· 

Ist der Rückgang echt?

Kinder und Jugendliche haben sich den RKI-Zahlen zufolge zuletzt deutlich seltener mit dem Coronavirus angesteckt. Welche Entwicklung steckt dahinter? Eine Analyse.

Quellen: RKI. Gemeldete Neuinfektionen SurvStat@RKI 2.0 (Datenbankabfrage) und Laborbasierte Surveillance von SARS-CoV-2, Wochenbericht vom 06. April 2021. Zahlen aus den Grafiken extrahiert.

MORGEN NACHMITTAG treffen sich die Kultusminister virtuell, um über die Situation an den Schulen nach den Osterferien zu beraten. Sie kommen damit der nächsten Beratung der Regierungschefs, die spätestens am 12. April stattfinden soll, zuvor. Natürlich werden bei den Gesprächen die jüngsten Corona-Infektionszahlen unter Kindern und Jugendlichen eine große Rolle spielen – die stark zurückgegangen sind. Doch bedeutet das auch, dass sich tatsächlich weniger 0- bis 14-Jährige anstecken? Der Reihe nach.

 

1. Wie sind die Zahlen?

In der vergangenen Kalenderwoche, die am 4. April endete, haben sich den Meldezahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zufolge 4.455 Kitakinder bis einschließlich vier Jahre nachweislich mit dem Coronavirus infiziert. Das entspricht einem Rückgang um 11,6 Prozent gegenüber der Vorwoche. Hinzu kommen 9.961 neue Infektionsfälle bei den 5- bis 14-Jährigen – ein Fünftel (-19,6 Prozent) weniger als in den sieben Tagen davor. Damit gingen die gemeldeten Neuinfektionen bei den 0- bis 14-Jährigen deutlich stärker zurück als in der Gesamtbevölkerung (-6,2 Prozent).

 

2. Ist der Rückgang echt?

Größtenteils vermutlich nein. Denn parallel zu den Infektionsmeldungen sanken auch die Zahlen der getesteten Kinder und Jugendlichen, und zwar mit hochgerechnet rund 32 Prozent bei den 0- bis 4- Jährigen und – noch deutlich stärker – mit 40 Prozent bei den 5- bis 14-Jährigen. Parallel ging bei den Schulkindern die Positivquote, also der Anteil positiver Testergebnisse an allen Corona-Tests, um 1,6 Prozentpunkte kräftig nach oben – was auf ein stärkeres Infektionsgeschehen und/oder auf eine größere Untertestung hindeutet. Dass bei den 0- bis 4-Jährigen die Positivquote trotz des starken Testrückgangs nur leicht zulegte, spricht dafür, dass in dieser Altersgruppe das tatsächliche Pandemiegeschehen stärker abgenommen haben könnte. 

 

3. Sind Kinder und Jugendliche in der dritten Welle stärker betroffen als andere Altersgruppen?

Die Daten sind uneindeutig. Einerseits: Seit Kalenderwoche 10, als die Testzahlen auf einem ähnlichen Niveau lagen wie in der vergangenen Kalenderwoche 13, haben die Infektionsfälle bei den Kindern und Jugendlichen nicht stärker zugenommen als in der Gesamtbevölkerung. Bei den 0-bis 4-Jährigen stiegen sie um 49 Prozent, bei den 5- bis 14-Jährigen um 52 Prozent und in der Gesamtbevölkerung um 53 Prozent. Vergleicht man den Anteil der 0- bis 14-Jährigen an allen Corona-Fällen, so lag dieser in der vergangenen Kalenderwoche bei 13,2 Prozent und in Kalenderwoche 10 bei 13,4 Prozent. 

 

Andererseits: In Kalenderwoche 50, also mitten in der zweiten Welle, lagen die Fallzahlen bei den 5- bis 14-Jährigen auf einem vergleichbaren Niveau wie zuletzt, bei den 0- bis 4-Jährigen waren sie damals sogar spürbar geringer. Obwohl die Inzidenzen in der Gesamtbevölkerung viel höher lagen als heute. 

 

Auch das kann aber mit den Tests zu tun gehabt haben – Kinder wurden damals zwar ähnlich oft getestet wie zurzeit, Erwachsene aber wesentlich häufiger – so dass ihre Dunkelziffer zurzeit deutlich größer sein dürfte als im Dezember. Hinzu kommt, dass die Altersgruppen ab 70 in der dritten Welle dank der Impfungen deutlich weniger betroffen sind. 

