Das Deutsche Studentenwerk fordert in einem Brief an Bildungsministerin Karliczek ein Corona-Aufholprogramm auch für Studierende. Doch der Vorschlag ist nur zum Teil sinnvoll.
Foto: StartupStockPhotos / Pixabay.
HOCHSCHULEN SIND KEINE SCHULEN, und Studierende sind keine Schüler: Dieser trivial klingende Satz spielte eine wichtige Rolle in den Debatten um die Bundesnotbremse, die in ihrer ursprünglichen Fassung auch im Studium den sogenannten Wechselunterricht verordnete. Jetzt wird der Satz von Hochschulrektoren wieder häufig zitiert, während die Rufe nach der Rückkehr zur vollen Präsenz noch im laufenden Sommersemester immer lauter werden: Das könne nicht funktionieren, weil erstens viele Studierende sich derzeit nicht an ihrem Studienort befänden und zweitens zwar Schüler in den immer gleichen Kohorten unterricht werden könnten, im Studium sich aber in jeder Lehrveranstaltung eine andere Zusammensetzung der Teilnehmer ergebe.
In einer Hinsicht aber unterscheiden sich Studierende dann doch nicht von Schülern. Sie haben unter den Einschränkungen durch die Pandemie genauso gelitten. Muss dann aber nicht auch genauso wie bei den Schülern ein Corona-Aufholprogramm für die Studierenden her?
So fordert es zum Beispiel das Deutsche Studentenwerk (DSW), der Dachverband aller Studierendenwerke in Deutschland. Zuerst in Pressemitteilungen und öffentlichen Statements. Doch inzwischen schätzt man beim DSW die Dringlichkeit so hoch ein, dass sich Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde in einem persönlichen Brief an Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) gewandt hat.
Psychosoziale Belastungen
haben zugenommen
Vielen in wirtschaftliche Notlage geratenen Studierenden habe die vom DSW umgesetzte BMBF-Überbrückungshilfe ja helfen können, inzwischen seien knapp 367.000 Förderbescheide ausgestellt worden, schreibt Meyer auf der Heyde in dem Brief, der mir vorliegt. Doch litten die Studierenden nicht nur unter finanziellen Problemen. "Zunehmend kämpfen sie mit psychosozialen Belastungen, unter anderem depressiven Verstimmungen, Vereinsamungsgefühlen, Fragen nach der Sinnhaftigkeit eines solchen digitalen Studiums oder Existenz- und Verschuldungsängsten." So zeigten es verschiedene Studien, gleichzeitig sei die Nachfrage nach psychosozialen Beratungsangeboten der Studierendenwerke stark gestiegen, die Folge seien erheblich verlängerte Wartezeiten.
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Das zwei Milliarden schwere Corona-Aufholprogramm für Kinder und Jugendliche besteht aus zwei Bestandteilen. Eine Milliarde fließt für Nachhilfe, eine Milliarde für Beratung, Betreuung und andere Formen der Unterstützung für Schüler und ihre Familien. Wäre, sollte Ähnliches nicht auch für die Studierenden möglich sein?
Das DSW jedenfalls bittet Karliczek, "sich gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen in den Ländern ebenfalls für ein entsprechendes Aktionsprogramm für Studierende einzusetzen". Bestandteile sollten der gezielte Ausbau der so arg geforderten Beratungsstellen in den Studierendenwerken sein und ein Unterstützungspaket für die Hochschulen, damit diese auch den bei Studierenden entstandenen Lernrückständen "wirksam begegnen können".
Dass Meyer auf der Heydes erste Forderung erwartbar und reichlich unverblümt pro domo ausfällt, bedeutet nicht, dass sie nicht ihre Berechtigung hätte. Sie fügt sich ein in das mantraartig wiederholte Plädoyer der Studierendenwerke nach einem Hochschulsozialpakt.
Bei der zweiten Forderung, der nach einer Nachhilfe-Offensive auch für Studierende, stellen sich dagegen Fragen nach Realisierbarkeit und Sinnhaftigkeit.
Realisierbarkeit: Schon bei der Corona-Aufholmilliarde für Schüler warnen Bildungsforscher eindringlich vor der Gießkanne. Das "wenige" Geld müsse konzentriert werden auf jene Kinder, "die es wirklich brauchen", sagte zum Beispiel der Vorsitzender der Ständigen wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz, Olaf Köller. Nur dass es wegen ausgefallener Vergleichsarbeiten schon schwer genug ist zu wissen, wer genau diese Kinder eigentlich sind. Diese – im Schuldeutsch – "Feststellung der Lernstände" können und wollen viele Länder nachholen. Aber müssten dann demnächst nicht auch erstmal alle Studierenden zu solchen Tests antreten?
Sinnhaftigkeit: Hilft es wirklich, vorübergehend ein paar zusätzliche Euro in die Hochschulen zu pumpen, damit sie ein paar mehr Brückenkurse und Mentoring-Stunden anbieten können? Und mehr würde kaum drin sein, wenn man die 92 Euro zugrunde legt, die pro Schülerin und Schüler für die Corona-Nachhilfe fließen sollen. Damit kämen alle Hochschulen in Deutschand auf 270 Millionen Euro für ganz 2021 und 2022.
Jetzt den Zukunftsvertrag aufstocken
und Hilfen nachhaltig machen
Schon in Bezug auf die Schulen stellt sich dringlich die Frage nach der Nachhaltigkeit. In Bezug auf die Hochschulen ist sie eigentlich schon beantwortet: Anstatt wenige Alibi-Millionen in ein Corona-Nachhilfeprogramm zu stecken, muss jetzt der Zukunftsvertrag, das Hochschulpakt-Nachfolgeprogramm aufgestockt werden. Und zwar dauerhaft.
Um mindestens 150 Millionen Euro Bundesmittel pro Jahr, zusätzlich zur bereits für 2023 vorgesehenen Stufe von weiteren 170 Millionen. Und diese dauerhafte Aufstockung muss der Bund verbinden mit der klaren Forderung an die Länder, zusammen mit Hochschulforschung und Hochschuldidaktik zusätzliche Maßnahmen zur studienbegleitenden Lernunterstützung umzusetzen. Kurzfristig, um Corona-Lernlücken zu reparieren. Vor allem aber zur langfristigen Unterstützung jener Studierendengruppen, deren Studienabbruchwahrscheinlichkeit schon vor Corona besonders hoch war. Neben jungen Menschen aus bildungsfernen Elternhäusern sind dies vor allem auch internationale Studierende.
Der Weg über den Zukunftsvertrag hätte zusätzlich den Charme, dass die Länder nachweislich genauso viel Geld drauflegen müssten. Worum sie sich beim Corona-Aufholprogramm für die Schulen mangels Hebel des Bundes mal wieder drücken könnten.
Der Brandbrief aus dem Deutschen Studentenwerk sollte Karliczek zum Nachdenken bringen. Über ein sehr schnell nötiges psychosoziales Unterstützungspaket für die Studierenden als Einstieg in einen Hochschulsozialpakt. Und über eine Initiative, den Zukunftsvertrag rasch nach Beginn der neuen Legislaturperiode weiterzuentwickeln. Hier könnte die Bundesbildungsministerin, die gern Bundesbildungsministerin bleiben will, noch vor der Wahl konzeptionell Duftmarken setzen.
Dieser Artikel erschien heute zuerst in meinem Newsletter.
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Achim Meyer auf der Heyde (Mittwoch, 16 Juni 2021 16:43)
Die Forderung nach einer Aufstockung des Zukunftsvertrages ist natürlich richtig und noch besser. Aber so vermessen wollten wir gar nicht sein.