Deutschland hatte schon vor Corona ein Innovationsproblem. Die "Innovationserhebung 2020" zeigt: Vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen investieren immer weniger in neue Ideen, Produkte und Prozesse. Was tun?
Bild: Merry Christmas / Pixabay.
AUF DEN ERSTEN BLICK sehen die Zahlen gar nicht schlecht aus. Die deutschen Unternehmen wollten im Pandemiejahr 2020 kaum weniger in Innovationen investieren als 2019. Ihre diesbezüglichen Ausgaben sanken den Planungen zufolge um 2,2 Prozent – was die Forscher des ZEW Mannheim "vergleichsweise robust" nennen angesichts eines prognostizierten Rückgangs der deutschen Wirtschaftsleistung in 2020 von mehr als fünf Prozent. Zumal das Jahr 2019 mit 176,9 Milliarden Euro unternehmerischen Innovationsausgaben einen absoluten Rekord markiert hatte: ein Plus von 2,1 Prozent gegenüber 2018.
Der zweite Blick auf die "Innovationserhebung 2020" führt allerdings zu weniger ermutigenden Schlussfolgerungen, und das hat nicht nur mit aktuellen Krisenfolgen, sondern mit längerfristigen, besorgniserregenden Trends zu tun.
Wie jedes Jahr hat das ZEW die Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und in Zusammenarbeit mit dem Institut für angewandte Sozialwissenschaften (Infas) und dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) durchgeführt. Sie stützt sich auf zahlreiche statistische Indikatoren, beobachtet, was die einzelnen Branchen in neue Technologien, Produkte und Prozesse investieren, und unterscheidet die Innovationsausgaben auch nach der Größe der Unternehmen.
Und da zeigt sich: Das berichtete moderate Minus von 2,2 Prozent reflektiert nicht nur den Planungsstand von Mitte 2020 – als die erste Pandemiewelle gerade glimpflich überstanden war, viele eine rasche wirtschaftliche Erholung erwarteten und die Gefahr einer zweiten Welle zunehmend theoretisch erschien. Die -2,2 Prozent verdecken auch, dass trotz der vermutlich noch optimistischen Planzahlen die kleinen und mittleren Unternehmen mit einem massiven Minus von 8,7 Prozent planten – während die Großunternehmen gerade mal 0,9 Prozent weniger für Innovationen ausgeben wollten.
60 Prozent der Arbeitnehmer,
12 Prozent der FU-Aufwendungen
Das hängt mit der Krise zusammen, ist aber nur eine Verstärkung einer schon vorher angelaufenen Entwicklung. So hatten die KMUs schon im Rekordjahr 2019 ihre Innovationsausgaben kaum noch gesteigert (+0,4 Prozent), während die Konzerne 2,4 Prozent drauflegten. Und 2021 wollten die kleinen und mittleren Unternehmen erneut um fünf Prozent kürzen, während die Großen zwei Prozent drauflegen wollten – und das war der, siehe oben, vermutlich noch positive Ausblick von Mitte 2020.
So wird die Innovationslücke zwischen den Großunternehmen und dem Rest der deutschen Wirtschaft immer so größer, was in mehrfacher Hinsicht gravierend ist. Erstens weil Firmen mit weniger als 500 Mitarbeitern und maximal 50 Millionen Euro Jahresumsatz das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden: Sie stehen für 54 Prozent der nationalen Wertschöpfung und fast 60 Prozent der Arbeitnehmer. Zweitens weil ihr Anteil an den deutschen FuE-Aufwendungen schon vor der Krise mit zwölf Prozent relativ gering war. Was vor allem am hohen Anteil der Dienstleistungsbetriebe bei den Kleinen liegt, bei denen die Innovationsausgaben nur 1,6 Prozent des Umsatzes ausmachen – gegenüber 4,8 Prozent bei Industrieunternehmen.
