Doppelberufungen nach dem sogenannten Berliner Modell sollen umsatzsteuerpflichtig werden. Das ist absurd. Doch auch wenn einige so tun: Die Zukunft von Berlins Exzellenzuniversitäten hängt davon nicht ab.
Bedrohte Exzellenz? Die Humboldt-Universität in Berlin. Foto: Pixabay/jensjunge.
NEULICH ALARMIERTEN die Präsidentinnen von Humboldt-Universität und Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung die Leserinnen und Leser des Tagesspiegels: Wenn die Finanzverwaltung stur bleibe, drohe ein wichtiges "Instrument zur Förderung wissenschaftlicher Exzellenz" unter die Räder zu kommen. Ein Instrument, das, so Sabine Kunst und Jutta Allmendinger, den Berliner Erfolg bei der Exzellenzstrategie überhaupt erst ermöglicht habe.
Worum es geht: Bald soll eine schon vor Jahren beschlossene Neuregelung des Umsatzsteuerrechts zur vollen Anwendung kommen. Wegen Corona hatten Hochschulen und andere öffentliche Einrichtungen eine Verlängerung der Übergangsfrist bekommen, doch von 2023 an soll grundsätzlich gelten: Handeln öffentliche Einrichtungen wie Unternehmen, müssen sie steuerlich auch wie Unternehmen behandelt werden.
Was das mit der Wissenschaft zu tun hat? Das Stichwort lautet Doppelberufungen, gleichzeitig ausgesprochen von einer Hochschule und einer außeruniversitären Forschungseinrichtung wie Helmholtz, Max Planck oder Leibniz.
Doppelberufungen haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Einerseits, weil der wissenschaftspolitische Ruf nach "Vernetzung", siehe Exzellenzstrategie, lauter ist denn je. Andererseits, weil Doppelberufungen für beide Seiten ein einträgliches Geschäft sind. Die Hochschulen bekommen Spitzenforscher als Professoren, die sie selbst gar nicht oder nur zu einem geringen Teil bezahlen müssen, die aber trotzdem ihre Reputation mehren und noch dazu oft ein paar Stunden Lehre ableisten. Die Außeruniversitären wiederum, die kein Promotionsrecht haben, können ihren Spitzenforschern genau das bieten – und zusätzlich einen attraktiven Zugang zur Hochschul-Community.
Nur dass Finanzverwaltung und neues Umsatzsteuerrecht das mit dem "einträglichen Geschäft" künftig allzu wörtlich nehmen könnten. Denn in Berlin laufen die Doppelberufungen so, dass die Hochschulen einstellen und ihre neuen Mitarbeiter "unter Zuweisung von Dienstaufgaben", wie es so schön heißt, an die Außeruniversitären abgeben – gegen Erstattung der Personalkosten. Was nach der Logik der Finanzverwaltung und des neuen Umsatzsteuerrechts ein "Leistungstausch", eine marktrelevante "Personalgestellung" ist, vergleichbar mit der Dienstleistung einer Zeitarbeitsfirma. Und entsprechend müssten die Hochschulen den Außeruniversitären dann auch Umsatzsteuer in Rechnung stellen und ans Finanzamt abführen.
Wer weiß, wie Wissenschaft funktioniert, kann das nur absurd finden. Zumindest übertrieben ist allerdings auch, wenn Kunst, Allmendinger und andere Größen der Berliner Wissenschaft deshalb die ganz große Alarm-Rhetorik üben. Wenn sie warnen, mit der Umsatzsteuerpflicht würden die gemeinsamen Berufungen zum Auslaufmodell, und kaum verhohlen mitschwingen lassen: Das gleiche gelte dann auch für den Berliner Exzellenzstatus.
Exzellenz und Vernetzung gibt es
anderswo auch ohne Berliner Modell
Exzellenzuniversitäten, möchte man sie erinnern, gibt es auch in anderen Bundesländern, auch dort, wo die Doppelberufungen rechtlich anders organisiert sind. Kunst und Allmendinger erwähnen selbst das "Jülicher Modell", bei dem die neuen Hochschulprofs sofort beurlaubt werden, unter Wegfall der Bezüge, um dann beim Forschungsinstitut anzufangen – was laut Bundesfinanzministerium keinen Leistungsaustausch und damit keine Umsatzsteuerpflicht bedeutet.
