Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank über ihren Vorschlag thematischer Ausschreibungen in der Exzellenzstrategie, Hamburgs Zukunft als Wissenschaftsstandort, Tierversuche und das Wesen grüner Wissenschaftspolitik – und den Wirbel um das Corona-Thesenpapier eines Hamburger Physikprofessors.
Katharina Fegebank, 44, ist Grünen-Politikerin und seit 2015 Zweite Bürgermeisterin in Hamburg sowie Senatorin für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke. Foto: BWFGB.
Frau Fegebank, Sie wollten bei der letzten Bürgerschaftswahl Erste Bürgermeisterin werden, und jetzt sind Sie doch wieder Wissenschaftssenatorin. War das der Trostpreis?
In der neuen Legislaturperiode besetzen wir noch stärker die Gestaltungsressorts wie Mobilität, Klima und Umwelt – und natürlich Wissenschaft. Womit ich an der Zukunft der Stadt mitarbeiten kann und vor allem ihre Innovationsfähigkeit stärken möchte.
Im Augenblick geht es weniger um die Zukunft und umso stärker um die Bewältigung von Corona. Wie stark hat die Pandemie Hamburgs Wissenschaft getroffen?
Es hat sie zwangsläufig extrem hart getroffen, denn das konstituierende Element des akademischen Diskurses war und ist der persönliche Austausch. Angefangen mit Studienanfängern, die sich auf eine neue Lebensphase gefreut haben, nach Hamburg gekommen waren und jetzt ins dritte Digitalsemester gehen – die in ihren Wohnungen oder Wohnheimen sitzen und bislang nichts Anderes kennenlernen durften. Hart getroffen wurden auch die internationalen Studierenden und all die Wissenschaftler:innen in befristeten Arbeitsverhältnissen. Die ihre Forschungsprojekte nicht so schnell wie erhofft vorantreiben konnten. Und ich denke auch an all die Wissenschaftlerinnen, die immer noch die Hauptlast der Familien- und Sorgearbeit tragen. Die weniger verdienen und in der Krise ihre Forschungs- und Lehrtätigkeit überdurchschnittlich stark zurückfahren, die Publikationen aufschieben oder fallen lassen mussten.
Die Krise hat die vorhandenen Ungerechtigkeiten im Wissenschaftssystem verstärkt?
Sie führt bei Frauen zu neuen Karrierehindernissen, weil zu bereits bestehenden Wettbewerbsnachteilen neue hinzukommen. Weshalb wir als Wissenschaftsbehörde ein Programm aufgesetzt haben, mit dem wir dem sogenannten Gender Publication Gap entgegenwirken wollen. Mir ist aber auch wichtig, noch einmal auf die prekäre Situation vieler Studierender hinzuweisen. Sie sind durch den Wegfall von Studierendenjobs oder von Elternunterstützung in Notlagen geraten, aus denen sie die viel zu spät und halbherzig aufgelegte BMBF-Überbrückungshilfe nur teilweise befreit. In Hamburg haben wir versucht, schnell mit einem Notfalldarlehen in die Bresche zu springen. Die Studierenden, so scheint es, stehen bei der Bundesregierung seit Beginn der Krise ganz weit hinten auf der Agenda.
Nicht nur bei der Bundesregierung. Kein Ministerpräsident, auch kein grüner, hat dafür gesorgt, dass die Hochschulen oder Studierenden in den zahlreichen Corona-Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz nach November auch nur einmal erwähnt wurden. Auch nicht, als es im Februar und Anfang März um Öffnungsszenarien für alle möglichen gesellschaftlichen Bereiche ging. Warum nicht?
