· 

Betriebliche Mitbestimmung als Forschungsgegenstand

IG Metall und DGB haben die "University of Labour" gegründet. Wie frei können Lehre und Forschung an der neuen Hochschule sein, wer wird überhaupt studieren, und wie ist das, wenn eine gewerkschaftsnahe Hochschule Studiengebühren nehmen muss? Ein Interview mit Gründungspräsident Martin Allespach.

Martin Allespach. Foto: privat.

Herr Allespach, Sie sind erster Präsident der gerade gegründeten University of Labour. Was genau ist das für eine Hochschule?

 

Vor allem ist es eine Hochschule, wie es sie bislang noch nicht gibt. Wir fokussieren uns auf Arbeitsbeziehungen, auf die betriebliche Mitbestimmung, auf die Berufspraxis und auf die Rolle der Beschäftigten im Betrieb. Damit schließen wir eine Lücke in der Hochschullandschaft. In einer Studie der Europäischen Akademie der Arbeit in der Goethe-Universität Frankfurt wollten wir untersuchen, welche Rolle Fragen der Mitbestimmung und der Arbeitsbeziehungen in bestehenden betriebswirtschaftlichen Studiengängen spielen. Das Ergebnis war: so gut wie gar keine. Das ist weitgehend ein blinder Fleck.  

 

Hinter der Hochschule stehen die IG Metall, die 90 Prozent der Anteile hält, und der Deutsche Gewerkschaftsbund. Sind da überhaupt ergebnisoffene Lehre und Forschung möglich?

 

Sie sind es, und sie müssen es sein. Die Arbeitnehmer und die Arbeitsbeziehungen sind Gegenstand unserer wissenschaftlichen Arbeit, und zwar aus einem pluralen Wissenschaftsverständnis heraus. Sonst würden wir keine Wissenschaft betreiben, sondern nur Praxis legitimieren. 


Martin Allespach ist Professor für lebenslanges Lernen an der Universität Hamburg und Direktor der Europäischen Akademie der Arbeit in der Goethe-Universität Frankfurt. Als Gründungspräsident leitet er die University of Labour. Von 2007 bis 2014 war er Bereichsleiter Grundsatzfragen, strategische Planung und Gesellschaftspolitik beim IG Metall Vorstand. Die University of Labour wurde kürzlich offiziell vom hessischen Wissenschaftsministerium als Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften anerkannt. Sie baut auf der der langjährigen Tradition der Europäischen Akademie der Arbeit auf.


Nennen Sie doch mal ein paar Forschungsfragen, um die es gehen wird.

 

Wir wollen beispielsweise erforschen, welche Konsequenzen die Industrie 4.0. für die Beschäftigungspolitik haben wird. Es wird um die Strategien der großen Industrieunternehmen in den nächsten zehn, 20 Jahren gehen – und wie sich diese auf die Interessen und die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auswirken. Welche neuen Aufgaben und Funktionen kommen auf die Mitbestimmung zu?  Und wir werden fragen, wie sich


die Weiterbildung in Betrieben beteiligungsorientiert so organisieren lässt, dass sie die betroffenen Menschen mitnimmt und nicht über ihre Köpfe hinweg geht. Wir sind in unserer Lehre und Forschung übrigens auch schon deshalb frei, weil IG Metall und DGB uns keinen Dauerzuschuss geben, sondern nur eine Anschubfinanzierung. Das heißt, wir müssen uns selbst finanzieren, vor allem über Studiengebühren.  

 

Was ja dann schon auch erstaunlich ist: Eine von Gewerkschaften gegründete Hochschule funktioniert nur über Studiengebühren, macht also ein Geschäft mit der Bildung.

 

Soweit man es als Geschäft bezeichnen kann, wenn eine Hochschule ohne Profitabsicht arbeitet. Das, was wir einnehmen werden, deckt die Unkosten, und wenn es gut läuft, bleibt noch etwas übrig, damit wir wachsen. Soll heißen: Jeder zusätzliche Euro geht in zusätzliche Professorenstellen und neue Forschungsprojekte, nicht in irgendwelche Dividenden. Und die meisten unserer Studierenden werden ihre Studiengebühren von ihren Unternehmen finanziert bekommen, zumindest teilweise. Außerdem sind wir gerade mit der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung im Gespräch, ob auch diese mit Stipendien helfen könnte. 

 

Wer wird denn bei Ihnen studieren?

 

In der Regel werden das Menschen sein, die in irgendeiner Weise mit Themen der Mitbestimmung zu tun haben, als Betriebs- oder Personalräte oder als Aufsichtsräte. Aber auch Manager im Bereich des Personalwesens. Das wird den besonderen Theorie-Praxis-Bezug der University of Labour ausmachen. 

 

Wie meinen Sie das?

 

Alle Studiengänge sind berufsintegrativ, die betrieblichen Erfahrungen der Studierenden werden zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen und Verallgemeinerungen gemacht. Und umgekehrt werden die Studierenden das, was sie im Studium wissenschaftlich bearbeiten, in Form konkreter Projekte in ihre Unternehmen und Institutionen zurücktragen. Wie der Frankfurter Oberbürgermeister es neulich formulierte: Er wird auch Studierende schicken, weil er sich einen Personalrat wünscht, mit dem er fachlich auf Augenhöhe diskutieren kann.  

 

Sie starten im Herbst unter anderem mit einem Bachelor of Business Administration. Klingt eher nach Business School. Bieten Sie dann demnächst auch einen MBA ab?

 

In der Tat, das haben wir vor. Los geht es aber erstmal mit zwei Bachelorstudiengängen. Das ist zum einen der von Ihnen erwähnten B.A. of Business Administration mit dem Schwerpunkt Personal und Recht und mit Arbeitsbeziehungen im Fokus. Und zum anderen bieten wir einen B.A. in Berufspädagogik an, wo es um die Organisation der beruflichen Aus- und Weiterbildung geht in einer von Digitalisierung und Rationalisierung geprägten Arbeitswelt. In drei Jahren soll ein Bachelor in Labour Laws folgen, auch so ein Thema, das an den öffentlichen Hochschulen inzwischen weitgehend marginalisiert ist. Und schon bald startet in Kooperation mit uns an der Hochschule Gelsenkirchen ein MBA "nachhaltiges Management", der nach fünf Jahren, wenn alles gut läuft, an die University of Labour wandern soll. 

 

Dieses Interview erschien in einer gekürzten Fassung zuerst in meinem Newsletter. Diesen können Sie mit einer formlosen Mail kostenfrei hier bestellen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0