mit dem Ergebnis, dass der epidemiologische Betrag der Schließungen nie so groß war, wie er hätte sein können. Jedenfalls gibt es keine eindeutig erkennbaren Inzidenzunterschiede zwischen Ländern, die Kitas und Schulen teiloffen hielten, und denen, die sie konsequent geschlossen hatten. Weshalb es Merkel auch leichter gefallen sein dürfte, hier angesichts des Dauerärgers mit den Ministerpräsidenten ihre Position zu räumen.
Die Ministerpräsidenten und sie, kommentierte die Kanzlerin am Abend, hätten gerade heute viel Gemeinsamkeit entwickelt, "und dann muss ich einfach auch als Bundeskanzlerin akzeptieren, dass unsere föderale Ordnung so ist, dass die Kultushoheit einfach in den Ländern liegt." Weil man sich aber insgesamt über den Rahmen so einig sei, "von Friseuren bis zum nächsten Öffnungsschritt", sehe sie eine gemeinsame Philosophie.
Müller sagte, es sei allen Ländern sehr wichtig gewesen, für die Kinder und die Eltern und für die Lehrerinnen und Lehrer ein Stück Perspektive und auch ein Stück Normalität und Planungssicherheit zu bieten. "Wenn wir sagen, wir wollen Präsenzbetrieb an den Schulen ermöglichen, reden wir nicht über das, was wir kennen von Anfang 2020, bevor wir uns mit der Pandemie auseinandersetzen mussten. Sondern wir reden hier über ein schrittweises Hochfahren des Präsenzbetriebes, beginnend an den Grundschulen, und dann auch wieder mit Wechselunterricht, mit Abstands- und Hygieneregeln, mit Luftfiltern und vor allen Dingen mit einem nochmal verstärkten Testeinsatz für die Lehrerinnen und Lehrer, und soweit das jetzt auch möglich ist, mit neuen Testverfahren und Kapazitäten natürlich auch für die Kinder."
Und Müller fügte hinzu: "Wir konnten mit gutem Gewissen diesen Weg gehen." Man wisse durch die Beratung der Wissenschaft: Natürlich gebe es auch Infektionsgeschehen an den Schulen oder ausgelöst von den Schulen oder den Kindern. "Aber nach wie vor sagen uns auch alle Wissenschaftler, auch in der letzten Woche, es gibt keine besonderen Auffälligkeiten bei den Kindern und schon gar nicht bei den ganz Jungen."
Die ersten Kultusminister
frohlocken bereits
Die Kultusminister dürften mit Zufriedenheit auf das Beratungsergebnis schauen. Sie hatten sich am Montag mit ihrer Forderung nach Lockerungen für Schulen schon ab dem 15. Februar weit aus dem Fenster gelehnt – doch ihre Chefs haben sie diesmal (anders als im Dezember, als die KMK die Schulen offen halten wollten) nicht in ihre Schranken verwiesen. Mehr noch: Die Öffnungen werden nach dem Stufenplan laufen, den die KMK bereits im Januar vorgeschlagen hatte, und die Forderung der Kultusminister, das schulische Personal bei den Impfungen prioritär zu behandeln, haben ihre Chefs sogar noch übertroffen. Bund und Länder bitten, wie Kanzlerin Merkel extra noch einmal betonte, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in Absprache mit den Landesgesundheitsministern zu prüfen, ob das Kita- und Schulpersonal nicht sogar von Kategorie 3 in Kategorie 2 aufrücken könne.
Die ersten Kultusminister frohlocken bereits. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) etwa spricht von einem "Sieg für die Bildung, zumindest für für die jüngeren Kinder und für die Familien." Alles bleibe geschlossen, nur die Kitas und Grundschulen könnten ab sofort öffnen. "Wir stehen zu dem Versprechen, dass Bildung und Familien in unserem Land Priorität hat."
Bei anderen wird es Frust geben nach dem heutigen Tag. Bei Geschäftsleuten oder Restaurantbesitzern zum Beispiel, denen die Politik das Inzidenzziel 50 weggenommen und durch die 35 ersetzt hat. Und auch bei denen, die fürchten, dass selbst die 35 immer noch viel zu hoch ist, um sich für eine mögliche dritte Welle zu wappnen.
