Eine 10-Euro-Bildungsflatrate für alle: So lautete eines der GroKo-Versprechen an die von Schulschließungen geplagten Familien. Ein halbes Jahr später gibt es eine bürokratische Konstruktion, enttäuschte Eltern und alte soziale Ungerechtigkeiten.
Foto: "Lernen mit Laptops", Forum Bildung Digitalisierung e. V., Wiebke Volkmann, CC BY 4.0
DER BRIEF WAR freundlich im Ton. "Ich verstehe gut, dass die unterschiedlichen Aussagen zur Übernahme der Kosten für die Bildungsflatrate Anlass zur Nachfrage geben", schrieb der Mitarbeiter im Bundessozialministerium an Peter Wiegand (Name geändert). Doch könne er angesichts von anderen "deutlichen Verbesserungen... eine ergänzende und zusätzliche Übernahme der Kosten für die Bildungsflatrate nicht in Aussicht stellen."
"Mit anderen Worten", sagt Peter Wiegand, Hartz-IV-Bezieher und alleinerziehender Vater eines 17-jährigen Sohnes: "Die Ärmsten bleiben mal wieder auf den Kosten sitzen." Er habe das schon befürchtet und deshalb Anfang Januar eine Mail an Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) geschrieben. Immerhin: Eine Antwort des Ministeriums hat er sieben Wochen später bekommen. Allerdings war es auch schon sein vierter Brief seit 2019 mit der schon vor Corona immer gleichen Frage: Wer zahlt den Kindern von Hartz-IV-Beziehern den Zugang zum Internet, wenn sie ihn für die Schule brauchen?
Es gehörte zu den Versprechen des informellen Bildungsgipfels im vergangenen August im Kanzleramt: Alle Schüler sollen einen kostengünstigen Internetanschluss zu Bildungszwecken erhalten. Für rund 10 Euro im Monat, verabredeten Bundeskanzlerin Merkel, SPD-Chefin Esken, Bundesbildungsministerin Karliczek und eine Abordnung von Landeskultusministern.
Und tatsächlich wurde dann erstaunlich schnell eine vermeintlich einfache Lösung präsentiert: Telekom, Vodafone und O2, die drei Anbieter mit bundesweitem Handynetz, brachten nach Verhandlungen mit der Bundesregierung reine Bildungs-Datentarife auf den Markt, für zehn Euro netto, also mit 11,90 Euro brutto fast auf dem versprochenen Level.
Doch das war auch das einzig Einfache an dem Modell: Denn Schüler können den neuen Tarif nicht einzeln beantragen, sondern die Bildungsflatrates gibt es nur über die Schulträger. Das habe, erläutert das Bundesbildungsministerium, zwei Gründe: "Für die Anbieter ist mit Paketen von Nutzerzugängen, die durch die Schulträger verteilt werden, natürlich ein im Vergleich zu Einzelverträgen reduzierter Aufwand verbunden. Weit wichtiger ist aber, dass es für Anbieter bei Endkundenverträgen unzulässig ist, Dienste etwa für Schulzwecke einzuschränken. Schulen dagegen dürfen bei ihren Schülerinnen und Schülern den Zugang zu bestimmten Diensten unterbinden."
Verhindern realitätsferne Vorgaben, dass
viele Schulträger die Flatrate bestellen?
Anfangs war geplant, dass die Schulträger die sogenannten "Education"-Tarife nur in Verbindung mit vom Bund finanzierten Endgeräten (Tablets oder Laptops) herausgeben sollten, doch wurde das Angebot schnell auf alle Schüler erweitert.
Nur hat die Sache immer noch einen entscheidenden Haken: Die Flatrate-Pakete wurden bislang offenbar extrem wenig bestellt, genaue Zahlen gibt es allerdings nicht. Die grüne Bildungspolitikerin Margit Stumpp erklärt sich die mangelnde Nachfrage so: Die Schulen und Schulträger seien kaum in der Lage gewesen, wie in den Vertragsbedingungen (siehe zum Beispiel hier unter "Pflichten des Kunden") verlangt "Server bereitszustellen bzw. so einzurichten, dass mit den SIM-Karten über diese Server bereitgestellte und freigeschaltete Bildungsinhalte abgerufen werden können."
Mit anderen Worten: Viele der ohnehin schon durch die Schließungen und den Distanzunterricht im Ausnahmezustand befindlichen Schulen konnten nicht auch noch den Aufwand leisten, wie verlangt den Online-Zugang auf ausgewählte Bildungsinhalte einzugrenzen. Und anschließend noch deren exklusive technische Bereitstellung zu gewährleisten. Weshalb sie es dann ganz gelassen haben. Dass die Schulen "gerade voll damit beschäftigt sind, coronakonforme Unterrichtsmodelle zu realisieren, wird einfach ausgeblendet", kritisiert Stumpp. "Und so verschärft dieses Instrument die Bildungsungerechtigkeit statt ihr zu begegnen, da vor allem Kinder und Jugendliche profitieren werden, die eh schon in eher wohlhabenden Kommunen zur Schule gehen."
