Der Auftakt zur neuen "Initiative digitale Bildung" mit Bundeskanzlerin Merkel war gut inszeniert – aber was war wirklich neu? Und was versteckt sich hinter den Projekttiteln?
EINE MISCHUNG AUS digitalpolitischen Grundsatzreden, neuen Absichtsbekundungen und bereits bekannten Initiativen prägte die mit großem Bahnhof angekündigte Auftaktveranstaltung der neuen "Initiative digitale Bildung" der Bundesregierung.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) bestritten den Online-Dialog "#bildungdigital" mit Lehrkräften, Bildungsexperten und KMK-Präsidentin Britta Ernst (SPD).
Die Pandemie habe den Alltag gravierend verändert, sagte Merkel. "Die Kontaktbeschränkungen, die Sorgen um die eigene Gesundheit oder die von Verwandten, die eingeschränkte Freiheit, der Verzicht auf Reisen. Wir werden das alles eines Tages hinter uns lassen. Eins wird aber sicher bleiben: Unser Leben ist digitaler geworden." Kinder und Jugendliche seien jetzt über eine lange Strecke digital und zu Hause unterrichtet worden, Studierende lernten in virtuellen Hörsälen. Berufstätige diskutierten mit Kolleginnen und Kollegen von zu Hause aus über Videokonferenzen. "Das alles ist aus der Krise dieser Pandemie geboren, aber wir können es auch als Rückenwind sehen. Rückenwind, den wir nutzen wollen, um der digitalen Bildung in Deutschland einen kräftigen Schub zu verleihen."
Die Nationale Bildungsplattform als
Kern der neuen Initiative
Merkel kündigte an, dass eine neue nationale Bildungsplattform entstehen solle mit Zugang für alle Menschen unabhängig von ihrer Vorbildung.
Eine solche Bildungsplattform hat die Große Koalition schon länger vor. Der GroKo-Koalitionsausschuss hatte sich am 26. August 2020 auf ihre Einrichtung verständigt. Seitdem wurden unterschiedliche Konzepte dazu diskutiert. Teil der Plattform soll ein länderübergreifendes Identitätsmanagement sein, das derzeit über Vidis bereits für Schüler und Lehrkräfte umgesetzt wird. Der Bildungsjournalist Christian Füller twitterte heute Nachmittag: "Das Projekt Vidis wird zum Türöffner für den neuen Großen Bildungsraum."
Bildungsministerin Karliczek erläuterte: Ein "Digitaler Bildungsraum" solle Vermittlung, Erwerb und Weiterentwicklung digitaler Kompetenzen in allen Bildungsbereichen und über alle Bildungsphasen hinweg vernetzen. "Wir wollen bestehende und neue digitale Bildungsplattformen zu einem bundesweiten und europäisch anschlussfähigen Plattform-System verknüpfen." Kernelement sei die nationale Bildungsplattform, die "Taktgeber" werden solle für alle Bildungsbereiche.
Karliczek betonte, die Regierung läute "jetzt eine weitere Phase in der Digitalisierung der Bildung ein". Ziel sei es, den Lernenden einen Bildungspfad zu eröffnen, der nicht auf eine Bildungseinrichtung oder einen Bildungsabschnitt begrenzt sei, sondern die gesamte Bildungskarriere unterstütze. "Daher der zentrale Gedanke der Vernetzung. Dieses Projekt soll also keine neue Lernplattform im engeren Sinne sein."
Viel konkreter wurde es heute indes nicht.
Pikant ist, dass die Länder in die Planungen zur nationalen Bildungsplattform nicht eingebunden waren, was KMK-Generalsekretär Udo Michallik in der FAZ kritisierte. Für die Entwicklung der Bildungsplattform habe das Bundesbildungsministerium Mittel in bedeutender Höhe aus dem Deutschen Aufbau- und Resilienzplan (DARP), also aus EU-Konjunkturmitteln, beantragt. "Es ist bedauerlich, dass die Bildungsplattform, die explizit auf die Vernetzung der Akteure angelegt Ost, ohne Beteiligung der Länder entwickelt wird", kritisierte Michallik laut FAZ.
