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"Das Verfahren läuft... nicht"

Die Online-Studienplatzvergabe DOSV legte einen Fehlstart in die Bewerbungsphase fürs Wintersemester hin. Doch ihr Betreiber "Hochschulstart" versichert: Ab jetzt wird die Software laufen. Die ehemalige ZVS kämpft weiter mit sich selbst und ihrer Großreform.

DOSV-Startseite (Screenshot).

ES WAR EINE BILANZ, wie man sie lange nicht aus der Stiftung für Hochschulzulassung, besser bekannt unter ihrem Markennamen "Hochschulstart", gehört hatte. "Sehr positiv" sei das Verfahren zur Studienplatzvergabe für das Sommersemester gelaufen, frohlockte die kommissarische Sprecherin Kerstin Lütge-Varney, noch dazu "erstmals technisch einwandfrei und ohne Wartungsfenster".

 

Hinter dem Begriff "Wartungsfenster" verbarg sich in vergangenen Jahren das immer wieder teilweise oder komplette Zusammenklappen der Online-Plattform DOSV unter der Bewerberlast. So war das sogenannte "Dialogorientierte Serviceverfahren" im September 2020 drei Tage lang weder für Hochschulen noch für Bewerber erreichbar gewesen. Was für die hunderttausenden Studieninteressenten, deren Weg ins Studium zwangsläufig über eine DOSV-Bewerbung führen muss, Stress und Frust bedeutete. Und für die Hochschulen, die sie aufnehmen wollen, ebenso.

 

Doch ging es nach der Stiftung, so sollte all dies jetzt der Vergangenheit angehören. Die Software sei geändert worden, "um Lastspitzen zu reduzieren", erläuterte Sprecherin Lütge-Varney, auch die Hardware sei ausgebaut worden. Dazu habe Hochschulstart bei der Finanzministerkonferenz einen Nachtragshaushalt in Höhe von 950.000 Euro für das Jahr 2021 aus Restmitteln der Länder beantragt, der auch schnell vom Stiftungsrat, dem Aufsichtsorgan der Stiftung, genehmigt worden sei. 

 

Denn das große Problem in vergangenen Semestern sei stets "die Performanz" gewesen: "Unsere Rechner – und dabei insbesondere die Datenbankserver – erwiesen sich bei einigen Lastspitzen als zu leistungsschwach für das massiv gestiegene Volumen der Bewerbungen." Rund 2,2 Millionen Bewerbungen habe es zum vergangenen Wintersemester 2020 gegeben, so viel wie noch nie.

 

Jetzt aber, versicherte die Hochschulstart-Sprecherin, sei das "Problem analysiert und gelöst" worden. "Umso erfreulicher" sei das "technisch und rechtlich einwandfreie Verfahren" zum Sommersemester zu werten.

 

Das war am 14. April. Nur einen Tag, am 15. April, später startete die Bewerbungsphase zum Wintersemester, es war kurz nach neun am Vormittag, als aus der ersten Universität die Meldung kam: "Das Verfahren läuft... nicht."

 

System-Komplettsperrung
gleich am ersten Tag

 

Vier Stunden danach meldete sich auch die Stiftung a.k.a. Hochschulstart mit einer zerknirschten Mail bei den Studierendensekretariaten und Zulassungsstellen der Hochschulen. Im DOSV, stand da, komme es "aktuell zu technisch bedingten Verzögerungen. Aufgrund dessen wurde ein Wartungsfenster auf dem DoSV-Hochschulportal und dem DoSV-Bewerbungsportal geschaltet." Das System sei daher sowohl für Hochschulen als auch für Bewerberinnen und Bewerber nicht zugänglich.

 

Mit anderen Worten: Die nächste System-Komplettsperrung gleich am ersten Tag des Bewerbungsverfahrens zum Wintersemester – im Vergleich zu dem das Sommersemester mit seinen viel niedrigeren Bewerberzahlen stets kaum mehr als ein Testlauf ist. Tatsächlich hatten zum Sommersemester 2021 sogar 19 Prozent Bewerber weniger als zum Sommersemester 2020 die Plattform genutzt – insgesamt nur 60.000. 

 

Hatte Hochschulstart also, getäuscht von einem allzu entspannten Sommersemester-Verfahren, den Mund zu voll genommen?