Die Wissenschaft hat eine Höchstleistung nach der anderen vollbracht. Und damit meine ich nicht nur die Impfstoffe, sondern die Art, wie sie uns als Gesellschaft begleitet hat: als Wahrheitssucherin und Problemlöserin. Und nebenbei haben die Hochschulen mit Bravour diesen enormen Digitalisierungsschub in der Lehre bewältigt. Vielleicht ist das alle auch der Grund, warum sie von den Regierungschefs ein Stückweit ignoriert wurden. Es lief einfach ziemlich gut von außen betrachtet – und vor allem, wenn ich das etwa mit den Auseinandersetzungen um Kitas und Schulen vergleiche, weitgehend konfliktfrei. Bis dahin, dass wir uns als Wissenschaftsminister:innen seit Beginn der Krise parteiübergreifend einig waren – ob es darum ging, die Regelstudienzeit, den BAföG-Bezug oder befristete Stellen und Forschungsprojekte zu verlängern, oder um die Frage, wieviel Präsenz in Lehre und Forschung wir zulassen können.
"Ich werde mich für Modellprojekte für die
schrittweise Öffnung von Hochschulen einsetzen."
Jetzt allerdings scheint es vielen an den Hochschulen zu reichen. Es gibt Petitionen und Offene Briefe, die fordern, dass die Politik sie nicht länger ignoriert und auch für die Hochschullehre Öffnungsperspektiven formuliert.
Und ich kann alle, die solche Forderungen aufstellen, verstehen. Das Frustrierende ist, dass immer dann, wenn wir die Hochschulen stärker öffnen wollten, etwa zu Beginn des vergangenen Wintersemesters, die nächste Welle anrollte. Auch jetzt liegen die stadtweiten 7-Tages-Inzidenzen kurz vor Beginn des Sommersemesters wieder bei mittlerweile über 150. Trotzdem hoffe ich, dass im Laufe der nächsten Monate mehr möglich wird, dass wir Praxisübungen und Labortätigkeiten mithilfe regelmäßiger Schnelltests absichern können. Wir haben gerade erst eine große Bestellaktion gestartet, und ich werde mich dafür einsetzen, dass Hamburg – auch für die Hochschulen – die Möglichkeiten von Pilot- und Modellprojekten nutzt, die im neuen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz genannt werden.
Die Pandemie ist Ihnen auch in die Verhandlungen der Hochschulverträge geplatzt. Am Ende gab es ein Budgetplus für die Hochschulen, das sich zwar großzügig ausnimmt im Vergleich zu den Kürzungsplänen etwa in Niedersachsen und Bremen – das aber mit Verweis auf die Pandemie weit weniger geworden ist, als die Hochschulen gefordert haben. Gerade mal zwei Prozent zusätzlich pro Jahr für Gehaltserhöhungen und Inflationsausgleich – so rechnen zumindest die Hochschulen.
Das stimmt so nicht. Es sind im Mittel dreieinhalb Prozent.
Die Hochschulen haben also Unrecht?
Die Hochschulen argumentieren nicht mit dem ganzen Paket. Doch zu dem festen Aufwuchs gibt es für jede Hochschule eine individuelle Entwicklungsperspektive – beispielsweise für die Exzellenzstrategie, für den Aufbau dualer Studiengänge, neuer Forschungsschwerpunkte oder der Stärkung von Lehre und Transferaktivitäten – je nach Strategieplanung. Außerdem kommen für alle Investitionen für Bau, Sanierung oder Digitalisierung dazu. Dennoch – weil es kaum ein dynamischeres Politikfeld gibt als die Wissenschaft, lautet meine Botschaft: Nichts ist in Stein gemeißelt, wir werden neuen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen, wenn sie denn kommen, Rechnung tragen.
Es gibt Senatorenkollegen von Ihnen, die schon jetzt finden, die Wissenschaft habe reichlich viel bekommen im Vergleich zu anderen Ressorts. Heißt das, die Wissenschaft wird auch besonders viel abgeben müssen, falls die Haushaltslöcher so groß werden, dass die Finanzplanung zusammengestrichen wird?