 

Der Anteil der infizierten 0- bis 14-Jährigen an der Gesamtbevölkerung lag im Dezember mit 8,1 Prozent jedenfalls deutlich unter dem Wert in Kalenderwoche 13. Und bei allen genannten Einschränkungen ist in der Gesamtschau wahrscheinlich, dass das Pandemiegeschehen bei Kindern und Jugendlichen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung derzeit größer sein dürfte als während der zweiten Welle. Allerdings gehört zur Wahrheit ebenfalls, dass im Herbst, kurz vor der zweiten Welle, der Anteil von Kindern und Jugendlichen an allen Corona-Fällen bei 15 und mehr Prozent lag – also noch höher als zuletzt – und damals gab es noch keine Virusmutationen.

 

4. Was folgt daraus?

Wochenlang haben die extrem gestiegenen Testzahlen den Anstieg der Neuinfektionen bei Kindern und Jugendlichen deutlich überzeichnet. Doch selbst wenn man diesen Effekt mit einbezieht, war die tatsächliche Entwicklung der Neuinfektionen bei den 0- bis 14-Jährigen in den vergangenen anderthalb Monaten stark. Allerdings: Wie stark genau und um wieviel tatsächlich stärker als bei den Erwachsenen, ist schwer zu sagen. Und auch, ob dies mit den Mutationen zu tun hat. Denn wie gesagt: Im Herbst lag der Fallanteil der Kinder und Jugendlichen sogar noch höher als zuletzt. Die eigentlich spannende Frage (die das RKI nie beantwortet hat) lautet also, wieso zwischen Herbst und Winter vergangenen Jahres der Anteil der 0- bis 14-Jährigen trotz komplett offener Kitas und Schulen so kräftig zurückgegangen ist.

 

Gut ist jedenfalls, dass dank der zunehmenden Schnelltests mehr Infektionen bei Kitakindern und Schülern entdeckt werden, was auch die Zahl der PCR-Tests treibt und zu einer steigenden Positivrate beiträgt. Zudem bestätigt sich erneut, dass bei offenen Kitas und Schulen deutlich mehr 0- bis 14-Jährige getestet werden als bei geschlossenen Bildungseinrichtungen.

 

Schlecht wäre, wenn genau dieser Umstand erneut gegen die Kinder und Jugendliche verwendet würde – wenn nämlich, was absehbar ist, nach den Osterferien die Testzahlen bei den 0- bis 14-Jährigen erneut überdurchschnittlich steigen und in der Folge ihre gemeldeten Infektions-Meldezahlen ebenfalls. Und wenn dies dann die Schließungsdiskussionen wieder befeuern würde. Man muss es wohl immer wieder sagen: Die zusätzlichen Tests machen die Kitas und Schulen sicherer – weil sie die Dunkelziffer verkleinern.

 

Die übrigens bei Erwachsenen ebenfalls groß ist. Denn was ebenfalls nicht vergessen werden darf: Die Positivrate bei den 5- bis 14-Jährigen liegt nicht über dem Durchschnitt der Erwachsenen (außer den Über-80-Jährigen), die Inzidenz ebenfalls nicht. Und bei den Kitakindern liegt beides deutlich darunter. Womit sich der Anteil der Kinder und Jugendlichen an allen neuen Fällen insgesamt, die 13,2 Prozent, leicht unter ihrem Anteil an Deutschlands Bevölkerung (13,8 Prozent) befindet.

 

Wenn also tatsächlich ein verstärkter Lockdown beschlossen werden sollte, dann erfordert dies, dass zunächst und vorrangig auch Fabriken und Büros konsequent miteinbezogen werden. Dann – nur dann – wäre auch über eine vorübergehende Schließung von Kitas und Schulen zu reden – wobei Kinder und Jugendliche schon über Monate die größten Einschränkungen aller Altersgruppen haben hinnehmen müssen – mit sozialen und psychologischen Folgen, die noch nicht absehbar sind.


Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Tohmes (Donnerstag, 08 April 2021 22:05)

    Zu der Frage:
    "Die eigentlich spannende Frage (die das RKI nie beantwortet hat) lautet also, wieso zwischen Herbst und Winter vergangenen Jahres der Anteil der 0- bis 14-Jährigen trotz komplett offener Kitas und Schulen so kräftig zurückgegangen ist."

    gibt es eine Antwort.

    RKI hat am 11.11. die Testkriterien auf nur symptomatische Personen umgestellt.
    D.h. Kontaktpersonen ohne Symptome wurden grundsätzlich nicht mehr getestet. Damit halbiert sich in etwa die Zahl der getesteten Kinder.

    https://twitter.com/tohmes1/status/1346099509068230663?s=20

    https://twitter.com/maewald/status/1369238733296386050?s=20

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Freitag, 09 April 2021 09:54)

    @Thomes
    So lautete meine erste Vermutung damals auch. Tatsächlich fand der Rückgang beim Anteil der Fälle bereits vorher statt, so lag er in der Woche 45 (vor dem 11.11.) bereits nur noch bei gut 8 Prozent. Viele Grüße!