Das Medizinstudium soll neu strukturiert werden. Die Pläne gibt es seit Jahren, doch jetzt spitzt sich der Streit um die Finanzierung der Großreform zu. Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf das Bund-Länder-Gerangel um die Ärzte von morgen aus?
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ES GEHT UM DAS GROSSE GELD. Seit Jahren streiten Bund und Länder, meist hinter den Kulissen, um die künftige Finanzierung der Medizinerausbildung. Ein Thema, das vor Corona bereits für Aufregung in Wissenschafts- und Gesundheitspolitik sorgte, und seit Beginn der Pandemie erst recht.
Jetzt haben sich die Wissenschaftsminister aller Länder auf eine Bundesratsentschließung geeinigt, mit der sie den Bund erneut unter Druck setzen wollen. Das Problem ist allerdings, dass das schon letztes Mal nicht geklappt hat. Und dass auch diesmal nicht alle ihre Gesundheitsministerkollegen mitziehen wollen. Die Spaltung geht erneut quer durch einige Landesregierungen. Aber der Reihe nach.
Vor mehr als vier Jahren, Ende März 2017, hatten die Wissenschaftsminister nach langem Poker dem "Masterplan Medizinstudium 2020" zugestimmt, dessen 37 Punkte viele schon damals überfällige Verbesserungen der Ärzteausbildung festlegte: von einer neuen Struktur des Studiums, der Verknüpfung klinischer und theoretischer Inhalte vom ersten Semester an, also eine frühzeitige Praxisorientierung "am Patienten und seinen Bedürfnissen" und vieles mehr. Doch hatte die Reform ihren Preis, einen hohen Preis, der 2017 noch gar nicht genau zu beziffern war, der aber von den Ländern, genauer: aus den Wissenschaftsetats, zu stemmen sein würde.
2017 blieb am Ende nur
ein trotziger Einseiter
Das wussten die Wissenschaftsminister, fürchteten die Überlastung ihrer Etats – und forderten vor Verabschiedung vom Bund, der den Masterplan mit ausgearbeitet hatte, die Zusicherung, dass er sich an den Kosten der Reformen beteiligen werde. Auch die "für die ärztliche Versorgung verantwortlichen Träger" sollten in die Pflicht genommen werden. Doch der Bund, in Gestalt des damaligen Gesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU), wollte keine solchen Zusicherungen geben. Irgendwann wurde der Druck auf die Wissenschaftsminister dann so groß, dass sie dem Plan trotzdem zustimmten. Nicht einmal auf eine eindeutige Erklärung zu ihren Gunsten wollten sich ihre Kollegen, die Landesgesundheitsminister, einlassen, und so fügten die Wissenschaftsminister der damaligen Einigung trotzig einen eigenen Einseiter bei.
Darin konnte man nachlesen, dass "ein angemessener Finanzierungsbeitrag des Bundes" erwartet werde und natürlich auch der Träger. Auch dass die vollständige Umsetzung des Masterplans unter Haushaltsvorbehalt stehe, betonten die Wissenschaftsminister noch einmal, und dass die Bundesregierung sich für finanzielle Verbesserungen für die Hochschulkliniken einsetzen solle.
Zweieinhalb Jahre später, immer noch vor der Corona-Pandemie, lag dann eine Kostenschätzung auf dem Tisch, auf Bitte der Landeswissenschaftsminister ausgearbeitet vom Medizinischen Fakultätentag (MFT). Die MFT-Experten schickten den Disclaimer mit, dass der Versuch, die Reform finanziell abzuschätzen, nur "näherungsweise" möglich sei. Doch schon diese Annäherung hatte es in sich.
Zu den einmaligen Transformationskosten von rund 130 Millionen Euro, rechnete der MFT vor, ergäben sich dauerhaft Mehrkosten von 22.000 bis 28.000 Euro pro Erstsemester-Studienplatz und Jahr, wobei die Experten nur für den höheren Wert eine wirtschaftlich ausreichende Deckung für die Lehrpraxen und damit die Lehre sichergestellt sahen. Hochgerechnet auf die Gesamt-Studentenzahl lagen die Mehrkosten laut Schätzung bei rund einer Viertelmilliarde Euro pro Jahr, zusätzlich erforderliche Investitionen nicht eingerechnet.
Ist die Approbationsordnung
der von den Ländern erhoffte Hebel?
Was schon Geld genug für die Wissenschaftsetats wäre, wäre da nicht auch noch der Finanzierungsstreit zwischen Bund und Ländern um weitere Reformvorhaben im Gesundheitsbereich: von der Neufassung der zahnärztlichen Approbationsordnung, die Einrichtung neuer Gesundheitsstudiengänge oder auch die dringend nötige Erhöhung der Zahl der Medizin-Studienplätze.
Jetzt also, nach vielen Wochen Verhandlungen über den Wortlaut ihres Bundesrats-Antrages, wollen die Wissenschaftsminister einen neuen Anlauf unternehmen, nicht allein auf den Kosten sitzen zu bleiben. Eingebracht hat den Entschließungsantrag Schleswig-Holstein – eines der Länder, in denen sich Wissenschafts- und Gesundheitsminister einig sind.