Und genau das wird nicht passieren. Das war unsere Übereinkunft zwischen SPD und Grünen im Senat, dass wir der Wissenschaft Priorität einräumen und die Hochschulvereinbarungen vor die finanzpolitische Klammer ziehen. Als deutliches Bekenntnis für die Hochschulen und den Wissenschaftsstandort.
"Eigentlich bin ich eine Anhängerin der Schuldenbremse. Aber jetzt sinnvolle Konjunkturimpulse zu setzen, die wir dann nicht zu Ende finanzieren könnten – das wäre fatal."
Auch wenn die Schuldenbremse demnächst wieder gilt?
Eigentlich bin ich ja eine Anhängerin der Schuldenbremse, weil ich finde, dass wir zugunsten kommender Generationen klug und nachhaltig wirtschaften müssen. Aber in dieser außergewöhnlichen Zeit werbe ich dafür, den rechtlich möglichen Rahmen soweit wie möglich auszuschöpfen, um plötzliche Abbruchkanten zu vermeiden. Wir dürfen jetzt nicht sinnvolle Konjunkturimpulse setzen, die wir dann nicht zu Ende finanzieren können. Das wäre fatal. Erst recht für die Wissenschaft, die uns ja überhaupt erst den Weg aus der Krise weisen kann. Niemand hat eine Glaskugel, aber mir ist es wichtig, den Hochschulen ein starkes und planbares Bekenntnis zu geben, wie mit unseren Zukunftsverträgen. Damit können und dürfen die Hochschulen rechnen – bei einigen Ideen und gewünschten Vorhaben, müssen dann, an anderer Stelle Abstriche unter Umständen gemacht werden.
Welche anderen Stellen meinen Sie?
Diese Frage kann ich Ihnen heute nicht seriös beantworten. Aber es gibt sicherlich die einen oder anderen Bauvorhaben, die man noch strecken könnte. Das kann auch für Hochschulgebäude gelten. Wir erleben doch gerade, dass das Arbeiten im Home Office für viele Beschäftigten durch die Digitalisierung zum neuen Alltag geworden ist. Sicherlich nicht ausschließlich, aber tageweise wird das so bleiben, da bin ich mir ganz sicher. Dann müssen wir uns aber auch fragen, ob wir wirklich alle vor der Krise geplanten Neubauten im selben Umfang realisieren müssen.
Unter den drei großen deutschen Metropolen belegte Hamburg in Sachen Wissenschaft stets Platz drei. Bleibt das in Zukunft so?
Wir haben mächtig aufgeholt in den vergangenen Jahren, das merkt man schon an dem anderen Standing, das die Wissenschaft in der Stadtpolitik bekommen hat. Es herrscht mittlerweile ein anderes Klima in Hamburgs Wissenschaftslandschaft – mit etlichen Alleinstellungsmerkmalen. Ja, wir sind und bleiben eine stolze Hafenstadt, aber auf einem Bein kann man nicht stehen, und deshalb begreifen wir uns zunehmend auch als Wissensmetropole. Natürlich hat da der Exzellenztitel für die Universität diesem neuen Selbstbewusstsein einen Schub gegeben. Übrigens sollten wir uns nicht nur an Berlin oder München messen. Es gibt andere Städte und Regionen in Deutschland, die teilweise schon vor Jahrzehnten in Richtung Wissenschaft und Forschung umgesteuert haben, die uns, was moderne Arbeitsplätze und Innovationskraft angeht, eine ganze Ecke voraus sind. Aber trotzdem kann man nicht alle Regionen und Städte so leicht miteinander vergleichen. Ich begreife die Situation daher auch als Ansporn.
"Es ist faszinierend zu beobachten, wie sich
in der Science City Stadtentwicklung und Wissenschaft gegenseitig treiben."
In welchen Wissenschaftsfeldern sehen Sie Hamburg schon heute vorn?
