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Das richtige Statement, nur leider zu spät

Die Hochschulrektorenkonferenz fordert die Politik auf, die Studierenden und die Hochschulen nicht zu vergessen. Leider tat sie es erst nach dem jüngsten Corona-Gipfel. Und jetzt?

Wann wird es wieder Leben an den Hochschulen geben? Foto: thelester / Pixabay.

DOCH, DOCH, die Stimme der Hochschulen hat gesprochen. Am Freitag war das. Da meldete sich Peter-André Alt, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), per Pressemitteilung zu Wort. Auch die Studierenden und Hochschulen, sagte er, hätten "ein großes Interesse, wo möglich zumindest teilweise und differenziert in einen sicheren Präsenzbetrieb zurückzukehren. Wir haben Studierende, die seit zwei Semestern immatrikuliert sind und ihre Hochschule und Kommilitonen noch nie in Präsenz erlebt haben."

 

Es waren Sätze, wie man sie so ähnlich von allen möglichen Interessenverbänden, Berufsvereinigungen und Lobbygruppen gehört hatte, die von der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten eine klare Öffnungsperspektive für sich und ihre Mitglieder verlangt hatten. Nur hatten sie allesamt ihre Forderungen vor Mittwochmittag in die Republik herausgerufen. Also bevor sich die Regierungschefs von Bund und Ländern zu ihrem neunstündigen Corona-Gipfel zusammenschalteten, bei dem viel Streit und ein umstrittener Stufenplan herauskam. 

 

Allein die HRK, der Club der Hochschulchefs, der sich selbst mit dem Claim "Die Stimme der Hochschulen" versehen hat, wartete mit seinem Statement bis zwei Tage nach den Beschlüssen. In denen dann Restaurants, Einzelhandel, Hotels, Kinos oder Opernhäuser einen Platz im Öffnungsreigen zugeteilt bekamen, die Hochschulen aber, an denen drei Millionen Studierende lernen und hunderttausende Mitarbeiter lehren und forschen, auf 13 Seiten plus Stufenplan-Grafik mit keinem einzigen Wort erwähnt wurden.

 

Ignoriert? Missachtet?
Verpennt?

 

Kommt das dabei heraus, wenn gegenüber Wissenschaft und Forschung ignorante Ministerpräsidenten tagen? Handelt es sich um den Ausdruck einer Gesellschaft, die akademische Bildung geringer schätzt als die Mass im Biergarten oder den neuen James-Bond-Film? Oder war das auch die Konsequenz verpennter Lobbyarbeit durch die Spitzenrepräsentanten der Hochschulen?

 

Fest steht: Bis vor kurzem hat die Hochschulrektorenkonferenz die Lage offenbar völlig anders eingeschätzt. Gefragt nach einer Öffnungsperspektive für die Studierenden, sagte Peter-André Alt Ende Januar in einem Interview für meinen Newsletter, als HRK fahre man in diesem Punkt eine "Politik der Zurückhaltung. Ich weiß, dass einige Lehrende sich hier mehr Nachdruck von uns wünschen würden, aber ich halte nicht viel davon, in einer pandemisch so wackligen Situation Forderungen aufzustellen, die am Ende nicht umsetzbar sind." Und Alt, der früher Präsident der Freien Universität (FU) Berlin war, sagte weiter: "Hochschulen sind Großeinrichtungen. Wir werden erst wieder zu einem vollen Präsenzbetrieb kommen können, wenn ein hohe Anteil der Menschen in Deutschland geimpft ist, inklusive der Studierenden selbst."

 

Mit anderen Worten: Die HRK wollte lange gar keine Öffnungsperspektive für die Hochschulen fordern. 