Inzwischen hat Vodafone einen weiteren Tarif angekündigt: den "Red Business Data & School Pass". Er ist gleich teuer und bietet zehn Gigabyte ohne alle inhaltlichen Sperren. Der Zugriff auf digitale Bildungsinhalte soll unbegrenzt sein – doch erneut stellt sich dasselbe Problem: Wer darf überhaupt diese Lerninhalte definieren? Die Antwort des BMBF ist dieselbe: Nur die Schulen. "Ein Diensteanbieter hingegen würde gegen das Telekommunikationsrecht verstoßen, wenn er Angebote sperren würde. Das hat die Bundesnetzagentur in Gesprächen zur Bildungs-Flatrate sehr deutlich gemacht."
Das BMBF verweist auf
die Kultusminister
Vodafone erklärt im Kleingedruckten: "Die Auswahl der digitalen Lerninhalte / Apps erfolgt in enger Abstimmung mit den zuständigen Ministerien und Schulträgern." Die, siehe oben, aufgrund des Aufwands schon die bisherigen Tarife kaum bestellt haben.
Vielleicht spielt ja bei der verhaltenen Nachfrage zudem eine Rolle, dass die Schulträger – und damit die ohnehin oft klammen Kommunen – für ihre Schüler die Flatrates bezahlen müssen? Bei Verträgen, die sich auf Digitalpakt-Geräte beziehen, können die Schulträger auch die Flatrates über das Programm abrechnen – ansonsten bleiben sie darauf sitzen.
Und nun? Kann und muss die Flatrate, damit sie endlich mehr Schüler erreicht, nicht doch zur direkten Bestellung durch die Familien freigegeben werden – zumindest in der offenen 10-Gigabyte-Form? Das wäre dann zwar kein "Education-"Tarif mehr im ursprünglichen Sinne, aber wenigstens praktikabel.
Doch das BMBF verweist auf die Kultusminister. "Das Schulwesen liegt in der Zuständigkeit der Länder. Der Telekommunikationsmarkt ist liberalisiert und vom Staat nicht reguliert. Der Bund hat keinerlei Einflussmöglichkeiten darauf, welche privatrechtlichen Verträge von Schulen mit Marktanbietern geschlossen werden; dies könnten nur die Länder regeln." Klingt nachvollziehbar – wundert aber doch, wenn man sich daran erinnert, mit welcher Verve die Bundesregierung vergangenen Sommer die Flatrate versprochen hatte, wobei Anja Karliczek ihre persönlichen Vorgespräche mit den Telekomanbietern betonte.
Stumpp sagt: "Ministerin Karliczek bleibt konsequent beim sich-nicht-zuständig-Erklären." Das BMBF beschränke seine Rolle jetzt darauf, einen Runden Tisch zum Thema initiiert zu haben.
Und was ist mit den Schülern
in der Grundsicherung?
Auch an der Schule von Peter Wiegands Sohn existiert leider nicht die Möglichkeit, einen "Education"-Tarif zu beantragen. Was bedeutet, dass er, der seit zehn Jahren arbeitslos ist, selbst einen Datentarif für seinen Sohn bezahlen müsste. Weshalb ihn die Argumentation im Schreiben aus Heils Ministerium umso stärker ärgert. Da steht nämlich, die "in einem sehr frühen Stadium" der politischen Gespräche zur Bildungs-Flatrate "entwickelte Idee einer Finanzierung über das sogenannte Bildungspaket hat sich durch die weitere Entwicklung überholt."
Dann verweist der Ministerialbeamte darauf, dass zum 1. Januar 2021 ja die Regelbedarfe für die Bezieher von Leistungen in der Grundsicherung neu ermittelt worden seien, und erstmals nun auch sämtliche Kommunikationsausgaben umfasst. Für die 14- bis 17-Jährigen seien die monatlichen Zahlungen um 45 Euro monatlich gestiegen. Klingt viel – allerdings ist das die gesamte Erhöhung für alles, und vorher galten gerade die Regelsätze für diese Altersgruppe als deutlich zu niedrig.
Aber dann, schreibt das Ministerium weiter, gebe es ja auch noch die zusätzlichen 50 Euro pro Schuljahr für den persönlichen Schulbedarf ab 2019 als Teil des Starke-Familiengesetzes. Außerdem hätten die Schüler bei der Bildungsflatrate ja ohnehin keine Kosten, da die Schulen und Schulträger diese zahlten.