In der Klimaforschung beispielsweise, da hat Hamburg seinen Exzellenzcluster zum dritten Mal gegen starke Mitbewerber verteidigen können, und es ist aktuell der einzige Klima-Exzellenzcluster überhaupt. Mit der Science City haben wir einen Stadtteil mit weltweit einzigartigen Großforschungsanlagen, die schon durch ihre bloße Existenz Spitzenwissenschaftler aus der ganzen Welt anlocken.
Die Science City?
Ja, die um das Deutsche Elektronensynchroton (DESY) in Bahrenfeld wächst. Es ist faszinierend zu beobachten, wie sich Stadtentwicklung und Wissenschaft gegenseitig treiben. Ein ganz neuer Stadtteil entsteht, ganze Fachbereiche der Universität siedeln sich dort künftig an. Das institutionenübergreifende Center for Structural Systems Biology (CSSB) ist dort, das EMBL, der European XFEL. Hoffentlich bald die Beschleunigeranlage Petra IV. Daneben entstehen Wohnungen, Kultur- und Sporteinrichtungen – ein Campus zum Arbeiten und Leben. Wir betreiben Materialforschung auf internationalem Spitzenniveau, wir sind in der Biologie sehr stark, und mit besonderer Geschwindigkeit entwickelt sich gerade die Infektionsforschung.
Tut sie das nicht überall?
Wir haben den Wissenschaftsrat und einen MINT- Forschungsrat schon lange vor Corona gebeten, unseren gesamten Wissenschaftsstandort zu evaluieren, und schon damals haben uns die Gutachter unmissverständlich klargemacht: Ihr habt da ungeschliffene Rohdiamanten, ein unglaubliches Potenzial mit den beiden Leibniz-Einrichtungen Bernhard-Nocht- und dem Heinrich-Pette-Institut, mit dem Universitätsklinikum Eppendorf, mit dem Helmholtz-Zentrum DESY, mit dem EMBL, alle gemeinsam in Kooperation im CSSB sowie dem Fraunhofer ITMP Screeningport. Und an diesem Diamanten haben wir Ende 2019, also vor Corona, mit einem Förderprogramm zu schleifen begonnen.
"Worin wir Länder uns alle schon einig sind, wovon wir den Bund allerdings noch überzeugen müssen: dass wir für die Exzellenzstrategie zusätzliches Geld brauchen."
Der Exzellenztitel, sagen Sie, habe Hamburgs Wissenschaft einen besonderen Schub gegeben. Was halten Sie von den Debatten in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK), die Exzellenzstrategie vor der nächsten Runde nochmal gehörig umzubauen?
Ich finde gut, dass wir uns als Minister:innen verständigt haben, ohne Vorfestverlegung den Ist-Zustand zu sondieren und dadurch Schlussfolgerungen abzuleiten. Worin wir Länder uns alle schon einig sind, wovon wir den Bund allerdings noch überzeugen müssen: dass wir zusätzliches Geld brauchen. Bis zu vier zusätzliche Exzellenzuniversitäten sollen 2027 gekürt werden, deshalb braucht es auch einen zusätzlichen Wettbewerbsraum für Exzellenzcluster.
Mit anderen Worten: mehr Cluster. Die SPD-Wissenschaftsminister wollen etwa 70 statt der 57 zurzeit. Und dafür 150 Millionen mehr pro Jahr.
Ich würde mich jetzt nicht auf eine Zahl festlegen wollen, auch glaube ich, dass eine Erhöhung der Clusterzahl per se gar nicht so viel teurer werden muss. Bislang war es immer so, dass fast alle Clusteranträge von der Maximalsumme der möglichen Förderung ausgingen. Ich plädiere dafür, dass wir die Bandbreite der möglichen Förderhöhe in der nächsten Bewilligungsrunde ernster nehmen und anders gewichten. Was heißt, dass die Universitäten in ihrem Antrag nicht immer ans obere Limit gehen – und, wenn sie es tun, damit rechnen müssen, dass die Gutachter ihnen deutlich weniger zugestehen. Was auf keinen Fall passieren darf: dass wir verschiedene, für sich genommen vollkommen berechtigte Zielstellungen miteinander vermengen. Exzellenzförderung darf keine Strukturförderung sein. Wo wir weiße Flecken auf der Exzellenzkarte haben, müssen wir überlegen, wie wir diese beseitigen – aber sicher nicht, indem wir den Wettbewerb aufweichen und nach regionalpolitischen Kriterien entscheiden.