Drittens ist die Innovationslücke zwischen Groß und KMU auch deshalb gravierend, weil mit dem Wachstum der Innovationsausgaben in den Großunternehmen die Innovationserfolge der deutschen Wirtschaft nicht mehr automatisch ebenso stark zugenommen haben. Soll heißen: Es wird zwar mehr in Innovationen investiert, aber nicht mehr Umsatz mit den Innovationen erzielt. So berichtet das ZEW, dass der Unternehmensumsatz, der mithilfe von Produktinnovationen entstand, schon 2019 um 6,4 Prozent auf 744 Milliarden Euro sank. Und bei den frisch eingeführten Marktneuheiten kamen die deutschen Unternehmen insgesamt nur noch auf 156 Milliarden Umsatz, sogar 12,2 Prozent weniger als im Jahr zuvor.
Offenbar innovieren manche Unternehmen also an den Erwartungen des Marktes vorbei. So war auch 2019 die Branche mit dem höchsten Umsatzanteil von Produktinnovationen (45 Prozent versus 13,7 Prozent in der Gesamtwirtschaft) und von Marktneuheiten (10,9 Prozent versus 2,9 Prozent): der Fahrzeugbau. Was angesichts der (schon vor Corona heftigen) Krise der deutschen KFZ-Industrie darauf hindeutet, dass Ausgaben für Innovationen nicht zwangsläufig zu einer Selbsterneuerung führen.
Auf und Ab bei
der Innovatorenquote
Schließlich ein Blick auf die nicht nur symbolisch wichtige sogenannte Innovatorenquote. Sie umfasst alle Unternehmen, die in den zurückliegenden drei Jahren neue oder verbesserte Produkte oder Prozesse eingeführt haben, und lag 2019 bei 54,5 Prozent – nach 60,5 Prozent 2018 und 56,3 Prozent 2016. Ein Auf und Ab also – insgesamt aber ein deutlicher Rückgang gegenüber den 69,5 Prozent, die das ZEW für das Jahr 2008 angibt. Das aktuelle Minus begründen die Forscher mit der deutlich höheren Anzahl der deutschen Unternehmen insgesamt, fügen allerdings hinzu, die Innovatorenquote wäre wohl auch ohne diesen Mengeneffekt 2019 gesunken.
Auch hier zeigt sich wieder der deutliche Unterschied zwischen Großunternehmen (82 Prozent Innovatorenquote, sogar noch etwas mehr als 2018) und den KMU (53,7 Prozent).
Dass Deutschland, gemessen an den Innovationsausgaben, zu "den innovationsfreudigsten Ländern der Welt" gehört, wie ZEW-Präsident Achim Wambach am Freitag hervorhob, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das Innovationssystem der Bundesrepublik in einer zunehmenden Schieflage befindet.
Doch fällt der Politik dazu offenbar nicht viel Neues ein. BMBF-Chefin Anja Karliczek (CDU) verwies vor dem Wochenende auf die Einführung der steuerlichen Forschungszulage, die in der Phase des Aufschwungs "eine entscheidende Stütze" sein "und vor allem Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten von KMU stärken" werde. Auch die Agentur für Sprunginnovationen habe ihre Arbeit bereits aufgenommen und werde "in Zukunft neue Impulse setzen".
Nur hatte Karliczek damit exakt dieselben zwei Belege einer ihrer Meinung nach vorausschauenden Innovationspolitik wie bereits bei der Vorstellung der "Innovationserhebung 2019" vergangenes Jahr angeführt.
Als neue Beispiele politischen Ehrgeizes nannte die Ministerin immerhin die grüne Wasserstofftechnik, den neuen Datenübermittlungssstandard 6G und das Quantencomputing. "Wir müssen alles tun, um bei diesen Technologien mit vorn dabei zu sein." Auch gelte es neue Abhängigkeiten Deutschlands von nichteuropäischen Anbietern wie bei einigen bestehenden Technologiefeldern zu verhindern.
