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Vorsicht, Voraussicht!

Bemerkungen zum "Foresight"-Zyklus des Bundesforschungsministeriums: ein Gastbeitrag von Klaus Burmeister und Manfred Ronzheimer.

WAS MACHT ZUKUNFTSFORSCHUNG? Zum Beispiel eine Studie verfassen mit dem Titel "Pandemische Influenza in Deutschland 2020". So geschehen im Jahre 2013, produziert von Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT in Euskirchen (NRW).

 

Die Studie untersuchte damals anhand von drei unterschiedlichen Zukunftsszenarien mögliche Pandemieverläufe mit dem Ziel, systematische Schwächen zu identifizieren und potenzielle Präventivmaßnahmen vorzuschlagen. Für INT-Leiter Michael Lauster ist nicht zu übersehen, dass die damaligen Empfehlungen durch die aktuelle Corona-Lage, wie er sagt, "eine frappierende Aktualität bekommen haben und auch heute praktisch uneingeschränkt gültig sind". Von den Behörden wurden die wissenschaflichen Warnungen seinerzeit jedoch nicht aufgenommen.

 

Auch eine vergleichbare Studie, die das Robert-Koch-Institut (RKI) ein Jahr zuvor für die Bundesregierung erstellt hatte, verschwand in der Schublade. "Wir wünschen uns einen engeren Austausch mit den Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft", sagt Lauster, "um das Potenzial unserer Studien frühzeitig als Grundlage für strategische Entscheidungen einbringen zu können."

 

Die Crux der 

Zukunftsforschung

 

Das ist die Crux der Zukunftsforschung, die sich früher "Futurologie" nannte: Mit wissenschaftlichen Sonden künftige Entwicklungen zu detektieren, um die Befunde, vor allem bei absehbaren Gefährdungsszenarien, an die Akteure der Gegenwart rückzumelden.

 

Die Liste der Beispiele, wo das nicht gelang, ist umfangreich. Nichtsdestotrotz hat das BMBF vor zwei Jahren einen neuen Zyklus der langfristigen Zukunftsvorausschau, "Foresight" genannt, auf den Weg gebracht. Ein 17-köpfiger Expertenbeirat, der "Zukunftskreis", der als "zentrales Beratungs- und Inspirationsgremium des BMBF in Zukunftsfragen" fungieren soll, wurde ernannt. Zusätzlich bildeten die beiden Consultingunternehmen "Prognos" und "Z_punkt" ein "Zukunftsbüro", das Fachstudien erstellte und kontinierlich die Zukunftsdebatte in Wirtschaft und Gesellschaft verfolgt. Der aktuelle Prozess der "Strategischen Vorausschau" des BMBF läuft von 2019 bis 2022 und ist mit insgesamt 6,5 Millionen Euro ausgestattet. Davon gehen die Millionen Euro an das Konsortium des Zukunftsbüros.

 

Vergangene Woche zogen die "Foresight"-Experten in einer virtuellen Konferenz des BMBF eine erste Zwischenbilanz. Darin wurde auch die groß angelegte Studie "Zukunft von Wertvorstellungen der Menschen in unserem Land" vorgestellt, in der auf 228 Seiten die Veränderung gesellschaftlicher Wertevorstellungen in Deutschland analysiert werden. Ausgehend von einer Status-Quo-Analyse der deutschen Wertelandschaft im Kontext aktueller Studien und Datensätze werden sechs unterschiedliche zukunftsgerichtete Szenarien beschrieben. Die sechs möglichen Wege, die deutsche Gesellschaft bis Mitte der 2030er Jahre einschlagen könnte, tragen die Namen: der europäische Weg, Wettbewerbsmodus, Rückkehr der Blöcke, Tempounterschiede, das Bonus-System und Ökologische Regionalisierung.

 

Wie aber sind die bisherigen Ergebnisse des inzwischen bereits dritten BMBF-"Foresight"-Zyklus zu bewerten? Messlatte der Relevanz sind dabei die Herausforderungen und Aufgabenstellungen der allenthalben wahrzunehmenden Umbruchszeit, die durch die grundlegenden Erfordernisse der "Großen Transformation" gekennzeichnet ist. Denn schon lange vor Corona zeigten sich Strukturumbrüche in zentralen gesellschaftlichen Handlungsfeldern: Bildung, Energie, Mobilität, Digitalisierung oder auch E-Government.

 

Das Zwischenergebnis
fällt dürftig aus

 

Vor diesem Hintergrund und eingebettet in eine Gesamtbetrachtung aller "Foresight"-Zyklen, fällt das Zwischenergebnis dürftig aus. Es mag sein, dass der "Foresight"-Prozess vor der aktuellen pandemischen Krisen-Kulisse fast zwangsläufig als magersüchtig erscheint. Andererseits ist und muss der Zustand der Gesellschaft und deren Perspektiven die Meßlatte sein, die eine interessierte Öffentlichkeit von "Foresight" und seinen Ergebnissen erwartet darf.

