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Gefährliche Signalwirkung

Man kann die Regelungen im Infektionsschutzgesetz für falsch halten. Doch was nicht geht: dass Hochschulen mit Unterstützung von Wissenschaftsministern anfangen, demokratisch beschlossene Gesetze zu missachten. Ein Plädoyer für den Rechtsstaat von Bernadette Stolle.

Geltungsbereiche der Notbremse: Sind beispielsweise Laborpraktika der Präsenzlehre oder der Forschung zuzurechnen? Foto: Lucas Vasquez / Unsplash.

AM 13. APRIL HABEN die Fraktionen von CDU/CSU und SPD einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, um das Infektionsschutzgesetz zu ändern und dort eine Notbremse einzuführen. Schon in diesem ersten Entwurf war vorgesehen, dass nicht nur die Schulen, sondern auch die Hochschulen ab einem Inzidenzwert von 200 die Durchführung von Präsenzunterricht zu unterlassen haben. Bekanntlich wurde diese Inzidenzgrenze im Gesetzgebungsverfahren von 200 auf 165 abgesenkt und das Gesetz mehrheitlich vom Bundestag beschlossen. Auch der Bundesrat hat keine Einwände gegen das Gesetz vorgebracht und das Gesetz passieren lassen. Mit der Unterschrift des Bundespräsidenten und der anschließenden Veröffentlichung trat es in Kraft.

 

Erklärtes Ziel des Infektionsschutzgesetzes ist, Maßnahmen festzulegen, um eine Abschwächung des Infektionsgeschehens zu erreichen, der staatlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit zu entsprechen und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems weiterhin sicherzustellen.

 

Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Parlaments wurden und werden Diskussionen geführt, ob mit den Maßnahmen der Bundesnotbremse diese Ziele erreicht werden können oder nicht und ob dieses Gesetz in unzulässiger Weise in persönliche Freiheitsrechte eingreift. Die FDP beispielsweise reichte umgehend Verfassungsbeschwerde ein, um das nächtliche Ausgangsverbot wieder zu kippen. Inzwischen liegt auch der Entwurf einer Gesetzesänderung vor, der die Hochschulen anders behandelt. Außer Frage aber steht, dass es sich auch bis dahin um ein Gesetz handelt, dass umzusetzen ist. 

 

Viele Kulturschaffende dürfen weiterhin ihren Beruf nicht ausüben, Restaurants, Hotels und Einzelhandelsgeschäfte müssen geschlossen bleiben. Bei Zuwiderhandlungen gegen die Bundesnotbremse drohen zudem erhebliche Geldbußen und Strafen. 


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Vielen Dank!



Der Aufschrei aus vielen betroffenen Bereichen war sehr laut und kaum überhörbar. Auch die Kritik aus den Hochschulen war deutlich vernehmbar und wurde durch einen gemeinsamen Brief der Landeswissenschaftsminister*innen, der an die Bundeswissenschaftsministerin und an den Bundesgesundheitsminister adressiert war, inhaltlich unterstützt. Die Hochschulen hätten gute Hygienekonzepte, seien auch bisher sehr zurückhaltend in der Präsenzlehre aktiv gewesen. Die Studierenden hätten extreme Nachteile, wenn Praktika nicht mehr stattfinden könnten, und würden Semester verlieren – und generell sei diese Notbremsenregelung für Schulen vielleicht brauchbar, aber für Hochschulen vollkommen ungeeignet.

 

Viele Hochschulen setzen
das Gesetz einfach nicht um

 

Im Gegensatz zu den von der Bundesnotbremse betroffenen Kulturschaffenden, Einzelhändler*innen, Restaurant- oder Hotelbetreiber*innen haben sich jedoch diverse Hochschulen in Nordrhein-Westfalen und anderswo entschlossen, die Notbremse bei einer Inzidenz von über 165 in der derzeit geltenden Form einfach nicht zu ziehen. Bestärkt von den Landeswissenschaftsministern.

