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Sibler nimmt das Tempo raus

Nach monatelanger Kritik am geplanten neuen Hochschulgesetz verkündet Bayerns Wissenschaftsminister: Die parlamentarische Beratung wird in den Herbst verschoben – damit mehr Zeit bleibe fürs "Zuhören, Aufnehmen, Mitnehmen".

BERND SIBLER GIBT NACH. Nach monatelangen Protesten will Bayerns Wissenschaftsminister die parlamentarische Beratung der geplanten Hochschulreform in den Herbst verschieben. "Wir alle können uns im Frühsommer und Sommer die Zeit nehmen, ausführlich über unser geplantes Hochschulinnovationsgesetz zu sprechen", sagte der CSU-Politiker. Eigentlich hatte er das Gesetz noch vor der parlamentarischen Sommerpause durch den Landtag bringen wollen. 

 

Doch hatte es schon vor Bekanntwerden erster Eckpunkte Ärger gegeben. Als der Landtag im Oktober 2020 zur Expertenanhörung lud, kursierten noch unterschiedliche Versionen dessen, was die Staatsregierung plante, keine davon offiziell veröffentlicht. Es gab einzig einen 70-Fragen-Katalog, der in einer Sitzung des zuständigen Landtagsausschusses diskutiert wurde – und aus Sicht der Kritiker, die sich über die "Intransparenz" beschwerten, bereits tief blicken ließ. 

 

Am 20. Oktober schließlich legte Sibler die Eckpunkte, aus denen bis Mitte 2021 ein Gesetz werden sollte, auf den Tisch. Die Rechtsreform sei die notwendige Ergänzung zur "Hightech Agenda Bayern", zuletzt beschleunigt durch die "Hightech Agenda Plus", mit der auf Geheiß Söders Milliarden zusätzlich in die Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen fließen sollen.

 

Dafür, sagte Sibler, brauche es "eine moderne Hochschulaufstellung", und die sollte das neue Hochschulgesetz liefern – inklusive Governancereformen, einem flexibleren Berufungsrecht, aber auch mit der expliziten Verankerung des Transfers in Wirtschaft und Gesellschaft als Aufgabe der Hochschulen. 

 

Protestnoten, Resolutionen
und Offene Briefe

 

Auf die Veröffentlichung der Eckpunkte folgten zahlreiche Protestnoten, Resolutionen und Offene Briefe, von den Professorinnen und Professoren der bayerischen Universitäten über die Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer an Fachhochschulen, die "Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften (GuS)", und die Landesastenkonferenz bis hin zu den Senatsvorsitzenden aller bayerischen Universitäten. 

 

Von einer "möglichen Gefährdung der Hochschulen und Universitäten und ihrer gesellschaftlichen Aufgaben" durch das Reformvorhaben war die Rede, von einer Degradierung der Hochschulen zum wissenschaftlichen Dienstleistern und einer Gefährdung geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer durch das Vorhaben.

 

Woraufhin Sibler schon im Februar im Interview hier im Blog einen versöhnlichen Ton anschlug. Jede große Reform, sagte er, führe "zu Fragen, zu Sorgen und Bedenken und bei dem einen oder der anderen sogar zu Ängsten." Er hoffe, alle Sorgen würden sich erst auflösen, wenn er Gesetzentwurf veröffentlicht werde, denn darin würden viele der "Anregungen" aufgenommen. Die Eckpunkte seien an "vielen Stellen missverstanden worden".

 

In seiner heutigen Stellungnahme betont Sibler nun, eine ausführliche Verbändeanhörung zum Referentenentwurf, der ersten Vorlage des Gesetzestextes, sei ihm "von Anfang an sehr wichtig" gewesen. Derzeit befinde sich der Referentenentwurf noch in der regierungsinternen Abstimmung, danach solle er "zeitnah" veröffentlich werden.

 

Sibler: Seit Anfang an die
Hochschulfamilie einbezogen

 

"Im Anschluss daran kann die Anhörung der Verbände beginnen", sagte Sibler. Er wolle "zuhören, aufnehmen, mitnehmen", weshalb der ursprüngliche Zeitplan nicht haltbar sei. Und er wolle die zusätzliche Zeit auch als "Chance nutzen, den Entwurf zu erklären." 