Und auch wenn die beiden Berliner Präsidentinnen warnen, solche Alternativen könnten "das kooperative Element nicht gleichwertig abbilden" und seien nur zeitlich begrenzt möglich, so sollte man der Vollständigkeit halber hinzufügen: Die RWTH Aachen zum Beispiel, im Gegensatz zur HU schon seit 2007 Exzellenzuniversität, hat über viele Jahre hauptsächlich das Jülicher Modell eingesetzt und erst später zusätzlich das Berliner. Und ihrem Wettbewerbserfolg scheint das nicht geschadet zu haben. Es geht also – zumindest wenn auch das Land bei seiner Hochschulgesetzgebung entsprechend mitzieht.
Die Umsatzsteuer-Scharmützel mit dem Fiskus sind nervig und zeitraubend. Deshalb aber die Alles-oder-Nichts-Argumente herauszuholen, ist übertrieben, führt zu Verunsicherung und könnte noch dazu nach hinten losgehen. Eine selbstbewusste Berliner Wissenschaft sollte signalisieren: Blöd, wenn es so kommt. Aber wir sind erfinderisch genug, wir kommen auch damit klar.
Dieser Kommentar erschien heute zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen3.
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Regine Fritz (Montag, 21 Juni 2021 15:01)
Der Vorfall zeigt erneut - aber aus ganz anderer Sicht - wie überflüssig die Exzellenz-Initiative heutzutage ist.
HGH (Montag, 21 Juni 2021 16:20)
Liebe Regine Fritz,
Mit der Excellence Initiative hat das Problem eigentlich herzlich wenig zu tun, sie muss nur einmal wieder als spektakulärer Aufhänger herhalten. Ansonsten kann man Herrn Wiarda nur zustimmen. Das Problem ist seit Änderung des Umsatzsteuer rechts 2015 bekannt. Es hätte also längst bearbeitet sein können, zumal Lösungen in der Praxis andernorts überzeugend funktionieren.
Gnah! (Dienstag, 22 Juni 2021 07:33)
"Zur Info an alle: Auf der Toilette im C3-Gebäude ist das Klopapier ausgegangen und weil im Facility Management niemand zu erreichen ist, wird die Rolle vorerst nicht ersetzt."
- "Oh, Gott! Der Erfolg in der Exzellenzinitiative ist gefährdet!!!"
Ich würde mir wünschen, dass - wenn Professoren das nächste Mal wieder das "Horrorszenario" des Verlustes eines Titels, der in einem nicht übermäßig kompetitiven, nationalen Wettbewerb vergeben wird, an die Wand malen, weil ihnen irgendwas nicht passt - sich jemand erbarmt, aufsteht und laut und deutlich sagt: "I call BS!". Denn es ist echt absurd, wie sich die Politik damit unter Druck setzen lässt.
So unsinnig ist die Besteuerung der "Personalgestellung" meiner Auffassung nicht, wenn man berücksichtigt, dass die außeruniversitären Forschungsinstitute abgesehen von der MPG alle Auftragsforschung machen und damit am Markt auftreten: Wenn z.B. die FhG ein abgeschlossenes Projekt in Rechnung stellt, dann muss sie dafür natürlich USt veranschlagen, alles andere wäre eine Wettbewerbsverzerrung. Bei Doppelberufungen kann die "entsendende" Universität dann den Vorsteuerabzug geltend machen, so dass ihre USt-Last stark gemindert wird. Die Besteuerung dient also nur dazu, wirtschaftliche Leistungen an dem Ort mit den notwendigen Abgaben für's Allgemeinwohl zu belasten, wo sie entstehen. Dass das Professoren, die ständig am Polieren ihres Heiligenscheins sind, nicht passt, ist naheliegend. Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist Buchhaltung und das kann Professoren nicht schmecken: Keine Überschreitung der vereinbarten Arbeitszeiten durch die Mitarbeiter mehr, keine missbräuchlichen Stipendien, keine unvergütete Mehrarbeit, kein vertragsfremder Einsatz von Mitarbeitern in Drittmittelprojekten ... DAS MUSS GESTOPPT WERDEN!!!1!
(Sorry. Ich weiß. "Polemisch". Aber ich bin durch den wirtschaftlichen Sonderstatus, den Professoren so selbstverständlich für sich beanspruchen, kombiniert mit dieser ständigen Gönnerhaftigkeit (Steuern sind nur was für den Pöbel ...), so heftig geschädigt worden, dass mich sowas ordentlich triggert. Ganz besonders dann, wenn es von Jutta Allmendinger kommt.)
so einfach ist das leider nicht (Dienstag, 22 Juni 2021 10:37)
Wenn es wirklich nur um Auftragsforschung ginge, wäre die Besteuerung im Rahmen einer Personalgestellung vielleicht nachvollziehbar.