Als Anlass nehmen die Wissenschaftspolitiker die gesetzliche Neuregelung der Ärztlichen Approbationsordnung, den der Antrag zu Recht als "wichtigen Meilenstein" zur Umsetzung des Masterplans und zugleich als "Kraftakt" bezeichnet – und zwar "für die medizinischen Fakultäten, weil sie während der Covid-19-Pandemie den Studienbetrieb parallel zur laufenden Ausbildung neu organisieren müssen; für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, weil sie sich zukünftig neben ihrem regulären Praxisbetrieb in der Lehre engagieren werden und damit ein noch praxisnäheres Studium ermöglichen; für die Politik, weil sie die Qualitätsverbesserung in der Ausbildung nicht erkaufen darf, indem sie die Zahl der begehrten Studienplätze abbaut."
Wer das als Mahnung an den Bund verstehen will, hat den Ton des Entschließungsantrags korrekt erfasst. Bislang liegt zwar nur ein Referentenentwurf der neuen Approbationsordnung im Bundesgesundheitsministerium vor, aber schon das sehen die Wissenschaftsminister als Gelegenheit für die Länder, um, wie es im Antrag heißt, ihren "bundesseitigen Partner beim Masterplan Medizinstudium 2020 für dessen Gelingen explizit mit in die Verantwortung zu nehmen". Nur für diesen Fall, so lautet die weitere Botschaft, winken sie mit der in Aussicht gestellten "raschen Zustimmung im Bundesrat".
Die Drohung mit
dem Studienplatz-Abbau
Da das mit dem In-die-Verantwortung-Nehmen des "bundesseitigen Partners" bislang nicht wirklich geklappt hat, wird es spannend sein zu sehen, was der neue Anlauf über den Bundesrat bringt.
Jedenfalls drohen die Wissenschaftsminister im Antrag unverhohlen damit, dass ohne finanzielles Engagement des Bundes die Pläne vieler Bundesländer, die Zahl der Studienplätze zu erhöhen, "tangiere", und stellen noch einmal das Szenario in den Raum, dass in diesem Fall die Zahl der Studienplätze sogar sinken könnte. Und sie konstatieren: Die nötigen Kompensationsmaßnahmen müssten umso passgenauer gewählt und "ihre Finanzierung in eine Verständigung der Partner des Masterplans Medizinstudium 2020 einbezogen werden". Die Empfehlung des Bundesrats laute daher, "mit dem Ziel einer Absicherung dieser Prozessabfolge... den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Ärztlichen Approbationsordnung sorgfältig abzuwägen."
Zudem fordern die Länder, nachdem die bisherigen Schätzungen nur ungefähr sind, den Bund auf, parallel zum Entwurf der Approbationsordnung auch die dadurch ausgelösten Zusatzkosten zu kalkulieren – inklusive einer angemessenen Finanzierung der Lehrpraxen. Eine "nachvollziehbare Darstellung des Erfüllungsaufwands für Bund und Länder" sei bereits vor Billigung durch das Bundeskabinett "unerlässlich".
Ob die Wissenschaftsminister diesmal mehr Erfolg haben als 2017? Oder ob Gröhes Nachfolger Jens Spahn ihre Initiativen diesmal genauso aussitzt? Im Entschließungsantrag erinnern die Wissenschaftsminister jedenfalls selbst an den 2017erPoker und dass die Länder den Masterplan "unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt haben und bei den Reformen akademisierter und nicht-akademisierter Gesundheitsberufe bereits finanziell in Vorleistung gegangen sind". Was für Spahn womöglich eher ein Argument sein könnte, auch jetzt nicht auf die Forderungen einzugehen – weil es ja auch in der Vergangenheit so geklappt hat und die Wissenschaftsminister notgedrungen einlenkten am Ende.
Springen noch mehr Gesundheitsminister
ihren Wissenschaftskollegen bei?
Vielleicht kommt es aber auch genau umgekehrt: wenn es den Ländern gelingt, das Bild einer Bundesregierung zu vermitteln, die trotz der Erfahrung in der Pandemie in Kauf nimmt, dass Medizin-Studienplätze abgebaut werden. Wie? Indem sie von den Ländern mehr Qualität und Aufwand in der Medizinerausbildung einfordert über die Approbationsordnung, ohne angemessen für diese "Bestellung" mit zahlen zu wollen. Dazu müssten die Wissenschaftsminister aber bereit sein, viel stärker als bislang ein Emotionalisieren der Debatte zu riskieren.
Im Antrag steht erstmal: Der Bund müsse jetzt "unverzüglich" in "konkrete und zielorientierte Gespräche mit den Ländern zur Gewährleistung einer fairen Kostenteilung eintreten": Diese Forderung im Entschließungsantrag hört sich fast schon ironisch an angesichts der Tatsache, dass der Bund es die letzten viereinhalb Jahre auch nicht getan hat.
Immerhin: In fünf Ländern, darunter zwei der größten (Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen), ziehen Wissenschafts- und Gesundheitsminister schon an einem Strang und tragen den Entschließungsantrag gemeinsam, in weiteren Ländern sah es zuletzt nach einer Einigung zwischen den Ressorts aus. Wenn sich auch die übrigen Gesundheitsminister einen Ruck geben und sich vom Bund emanzipieren, könnte es mit der Bundesratsentschließung im Sinne des Antrags noch klappen. Dann wäre es da, das von den Wissenschaftsministern so dringend benötigte starke Ländersignal.
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Bernhard Brink (Donnerstag, 22 April 2021 11:18)
Vielleicht sollte man im (stark nachgefragten) Medizin-Studium einfach Studiengebühren einführen. Dann reguliert sich die Angelegenheit vermutlich von allein.