 

Die Universität zu Köln etwa informiert auf ihrer Homepage: Sie gehe davon aus, "dass jene Lehrveranstaltungen, die zwingend auf Präsenz angewiesen sind, also etwa Laborpraktika, Lehrveranstaltungen mit Patient*innenbezug in Kliniken, praktische und künstlerische Übungen etc. […] im Einzelfall weiterhin zulässig sind, da sie nicht mit schulischem Präsenzunterricht vergleichbar sind. Die aktuell bestehenden Vorgaben und Regelungen zur Präsenzlehre an der Universität bleiben daher in Kraft" (Aktualisierung der Corona-Homepage vom 26.04, 16.00 Uhr).

 

Dürfen staatliche Organisationen tatsächlich außer Acht lassen, welche Signalwirkung es auch in andere gesellschaftliche Bereiche hat, wenn Gesetze durch sie selbst nicht umgesetzt werden? Wenn sehr eigenwillige Definitionen konstruiert werden, dass Praktikumsveranstaltungen eigentlich keine Lehrveranstaltungen seien, sondern der Forschung zuzurechnen, oder wenn die Begründung angeführt wird, dass jede einzelne Praktikumsveranstaltung eigentlich eine Prüfung und damit auch unter den Bedingungen der Notbremse noch zulässig sei?

 

Warum sollen sich die Hochschulen an das geltende Infektionsschutzgesetz halten? Weil dieses Gesetz durch ein demokratisch gewähltes Parlament beschlossen worden ist und weil eine demokratische Gesellschaft darauf beruht, dass Gesetze eingehalten und umgesetzt werden. Wer sich gegen solche Vorgaben zur Wehr setzen will, kann sich an die Gerichte wenden. Oder abwarten, dass der Gesetzgeber nachbessert.

 

Das gesellschaftliche Klima ist angespannt, in vielen Bereichen liegen die Nerven blank. Aus meiner Sicht bedarf es aber gerade jetzt eines klaren Bekenntnisses staatlicher Organisationen zum Rechtsstaat, auch wenn dies bedeutet, ein Gesetz umzusetzen, das man – bis zu seiner Änderung – inhaltlich teilweise für falsch hält. 

 

Bernadette Stolle ist Sozialwissenschaftlerin und Geschäftsführerin der Landespersonalrätekonferenz der wissenschaftlich Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen.




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Kommentare: 16
  • #1

    Working Mum (Donnerstag, 06 Mai 2021 09:38)

    Vollste Zustimmung!

  • #2

    Stimme zu! (Donnerstag, 06 Mai 2021 10:38)

    Die Entdemokratisierung der Hochschulen vor dem Hintergrund der Forschungsförderung ist ohnehin ein nicht unbeachtliches Problem, wenn man bedenkt, dass die Rektorate aufgrund des Ausbaus der Hochschulautonomie über zunehmend große Anteile an den Landeshaushalten verfügen. Ich habe das mal mit sehr konservativen Annahmen für Bremen durchgerechnet: Die unbeaufsichtigte Vergabe von Leistungszulagen durch das mit Hochschullehrermehrheit gewählte Rektorat der Universität Bremen hat jetzt schon zu einer verbindlichen Haushaltsbelastung zwischen 100 Mio. € (diskontiert mit 3% p.a.) und 150 Mio. € (ohne Diskontierung) verteilt über die nächsten 30 Jahre geführt - und der Berechnung lag die Annahme zugrunde, dass die Leistungszulagengewährung heute noch komplett eingestellt wird. Diese Umverteilung ohne demokratische Legitimation ist aufgrund besonderer Bedingungen in Bremen noch nicht mal rechtswidrig. Dazu kommen noch die Risiken, die sich aus der Aneignung einer (vermeintlichen) Sonderstellung wie hier beschrieben ergeben. Z.B. missbräuchliche Vergabe von Stipendien: Vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge verjähren erst nach 30 Jahren. Ähnliches gilt im Bereich der Umsatzsteuer: Die Universitäten gehen oft fälschlich davon aus, dass ihre Leistungen nicht umsatzsteuerpflichtig sind, was aufgrund des Überhangs der umsatzsteuerbefreiten Leistungen nicht sofort auffällt. Durch die Hochschullehrermehrheit fallen viele eingebaute Kontrollen weg, die das System eigentlich im Gleichgewicht halten könnten: In Universitäten mit Drittelparität wird zwar eher keine Spitzenforschung gemacht, dafür sorgen die Studierenden über die Repräsentation in den Entscheidungsgremien dafür, dass die Lehre nicht leidet.