Also alles kein Problem? Von wegen. Bis vor kurzem hatte das Ministerium von Hubertus Heil bei der Anschaffung von Schul-Laptops noch genauso argumentiert. Schüler könnten die ja über das Digitalpakt-Zusatzprogramm ausgeliehen erhalten, und ansonsten gebe es ja, siehe oben, die so deutlich verbesserten Regelbedarfe und das Starke-Familien-Gesetz.
Anfang Februar dann die Kehrtwende der Bundesregierung: Seitdem sollen die Jobcenter doch die Kosten für digitale Schüler-Endgeräte im Regelfall bis zu einer Höhe von 350 Euro übernehmen. Voraussetzung: Die Laptops oder Tablets müssen für die "Teilnahme am pandemiebedingten Distanz-Schulunterricht erforderlich" sein, wie es in der Weisung von Heils Ministerium hieß. Und die Schulen müssen formlos bestätigen, dass die Kinder keine andere Möglichkeit haben, auf Geräte zuzugreifen – zum Beispiel auf Leihgeräte aus dem Digitalpakt.
"Das ist so ermüdend",
sagt Peter Wiegand
In einer Presseerklärung räumte Heil zeitgleich ein, dass die Neuregelung auch deshalb nötig sei, weil die Digitalpakt-Geräte eben bislang nicht bei allen betroffenen Schülern angekommen seien. Weil die Schulen nach eigener Einschätzung entscheiden, wer ein Gerät bekommt und wer nicht.
Genauso ist es bei der Bildungs-Flatrate auch: Wie die Schulen sie einsetzen, sei "in erster Linie eine bildungspolitische Entscheidung, der ich nicht vorgreifen möchte", schrieb der Beamte aus Heils Ministerium an Peter Wiegand.
Doch sind Bildungs- und Sozialpolitik kaum zu trennen, wenn, siehe oben, kaum Schulen den "Education"-Tarif gebucht haben und gleichzeitig trotz der angeblich so starken Erhöhung des Regelbedarfs für 15- bis 17-Jährige monatlich nur 38,19 Euro für "Freizeit, Unterhaltung und Kultur" und 0,64 Euro für das "Bildungswesen" vorgesehen sind. Wovon dann auch Laptop und Tablet und eventuell ein Drucker bezahlt werden sollten. Und jetzt auch eine Datenflatrate?
Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion verteidigt Sozialminister Heil. Der habe das Thema digitale Teilhabe an Bildung für seinen Zuständigkeitsbereich "tatkräftig angepackt", sagt Oliver Kaczmarek. "Diese Tatkraft hätten wir uns auch von Bildungsministerin Anja Karliczek gewünscht. Sie hat die Bildungsflatrate selbst gefordert, aber ihr Vorgehen über ein halbes Jahr nach der Ankündigung wirkt verstörend. Sie liefert nicht und will dafür die Verantwortung an die Länder abschieben. Das hilft den Schülerinnen und Schüler jedenfalls nicht."
Eine Sprecherin des BMBF sagt: Ihr Ministerium habe dem Sozialministerium "im Zuge der Novellierung des Bildungs- und Teilhabepaketes eine Verstärkung zugunsten der digitalen Ausstattung vorgeschlagen, allerdings hat das BMAS eine andere Prioritätensetzung vorgezogen." Beide Ressorts seien aber aus verschiedenen Anlässen dazu weiter in Gesprächen. Kommt da am Ende doch noch was?
"Das ist so ermüdend", sagt Peter Wiegand, der sich jahrelang auch vergeblich um die Unterstützung für einen Laptop bemüht hatte. Er will trotzdem weiter Briefe schreiben. Viele andere Betroffene tun es nicht.
Wie hieß es noch im am vergangenen Mittwoch erschienen Datenreport 2021, in dem Fachleute aus amtlicher Statistik und Sozialforschung Zahlen und Fakten zu ungleichen Lebensbedingungen und den Folgen von Corona zusammengestellt haben? Am häufigsten litten alleinerziehende Familien unter finanziellen Problemen aufgrund der Krise. Und: Familien mit hohen Einkommen stehen im Schnitt vier Computer zur Verfügung. Die ärmsten Familien müssen sich dagegen bei der Nutzung der im Schnitt zwei Geräte häufig abwechseln.
Kommentar schreiben
oliver (Dienstag, 23 März 2021 15:44)
Hallo Herr Wiarda,
das ist doch zum Kotzen. Da gibt man den SuS eine FLATRATE für €10 und dann muss aber die Schule zuerst noch eine FIREWALL installieren, damit nur erlaubte Inhalte/Daten genutzt werden sollen.!!!! Das kann doch nicht funktionieren. Was ist denn so schlimm wenn die SuS neben den Videokonferenzen und Lernplatformen noch das offene Internet benutzen dürfen?
Das wäre mal eine gute, schnelle und effektive Lösung sein. Und den Hart-iV Empfängern in ihrem Beispiel sollten bevorzugt diese Flatrates bewilligt werden.