Baden-Württemberg sperrt die Hochschultüren ziemlich weit auf – und zwar ab sofort. Ein Vorbild für andere Bundesländer.
DIE HOCHSCHULEN wurden von der Politik vergessen, die Studierenden fallen bei der gegenwärtigen Corona-Öffnungsstimmung mal wieder hinten runter? In Baden-Württemberg zumindest will die gerade in ihre dritte Amtszeit gestartete grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer offenbar zeigen, dass es auch anders geht.
Ab sofort, so sieht es die neue Corona-Verordnung des Landes vor, dürfen bei Inzidenzwerten von unter 100 nach fünf Tagen wieder bis zu 100 Studierende an Lehrveranstaltungen teilnehmen – solange die im Freien abgehalten werden. Die Hochschulen dürfen Studierenden nach Anmeldung Plätze zum Lernen zur Verfügung stellen, und die Bibliotheken sind für mehr Nutzer als bislang geöffnet.
Doch das ist nur der Anfang. Bleiben die Inzidenzen unter 100, dürfen zwei Wochen später die Hochschulleitungen auch drinnen Präsenzlehre mit bis zu 100 Leuten erlauben, auch die Mensen und Cafeterien machen dann schrittweise auf. Nochmal zwei Wochen später sind, wenn die Rektorate zustimmen, sogar Vorlesungen & Co mit bis zu 250 Leuten möglich, drinnen wie draußen.
Spätestens Anfang Juni könnten immer mehr Studierende
wieder die Hochschulcampi bevölkern
Natürlich gilt eine umfassende Testpflicht für Nichtgeimpfte, auch die Abstandsregeln und die Maskenpflicht bleiben bestehen, und die Kontaktdaten der Teilnehmer müssen weiter gesammelt werden. Trotzdem sieht Bauer "echte Öffnungsperspektiven für die Hochschulen in Baden-Württemberg bereits im laufenden Sommersemester." Womit sie Recht hat: Wenn alles glatt läuft, könnten spätestens Anfang Juni immer mehr Studierende wieder die Hochschulcampi bevölkern.
Die Ministerin verspricht sogar: "Wir werden weiter alles dafür tun, dass dann das nächste Semester eines wird, wie es sein soll: Mit Begegnung, Austausch und direktem Diskurs. So, wie Studium eben sein soll." An der Stelle nimmt sie den Mund dann doch ziemlich voll, denn die Pandemie hat schon die Versprechungen so mancher Politiker wenig später ad absurdum geführt. Auch wenn zugegebermaßen die Aussichten auf mehr Präsenz an den Hochschulen dank steigender Impfquoten gut sind wie nie seit Beginn der Coronakrise.
In jedem Fall zeigt Baden-Württembergs neue Verordnung, wieviel auch an den Hochschulen möglich ist – wenn die Corona-Dynamik nachlässt und die Lobbyarbeit der verantwortlichen Wissenschaftspolitiker so tatkräftig ist wie die der Einzelhandels- oder Gastronomieverbände. Als nächstes kommt es auf den Mut der Hochschulleitungen an, die neuen Möglichkeiten auch zu nutzen. Und auf die Wissenschaftsminister vieler anderer Bundesländer, sich an Baden-Württemberg ein Beispiel zu nehmen.
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Alfred Wachtel (Freitag, 14 Mai 2021 21:53)
Das wesentliche Hindernis für die Präsenzlehre sind die Abstandsgebote, und an denen ändert sich nichts. Die größten Räume bei uns an der FH dürfen wir mit gut 40 Studierenden bespielen. Ich bezweifle, dass es viele Unis im Land gibt, bei denen die Erhöhung der Begrenzung von 100 auf 250 Personen einen Unterschied macht. Es sind schlicht die Räume nicht da. Unterricht im Freien ist nur nach Wettervorhersage planbar, Partyzelte werden bis Ende der Vorlesungszeit kaum in ausreichender Größe so rechtzeitig bereit stehen, dass sie einen Unterschied machen. Unsere Ministerin erschöpft sich in wohlfeilen Ankündigungen, die unten am Boden der Tatsachen nicht umsetzbar sind. Wir haben unsere aktuellen Stundenpläne um Weihnachten herum auf Onlinelehre ausgerichtet. Präsenz und Online am selben Tag lassen sich nicht mischen, weil die Studierenden teilweise so weit weg wohnen, dass die Pendelzeiten zu lang sind. Und was auch keiner wahrhaben will: Bei den Professorinnen und Professoren ist die Devise inzwischen "Präsenzlehre [im Wintersemester] mache ich nur, wenn ich geimpft bin, sonst bleibt alles online". Das Ministerium macht gar nichts. Keine Ansagen, dass Profs ihre Lehre in Präsenz zu erbringen haben, wenn Studis auf dem Campus sind, keine zusätzlichen Mittel in den Budgets der Hochschulen für die vielen nötigen Schnelltests, keine Testpflicht für Präsenzklausuren. Nur Ankündigungen und Abschieben von Verantwortung an die Hochschulleitungen. So sieht's doch aus.
O. Falada (Sonntag, 16 Mai 2021 18:20)
Das ist einfach Augenwischerei und zeigt, dass die Ministerin keine Ahnung hat, wie Universitäten funktionieren. Ich kann mich hier dem Vorredner nur anschließen: Wir brauchen keine willkürlichen Gesamtzahlen, sondern abgestufte Konzepte: Präsenzlehre bei allem, was nur in Präsenz vermittelt werden kann; in einer nächsten Stufe Präsenzlehre für solche Lehrveranstaltungen, für die die Lehrenden eine Priorität sehen (jeweils ein Semester zuvor in den Gremien abgestimmt). Mit diesem Konzept fahren wir bisher, und zwar mit einer hinreichend langen Vorausplanung. Das ganze abgerundet mit frühzeitigen Planungen der Prüfungen (semesterweise durch eine Pandemieprüfungsordnung flankiert). Und da auch das niedersächsische Wissenschaftsministerium sich hinsichtlich Tests für Studierende bedeckt hält, finden die meisten Prüfungen nach wie vor online statt. Damit sind übrigens auch die ungeimpften Studierenden ganz zufrieden.