    Es gibt gute Gründe für Hochschullehrermehrheit, aber irgendwie haben die Länder und das BVerfG dabei übersehen, dass der grundgesetzliche Schutz nur die eigentliche wissenschaftliche Tätigkeit betrifft. Durch die Tendenz zur autonomen Präsidialuniversität ist in die Universitäten eine sehr problematische expansive Tendenz reingestrickt worden. Die Professoren stimmen aus zunehmenden Statusbewusstsein heraus regelmäßig zugunsten von "Mehr" ab: Höhere Leistungszulagen, größere Forschungsprojekte, eindrucksvollere Bauten. Die Rektoren/Präsidenten fordern dann von der Politik mehr Geld, um ihre Wiederwahl zu sichern. Die Politik hat wegen der Wissenschaftsfreiheit keine Möglichkeit von außen zu bremsen - und kommt angesichts der ständigen Forderungen aus "der Wissenschaft" nach "Mehr" irgendwann nicht mehr hinterher. Den Schaden tragen alle anderen: Wegen der Globalhaushalte innerhalb der Universitäten die anderen "Statusgruppen" und wegen der begrenzten Landeshaushalte über die Reduktion der Mittel für Bildung, Krankenhausfinanzierung und Justiz die anderen Einwohner eines Bundeslandes. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes das so nicht intendiert hatten, als sie den Art. 5(3) GG formulierten: Sie wollten sicher nicht, dass die Wissenschaft irgendwann anfängt, die anderen Bereiche der Gesellschaft zu kannibalisieren.

  • #3

    Entlassene Professorinnen (Donnerstag, 06 Mai 2021 13:44)

    Die Erosion der Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Universitäten ist nicht neu. Gerade zeigt eine neu veröffentlichte Studie, dass bei der Entlassung oder öffentlichen Degradierung von Professorinnen nahezu nie rechtsstaatliche Prinzipien beachtet werden:
    https://www.bzh.bayern.de/archiv/artikelarchiv/artikeldetail/entlassung-und-oeffentliche-degradierung-von-professorinnen-eine-empirische-analyse-struktureller-gemeinsamkeiten-anscheinend-unterschiedlicher-faelle

  • #4

    O. Falada (Donnerstag, 06 Mai 2021 17:39)

    "Dürfen staatliche Organisationen tatsächlich außer Acht lassen, welche Signalwirkung es auch in andere gesellschaftliche Bereiche hat, wenn Gesetze durch sie selbst nicht umgesetzt werden?" - Das ist der zentrale Punkt. Universitäten haben eben auch eine Vorbildfunktion, so zumindest hat meine eigene Universität ihre Rolle in der Pandemie bisher verstanden. Es ist ein wenig beschämend, wenn es uns nicht gelingt, dem Infektionsschutz höchste Priorität zu geben und zugleich mit allen Mitteln danach streben, unseren Studierenden auch unter widrigen Bedingungen die bestmögliche Ausbilldung anzubieten. Wir haben schließlich ein ganzes Jahr lang immer neue Konzepte dafür entwickelt; diese Kreativität sollten wir auch weiterhin nutzen.

  • #5

    Karla K. (Donnerstag, 06 Mai 2021 22:26)

    Liebe Frau Stolle,

    vielen Dank für diesen klaren Beitrag!

    Und mit den heute im Bundestag diskutierten Änderungen des Impfschutzgesetzes hinsichtlich der Regelungen für Hochschulen, sollten die Hochschulleitungen und insbesondere die Wissenschaftsministerien unter erheblichem Handlungsdruck stehen.

    Mit dem Gesetzentwurf wird ja gerade dokumentiert, dass "praktische Ausbildungsanteile" im Sinne des Gesetzes als "Präsenzunterricht" zu verstehen sind. Der Gesetzentwurf klammert Praktika nicht aus den Vorgaben für Präsenzunterricht aus, sondern ermächtigt die Ländern, für Praktika unter bestimmten Bedingungen eine Ausnahmemöglichkeit vom eigentlichen Präsenzverbot zu schaffen.