 

Provokativ gesagt, leistet sich das BMBF eine "Vorausschau", die es gar nicht braucht und deshalb auch völlig unzureichend nutzt. "Foresight" im Sinne einer mittel- bis langfristigen Strategie, ausgestattet mit beachtlichen finanziellen Ressourcen und eingebunden in die politische Koordinierung und Planung, wie mittels des Bundeskanzleramtes, gestaltet das BMBF nämlich maßgeblich selbst. Beispielhaft sei hier die Hightech-Strategie (jetzt HTS 2025) genannt, unter anderem mit der Nationalen Plattform Elektromobilität (etwa mit der Forderung nach einer Million Elektrofahrzeuge bis 2020), aus der 2018 die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität wurde. Auch die Einrichtung der Agentur für Sprunginnovationen in 2019 (SprinD) und die nationale Bioökonomiestrategie von 2020 müssen an dieser Stelle erwähnt werden. Ebenso die Einbindung in das europäische EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation "Horizont Europa" sowie die grundlegenden Zielsetzungen und Investitionen im Rahmen des Europäischen Green Deals.

 

In diesem Kontext könnte und müsste "Foresight" als eine ambitionierte Querschnittsfunktion im BMBF konzipiert werden, die die Einzelaktivitäten einer missionsorientierten Forschungs- und Innovationspolitik zusammenbindet. Die Beiträge von "Foresight" wären dann im besten Sinne eine relevante Quelle für die Identifikation und strategische Ausrichtung von Forschungsförderungsthemen, um mögliche Transformationspfade frühzeitig im gesellschaftlichen Diskurs zu verankern. Die Ergebnisse der KI-Enquete des Bundestages wären hierfür ebenso zu nutzen wie auch die parallel zum "Foresight"-Prozess laufenden Forschungsprojekte im Kontext der Innovations-und Technikanalyse (ITA) des BMBF, die jetzt den Namen "insight" erhalten haben.

 

"Foresight" könnte hierbei eine hilfreiche Brückfunktion übernehmen, die durch ihren interdisziplinären Zuschnitt die doch stark technologisch geprägte F&I-Politik erweitern könnte. Innovation ist, wie wir seit Schumpeter wissen, ein zerstörerischer Prozeß, der nur dann erfolgreich ist, wenn er von sozialen und organisatorischen Innovationen begleitet wird. Die Übernahme einer solchen Brückenfunktion scheint vom BMBF jedoch auch mit dem 3. "Foresight"-Zyklus nicht intendiert zu sein.

 

"Foresight" ist immer noch nicht
zur Disziplin gereift

 

Die Halbzeitbilanz zeigte insofern schmerzlich, dass das Potential von "Foresight" als notwendige Ressource für Gestaltungswissen keine erkennbare strategische Option zu sein scheint. Die vorlegte Wertestudie und die ohne nachvollziehbare Kontexte erfolgte Auflistung von "50 Themenblättern" blieben weit hinter den Erwartungen zurück.

 

"Foresight" ist, so wurde durch die Konferenz deutlich, immer noch nicht zur "Disziplin" gereift. Damit ist kein im engeren Sinne wissenschaftlich eigenständiges Fach gemeint, sondern eine Denk- und Herangehensweise, die transdisziplinär ausgerichtet, wissenschaftlich transparent und methodisch überprüfbar agiert. Die aber immer auch experimentelle Wissenszugänge erproben und überprüfen muss und die nicht den gleichen Evaluationskriterien wie wissenschaftliche Institutionen unterliegen kann und darf.

 

"Foresight" wäre damit ein Resonanz- und Diskursraum für die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Davon ist "Foresight", trotz aller Erfolge, sei es die  schon selbstverständliche Einbindung in unternehmerische Innovationsprozessen oder die ständige Verfeinerung der methodischen Zugänge, noch weit entfernt. "Foresight" nicht in einem solch umfassenden Sinn zu nutzen, verspielt wichtige Potentiale und Beiträge – für eine koordinierte, lernfähige und voraussschauende und damit auch resiliente Transformationspolitik.

 

Manfred Ronzheimer ist ein freier Wissenschafts- und Innovationsjournalist mit Sitz in Berlin. Klaus Burmeister ist Foresight-Experte und Geschäftsführer von foresightlab.de.


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Kommentare: 1
  • #1

    Claus Mertes (Mittwoch, 07 April 2021 11:08)

    Man staunt, was es in diesem Land alles so gibt. Da wäre
    doch interessant zu wissen, was die zuständige Ministerin
    im Amt darüber weis. ....
    Wie lange war jetzt noch mal die Zeit bis zu den Wahlen?