· 

Hochschulen fordern grundlegende BAföG-Reform

Flexibler, lebensnäher und breiter müsse die Studienförderung aufgestellt werden, verlangt die HRK und skizziert fünf Eckpunkte. Bekommt die Debatte um eine Neukonzeption im Jahr 50 des BAföG jetzt neuen Schwung?

DER DRUCK AUF die nächste Bundesregierung, eine grundlegende BAföG-Reform in Angriff zu nehmen, wächst. Nach Bundestagsopposition, SPD-Bundestagsfraktion, verschiedenen Landeswissenschaftsministern, Studierendenverbänden, den Studierendenwerken und der Bildungsgewerkschaft GEW hat nun auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) einen weitgehenden Umbau der Studienförderung gefordert. 

 

Systematik und Inhalte des BAföG würden der Lebensrealität der Studierenden nicht mehr ausreichend gerecht, eine grundlegende Reform sei unabdingbar, stellte die HRK-Mitgliederversammlung fest, die am Dienstag digital zusammengekommen war. Der gerade mit 94 Prozent der Stimmen in eine zweite Amtszeit gewählte HRK-Präsident Peter-André Alt sagte, nicht erst die Pandemie habe die Lücken dieses zentralen Faktors für Chancengerechtigkeit im Bildungswesen deutlich gemacht. "Die heutige Förderung wird der Preisentwicklung bei Mieten und Lebenshaltungskosten und den viel diverser gewordenen Bildungsbiografien nicht mehr gerecht. Das ist nicht nur für die einzelnen Betroffenen ein Problem, sondern auch gesellschaftspolitisch fatal." Die BAföG-Änderungen 2019 seien ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, aber in keiner Hinsicht ausreichend.

 

Höhere Freibeträge, längere Förderdauer,

keine Altersgrenze

 

Die HRK-Mitgliederversammlung skizzierte fünf Eckpunkte für die verlangte Reform:

 

o Die Einkommens- und Vermögensfreibeträge der Eltern müssten so bemessen sein, dass wieder "eine angemessene Förderquote" erreicht werden könne. Als diese definiert die HRK den Stand kurz nach der Einführung des BAföG vor 50 Jahren: 1972 seien 44,6 Prozent der Studierenden gefördert worden – im Vergleich zu heute zwölf Prozent.  

 

o Die Förderung solle sich künftig auf die Regelstudienzeit plus zwei Semester erstrecken, "um der komplexen Lebensrealität einer diversen Studierendenschaft gerecht zu werden". Nur 33,6 Prozent der Studierenden hätten 2019 ihr Studium in der Regelstudienzeit abgeschlossen, erläuterte die HRK, aber 77 Prozent innerhalb der Regelstudienzeit zuzüglich zwei Semestern.

 

o Die Altersgrenze beim BAföG-Bezug solle komplett entfallen, "um das gesellschaftlich erwünschte und notwendige lebenslange Lernen zu fördern und den veränderten Bildungs- und Erwerbsbiografien gerecht zu werden".

 

o Die Förderung solle für Teilzeitstudierende geöffnet und ein "flexibler Teilanspruch" eingeführt werden.

 

o Das BAföG müsse um eine "Nothilfe-Komponente für bundesweite Notsituationen" ergänzt werden, damit in Einzelfällen pragmatisch und schnell auch den Studierenden geholfen werden könne, die kein BAföG erhielten.

 

Der letzte Punkt ist eine Konsequenz des Hin und Hers um die derzeitige Corona-Überbrückungshilfe, die erst mit monatelanger Verzögerung eingeführt, zwischendurch dann unterbrochen wurde und auch von ihrer Ausrichtung her etwa vom Deutschen Studentenwerk (DSW), dem Dachverband der Studierendenwerke, kritisiert wird

 

Beifall von den Studentenwerken
und der GEW

 

Das DSW teilte denn auch unmittelbar nach Veröffentlichung der HRK-Forderung mit, es unterstütze diese "vollumfänglich". Studentenwerks-Präsident Rolf-Dieter Postlep sagte: "Diese klare Positionierung der Hochschulen, dieser neuerliche HRK-Vorstoß zum BAföG unterstreichen noch einmal sehr eindrücklich, wie dringend eine BAföG-Reform angegangen werden muss. Sie gehört zuoberst auf die bildungs- und hochschulpolitische To-do-Liste einer neuen Bundesregierung nach der Wahl im Herbst."

 

Der GEW-Vizevorsitzende Andreas Keller kommentierte auf Twitter, mit ihren BAföG-Forderungen sei die HRK "geradezu über sich hinausgewachsen", und fügte hinzu: "Da formiert sich ein breites und schlagkräftiges Bündnis für eine echte-BAföG-Reform."

 

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte eine grundlegende BAföG-Reform noch in dieser Legislaturperiode mehrfach ausgeschlossen. Dafür werde es "ganz sicher" keine Mehrheit mehr geben. "Wir setzen gerade eine dreistufige BAföG-Reform um."