    Vollkommen klar sollte auch sein: Um eine solche Ausnahme ermöglichen zu können, muss zunächst das Gesetz geändert werden. Wäre eine Auslegung der aktuellen Gesetzesfassung dergestalt möglich, dass Praktika nicht unter das Präsenzverbot des Gesetzes fallen, wären ja keine Änderung und die Schaffung eines Ausnahmetatbestands erforderlich.

    Damit sollte nun aber davon auszugehen sein, dass die Wissenschaftsministerien unmittelbar ihrer Rechtsaufsicht nachkommen müssen: Jenseits einer Inzidenz von 165 regelt das Infektionsschutzgesetz derzeit ein absolutes Präsenzveranstaltungsverbot (und auch wenn es schwer zu akzeptieren fällt: unabhängig von der Frage, ob man dies sinnvoll findet).

    Sollten Hochschulleitungen und Wissenschaftsministerien weiterhin gemeinsam und vorsätzlich gegen die Vorgaben des derzeitige Impschutzgesetzes verstoßen, drohen ein irreparabler Glaubwürdigkeitsverlust und unkontrollierbare Folgewirkungen. Mit welchem Argument sollte dann noch für irgendeine rechtliche Regelung oder Vorgabe Geltung beansprucht werden können? Hochschulgesetze? Wissenschaftszeitvertragsgesetz? Vereinbarung zum ZSL? Potenziell alles ohne Relevanz. Handeln die Wissenschaftsministerien jetzt nicht konsequent, sondern dulden weiterhin die Gesetzesverstöße, gibt es für die Hochschulleitungen in Zukunft noch weniger Anlass, sie ernst zu nehmen. Ganz zu schweigen von der Signalwirkung für andere gesellschaftliche Bereiche, die Frau Stolle problematisiert.

    Mit besten Grüßen
    Ihre Karla K.


  • #6

    Stimme nochmal zu! (Freitag, 07 Mai 2021 07:39)

    "Handeln die Wissenschaftsministerien jetzt nicht konsequent, sondern dulden weiterhin die Gesetzesverstöße, gibt es für die Hochschulleitungen in Zukunft noch weniger Anlass, sie ernst zu nehmen."

    Ich hab immer gedacht, dass ich dir einzige bin, die das 1.) so sieht und 2.) beunruhigend findet. Aus öffentlichen Äusserungen von Rektoren und der HRK lese ich oft eine Haltung raus, die Gesetze als Rahmenbedingungen nicht einfach akzeptiert, sondern die demokratische Beschlussfassung durch "das Volk" in Frage stellt. Sehr deutlich beim Thema Hochschulfinanzierung, aber auch bei Themen wie Tierversuchen. Ich würde mir auch ein entschlosseneres Auftreten der Wissenschaftsminister wünschen, befürchte aber, dass denen der Perspektivwechsel nicht gelingt: Die Rektoren haben nun mal einen besseren Zugang zu den Wiss-Min als andere stakeholder und damit auch mehr Möglichkeiten, ihre Perspektive in die Politik zu tragen.

  • #7

    Nachtrag zu "Stimme nochmal zu!" (Freitag, 07 Mai 2021 09:24)

    Aus Gewohnheit habe ich das generische Maskulinum verwendet. Unnötig, denn es wäre auch "MinisterIEN" und "Hochschulleitungen" statt "Rektoren" möglich gewesen. Das tut mir leid - ich wollte kein Statement gegen (möglichst) geschlechtsneutrale Sprache setzen, sondern hatte das generische Maskulinum einfach nur zu sehr verinnerlicht. Passiert mir leider noch oft, auch in den Fällen, in denen es naheliegende Alternativen gibt.

