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Moment mal

Einige der Argumente gegen die Reformpläne an der Universität Halle muten reichlich schief an. Ein Debattenbeitrag aus der Halbdistanz
von Anja Steinbeck.

Anja Steinbeck ist Rektorin der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und Sprecherin der Mitgliedergruppe der Universitäten in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Foto: HHU.

ALS AUSSENSTEHENDE, die ihr Wissen ausschließlich aus den öffentlichen Medien bezieht, kann ich nicht beurteilen, ob die Vorschläge der Hochschulleitung der Martin-Luther-Universität (MLU) Halle-Wittenberg verschleppten Reformen geschuldet sind, die nun mit der Brechstange an demokratisch legitimierten Gremien vorbei durchgesetzt werden sollen.

 

Ebensowenig erlaube ich mir eine Einschätzung, ob die Hochschulleitung die Taktik eines verzweifelt wirkendenden Überraschungsangriffs gegen die Politik gewählt hat oder ob der Wissenschaftsminister versucht, die Universitäten gegeneinander auszuspielen.

 

Richtig ist in jedem Fall, dass die weiteren Entwicklungen an der MLU weit über Sachsen-Anhalt hinaus von Interesse sind, denn sicherlich stehen auch an anderen Universitäten Strukturreformen an. Für die zukünftigen Diskussionen im Rahmen solcher Reformen sollten einige Argumente, die der Hochschulleitung in Halle entgegengehalten werden, deshalb vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

 

Darf ein Rektorat Professuren in Studiengängen streichen, mit dem Argument, dass dort die Studierenden fehlen?  Ja, wenn Hochschulpaktmittel an Studierendenzahlen und Mittel aus dem "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" an die Zahl der Hochschulabschlüsse geknüpft werden und wenn mit Steuergeldern Professoren bezahlt werden, die die Aufgabe haben, Studierende auszubilden, dann muss die Auslastung von Studiengängen ein legitimer Parameter sein. Der Vorwurf, es stünden nur die Lehrstühle auf der Streich-Liste, deren Inhaber bereits emeritiert sind oder bald emeritiert würden, mutet seltsam an und wirft die Frage auf: welche denn sonst, wenn Professorinnen und Professoren auf Lebenszeit berufen sind? 

 

Darf eine Hochschulleitung ihre strategischen Erwägungen vom Drittmittelaufkommen in den Fächern abhängig machen? Ja, weil die sogenannte leistungsorientierte Mittelvergabe durch das Ministerium Teile des universitären Budgets von deren Erfolg beim Einwerben von Drittmitteln abhängig macht – teilweise in Form von Zielvereinbarungen. Das mag man gut finden oder nicht, fest steht: Auch nationale und internationale Universitätsrankings orientieren sich unter anderem an Drittmitteln. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Hochschulleitungen diese Zahlen ebenfalls als einen Indikator für Qualität werten und ihre strategischen Entscheidungen diesen Anreizen folgend treffen.

 

Darf es das erklärte Ziel sein, die Verwaltung der Fakultäten deutlich zu professionalisieren? Ja, es muss sogar. Denn die Aufgaben, die Dekanate zu erfüllen haben, haben in den vergangenen Jahren immens zugenommen: Personalmittelbudgetierung, Unterstützung in den zunehmend verrechtlichen Berufungsverfahren, überbordende Datenabfragen und Berichtspflichten, steigende Datenschutz- und Datensicherheitsanforderungen, komplexe Raumplanungen, Baufragen und mehr. Dafür benötigt es eines professionellen Mitarbeiterstabes.

 

In Halle wurde am Mittwochnachmittag entschieden, dass alle Einzelheiten, die zur Profilschärfung und Haushaltskonsolidierung der MLU in Zukunft zur Entscheidung anstünden, der Diskussion und Beschlussfassung in den zuständigen Gremien der Universität bedürfen. Es ist der Universität zu wünschen, dass an dessen Ende Entscheidungen stehen werden, die nicht auf dem Sieg von Partikularinteressen beruhen sondern auf klugen strategischen Überlegungen.