Hier geht es jedoch um gemeinsame Forschungsaktivitäten mehrerer gleichberechtigter Partner, wobei nicht nur Professoren betroffen sind, bei denen der Umweg eines anderen Berufungsmodells möglich ist.
Was ist aber mit anderem wissenschaftlichem und nicht-wissenschaftlichem Personal? Gleichzeitige Arbeitsverträge bei zwei oder mehr Arbeitgebern sind unattraktiv; übernimmt deshalb nun ein Partner die Anstellung, und ein anderer Partner soll einen Anteil beisteuern, wird auch hier die Umsatzsteuer wegen Personalgestellung fällig. Ein Vorsteuerabzug ist in solchen Fällen zudem häufig nicht möglich.
Herr Wiarda hat meines Erachtens schon recht, wenn er sagt, dass, man dies nur absurd finden kann, wenn man weiß, wie Wissenschaft funktioniert. Jedoch finde ich es zu einfach zu sagen, man müsse nur erfinderisch genug sein, wenn wieder mal ein Gesetz an der Wirklichkeit vorbei geht.
Thorben Sembritzki (Mittwoch, 23 Juni 2021 09:34)
Wenngleich für mich die grundsätzliche Aufregung der Berliner Unis und des WZB über die Umsatzsteuerproblematik nachvollziehbar ist, so ist die Diskussion darüber ja nicht neu. Für mich wird hier aber eins deutlich (und dies gilt genauso für andere Bundesländer und dortige Hochschulen): Angesichts des starken Zuwachses an gemeinsamen Berufungen in den letzten fünfzehn Jahren, der gerade durch die Exzellenzwettbewerbe forciert wurde, und der Vielzahl an Berufungsmodellen, die in der Praxis zum Einsatz kommen, müssen durch die Landesgesetzgeber klare und transparente Rahmenbedingungen geschaffen werden. Diese müssen – wie im Falle der Umsatzsteuer – auch der Realität wissenschaftlicher Kooperationen gerecht werden.
Die bisher gängigen Modelle gemeinsamer Berufungen (neben dem Berliner und dem Jülicher gibt es ja auch noch das Karlsruher und das Thüringer Modell) reichen hier offenbar nicht aus. Sichtbar wird ein Handlungsbedarf daran, dass Unis und Forschungseinrichtungen bereits in Einzelfällen sogenannte hybride Berufungsmodelle praktizieren, die eine Mischung von Elementen der bekannten Berufungsmodelle darstellen. Jedoch bewegen sich die Hochschulen hier mitunter in rechtlichen Grauzonen, da die meisten Landeshochschulgesetze hierfür keine ausreichende Handlungssicherheit gewährleisten (das SächsHSFG darf hier als positives Gegenbeispiel genannt werden). Die Umsetzung solch hybrider Modelle hängt also auch davon ab, wie risikoreich oder risikoavers eine Hochschulleitung oder die entsprechenden Fachleute in einer Hochschule bei der Ausgestaltung der Kooperationsverträge agieren. Für die Berliner Universitäten und das WZB, die es geschafft haben, ein solch komplexes Gebilde wie die Berlin University Alliance zu konzipieren, sollte dies also wahrlich kein Problem sein, entsprechend „risikoreich“ und vor allem kreativ zu handeln.
Statt auf die Umsatzsteuerproblematik zu fokussieren, sollten sie sich viel eher die Frage stellen, wie durch gemeinsame Berufungen tatsächlich Kooperationen gelebt werden können – und die berufenen Professor*innen nicht zu bloßen Anhängseln der Fakultäten werden, die nur zu ihren Lehrveranstaltungen an der Hochschule vorbeischauen. Ein geringeres Engagement in der Organisation Hochschule lässt sich vor allem auf die Ausgestaltung der Dienstverhältnisse an Universität und Forschungseinrichtung zurückführen, die im Kooperationsvertrag festgelegt werden. Über hybride Berufungsmodelle können die Stellenanteile an der Universität (über die i.d.R. zu leistenden 2 SWS hinaus) erhöht werden. Und mit Blick auf die erwarteten Kosten beim Berliner Modell: Mittlerweile werden (z.B. am FZ Jülich) auch hybride Varianten dieses Modells durchgeführt, bei denen der bzw. die gemeinsam berufene Professor*in auch in einem größeren Umfang (bis zu 50% ihrer Tätigkeit) Forschungs- und Lehraufgaben an der Hochschule wahrnimmt und sich zugleich die Erstattung durch die außerhochschulische Forschungseinrichtung anteilig vermindert.