 

Siblers Ministerium betonte, dass man "die Hochschulfamilie" seit Beginn des Reformprozesses einbezogen habe. Seit 2018 seien rund 400 Rückmeldungen auf eine erste Umfrage und dann noch einmal "zahlreiche Impulse und Anregungen" zu den im Oktober 2020 offiziell vorgestellten Eckpunkten eingegangen – allerdings, siehe oben vielfach in Form von Protest- und Brandbriefen, die mehr Partizipation einforderten und vor einer "schnelle(n) und diskussionslose(n) Umsetzung einer so profunden Änderung der Hochschul- und Universitätslandschaft" warnten.

 

So hieß es in dem mittlerweile von über 1029 der rund 3700 bayerischen Universitätsprofessoren unterschriebenem Offenen Brief, es sei nicht nachvollziehbar, dass das Gesetz ausgerechnet in einem Zeitfenster coronabedingter Versammlungsbeschränkungen auf den Weg gebracht werden solle, die die erforderliche Selbstverständigung der Lehrenden und Studierenden massiv einschränke. 

 

Das Ministerium betont dagegen, über den gesamten Erarbeitungszeitraum hätten "intensive Gespräch" mit allen Statusgruppen stattgefunden – zuletzt wegen der Pandemie zum Beispiel auch über Livestreams.

 

Die Hochschulreform solle als Teil der Hightech Agenda Bayern die bayerische Wissenschaftslandschaft "in allen zentralen Bereichen für die nächsten 20 bis 30 Jahre national wie international zukunftsfest aufstellen".  Davon werde, sagte Sibler, nicht nur die gesamte Hochschulfamilie, sondern auch die Gesellschaft insgesamt von der Hochschulreform profitieren. "Als Forschungs- und Ausbildungsstätten haben unsere Hochschulen eine besondere Verantwortung, was die Gestaltung unserer Gesellschaft angeht." 

 

Erst Mitte Februar hatten die Verbände der Statusgruppen an bayerischen Hochschulen in seiner seltenen konzertierten Aktion sieben Kernforderungen zur Hochschulreform präsentiert. Der gemeinsame Vorstoß brachte den Hochschullehrerbund, den Deutschem Hochschulverband, den Landesverband Wissenschaftler, die Lande-ASten-Konferenz und die Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an bayerischen Hochschulen zusammen.


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Kommentare: 2
  • #1

    Gerold Frahm (Montag, 29 März 2021 16:45)

    Gut, daß man erst einmal den beabsichtigten Druck bei der Novelle des Gesetzes heraus nimmt. Man bekommt aber
    leider auch eine Ahnung, was von einem Herrn Söder
    als potentiellem Bundeskanzler etwa auf dem Gebiet der
    Wissenschaft zu erwarten wäre. Das geht nicht gut.

  • #2

    Leander Kurscheidt (Dienstag, 30 März 2021 14:28)

    Ich finde die Reaktionen erschreckend ängstlich und konservativ. Ich begrüße die Möglichkeit den Universitäten mehr Raum zum experimentieren zu geben. Es muss aber klar in die demokratische Hand der Selbstverwaltung gelegt werden. Mit Checks und Balances. Aber dass alles kleinlich gesetzlich vorgeschrieben werden soll find ich absolut falsch. Flexibles Lehrdeputat, eine andere Organisationsform und auch auf jedem Fall Englisch als primäre Sprache muss, nur falls die Hochschule dies wünscht, gesetzlich möglich sein. Sonst bewegen sich die Hochschulen weitere 20 Jahre im letzten Jahrhundert. Ich verstehe das fehlende Vertrauen der Hochschulangehörigen in die eigene Selbstverwaltung nicht. Soweit ich den neuen gesetzlichen Rahmen verstehe werden die Hochschulen ja nicht zu Änderungen gezwungen.

    Karl Ulrich Mayer hat in einem Interview in diesem Blog mal gesagt hat dass die mangelhafte Internationalisierung unter dem wissenschaftlichen Personal nur den Schluss zu lässt dass die deutschen Hochschulen international nicht konkurrenzfähig sind. Dies sehe ich auch so. Es läuft etwas schief. Man kann sich auch nicht weiter mit nationalen Vergleichen verstecken. Die Universitäten haben z.B bei den ERC advanced grants meiner Meinung nach nicht gut genug abgeschnitten. Die Hochschulen selber sollten am besten wissen wie sie sich ändern, experimentieren und verbessern können. Das geht nicht einfach indem man kollektiv das Lehrdeputat senkt, mit der Gießkanne Gelder verteilt und alles gesetzlich vorschreibt.