Karliczek sprach von einem "komplexen Projekt, dessen Umsetzung eine gewisse Zeit benötigen wird". Idealerweise sollten in den nächsten Jahren damit Jeder und Jede auf einfache Weise das für sich passende Angebot finden: "Lehrer gutes digitales Unterrichtsmaterial und passende pädagogische Unterstützung, Arbeitnehmer Portale für die Weiterbildung, Ausbilder und Prüfer Beispiele guter Praxis und hilfreiche digitale Werkzeuge." Auch die Volkshochschulen würden vertreten sein. Zudem sollten die Bürger hier ihre Zeugnisse und Diplome verschlüsselt und sicher ablegen können. "Das ist ein großes Projekt für die Modernisierung der Bildung in den nächsten Jahren."
"Schultransform", Volkshochschul-App
und Digitalpakt-Milliarden
Weiter sagte Karliczek, Schulen, die mitten in der Digitalisierung steckten, sollte mithilfe von "SchulTransform" geholfen werden. "Das Tool hilft zum Beispiel den Rektoren zu erkennen, welche Schritte bei der Digitalisierung zu beachten sind. Digitalisierung bedeutet mehr als nur die Einbindung von Technik. Wir wollen erreichen, dass die Schulen darüber untereinander Erfahrungen austauschen. Der künftige Digitale Bildungsraum muss insgesamt mehr durch Zusammenarbeit – Stichwort gemeinsame Standards und Verfahren – gekennzeichnet sein."
Das Projekt "SchulTransform" des Bündnisses für Bildung (BfB) ist allerdings ebenfalls nicht neu. Es wurde erstmals beim Digitalgipfel der Bundesregierung im vergangenen Jahr vorgestellt, eine erste Version der Plattform ist bereits online.
Zudem verwies Karliczek auf den Digitalpakt Schule, über den allein der Bund 6,5 Milliarden Euro für digitale Infrastrukturen, Endgeräte und IT-Administratoren zur Verfügung stellt. Hier hatte das BMBF vergangene Woche teilweise ernüchternde Zahlen zum Stand des Mittelabrufs veröffentlicht.
Kanzlerin Merkel sagte, ein Grundverständnis für digitale Angebote und ein kompetenter Umgang mit ihnen würden immer wichtiger – "nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch, um im Alltag gut zurechtzukommen. Deshalb sollen alle Menschen die Möglichkeit haben, digital dazuzulernen."
Gerade viele ältere Menschen würden sich mehr Hilfsangebote wünschen, fügte Merkel hinzu und verwies auf die neue Lern-App "Stadt/Land/DatenFluss", die entwickelt vom Volkshochschul-Verband ab sofort zum Herunterladen bereitsteht. "Sie richtet sich an alle, die sich über das Thema Daten informieren und mehr über selbstbestimmte Datennutzung lernen möchten."
Bekannte Projekte,
neue Erzählung?
Der Lehrer und Digitalexperte Dejan Mihajlović twitterte: "Verstehe ich das richtig, dass die Initiative Digitale Bildung (wer auch immer das ist, hinter den Broschüren) denkt, dass jetzt eine bundesweite Zusammenarbeit beim Thema "Digitale Bildung" beginnt, weil die "richtigen" (wichtigen) Personen das beschließen?"
Lina Rusch kommentierte bereit am Morgen im Tagesspiegel-Background "Digitalisierung und KI": "Der Digitalpakt Schule sollte die Digitalisierung an Schulen voranbringen, doch die Negativschlagzeilen wollen nicht enden. Mit der Initiative Digitale Bildung, die die Kanzlerin und Bildungsministerin Anja Karliczek heute starten, beginnt eine neue Erzählung."
Die Erzählung, die dazu aus der SPD kommt, klingt anders. "Was macht Frau Karliczek eigentlich beruflich?", fragte SPD-Chefin Saskia Esken im RND-Podcast "Die Schulstunde". Und der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, sagte: "Die Bundeskanzlerin hat offensichtlich die Geduld mit der Bildungsministerin verloren und das Thema Digitale Bildung an sich gezogen. Dieser Schritt ist nachvollziehbar, denn bei zentralen Zusagen, die Ministerin Karliczek den Ländern und damit den Schulen gegeben hat, warten wir seit Monaten auf Umsetzung." Als Beispiele nannte Kaczmarek die angekündigten günstigen Mobilfunkverträge für bedürftige Schüler*innen, die digitalen Kompetenzzentren oder die heute erneut angekündigte nationale Bildungsplattform. "Der Bundestag hat viel Geld zur Verfügung gestellt, aber die Ministerin liefert nicht."