 

Tatsächlich hat sich bei Hochschulstart
schon eine Menge getan

 

Sie arbeite "mit Hochdruck an der Behebung der Verzögerung", teilte die Stiftung mit. Und tatsächlich: Drei Tage später, am vergangenen Montagvormittag um 10 Uhr, hob Hochschulstart die Sperre für die Hochschulen auf, am Nachmittag dann auch für die Bewerber. In einem Schreiben an die Hochschulen erklärten die Geschäftsführer der Stiftung, Oliver Herrmann und Peter Pepper, die dreitägige Sperrung mit einer "unverhältnismäßige(n) Systemlast, die am 15. April aufgetreten sei. Grund sei ein Programmierfehler gewesen, der nicht absehbar gewesen,  nun aber vollständig behoben sei, "und wir sind zuversichtlich, dass das weitere Verfahren gut laufen wird." 

 

Nur dass die Hochschulen und Bewerber das schon so oft gehört haben, dass viele es nicht so recht glauben wollen. Da nützen die Versicherungen der Stiftung wenig, trotz der technischen Probleme und der "Wartungsfenster" sei auch die Studienplatzvergabe zum Sommersemester 2020 und zum Wintersemester 2020/21 "korrekt und juristisch einwandfrei durchgelaufen". Alle Studienplätze seien "fehlerfrei" vergeben worden, die Informationen auf der Plattform richtig dargestellt, und auf die Eingaben der Benutzer habe das System fehlerlos reagiert. Hängen bleibt vielerorts, dass auf das Portal technisch kein Verlass war. Und – offensichtlich – trotz aller Beteuerungen – immer noch nicht ist.

 

Dabei hat sich in den vergangenen Jahren bei Hochschulstart tatsächlich eine Menge getan. Am wichtigsten war die Ablösung der alten Geschäftsführung, die das Technik-Chaos über Jahre nicht in den Griff bekommen hatte, was die Politik ihr ebenfalls über Jahre hatte durchgehen lassen. Bis zur überfälligen Neustrukturierung, die im Herbst 2019 zum überfälligen Offenbarungseid führte, formuliert durch den neu eingerichteten IT-Rats der Stiftung: Die 2009 gestartete Software hinter der Online-Studienplatzvergabe DoSV sei nicht mehr zu retten. Sie entspreche "nicht mehr dem Stand der Technik". Sie sei "fragil", "schwer wartbar" und "auf Dauer nicht ökonomisch betreibbar". 

 

Woraufhin die Wissenschaftsminister der Länder endlich eine Neuentwicklung in Auftrag gaben – die allerdings erst frühestens 2024, 2025 fertig sein soll.

 

Und so lange muss die altersschwache Technik hinter dem Bewerbungsportal noch halten – mit allen Mittel ertüchtigt und irgendwie aufgepäppelt. Wobei, siehe oben, bereits die Bewerbung zum Wintersemester 2020 zur großen Bewährungsprobe wurde. Mit Portalsperren und mit Protesten von mehreren Dutzend Bewerbern, wichtige Daten seien aus ihrer Online-Bewerbung verschwunden – mit dem Ergebnis, dass sie keine Zulassung erhalten hätten. Die Stiftung bestritt Fehler und den Vorwurf, die Software habe den Bewerbern den Medizin-Studienplatz geklaut. Doch der Ärger war groß. Droht jetzt die Wiederholung?



Auch die Länder stehen unter großem Druck: Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mussten sie die Medizin-Studienplatzvergabe neu regeln – mit massiven Folgen auch für Hochschulstart, das neben den bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen wie Medizin auch viele lokale NC-Fächer koordiniert.

 

Tatsächlich war die Zahl der Bewerbungen im vergangenen Wintersemester um mehrere hunderttausend im Vergleich zu den Vorjahren gestiegen, was neben dem Medizin-Urteil zusammenhing, aber auch mit der Zunahme an Mehrfachbewerbungen und Überbuchungen durch die Hochschulen. Doch bleibt der Hauptgrund für die anhaltenden Probleme, dass die Politik die Versäumnisse der Stiftung viel zu spät angegangen und die notwendige Reform verschleppt, ja es über Jahre vermieden hatte, sich ernsthaft mit der Situation bei Hochschulstart zu befassen. 

 

Die nötigen Ausschreibung gehen
erstaunlich gemächlich voran

 

Dafür, dass bis 2025 die neue Software laufen soll, gehen die nötigen Ausschreibungen erstaunlich gemächlich voran. Zwar haben die Finanzminister die nötigen 17 Millionen Euro im Dezember freigegeben, doch von den vier sogenannten "Ausschreibungspaketen" ist bislang nur eines in die Ausschreibung  gestartet: die zum Software-Testen. Das zentrale Paket "DoSV 2.0", das die neue Kernsoftware beinhaltet, befindet sich noch in der Planungsphase. In einem "Expertenprojekt" solle zunächst geklärt werden, "wie die Architektur des DoSV 2.0 spezifisch auszulegen ist und technologisch realisiert werden kann", teilt Hochschulstart-Sprecherin Lütge-Varney mit.