Ist das Ihre Reaktion auf den Vorstoß Ihrer Kolleginnen aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, Manja Schüle und Bettina Martin (beide SPD)? Die kritisieren nämlich, kleinere, aber exzellente Wissenschaftsstandorte hätten bislang in der ExStra kaum eine Chance gehabt.
Ich kann das ja aus der Perspektive derjenigen nachvollziehen, die auch versuchen, ins Laufen zu kommen, indem man versucht, noch stärker auf überregionale Verbundmöglichkeiten zu setzen. Aber ich plädiere dafür, sehr genau zu prüfen, ob für die Förderung kleiner, forschungsstarker Kerne tatsächlich der Exzellenzwettbewerb das richtige Instrument ist.
Sie argumentieren aus der Perspektive der Habenden mit einer Exzellenzuniversität und vier Exzellenzclustern. So wie überhaupt auch in Sachen ExStra das Sein das Bewusstsein zu schärfen scheint. Zum Beispiel hat Ihre Parteifreundin Angelika Dorn, die grüne Wissenschaftsministerin von Hessen, eine "eigene Förderlinie" gefordert, um die Geistes- und Sozialwissenschaften "angemessen zu beteiligen". Vielleicht weil der Goethe-Uni in Frankfurt der geisteswissenschaftliche Exzellenzcluster „Normative Ordnungen“ abhanden gekommen ist?
Ob es am Ende eine "neue Förderlinie" – oder ein anderes Verfahren wird, ist für mich nebensächlich, wenn die Richtung stimmt: Ich bin eher dafür, einen kleineren Teil der Exzellenzcluster entlang thematischer Linien auszuschreiben – zu denen herausragende geistes- und sozialwissenschaftliche Fachbereiche, aber auch kleinere Standorte beitragen können, die noch nicht die kritische Masse von 20 oder 30 Professoren samt dem dazu gehörenden Mittelbau haben. Ich denke an interdisziplinäre Ausschreibungen im Bereich der Gesundheitswissenschaften, zu Big Data, KI oder Computing – also alles Bereiche, wo es bislang nirgendwo in Deutschland riesige Konzentrationen gibt, aber verschiedene Exzellenz-Hotspots.
"Mein Credo ist: Nicht alles regulieren, sondern
einfach mal machen und ausprobieren."
Gibt es eine dezidiert grüne Wissenschaftspolitik, Frau Fegebank?
Alle Wissenschaftsminister:innen sind erst einmal unabhängig von der Parteifarbe um das Bestmögliche für ihre Hochschulen und Forschungseinrichtungen bemüht. Wenn Sie mich aber so fragen, würde ich sagen: Grüne Wissenschaftspolitik möchte Räume für neue Ideen schaffen – und ist immer auf Nachhaltigkeit ausgerichtet in Lehre, Forschung, Transfer und Innnovation. Sie kombiniert ein Bekenntnis zu Wettbewerb und Exzellenz mit einer starken sozialen Komponente: mit der Absicherung von Studierenden und der Wissenschaftler:innen im Mittelbau, die die Exzellenz von morgen überhaupt erst ermöglichen. Womit auch klar ist, dass wir Grüne uns vor der Dynamik neuer Erkenntnisse und vor Veränderungen nicht fürchten. Mein Credo ist daher: Nicht alles regulieren, sondern einfach mal machen und ausprobieren. Von dieser Freiheit lebt auch die Wissenschaft insgesamt.