Den Stand der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zu den digitalen Kompetenzzentren hatte ich vergangene Woche berichtet.
Die SPD-Fraktion fordere eine digitale Lernmittelfreiheit für alle, sagte Kaczmarek. "Das heißt: Schnelle Leitungen, Endgeräte und gute Lernsoftware müssen für alle dauerhaft zur Verfügung gestellt werden. Wir brauchen jetzt einen echten Bildungsaufbruch für Deutschland, der die richtigen Lehren aus Corona zieht."
Grüne: Gefahr einer
eierlegenden Wollmilchsau
Die grüne Sprecherin für Bildungspolitik, Margit Stumpp, sprach von einem "Trauerspiel, dass die Kanzlerin ein Jahr Schulkrise in der Pandemie braucht, um zu merken, dass Bildungsministerin Karliczek überfordert ist und Bildung endlich Chefinnensache werden muss." Zu viel Zeit sei versäumt worden und das Chaos und die Unzufriedenheit an den Schulen würden immer größer. "Dafür trägt auch die Kanzlerin die Verantwortung."
Eine ambitionierte bundesweite Bildungsplattform biete "großes Potential, wenn die Schnittstellen offen und die Angebote niedrigschwellig und qualitätsgeprüft sind." Stumpp verwies auf einen entsprechenden Vorschlag, den die Grünen bereits vor einem Jahr gemacht hätten.
Sie warnte: "Die Gefahr bei einer solchen eierlegenden Wollmilchsau – und so ist der Bildungsraum konzipiert – ist, dass die Ansprüche nicht eingehalten und die hohen Erwartungen nicht erfüllt werden können." Daher müsse sichergestellt werden, dass die neue Plattform die bestehenden Angebote einschließe, zusammenfasse und einordne. "Parallelstrukturen gilt es unbedingt zu vermeiden." Auch müsse der dauerhafte Betrieb gesichert sein. "Da ist der Bund in der Pflicht. Das letzte Jahr hat eindrücklich gezeigt, dass es feste Strukturen braucht und kein neues Projektfeuerwerk, das nicht über die nächste Wahl hinaus wirkt."
CDU-Fraktion: Umsetzung
jetzt weiter konkretisieren
Tankred Schipanski, der digitalpolitische Sprecher der CDU-/CSU-Fraktion, verwies darauf, dass die Koalitionsfraktionen sich bereits im vergangenen Jahr auf die Einrichtung einer bundesweiten Bildungsplattform und digitaler Kompetenzzentren verständigt hätten. Ziel sei es, insbesondere die Defizite beim digitalen Lernen an deutschen Schulen zu beheben. "Die Initiative 'Digitale Bildung' des BMBF leistet hierzu einen ersten Beitrag, indem für die bundesweite Bildungsplattform die notwendige Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden soll." Wichtig sei, sagte Schipanski, dass die operative Umsetzung nun weiter konkretisiert werde. "Das betrifft die Integration von existierenden Angeboten der Bundesländer in die Plattform, die Ausgestaltung der Schnittstellen oder auch wie der Nutzer qualitätsvolle, kommerzielle Angebote in der Plattform findet." Ebenfalls müsse noch näher dargelegt werden, "wie die Qualitätssicherung der Angebote erfolgt sowie gegebenenfalls deren Zertifizierung".
Erstaunlich distanziert blickt Schipanski auf den Verhandlungsstand bei den digitalen Kompetenzzentren. "Insbesondere mit Blick auf eine verbesserte digitale Schulbildung scheint das BMBF nunmehr verstärkt auf die digitalen Kompetenzzentren zu setzen, die jetzt zügig ihre Arbeit aufnehmen müssen", sagte er. "Gerade für den Bereich der prioritären Lehrerfortbildung hoffe ich auf noch konkretere Antworten im Rahmen der Initiative."
Der Artikel wurde am 23. Februar aktualisiert.
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