 

Zwei Uni-Präsidenten waren zu Beginn des damaligen "Wellenbrecher"-Shutdowns sogar so weit gegangen, Wirtschaftsbetrieben bei möglichen Öffnungen freiwillig den Vorzug einzuräumen. Die Schließungen würden irgendwann vorbeigehen, "und die Hochschulen sind dann immer noch da", sagte der Mainzer Unichef Georg Krausch. "Gaststätten, Kulturbetriebe und andere kleinere Unternehmungen, an denen persönliche Existenzen hängen, sind es irgendwann nicht mehr. Das ist der Unterschied." Und Günter M. Ziegler, Alts Nachfolger als FU-Präsident, sagte, Digitalsemester seien "keine Dauerlösung, aber es funktioniert für eine gewisse Zeit. Und genau das kann ein Restaurant, wenn es keine Gäste empfangen darf, eben nur sehr bedingt."

 

Zumindest Alt hat mit seiner im Januar zur Schau getragenen, demonstrativen Zurückhaltung auch in der aktuellen Situation noch einen Punkt. Denn schaut man sich die Kurve der Corona-Neuinfektionen seit Mitte Februar an, ist fraglich, ob viele der im Bund-Länder-Stufenplan erwähnten Öffnungen überhaupt Realität werden in den kommenden Wochen. Insofern macht die Nicht-Erwähnung von Hochschulen und Studierenden womöglich faktisch keinen Unterschied, und man hat ihnen zumindest falsche Hoffnungen erspart.

 

Die symbolische Wirkung
der Nicht-Berücksichtigung

 

Und doch haben Alt und die HRK etwas nicht bedacht. Nämlich die symbolische Wirkung dessen, dass die Hochschulen nur in einem einzigen der Bund-Länder-Beschlüsse seit Beginn der zweiten Welle erwähnt wurden, und zwar in dem vom 25. November – verbunden mit der Ansage, dass sie grundsätzlich auf digitale Lehre umstellen sollen. Alt und die HRK haben unterschätzt, dass es in den Corona-Beschlüssen nicht nur um das faktische Zugeständnis möglicher Lockerungen geht, sondern dass sie zugleich das Signal an die Erwähnten senden: Ja, wir sehen eure Not. Ihr seid wichtig für uns und unsere Gesellschaft.

 

Der Master-Student und Journalistenschüler Lukas Kissel schrieb im Spiegel einen Offenen Brief an die Politik: "Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, wie es bei uns gerade so läuft." Er habe in diesem Wintersemester seinen neuen Studiengang angefangen. "Ich kann dir sagen, es ist komisch, zurzeit in eine neue Stadt zu ziehen. So ohne Partys, ohne Kneipentouren, ohne Gelegenheiten, Menschen kennenzulernen. Aber ich will mich nicht beschweren. Sonst heißt es wieder, die jungen Leute hätten nur Feiern im Kopf." Doch habe er gehofft gehabt, in der vergangenen Woche von der Politik zu hören. Aber in den Beschlüssen seien die Studierenden mit keinem Wort erwähnt. "Die Wirtschaft fordert seit Wochen eine Perspektive. Ich hätte auch gern eine."

 

Die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, Julia von Blumenthal, twitterte direkt nach den Bund-Länder-Beschlüssen: "In der Phase der Schließung hatte ich mit der geringen Aufmerksamkeit wenig Probleme, da wir Gestaltungsspielraum hatten, den wir verantwortlich ausgefüllt haben. Das ist jetzt anders. Es geht ja auch nicht um Aktionismus, aber um einen angemessenen Platz im Stufenplan."



Den die HRK, das muss man ihr vorwerfen, nicht einmal dann gefordert hatte, als sich vor der aktuellen Corona-Gipfelrunde abzeichnete, dass es tatsächlich einen solchen Plan geben würde. 

 

Wer ihre Wortmeldung zwei Tage später als eine Folge schlechten Gewissens und zunehmenden Drucks aus den Reihen der Mitglieder sieht, dürfte insofern nicht ganz falsch liegen. Allerdings kommen auch in der Pressemitteilung vom Freitag die Wörter "Öffnungsperspektive" oder "Stufenplan" gar nicht vor, stattdessen lautet Alts Forderung: Studierende und Hochschulen nach den jüngsten Bund-Länder-Beschlüssen "mitdenken".

