Im zweiten Lockdown haben die Schüler pro Tag etwas mehr Zeit für Lernen aufgewendet als zu Beginn der Corona-Krise. Doch die Bilanz des Distanzunterrichts bleibt bescheiden. Auch die sozialen Unterschiede sind bedenklich.
Kinder lernen deutlich weniger im Distanzunterricht. Bild: Dmitriy Gutarev / Pixabay.
ES IST DER ZWEITE Aufschlag. Bereits im Frühjahr 2020 hatten Bildungsforscher des ifo Eltern zu deren Erfahrungen während der Schulschließungen gefragt. Mit teilweise "niederschmetternden" Ergebnissen, wie Bildungsökonom und Studienleiter Ludger Wößmann damals formulierte: Die tägliche Lernzeit der Kinder und Jugendlichen halbierte sich von 7,4 auf 3,6 Stunden, und sie verbrachten deutlich mehr Zeit vorm Fernseher, am Computer oder mit dem Handy.
Jetzt haben Wößmann und seine Kollegen die Online-Befragung unter mehr als 2000 Eltern bundesweit wiederholt, um herauszufinden, wie Schulkinder den zweiten bundesweiten Schul-Lockdown Anfang 2021 verbracht haben. Das Ergebnis ist vielleicht nicht mehr niederschmetternd. Aber in jedem Fall ernüchternd.
Im Durchschnitt haben Schüler diesmal während des reinen Distanzunterrichts 4,3 Stunden mit schulischen Tätigkeiten verbracht – immer noch drei Stunden weniger als an einem üblichen Schultag vor Corona. Hinzu komme die enorme Spreizung der Ergebnisse, berichten die Forscher. Soll heißen: Während einige kaum weniger als normalerweise lernten, kam fast jedes vierte Kind (23 Prozent) auf nicht einmal zwei Stunden Lernen am Tag. Dafür waren die Kinder und Jugendlichen im Schnitt 4,6 Stunden am Daddeln oder Fernsehen.
Wie kann das sein, dass der Fortschritt so gering ist, obwohl die Bildungspolitik und die Schulen im Gegensatz zum ersten Corona-Lockdown, der über Deutschland hereinbrach, fast ein Dreivierteljahr Zeit hatten, sich auf die Pandemie einzustellen?
39 Prozent trafen sich maximal einmal
die Woche zur Videokonferenz
An der technischen Ausstattung der Schüler liegt es jedenfalls nicht mehr. Die allermeisten von ihnen haben für die Schularbeit regelmäßig Zugang zu einem Computer oder Tablet.
Trotzdem hatten 39 Prozent immer noch nur maximal einmal in der Woche gemeinsamen Online-Unterricht, zum Beispiel per Video. Und nur 26 Prozent kamen täglich zum virtuellen Unterricht zusammen. Klar ist das mehr als im ersten Lockdown, als die Mehrheit der Schüler seltener als einmal die Woche Online-Unterricht hatte und nur sechs Prozent jeden Tag. Zumal die Schulen auch Lernvideos und Lernsoftware häufiger eingesetzt haben.
Und doch blieb die häufigste Lehraktivität auch im Frühjahr 2021 die Bereitstellung von Arbeitsblättern. 97 Prozent der Schüler mussten ihren Eltern zufolge mindestens einmal die Woche auf diese Weise Aufgaben erledigen, 62 Prozent mehrfach die Woche (12 Prozentpunkte mehr als 2020). Immerhin 77 Prozent erhielten mindestens einmal die Woche eine Rückmeldung zu den bearbeiteten Aufgaben – statt 65 Prozent 2020. Was aber auch bedeutet, dass 18 Prozent selten und immer noch 17 Prozent nie ein Lehrer-Feedback erlebten.
Gut ist, dass im Unterschied zu 2020 diesmal leistungsschwächere Schüler auf dieselbe Lernzeit kamen wie leistungsstarke Schüler. Das ifo führt dies auf bessere Distanzunterrichtskonzepte zurück. Allerdings verbrachten leistungsschwächere Kinder weiter mehr Zeit mit sogenannten passiven Tätigkeiten wie Fernsehen, Computer- oder Handyspielen, sie lasen weniger und bewegten sich auch seltener. Das Gleiche galt für Schüler aus Nicht-Akademiker-Haushalten.
Nicht-Akademikerkinder bekamen weniger Online-
Unterricht, weniger Feedback, weniger Förderung
Eine soziale Schieflage zeigt sich auch beim Online-Unterricht. 20 Prozent der Nicht-Akademikerkinder hatten ihn auch im zweiten Lockdown nie – im Vergleich zu 13 Prozent der Akademikerkinder. 35 Prozent von ihnen erhielten zudem nie ein individuelles Lehrerfeedback – zehn Prozentpunkte mehr als bei Schülern aus bildungsnahen Familien. Wie schon im Frühjahr 2020 sei erneut nicht zu erkennen, "dass während der Schulschließungen Anfang 2021 ein besonderer Fokus der Lehrkräfte auch der Förderung benachteiligter Kinder lag", schreibt das ifo.
Ebenfalls alarmierend: Akademikerkinder erhielten häufiger schulischen Förderunterricht (14 versus 8 Prozent) und nahmen an Ferienkursen teil (11 versus 2 Prozent).
Währenddessen scheinen Familien unabhängig von ihrem Hintergrund inzwischen an ihre Grenzen zu kommen. Obwohl die Lernzeit etwas höher war und die Kontakte zur Schule häufiger ausfielen, sagten diesmal nur noch 71 Prozent der Eltern, sie seien mit der Situation während der Schulschließungen Anfang 2021 gut klargekommen – im Vergleich zu 89 Prozent vergangenes Jahr. Rund die Hälfte der Eltern spricht von einer großen psychologischen Belastung für sie selbst oder für ihre Kinder – auch das ein Viertel mehr als 2020. Drei von vier Familien berichten, es sei für die Kinder eine große Belastung, ihre Freunde nicht wie gewohnt treffen zu können. 31 Prozent der Kinder hat ihren Eltern zufolge während der Pandemie zum Beispiel wegen Bewegungsmangel zugenommen.
Immerhin: Die Mehrheit der Eltern findet, ihr Kind habe durch die Schulschließungen gelernt, eigenständiger Unterrichtsstoff zu erarbeiten (56 Prozent) und mit digitalen Technologien besser umzugehen (66 Prozent).
Doch das Gesamturteil der ifo-Forscher fällt äußerst kritisch aus: Den "zuständigen Akteuren", gemeint sind wohl die in Politik, Bildungsverwaltung und Schulen, sei es also "auch mit langer Vorlaufzeit und nach eindringlichen Appellen von Eltern und Wissenschaft nicht gelungen, Distanzunterrichtskonzepte zu etablieren, die eine angemessene Beschulung aller Kinder und Jugendlichen sicherstellen." Angesichts der großen Gefahr weiterer Schließungen sei zu fürchten, "dass die Lernverluste nicht nur nicht ausgeglichen werden, sondern noch weiter ansteigen, mit enormen Folgekosten für die betroffenen Kinder und die Gesellschaft insgesamt."
Dieser Beitrag erschien in einer kürzeren Fassung gestern zuerst in meinem Newsletter.
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