Ganz so offen, wie Sie das beschreiben, wirkte grüne Wissenschaftspolitik vor der Pandemie nicht immer – mit ihrer grundsätzlichen Skepsis gegenüber der Gentechnik zum Beispiel oder mit der bei vielen Parteimitgliedern sehr weitgehenden Ablehnung von Tierversuchen. Inwieweit hat sich das erst durch die Entwicklung eines Impfstoffs verändert?
Die Ablehnung, die Sie da beschreiben, kam meines Erachtens nie aus den Reihen unserer Wissenschaftspolitiker:innen. Wir waren immer darum bemüht, einerseits an Zielen wie dem Verzicht auf Tierversuche festzuhalten, andererseits aber Politik im Hier und Jetzt zu machen: geerdet, realistisch und pragmatisch. Denn in der Tat: Dass wir so schnell hoch wirksame Impfstoffe bekommen haben, wenn auch noch nicht in ausreichender Menge, wäre ohne den Einsatz von Gentechnik und Tierversuchen nicht möglich gewesen.
Und was heißt das für den Umgang mit Gentechnik und Tierversuchen in der nächsten Zukunft?
Wir Grünen orientieren uns als Partei sehr stark an den Erkenntnissen aus der Forschung – was natürlich auch andere Parteien so für sich beanspruchen würden. Wenn das die Prämisse ist, dann kann man Erkenntnisse der Wissenschaft nicht einfach vom Tisch wischen, nur weil sie möglicherweise nicht alle teilen. Das heißt zum Beispiel, dass ich als grüne Senatorin dem Bau eines neuen Forschungstierhauses am UKE zugestimmt habe, weil ich weiß: Dort sind die Bedingungen für die Tiere viel besser als im alten. Ich bin mir bewusst, dass dies viele aus meiner Partei anders sehen. Aber noch können wir nicht komplett auf Tierversuche verzichten. Gleichzeitig setzen wir uns als Senat aber dafür ein, die Zahl der in der Wissenschaft verwendeten Forschungstiere so weit wie möglich zu verringern und wir haben uns gemeinsam vorgenommen, für den Standort eine Strategie zu Alternativen zu Tierversuchen in der Forschung zu entwickeln.
Wenn Sie als Senatorin einen wissenschaftsbasierten Politikansatz verfolgen, hätten Sie dann nicht viel lauter protestieren müssen, als die Universität Hamburg neulich das Thesenpapier eines Physikers zum Ursprung des Coronavirus als "wissenschaftliche Studie" über seine Presseverteiler schickte?
Klar ist: Wissenschaftsfreiheit ist ein unverrückbares Gut. Es gilt für alle Form wissenschaftlicher Forschung, dass bei unklarer oder unsicherer Datenlage Zurückhaltung in der Bewertung angebracht ist. Und: Ich habe gesagt, dass es in erster Linie Aufgabe der Universität Hamburg, einer Exzellenzuniversität ist, das intern zu klären. Und tatsächlich habe ich viele Wissenschaftler:innen der Universität vernommen, die ihre Skepsis zu dem Papier überdeutlich geäußert haben. Gerade auch vor dem Hintergrund einer Studie der Weltgesundheitsorganisation, die ein Entweichen des Virus aus einem Labor als "extrem unwahrscheinlich" eingestuft hatte. Inzwischen hat sich auch der Universitätspräsident noch einmal erklärend geäußert. Damit ist die Sache für mich erledigt.
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Edith Riedel (Sonntag, 04 April 2021 21:19)
Ist schon lustig, wie sich die Meinung des Stadtstaats hier geändert hat. Hamburg war ja federführend bei der abgerungenen Entscheidung, dass es in der zweiten Runde der Exzellenzstrategie vier zusätzliche Universitäten geben können solle (was im Moment von allen Ministerien mit so spitzen Fingern als möglich behandelt wird). Aber jetzt , wo HH mit vier Exzellenzclustern dabei ist und es doch im ersten Anlauf als Exzellenzuni dabei war, wird das nur noch als Strukturförderung abgetan. Der Betrieb macht müde...