 

Es ist das Bemühen, jetzt wenigstens verspätet das sichtbare Commitment der Politik für die Hochschulen und die Wissenschaft einzufordern, das umso wichtiger wird, wenn – wie in Niedersachen oder Bremen – heftige Sparmaßnahmen drohen und immer absehbarer wird, wie stark auch die Wissenschaft zum Stopfen der Corona-Haushaltslöcher herangezogen werden könnte.

 

Und was ist mit den
Wissenschaftsministern?

 

Doch wäre es zu einfach, allein der Hochschulrektorenkonferenz ihre verstolperte Lobbyarbeit vorzuhalten. Die Wissenschaftsminister von Bund und Ländern müssen sich ebenfalls fragen lassen, warum sie keinen plakativen Beschluss, keinen kollektiven Aufruf an die Adresse von Kanzlerin und Ministerpräsidenten hinbekommen haben, wie ihn die Kultusminister unermüdlich immer wieder aufs Neue fassen – zuletzt zwei Tage vor dem Corona-Gipfel ihrer Regierungschefs. Man kann den Kultusministern viel vorwerfen, aber sicherlich nicht, dass sie sich nicht lautstark genug für die Berücksichtigung der Schulen eingesetzt haben. Man kann den Wissenschaftsministern vorwerfen, dass sie genau dies vor dem Bund-Länder-Beschluss für die Hochschulen nicht getan haben.

 

In den Tagen nach Mittwoch begannen sich Wissenschaftler und Studierenden dann zu fragen, ob und wie trotz des fehlenden bundesweiten Rückenwindes wenigstens ihr eigenes Bundesland an die Hochschulen denken würde, wenn es seine Corona-Verordnungen auf den neuesten Stand bringt. Würde da etwas von perspektivischen Öffnungsschritten stehen, womöglich gekoppelt an Schnelltests, oder von anderen Dingen, die im Bund-Länder-Beschluss für andere gesellschaftliche Bereiche aufgeführt werden? Stand Montagmorgen gilt: Wenn, dann sind je nach Bundesland bis auf Weiteres nur minimale Lockerungen vorgesehen, in Brandenburg etwa sind jetzt Lehrveranstaltungen an Hochschulen zulässig, "die eine zwingende Präsenz erfordern (insbesondere Laborarbeiten)". Schleswig-Holstein erlaubt zum Beispiel wieder Praxisveranstaltungen – so wie bereits im "Wellenbrecher-"Lockdown bis Mitte Dezember. Vorgaben zu Tests fehlen auch im nördlichsten Bundesland bislang. Genau wie anderswo: Wenig bis keine Bewegung.

 

Immerhin: HRK-Präsident Alt hat am Freitag die richtigen Worte gefunden. Er verwies auf die in den Beschlüssen enthaltenen Passagen zu Testkonzepten und Schnelltests an Schulen (spätestens ab April mindestens ein Schnelltest pro Woche für Personal und Schüler),  womit er die Hochschulen auf eine ähnliche Bedeutungsstufe hob. Zugleich betonte er aber, die Überlegungen zu den Schulen könnten nicht direkt auf die Hochschulen übertragen werden, sondern müssten angepasst und mit Blick auf den logistischen Aufwand mit den entsprechend großen Ressourcen für die Hochschulen unterlegt werden.

 

Und der HRK-Vizepräsident für Governance, Lehre und Studium, Oliver Günther verlangte, alle Mitarbeiter an Hochschulen müssten ebenso auf  kostenlose Schnelltests zurückgreifen können, wie dies für Angestellte von Unternehmen geplant sei. Günther, im Hauptberuf Uni-Präsident im Potsdam, sprach von "Gleichbehandlung" und "Anerkennung der in den Hochschulen erbrachten Lehr- und Forschungsleistungen für die Gesellschaft" und erinnerte daran, "dass Forschung an Hochschulen gerade die positiven Entwicklungen durch Impfungen erst ermöglicht hat."

 

Und er betonte: Wenn über Test- und Impfstrategien wieder mehr Präsenzlehre möglich sei, "sollten diese Optionen auch genutzt werden." Was natürlich voraussetzt, dass die Hochschulrektorenkonferenz dann auch mal anfängt, explizit einen Rang im Stufenplan einzufordern. 



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