  • #8

    Steffen Prowe (Freitag, 07 Mai 2021 12:19)

    Ein sich Erheben über Inzidenzwerte ist nicht statthaft. Alleine durch die Wege zur Hochschule entstehen sind individuell höhere Gefährdungen durch Mobilität, was ja einvernehmlich als Beitrag zur Pandemie gesehen wird.
    Wir hatten analog der gesetzlichen Regelungen auch zum Schutz der Studierenden und Mitarbeiter:innen Laborübungen abgesagt, da ab spätestens Januar die Werte eine Durchführung von diesen "unabkömmlichen Lehrformaten" nicht rechtfertigt hatten.
    Nunmehr wurden diese in Berlin wieder aufgenommen, da die Werte dies erlauben. ZUSÄTZLICH zu seit langem etablierten massiven Hygienemaßnahmen führen wir tägliche Schnelltests vor Ort durch, die Anzahl der Teilnehmer:innen wurde weiterhin massiv nach unten korrigiert (sogar unterhalb des Berliner Wertes von "maximal 25") wegen der räumlichen Bedingungen. Auch die Präsenztage sind gekürzt und durch -wo möglich- online-Vorbereitungen und Absprachen ersetzt. Diese hohe Lehrbelastung ermöglicht es, dass dennoch der Kompetenzerwerb möglichst sinnvoll erfolgen kann. Geraden solche Studiengängen mit praktischen Inhalten (zB bei mir Biotechnologie) bedingen Ausnahmen, ohne welche ein Studium dieses Faches nicht sinnvoll ist. Da es keine Zähl-Semester sind, gereicht zumindest das nicht zum Nachteil für die Studierenden, dennoch haben wir jetzt wieder die Laborübungen unter den o.g. Prämissen aufgenommen, allerdings Belegungen zählen nicht wenn nicht erfolgreich absolviert. Das schützt Menschen, die aus individuellen Gründen nicht aktiv an Präsenz teilhaben können vor Nachteilen. Unser Bestreben muss es sein, wie beim öffentlichen Leben, mit geeigneten Maßnahmen in Passung zu den epidemiologischen Sichten und rechtlichen Vorgaben ein aktives Studium zu ermöglichen. Aber nur unter Beachtung der Inzidenzen.
    Ich bitte hier zu beachten, dass ein pauschales Verteufeln von Präsenzen ohne Betrachtung der Fachlichkeiten mit deren Hygiene-Voraussetzungen nicht vorzunehmen ist. An Schulen finden sich komplett andere Rahmen, wie ggf gemischte Klassen über die Tage, keine oder geringe Hygienemaßnahmen im Vgl. zu Laboren und weniger bewusst hygienisch agierende Schüler:innen.
    Ich bin klar für eine hohe Hürde bei Präsenzen, was bei uns durch fundierte Anträge mit individuellen Hygienekonzepten erfolgen muss und auch überprüft wird. So vermeiden wir beliebige Zugänge zu Präsenzveranstaltungen, die leider in Einzelfällen von nicht verantwortungsvoll handelnden Lehrenden versucht werden.

  • #9

    Dennis Rotmann (Freitag, 07 Mai 2021 12:34)

    Bei allem Jubel in den Kommentaren möchte ich darauf hinweisen, dass der Artikel leider schlecht recherchiert und deshalb schlichtweg fehlgehende Behauptungen in die Welt setzt. Das ist schade.

    In der Drucksache 19/28444 vom 13. April wird der betreffende § 28b Abs. 3 IfSG (Schulen, Hochschulen, außerschulische Bildung) mit folgender Begründnung versehen:

    "Prüfungen, insbesondere Abschlussprüfungen, sind kein Unterricht im Sinne der Vorschrift und bleiben daher unberührt. Gleiches gilt für Forschungstätigkeiten, Tätigkeiten in Laboren und ähnlichen Einrichtungen."

    Das deckt sich im Wesentlichen mit der Erklärung der Universität Köln.

    Der finalen, in Kraft tretenden, Fassung liegt diese Begründung nicht bei. Das führt dazu, dass sich Juristen und Nicht-Juristen über die Auslegung des Begriffs "Präsenzunterricht" uneins sind (sind Labortätigkeiten oder gar Prüfungen Präsenzunterricht etc.). Deshalb haben offensichtlich die Wissenschaftsminister der Länder die nicht eindeutige Gesetzeslage kritisiert und ihre Interpretation/Auslegung an den Bund kommuniziert. Der Bund sieht die Unklarheiten in der Regelung ein und stellt diese derzeit gesetzgeberisch richtig. Noch im Mai soll die Regelung präzisiert werden.

