Wechselunterricht und unklare Bestimmungen zur Praxiskursen: Nach Protesten aus den Hochschulen will der Bund das Infektionsschutzgesetz ändern. Doch das dauert. Und bis dahin gilt der Status Quo weiter. Ein Gastbeitrag von Sibylle Schwarz.
DREI WOCHEN IST ES NUN her. Am 21. April hat der Bundestag eine Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) beschlossen. Im hinzugekommenen Paragraph 28b finden sich in Absatz 3 die Vorschriften zu den verschiedenen Bildungseinrichtungen. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Besonders aus dem Hochschulbereich war sie laut. Ich selbst stufte das Gesetz als "im Ergebnis dilettantisch" ein.
Wie schon bekannt: Ab einem Schwellenwert von 165 untersagt das Gesetz die Durchführung von Präsenzunterricht. Ab einem Schwellenwert von 100 ist die Durchführung von Präsenzunterricht nur in Form von Wechselunterricht zulässig – und zwar gilt dies für Schulen und Hochschulen.
Vor allem an diesem Wechselunterricht entzündete sich der Unmut der Hochschulen, besonders aus der Medizinerausbildung. Daher kam der Wunsch, doch im Gesetz die praktische Ausbildung wie etwa am Krankenbett mit dem Patienten zu präzisieren.
Schließlich hatte auch die Bundesregierung ein Einsehen. Schon am 4. Mai legte sie einen Gesetzentwurf zur erneuten Änderung des Infektionsschutzgesetzes vor (Drucksache 19/29287). Paragraph 28b Absatz 3 des Entwurfes stellt nun in seinem Satz 2 klar, dass die Hochschulen von der Verpflichtung zum Wechselunterricht ab einer Inzidenz von 100 ausgenommen sein sollen.
Sibylle Schwarz ist Rechtsanwältin und kümmert sich in der Wiesbadener Kanzlei "else.schwarz" vor allem um Schul- und Verwaltungsrecht. Sie hat hier im Blog bereits zweimal über das Gesetz geschrieben.
Foto: Marco Stirn.
Satz 3 behält zwar die Untersagung der Durchführung von Präsenzunterricht ab Schwellenwert 165 auch für Hochschulen bei, jedoch finden sich in den (neuen) Sätzen 4 und 5 Ausnahmen in Form von Befreiungsmöglichkeiten.
Die Hochschulen und die Landeswissenschaftsminister fühlten sich in ihrer Kritik bestätigt. Doch halt. Ein Gesetzentwurf ist kein gültiges Gesetz.
Das IfSG ist ein Bundesgesetz und "entsteht" in einem geordneten Gesetzgebungsverfahren, an dem viele beteiligt sind und das Zeit in Anspruch nimmt. Und das dauert noch ein paar Wochen.
Der federführende Gesundheitsausschuss wird sich in seiner Sitzung am 17. Mai beraten und eine Beschlussempfehlung vorlegen. Eine erneute Änderung des Textes durch den Ausschuss ist durchaus möglich.
Der Bundestag befasst sich in seiner Sitzung am 20. Mai in 2./3. Lesung damit.
Der Bundesrat kommt am 28. Mai in regulärer Sitzung zusammen.
Dann muss das geänderte Gesetz nur noch im Bundesgesetzblatt ausgefertigt werden und kann am Tag danach in Kraft treten. Zum 1. Juni vielleicht? Was bedeuten würde, dass die Novelle nur noch vier Wochen gilt. Denn im Infektionsschutzgesetz ist bestimmt, dass der Paragraph 28b "längstens jedoch bis zum Ablauf des 30. Juni 2021" gelten soll.
In jedem Fall gilt das aktuelle Gesetz bis zur Verkündung seiner Änderung im Bundesgesetzblatt weiter – und schreibt auch für die Hochschulen die Untersagung von Präsenzunterricht bzw. seine Durchführung nur im Wechselmodell in Abhängigkeit von Inzidenzzahlen vor.
Was den Hochschulen bleibt, ist die Hoffnung auf niedrigere Inzidenzzahlen. Der Universität Passau beispielsweise mit einer 7-Tage-Inzidenz von aktuell 24 wird der oben beschriebene Gesetzgebungsprozess gleichgültig sein. Hingegen hat die Universität Kaiserslautern mit einer 7-Tage-Inzidenz von 100 gemäß Gesetz auf Wechselunterricht umzustellen, wenn es an drei aufeinander folgenden Tagen so bliebe. Bei der Universität Kassel ist demzufolge Präsenzunterricht zurzeit komplett untersagt, ihre 7-Tage-Inzidenz beträgt 171,2.
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Steffen Prowe (Freitag, 21 Mai 2021 17:59)
Werchselunterricht praktizieren wir jetzt fast schon im 3. Semester, zumindest was Präsenz-Übungen betrifft. Außer während der sehr hohen Inzidenzen der Wellen, wo auch die Labore geschlossen waren für Präsenzveranstaltungen.
Wir mussten aufgrund der Reduktion der Personenanzahl/qm die Kursstärke reduzieren (zB von 20 auf nur 8), diesen 2-wochen-Kurs dann auch 2 x 1 Woche Präsenz reduzieren. Sprich 50% der Präsenzzeit wurde gestrichen, diese wurde online begleitet und mit Selbststudium, Videofilmen etc. inhaltlich gestaltet.
Das ist auch laut juristischer Bewertung in der HRK ein klassischer "Wechselunterricht". Was wir seit April auch wieder starten konnten und so bis inkl. August und September durchziehen. Warum Aug und Sep? Weil dann zwar vorlesungsfreie Zeit ist, aber aufgrund der o.g. Kürzungen die Anzahl der Kurse erhöht werden musste, um den Studierenden ein möglichst umfangreiches, Kompetenz-förderndes Studium der -in unserem Fall- Biotechnologie zu ermöglichen.
Möglich wurde und wird das durch die Flexibilität der Mitarbeiter:innen, der Lehrkräfte (Lehrbeauftragte und Professor:innen) als auch der Studierenden, die das sehr engagiert und auch mit Freude mittragen. Wissentlich der Tatsache, dass das für uns als Lehrende & Mitarbeiter:innen kein leichter Ritt war bzw. ist. Aber mit einem sehr soliden Hygienekonzept, mit AHA-L als auch seit April täglichen (!) Laien-Schnelltests jeder teilnehmenden Person (ohne lassen wir nicht zu, was zulässig ist, da die Corona-Semester sog. "Angebotssemester" sind) sind wir sehr zuversichtlich, gepaart mit den relativ maßvollen inhaltliche Einschränkungen am Studieninhalt, ein vollwertiges Studium anbieten zu können.
Und es macht Spaß, sich hier mit den Studierenden aktiv und fokussiert unserer Aufgabe "Bildung" widmen zu dürfen. Auch ohne eine überreagierende, vorauseilende Gesetzeshörigkeit.
Bettina Schmitz (Dienstag, 25 Mai 2021 13:34)
In vorrauseilendem deutschen Gehorsam wurden Inzidenzwerte als einziger Maßstab genommen und so säuberlich auf verschiedene Ebenen heruntergebrochen, dass man nur noch Zahlenjonglierend mit Nachvollziehen beschäftigt ist. Diejenigen, die jetzt noch Feindifferenzierung en hereingebracht haben, hängen allerdings selber mit drinnen.