Die Antworten der Politik
reichen nicht
Die Zuse-Gemeinschaft, ein Zusammenschluss privater Industrieforschungseinrichtungen, forderte derweil "dringend gezielte Anreize für die verbesserte Teilhabe des Mittelstands am Transfer von FuE in die Wirtschaft." Die steuerliche Forschungsförderung, in welche die Bundesregierung große Hoffnungen setze, könne allenfalls Teil der Lösung sein, sagte Zuse-Sprecher Alexander Knebel. "Benötigt wird vielmehr ressortübergreifend eine gezielte Stärkung der Projektförderung", also von Programmen des BMBF und des Wirtschaftsministeriums. "Dazu gehört eine bundesweite Öffnung des Programms INNO-KOM für die gemeinnützige Industrieforschung als wichtigem Schritt, um überregional den Transfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft zu verbessern."
Doch hat die Bundesregierung einen Großteil ihrer Forschungsförderung bis 2030 bereits über den Pakt für Forschung und Innovation (PFI) den großen außeruniversitären Forschungsorganisationen von Max Planck bis Helmholtz versprochen: Sie erhalten bis Ende des Jahrzehnts garantiert drei Prozent zusätzlich – jedes Jahr. Dafür leisten sie teilweise herausragende Grundlagenforschung – doch beim Transfer der Forschungsergebnisse in die Wirtschaft, bei ihrer Umsetzung in neue Firmen und Produkte, sieht ihre Bilanz bislang eher mau aus.
Die im PFI gemachten Budget-Zusagen zu erfüllen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Wissenschaftspolitik in den nächsten Jahren, die absehbar von Sparhaushalten auch im Bund geprägt sein werden. Doch spüren die großen Forschungsorganisationen im Gegenzug den zunehmenden Erwartungsdruck, beim Transfer besser zu werden.
Doch selbst das wird nicht reichen, da hat die Zuse-Gemeinschaft Recht. Neue zielgenaue Unterstützungsprogramme für innovative KMU müssen her – und zwar schleunigst, wenn der weitere Absturz der deutschen Innovationsdynamik verhinderte werden soll. Die "Innovationserhebung 2020" zeigt jedenfalls unmissverständlich: Die Zeit zum Handeln beim Mittelstand ist jetzt.
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Peter Ritzenhoff, Vorsitzender der Hochschulallianz für den Mittelstand (HAfM) (Montag, 15 Februar 2021 11:41)
Die Analyse bestärkt die Forderung zur Einrichtung einer Deutschen Transfergemeinschaft DTG (s.a. https://www.jmwiarda.de/2021/01/19/h%C3%A4ufiger-mal-nach-den-sternen-greifen/). Die Innovationspotenziale des Mittelstands brauchen eine systematische Unterstützung. Aufgrund der im Mittelstand vielfach knappen Personalstrukturen, braucht es dafür auch strategische Kooperationen im Bereich der angewandten Forschung und Entwicklung. Hochschulen für angewandte Wissenschaften bieten sich hier als Kooperationspartner geradezu an. Aus erfolgreichen Entwicklungsprojekten entstehen Innovationen im Mittelstand. Zudem tragen neben dem Wissen- und Know-how-Transfer auch der Personal-Transfer von Nachwuchswissenschaftler:innen aus den HAW dazu bei, dass die Fachkompetenz bei den Unternehmen in der Folgezeit gesichert ist.
Leander K (Montag, 15 Februar 2021 16:55)
Ist dieser Transfer in die KMUs nicht auch Aufgabe der Fraunhofer-Gesellschaft? Mein Wissen in diesem Bereich ist begrenzt, aber ich habe Gedacht dies ist der Grund weshalb wir in Deutschland überhaupt diese Einrichtungen haben. Ich höre eigentlich nur negatives, aber dies kann auch etwas Neid anderer Einrichtungen sein, die meinen es besser zu machen.