    Im Ergebnis geht es hier um Fragen der Auslegung. Die Behauptung, dass sich einige Hochschulen bewusst über bestehendes Recht hinweggesetzt haben, ist schlicht falsch.

  • #10

    Steffen Prowe (Freitag, 07 Mai 2021 12:56)

    Danke an Denis Rotmann, hier die Klarheit in die Diskussion zu bringen. Tatsache, es ist etwas anderes als "Unterricht", wenn Abschlussprüfungen stattfinden.

  • #11

    Zustimmung, nach wie vor (Freitag, 07 Mai 2021 13:02)

    "Das deckt sich im Wesentlichen mit der Erklärung der Universität Köln."

    Ich sehe da keine Deckungsgleichheit, deshalb kann ich mich der Bewertung als "schlicht falsch" auch nicht anschließen. Die Gesetzbegründung spricht von Prüfungen und Forschungstätigkeiten und ergänzt erklärend, dass diese kein "Unterricht" sind. Die Universität Köln führt dagegen Laborpraktika an. Vor dem Hintergrund des Infektionsschutzes ist diese Unterscheidung auch schlüssig: Zur Forschung halten sich nur einige, wenige Personen im Labor auf, die Abstandsregeln einhalten können. Bei einem Laborpraktikum drängt sich eine größere Gruppe im Labor und die Einhaltung von Abstandsregeln ist deutlich erschwert. Indem die Universität zu Köln die Laborpraktika unter "Forschung" subsumiert hat, hat sie sich dem Gesetzeszweck entgegengestellt.

  • #12

    Michael Landmann (Freitag, 07 Mai 2021 16:12)

    Danke Dennis Rotmann für diesen exzellenten Kommentar.

    Und zum vorhergehenden Kommentar: Dass "Laborpraktika" unter "Tätigkeiten in Laboren" gefasst werden ist wirklich ungeheuerlich... *Ironie aus*

  • #13

    Bernadette Stolle (Freitag, 07 Mai 2021 18:21)

    Offensichtlich hat mein Gastbeitrag einen Nerv getroffen, wenn ich auf die Zahl der Kommentierungen gucke, deshalb möchte ich mich an dieser Stelle auch selbst noch einmal äußern.
    Zunächst: Herr Wiarda hätte mir sicherlich nicht die Möglichkeit eines Gastkommentars eingeräumt und diesen auch veröffentlicht, wenn ich schlecht recherchiert hätte. Mir sind das Infektionsschutzgesetz und die Begründung bekannt, nach der Forschung und Prüfungen unter Einhaltung von Hygienebedingungen auch bei einer Inzidenz über 165 noch stattfinden dürfen. Es geht mir um die Tatsache, dass weiterhin Lehrveranstaltungen in Präsenz stattfinden, in denen sich 20 Personen in einem Labor unter Anleitung von Professor*innen und/oder wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen zusammenfinden. Auch in den Hochinzidenzgebieten finden weiterhin sportpraktische Übungen in Turnhallen mit mehreren Teilnehmer*innen statt. Es gibt klar strukturierte Stundenpläne. Das sind Lehrsituationen, die dem Schulunterricht nicht unähnlich sind.
    Das zuständige Ministerium in NRW hat, wie mir inzwischen bekannt ist, an die Hochschulleitungen „Auslegungshinweise“ zum Infektionsschutzgesetz versandt, darin heißt es: „Ferner wird § 28b Absatz 3 IfSG so ausgelegt, dass die dort genannten Begriffe ‚Präsenzunterricht‘ und ‚Wechselunterricht‘ nur den herkömmlichen Vorlesungsbetrieb umfassen. Der studentische Praxis- und Übebetrieb z.B. in Laboren, in der Anatomie und in den musischen und künstlerischen Fächern, soweit er auf besondere Räumlichkeiten angewiesen ist, bemisst sich allein nach Landesrecht. Bei diesen Bereichen geht es weniger um Unterrichtsformen, sondern vornehmlich um ein angeleitetes Selbststudium“ – diese Auslegung ist aus meiner Sicht weder mit der Lebensrealität vor Ort noch mit dem Wortlaut des Infektionsschutzgesetzes in Einklang zu bringen.