Nachtrag am 29. April

BMBF widerspricht HRK: Eine BAföG-Quote von fast 50 Prozent "nicht erforderlich"

 

Auf Anfrage bezeichnete das BMBF den HRK-Vorstoß heute als wichtigen "Diskussionsbeitrag für die Gestaltung des BAföG in der nächsten Legislaturperiode". Allerdings solle das BAföG nach BMBF-Vorstellung eine subsidiäre Sozialleistung bleiben, sagte ein Sprecher. "Fast die Hälfte aller Studierenden mit einer Sozialleistung zu fördern, ist nicht erforderlich. Dass noch nie so viele Menschen in Deutschland studiert haben, wie heute, zeigt, dass ein Studium in Deutschland erschwinglich und zugleich lohnend ist. Das BMBF hat in den letzten Jahren sehr viel für die Verbesserung der Lehre und die Finanzierung der Hochschulen investiert und damit einen erheblichen Beitrag zu dieser positiven Entwicklung geleistet."

 

Bereits in der laufenden Legislaturperiode sei das BAföG mit der 26. Gesetzesänderung deutlich und spürbar weiterentwickelt worden. Der BMBF-Sprecher nannte die dreistufige Anhebung der Freibeträge und zweistufige Anhebung der Bedarfssätze (inklusive Wohnkostenzuschlag) sogar "die weitreichendste Reform der letzten Jahrzehnte". Zum kommenden Wintersemester trete die letzte Anhebungsstufe in Kraft, die Freibeträge im BAföG würden um nochmals um sechs Prozent angehoben. Wie diese sich auf die Gefördertenzahlen auswirke, werde sich erst im kommenden Jahr messen lassen.  

 

Hinzu komme: Die von der HRK genannte Prozentzahl von zwölf Prozent mit BAföG geförderter Studierender sei "nicht aussagekräftig. Indem die HRK die Zahl der BAföG-Empfänger zu allen an deutschen Hochschulen immatrikulierten Studierenden ins Verhältnis setzt, werden zahlreiche Studierende mitgerechnet, die für das BAföG nicht in Frage kommen, wie zum Beispiel ausländische Austauschstudierende, die lediglich zu Studienzwecken nach Deutschland kommen." Die offizielle Förderquote habe laut dem letzten BAföG-Bericht von 2017 bei 22,1 Prozent gelegen. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Achim Meyer auf der Heyde (Donnerstag, 29 April 2021 17:27)

    Zur Verlautbarung des BMBF:
    Die offizielle Förderquote von 22,1 % (2016, inzwischen garantiert niedriger) legt nicht alle Studierenden (2016: 2,7 Mio.), sondern nur die nach dem Gesetz ‚dem Grunde nach Förderberechtigten‘ (2016: 1,7 Mio.) zugrunde, bevor es überhaupt zur Einkommensprüfung kommt. Die Differenz von 1 Mio. umfasst Studierende,
    • die die Regelstudienzeit überschritten haben,
    • die einen Fachrichtungswechsel vollzogen haben,
    • deren Eltern aufgrund des Migrationsstatus noch nicht lange genug in Deutschland weilen,
    • die nach Abschluss einer vorherigen Berufsausbildung noch nicht die 3 ½ jährige Anwartschaftszeit für die elternunabhängige BAföG-Förderung erreicht haben,
    • die ‚echten‘ internationalen Studierenden (Bildungsausländer, 2016 250.000)
    • etc.
    Leider wurde der regelhaft für 2019 fällige Bericht mit der 26. BAföG bekanntlich ausgesetzt, sodass erst Ende des Jahres die wahrscheinlich weiter gesunkenen Daten vorliegen werden.
    Das BAföG dient als Unterhaltssubstitut für den Fall, dass Eltern ein zu geringes Einkommen haben. Interessanterweise verpflichtet die Familienrechtsprechung die Eltern über die Regelstudienzeit hinaus zur Leistung von Kindesunterhalt, damit die Kinder das Studium erfolgreich abschließen können. Beim BAföG dagegen ist mit der Beendigung der Regelstudienzeit Schluss, obwohl 77% der Studierenden erst im zweiten Semester nach der Regelstudienzeit ihr Studium beenden (Destatis).
    Und was die Erhöhungen der Bedarfssätze betrifft: der Höchstbetrag beim BAföG setzt sich folgendermaßen zusammen: 427 € Grundbedarf, 325 € Wohnpauschale, 115 € Kranken- und Pflegeversicherungszuschlag. Demgegenüber die Familienrechtsprechung (Düsseldorfer Tabelle): 485 € Grundbedarf, 375 € Wohnpauschale, zzgl. Kranken-/Pflegeversicherung, Studiengebühren u.v.m. Also ein mindestens um 110 € höherer Unterhaltsbetrag!