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Kommentare: 3
  • #1

    Die üblichen Verdächtigen ... (Freitag, 04 Juni 2021 10:33)

    Als diejenige, die sich bei gleicher Informationsgrundlage (öffentliche Medien) eine Einschätzung dazu "erlaubt" hat, was die Ursachen für den plötzlichen Reformdruck sein könnten, möchte ich ergänzen: Das sind nicht zwingend Mutmaßungen, sondern die "Eckpfeiler" ergeben sich aus öffentlich einsehbaren Dokumenten: Nachdem ich den Blogbeitrag gelesen habe, habe ich "Hochschulautonomie Sachsen-Anhalt" gegoogelt und wurde in meinen Vermutungen zu den strukturellen Rahmenbedingungen bestätigt.

    Und: Leider ist nicht davon auszugehen, dass die notwendigen Einsparungen in Selbstverwaltung umgesetzt werden können, ohne dass Partikularinteressen überwiegen. Denn es sind die gleichen Menschen, deren Entscheidungen zur Überanspruchung des Budgets geführt haben, die jetzt über das "Zurückschrumpfen" entscheiden. Und die Entscheidungen müssen von der Person umgesetzt werden, die erst jetzt das Defizit offengelegt hat - wohlwissend, dass diese Art der Kommunikation zu Protesten der Studierenden- und Mitarbeiterschaft führen wird. Da ist es naheliegend, zu vermuten, dass die Wut weg von der Hochschulleitung, hin zur Politik gelenkt werden sollte und damit die Hoffnung verbunden wurde, dass die Proteste potentieller Wähler die Politik zum Einlenken bewegen sollte.

    Dass ein Rektorat ggf. im Einvernehmen mit dem Ministerium z.B. Institute schließen oder Studiengänge einstellen darf, wenn diese von geringer Bedeutung für die gesamte Universität sind, ist unbestritten. Die Rektorate und Präsidien, die sich ja überwiegend bis ausschließlich aus der Statusgruppe der Professoren rekrutieren, versäumen bei notwendigen Einsparungen aber gerne eine tiefergehende Analyse der Lastenverteilung: Welche Statusgruppen sind von den Einsparungen wie stark betroffen? Haben die Studierenden der Fächer, die geschlossen werden, Alternativen? Ist bei der Streichung von Lehrstühlen sichergestellt, dass die Mitarbeiter ihre Qualifikationsziele erreichen können? Ist die (durchaus wünschenswerte) Professionalisierung der Verwaltung vereinbar mit den sozialen Verpflichtungen eines öffentlichen Arbeitgebers? Das sind alles Überlegungen, die meist hintenüber fallen, weil sich die Betroffenen im System Universität kein Gehör verschaffen können.

  • #2

    Bodo Werner (Freitag, 04 Juni 2021 20:20)

    Man kann es hin und her drehen: Die Frage der Finanzen zur Bezahlung der Corona-Schulden wird alle Glieder der
    Gesellschaft in der Zukunft hart treffen. Warum soll nur Finanzminister Hilbers in Niedersachsen seinen Kollegen im Hochschul-Ressort in dieser Frage zum Schwur zwingen? In Sachsen-Anhalt hat man das vielleicht bisher verschlafen. Es nützt nichts !

  • #3

    Hinzohnekunz (Mittwoch, 09 Juni 2021 19:44)

    Ja, die (weitere) Professionaliserung von Fakultätsverwaltungen ist eine ebenso notwendige wie lohnende Aufgabe. Die dafür oftmals erforderlichen zusätzlichen Stellen für qualifiziertes Verwaltungspersonal können dabei zumindest teilweise sogar kostenneutral und ohne Verringerung des wissenschaftlichen Outputs generiert werden, wenn nämlich künftig z.B. 9 VZÄ wissenschaftliches Personal ausschließlich wissenschaftliche bzw. wissenschaftsnahe Aufgaben und 1 VZÄ Verwaltungspersonal ausschließlich Verwaltungsaufgaben erfüllt, statt bislang 10 VZÄ wissenschaftliches Personal wissenschaftliche und Verwaltungsaufgaben - letztere (ohne jeden Vorwurf) immer wieder auch qualitativ unzulänglich und mit (zu) hohem Zeitaufwand. Außerdem geht die Professionalisierung der Fakultätsverwaltungen häufig mit einer Entlastung der Zentralen Universitätsverwaltung einher.