 

Ansonsten ist man mit Aussagen zum Verfahren und den Bewerbern sehr sparsam – um juristische Fallstricke zu vermeiden, aber wohl auch, weil Hochschulstart in der Vergangenheit dafür kritisiert worden war, sich zu eng an einzelne Firmen zu binden. Ein Eindruck, den man diesmal offenbar um jeden Preis vermeiden möchte. 

 

Aktuell sei man dabei, "unsere IT-Teams weiter personell und fachlich aufzustocken", heißt es aus der Stiftung. Und weiter: "Das Ziel, innerhalb von fünf Jahren ein zukunftsorientiertes und modernes Software-System zu schaffen, das einen hohen Nutzungskomfort für Bewerber*innen und Hochschulen bietet und den vielfältigen Anforderungen in Sachen Barrierefreiheit, Onlinezugangsgesetz-Konformität, IT-Sicherheit, Datenschutz etc. genügt, ist und bleibt aber eine sehr ambitionierte Herausforderung." 

 

Die Stellen der administrativen und technischen Geschäftsführer müssen auch neu besetzt werden, weil die derzeitigen Stelleninhaber schon zu Beginn der Struktur angekündigt hatten, nur vorübergehend zur Verfügung zu stehen. Die Personalentscheidungen seien vom Stiftungsrat, der aus Vertretern der Länder und der Hochschulen besteht, bereits getroffen, bestätigt Hochschulstart. Die Namen würden demnächst öffentlich gemacht. 

 

Die Studierendensekretariate und Zulassungsstellen an den Hochschulen werden auch diesen Schritt mit Argusaugen verfolgen. Über den derzeitigen administrativen Geschäftsführer Oliver Herrmann sagt ein Hochschulvertreter: "Ein besseres System hatte er zwar auch nicht. Aber immerhin hat er dafür gesorgt, dass das Fiasko jetzt etwas offener kommuniziert wird."

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Kommentare: 2
  • #1

    Edith Riedel (Dienstag, 27 April 2021 09:26)

    Ich kann gut verstehen, dass das neue Team die Versäumnisse von Jahren (Jahrzehnten?) nicht innerhalb kürzester Zeit beheben kann. Ich wünsche den Beteiligten eine ruhige und glückliche Hand!

  • #2

    EmCe² (Dienstag, 27 April 2021 10:49)

    Es ist nicht lange her (25. und 26.3.), da haben die beiden scheidenden Geschäftsführer im Zuge ihrer "Abschiedsreden" auf der Online-Nutzertagungen genau das angekündigt: Die "Wartungsfenster" (unangekündigte, teils tagelange Offline-Zeit des Portals) sollten der Vergangenheit angehören. Da blinzelt man ein paar Mal und schwups - muss man den Hochschulen leider erneut einen "Brief" schreiben in dem man erneut Stellung beziehen muss... Den Abschied haben sie sich sicher auch anders vorgestellt.

    Bei der Formulierung "Die Namen würden demnächst öffentlich gemacht. " bin ich etwas stutzig geworden, da der Nachfolger des bisherigen technischen Geschäftsführers bereits namentlich benannt wurde und sogar bereits in der o.g. Nutzertagung eigens einen eigenen Slot erhielt um sich und seine Vorhaben vorzustellen - augenscheinlich bereits im März vom Stiftungsrat gewählt. Es bleibt also zumindest spannend, wer die Nachfolgerin des administrativen Geschäftsführers wird.

    Gespannt darf man auch sein, vom reibungslosen Betrieb der Plattform / der Server mal ganz ab, ob man auch in geeigneter Weise die weiteren "Hausaufgaben" angehen kann, die die bisherigen Geschäftsführer hinterlassen und ebenfalls während der Nutzertagung klar dargestellt haben... über die Mitarbeiter*innengewinnung/-haltung (55 derzeitige befristete Stellen!, plus 17 kommende), über die "nur" 3 besetzten IT-Stellen (von 20 möglichen), bis hin zur desaströsen telefonischen Erreichbarkeit (Zitat: "telefonische Annahmequote lag 2020 bei durchschnittlich 16%!") - von der kostenpflichtigen Rufnummer mal nicht gesprochen.

    Wir werden es erleben.