Kurzum: Die Berliner Debatte macht deutlich, dass viel zu sehr auf bürokratische und finanzielle Hürden geschaut wird, anstatt darüber zu reden, welche Vor- und Nachteile bestimmte Berufungsmodelle für das wissenschaftliche Tagesgeschäft der kooperierenden Einrichtungen mit sich bringen. Ein bisschen mehr Kreativität, wie man sie in anderen Bundesländern beobachten kann, wäre also wünschenswert.
Natürlich ist es nicht so einfach (Mittwoch, 23 Juni 2021 11:57)
@"So einfach ist es leider nicht": Natürlich ist es nicht so einfach, deswegen ist ja eine genaue Buchhaltung notwendig, um die Geldströme zwischen Universität und Forschungsinstitut "aufdröseln" zu können. In der Auftragsforschung (die einen viel größeren Anteil ausmacht, als man glauben möchte ...) gibt es keine Alternative: Das sind wirtschaftliche Leistungen, folglich müssen sie besteuert werden. Ergo ist Buchhaltung (samt Arbeitszeiterfassung etc.) notwendig, um hier korrekt zuordnen zu können. Geförderte Forschung ist keine wirtschaftliche Leistung, ergo kann sie per Definition nicht umsatzsteuerpflichtig sein - für diese Leistungen müssten die Berliner Unis dann eben klagen. Allerdings brauchen sie auch in diesem Fall Buchhaltung, um zu belegen, dass die "entsandten", doppelt berufenen Professoren samt Mitarbeitern eben nicht wirtschaftlich, sondern rein wissenschaftlich, allgemeinwohlorientiert, tätig werden. Wie man es dreht und wendet: Das Problem ist immer die fehlende Buchhaltung, die sehr praktisch für die Universitäten ist (--> Arbeitszeiterfassung)
Es ist einfach etwas anders (Mittwoch, 30 Juni 2021 19:05)
Ich habe den Eindruck, dass hier am eigentlichen Thema vorbei diskutiert wird. Für eindeutige wirtschaftliche Tätigkeiten wie die Auftragsforschung (abgesehen davon, dass es auch hier nicht ganz so eindeutige Graubereiche geben kann) ist längst Umsatzsteuer fällig und wird wohl in der Regel auch allseits korrekt berechnet und abgeführt. Die Zeitaufschreibung des eingesetzten hoheitlichen Personals dürfte weitgehend zum Standard gehören. Auch die Kalkulation eines angemessenen Gemeinkosten- und Gewinnzuschlags im Sinne der Trennungsrechnung (EU-Beihilferecht) ist wohl inzwischen an jeder Hochschule etabliert.
Im vorliegenden Fall geht es weit darüber hinaus um die Frage, ob die "Zuordnung" eines Professors (m/w/d) zu einem außeruniversitären Forschungsinstitut im Rahmen eines Erstattungsmodells an sich - also unabhängig vom Charakter seiner Tätigkeiten - ein wirtschaftlicher und damit steuerbarer und steuerpflichtiger Sachverhalt ist. Die "wirtschaftliche" Leistung der Hochschule wäre dann die "Zuweisung der Ressource Professor". Ein Vorsteuerabzug wäre vermutlich nicht in jedem Fall möglich, da ggf. kein Aufwand entsteht.
Davon abgesehen könnte man schon beim Wort "Personalgestellung" mit Blick in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nervös werden, sofern es sich bei den zu Überlassenden um Arbeitnehmer handelt.
Das Problem wäre keins, wenn die Alternativen auf der Hand lägen. Leider hat jedes Modell auch seine Schwächen, weswegen das Berliner Modell über Berlin hinaus bislang oft praktiziert wird. Ein voll beurlaubter Professor im Jülicher Modell kann in der Regel nur noch sehr begrenzt an "seiner" Universität wirken, zumeist keine Drittmittelprojekte mehr in seinem Namen für die Uni einwerben etc.
Jede Hochschule wird für sich und in Abstimmung mit den außeruniversitären Partnern bewerten müssen, welche Auswirkungen der §2b auf die Bewertung der verschiedenen Modelle hat.
Im Übrigen teilen sich im Wesentlichen Bund und Länder die Umsatzsteuereinnahmen zu fast gleichen Teilen. Da der Bund im Wesentlichen die außeruniversitären Einrichtungen trägt und die Länder die Hochschulen, könnte man ja auch auf die Idee kommen, die Steuereinnahmen zurück in diese Sektoren zu geben. Dann hätte man die gewünschte Stringenz im Steuersystem, ohne dass die finanziellen Bewertungsaspekte bei der Modellfrage entscheidungsleitend sein müssen. Gleichwohl ergäbe sich natürlich ein Anreiz, preiswertere Varianten höher zu werten.