Die Hochschulrektorenkonferenz ist plötzlich für die Gründung einer Deutschen Transfergemeinschaft, sogar die DFG scheint nicht mehr grundsätzlich abgeneigt. Warum eine neue Organisation gegen die deutsche Innovationsschwäche helfen würde.
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AUCH WENN DEUTSCHLAND bei der Impfstoff-Entwicklung gegen Covid-19 international vorn dabei war: Ausgerechnet der überschwängliche Stolz und die Begeisterung über diese außergewöhnliche Leistung zeigen, wie bedrückend Deutschlands Innovationsschwäche in den vergangenen Jahren geworden ist.
Wissenschaftler:innen sammeln ständig neues Wissen und machen immer wieder bahnbrechende Entdeckungen. Doch zu wenige der vielen guten Geschäftsideen, die daraus entstehen, schaffen es in die Anwendung, und noch weniger davon in so kurzer Zeit, dass Wettbewerber anderswo nicht schon längst das Rennen gemacht hätten. Komplett auf der Strecke bleiben meist die besonders ausgefallenen Einfälle, weil Geldgebern und Unternehmen das Risiko einer Beteiligung zu hoch ist.
Umso besser, dass die Coronakrise jetzt einen Vorschlag voranbringt, der seit Jahren kursiert. Die Rede ist von einer "Deutschen Transfergemeinschaft" als Pendant zur Deutschen Forschungsgemeinschaft. Mit dem Unterschied, dass die DFG vor allem die Grundlagenforschung fördert, eine "DTG" aber den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Wirtschaft und Gesellschaft hinein unterstützen würde.
Der Fachhochschulverbund "Hochschulallianz für den Mittelstand" hat den Vorschlag erstmals 2017 gemacht, 2018 hat die FDP ihn 2018 in einen Bundestagsantrag gepackt. Doch Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) lehnte ihn damals genauso ab wie ein paar Monate später die Universitäten in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) – was viele Fachhochschulen vor den Kopf stieß.
Eine Zeitlang sah es so aus,
als sei die Idee gescheitert
Warum, blieb unklar. Altes Statusdenken? Die Angst, eine neue Organisation, wie es sie in der Schweiz oder Schweden längst gibt, könnte Fördergelder für die Grundlagenforschung streitig machen? Jedenfalls sah es eine Zeitlang so aus, als sei die Idee gescheitert.
Doch plötzlich ist alles anders. Im März haben die Grünen das Konzept für eine Innovationsagentur "D.Innova" vorgelegt – entstanden unter Mitwirkung von Muriel Helbig, Rektorin des Hochschulallianz-Mitglieds TH Lübeck. Sie bezeichnete "D.Innova" als "Weiterentwicklung" der DTG-Idee. Und, oh, Wunder, jetzt verkündete auch der gerade wiedergewählte HRK-Präsident Peter-André Alt im Handelsblatt, eine solche nationale Organisation "könnte das Innovationsgeschehen enorm beflügeln". Neben mehr Finanzhilfe für Startups gehe es vor allem darum, die Vielzahl der heutigen Förderprogramme von Bund und Ländern zusammenzulegen.
Alt sprach auf einer Pressekonferenz sogar von Unterstützung für die Idee aus der DFG – was fast schon sensationell wäre, weil die mächtige Forschungsgemeinschaft die DTG-Idee lange argwöhnisch als potenzielle Konkurrenz beäugt hatte. Tatsächlich heißt es aus der DFG selbst auf Nachfrage dann auch nur, der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse "und die Frage der Gründung einer nationalen Einrichtung auf diesem Gebiet" zählten "auch für die DFG zu den Themen von großer Relevanz und Tragweite im deutschen Wissenschaftssystem". Eine abschließende Haltung hierzu gebe es jedoch noch nicht.
Die neue Organisation gehört
in den neuen Koalitionsvertrag
Aber immerhin: Der Meinungswandel in den Universitäten ist da. Auch die DFG bewegt sich. Das Gelegenheitsfenster ist jetzt. Die neue Organisation, ob "DTG", "D.Innova" oder sonstwie genannt, gehört in die Wahlprogramme und dann in den neuen Koalitionsvertrag.
Es wäre gut, wenn jetzt auch die letzten Skeptiker verstünden: Es geht nicht um ein Entweder-Oder von Grundlagen- und Transferforschung. Es geht nicht um die Umverteilung von Fördergeldern oder mehr Bürokratie in Form noch einer neuen Institution, von denen wir ohnehin schon zu viele haben. Auch die mit viel Tamtam gegründete Agentur für Sprunginnovation hat ein anderes Ziel: Sie soll wenige, dafür umso disruptivere Ideen pushen, während eine Transfergemeinschaft stärker in die Breite gehen würde. Nein, die neue Organisation würde der Innovationsforschung endlich die politische Aufmerksamkeit geben, die sie in ihrer ganzen Vielfalt verdient hat. Und den Studierenden und Forschenden mit kreativen Anwendungsideen die Chance, diese zu verfolgen. Zum Wohle aller.
Der Kommentar erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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Th. Klein (Montag, 03 Mai 2021 19:31)
"Es geht nicht um die Umverteilung von Fördergeldern" - na ja, nicht direkt. Aber letztlich geht es um Mittel im Wissenschaftssystem, die andere Institutionen oder Förderprogramme nicht erhalten werden bzw. die anderweitig nicht verfügbar sein werden. Deshalb kann man sich den (bisherigen) Widerstand schon erklären.
Dagegen! (Dienstag, 04 Mai 2021 08:49)
"Alt sprach auf einer Pressekonferenz sogar von Unterstützung für die Idee aus der DFG – was fast schon sensationell wäre, weil die mächtige Forschungsgemeinschaft die DTG-Idee lange argwöhnisch als potenzielle Konkurrenz beäugt hatte. "
Vielleicht hat sich auch nur jemand erbarmt, sich mit Alt hingesetzt und ihm geduldig erklärt, was ein Dunning-Kruger ist ... .
Dass sich die Universitäten und die DFG bislang gegen eine DTG gestemmt haben, könnte schlicht auf Hybris zurückzuführen sein: Sie haben gedacht, dass sie als steuerfinanzierte Bollwerke mit der Privatwirtschaft wettbewerbsfähig sind. Die großen Forschungsskandale in der letzten Zeit müssen sie aber eines besseren belehrt haben: Während es im Fall Herrmann/Brach noch um "reine" Wissenschaft ging, waren die jüngeren Fälle, HeiScreen und Wittchen, beide im Transfer angesiedelt. Vielleicht wurde dem Elfenbeinturm deswegen einfach klar, dass sie im Bereich Anwendungsorientierung kaufmännische und technologische Expertise von außen brauchen, weil sie sie selbst nicht haben. Es ist ja keine Kunst, mit Milliarden von Steuerngelder im Hintergrund hin und wieder mal ein Patent anzumelden - Forschung so zu managen, dass Kosten und Ertrag, z.B. in Form von Patenten, in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, ist da schlicht ein ganz anderer Schnack.