  • #14

    Fumarius (Freitag, 07 Mai 2021 18:22)

    Nur ergänzend: Die komplexe Rechtslage wird in den der zitierten Passage vorangehendn Abschnitten von der Universität zu Köln auch ausführlich erläutert: "Unklar ist, was der Begriff „Präsenzunterricht“ im Hochschulkontext umfasst. Der Gesetzesbeschluss weist darauf hin, dass Präsenzprüfungen und Tätigkeiten in Laboren nicht erfasst sein sollen. Zudem sieht das Gesetz Ausnahmen für Abschlussklassen vor. Die Wissenschaftsminister*innen aller 16 Bundesländer haben die Bundesregierung um zeitnahe rechtliche Klärung gebeten, wie diese Vorgaben für den Universitätsbereich umzusetzen sind.
    Bis dahin geht die Universität davon aus, dass jene Lehrveranstaltungen, die zwingend auf Präsenz angewiesen sind, also etwa Laborpraktika, Lehrveranstaltungen mit Patient*innenbezug in Kliniken, praktische und künstlerische Übungen etc., sowie Präsenzprüfungen im Rahmen der bestehenden Landesvorgaben im Einzelfall weiterhin zulässig sind, da sie nicht mit schulischem Präsenzunterricht vergleichbar sind."

  • #15

    Mischa Meier (Freitag, 07 Mai 2021 21:36)

    Karla K. gibt ja einen zentralen Hinweis: Der Bundesgesetzgeber stellt mit der jetzt vorgesehenen Gesetzesänderungen klar, dass seinem Verständnis nach Praktika Präsenzunterricht im Sinne des Gesetzes zuzurechnen sind - was vermutlich nicht die Klarstellung ist, von der einige ausgegangen sind. Damit ist aber eigentlich jede Diskussion müßig, ob der Halbsatz in der Begründung des Gesetzentwurfs von Mitte April, auf die Dennis Rotmann verweist, gegebenenfalls in seinem Sinne hätte ausgelegt werden können (was ich nicht so sehe).
    Der Gesetzenwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes ist nun seit Dienstag öffentlich zugänglich - spätestens seit Mittwoch kann damit wohl keine Hochschule und auch kein Ministerium mehr ernsthaft davon ausgehen, Praktika könnten im Infektionsschutzgesetz beim Präsenzunterricht vom Gesetzgeber nicht mitgemeint sein. Dies dürfte vermutlich das sein, woraus sich für Karla K. ein gewisser Handlungsdruck für die Beteiligten ergibt. Ein Ignorieren hätte die von Berandette Stolle beschriebene gefährliche Signalwirkung.

  • #16

    Jakob Wassink (Freitag, 07 Mai 2021 23:21)

    Ich glaube die Bundesnotbremse taugt nicht als gutes Beispiel für mögliche Erosionen der Rechtsstaatlichkeit an Hochschulen. Dafür weist das Gesetz einfach zu viele Mängel auf und eröffnet damit legitime Auslegungsmöglichkeiten. Die Kritik am Gesetz in der Expertenanhörung war verhehrend. Selbst der 22 seitige Änderungsantrag hat nicht ausgereicht, den 16 seitigen Gesetzentwurf praxistsuglich zu korrigieren.

    Losgelöst von der Notbremse lohnt sich aber sicherlich ein Blick auf den Umgang der Hochschulen mit rechtsstaatlichen Anforderungen. Die zunehmende Autonomie und die Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen in die Hochschulen führt bei den vielfältigen Interessen der Statusgruppen nun mal dazu, dass rechtsstaatliche Standards, wie man sie in der Ausbildung kennen lernt bei der Kompromissfindung auf der Strecke bleiben. An diesen Prozessen der kreativen Rechtsanwendung wirken auch die Personalräte kräftig mit!