Die einen Eltern werden sagen, dass sie nicht verstehen, warum ihre Kinder jetzt noch einmal bis zu zwei Wochen warten sollen, bis es wieder – und dann auch nur langsam – losgeht. Und wo ist die Perspektive für die älteren Kinder?, werden andere hinzufügen. Erst recht wird es einige frustrieren, wenn Kitas und Grundschulen in anderen Bundesländern schon jetzt teilweise offen sind oder nie geschlossen waren. Die anderen Eltern, und auch nicht wenige Lehrkräfte, werden es wiederum für eine einseitige Gefährdung halten, dass an den Schulen der Präsenzunterricht schon wieder beginnen soll, während andere Bereiche der Gesellschaft aus Sorge vor den Mutationen noch geschlossen bleiben.
Doch das politische Signal des heutigen Tages ist klar, da hat Ministerin Prien Recht. Das Signal sollte all jene freuen, die sich für Teilhabe und Bildung von Kindern und Jugendlichen einsetzen: Die Politik hat die Sonderrolle von Bildungseinrichtungen durch die Beschlüsse wiederhergestellt. Sie weiß, dass dadurch andere Bereiche der Gesellschaft womöglich etwas länger im Lockdown bleiben müssen. Und sie nimmt das als Preis in Kauf. Sie nimmt auch die Sorgen der Betroffenen ernst, indem sie eine nur schrittweise Öffnung vorsieht und noch dazu endlich mehr Tests an Kitas und Schulen verspricht und wie Müller (Stichwort Luftfilter) eine bessere technische Austattung. Besonders wichtig ist auch, dass Merkel die Priorisierung des pädagogischen Personals beim Impfen in Aussicht stellt.
Nun aber müssen all diese Versprechen auch nachvollziehbar gehalten werden – derzeit werden Kinder und Jugendliche zum Beispiel immer noch nur ein Drittel so häufig getestet wie vor Weihnachten, obwohl die Testkapazitäten insgesamt nur zur Hälfte ausgelastet sind. Die Länder müssen auch sicherstellen, dass alle Hygienevorschriften erfüllt werden, wie sie etwa in der am Montag veröffentlichten S3-Leitlinie beschrieben werden. Sie müssen den Schulträgern genügend Mittel für Desinfektionsmittel, Seife, Masken geben. Der Bund muss die Entzerrung des Schülertransports mitbezahlen. Und die Liste ließe sich noch verlängern.
Kurzum: Wenn die Politik zu den Öffnungen nicht das nötige Begleitpaket liefert, geht das Vertrauen in der Bevölkerung, aber gerade auch an Kitas und Schulen verloren. Und dann zu Recht.
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Isabel Eilhard (Donnerstag, 11 Februar 2021 11:37)
Die Lockdowncascade setzt sich fort. Weiterhin ist ein ganzes Land gefangen in der 14 Tage oder 21 Tage Paralyse. Kreativität und menschliche Lösungsbegabung wie sie in dieser Zeit nötig wäre, wir so im Keim erstickt. Flammende Plädoyers für Friseure zum Karnevalsauftakt - mehr hat die Politik nicht zu bieten. Die Bildungskrise der kommenden Generationen, die seit bald einem Jahr keine reguläre Beschulung haben wird billigend in Kauf genommen. Das Kindeswohls und das Recht der Kinder wird dem Pandemieschutz geopfert. Das affirmative Narrativ dazu: Es sind nur Kinder des Präkariats und aus bildungsfernen Milieus die leiden. Und schon schweigt die Mittelschicht und das Bürgertum. Die Mutter macht jetzt eben stillschweigend Homeoffice HomeWork und Homeschooling. Warum ist das so? Es fehlt in der Politik an Mut und an der Einsicht, dass wir zukünftig ein Leben mit COVID organisieren müssen. Ein Leben mit dem Virus und seinen Mutanten muss in den Blick genommen werden. Ansonsten zieht das Leben an allen vorbei - nur das Virus wird bleiben