Ein pädagogischer Aufbruch und eine neue Rolle des Digitalen nach der Coronakrise? Nicht, wenn es nach den Schülern geht. Eine Umfrage zeigt, dass die meisten Kinder und ihre Eltern zurück wollen zum Präsenzunterricht, wie er vor den Schulschließungen war.
ES IST EINER der bisher seltenen Vorher-Nachher-Vergleiche. Direkt vor Beginn der Coronakrise, Anfang März 2020, hatte das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Telekom-Stiftung Schüler und Eltern befragt. Es ging um ihre Einstellung zu Unterricht und Schule und zu außerschulischen Lernorten. Ein Jahr später und nach monatelangen Schulschließungen und Distanzunterricht hat Allensbach die repräsentative Studie wiederholt. Erneut gaben gut 1000 Kinder und Jugendliche der Klassenstufen 5 bis 10 Antwort, dazu 525 Eltern: Wie haben sie Lernen in Zeiten von Corona erlebt? Wie hat sich die Motivation der Schüler und ihre Perspektive aufs Lernen verändert?
Die Ergebnisse sind teilweise erwartbar, was sie nicht weniger wichtig macht. Vor allem aber dürften sie eine Ernüchterung sein für alle, die sich einen pädagogischen Aufbruch der Schulen nach der Coronakrise wünschen. Denn dieser findet unter den Schülern wenig Unterstützung. Doch der Reihe nach.
58 Prozent der Schüler gaben an, sie seien mit dem Lernen und dem Unterricht von zu Hause aus gut oder sehr gut zurechtgekommen, unter den Mädchen ein mehr als bei den Jungs (63 versus 54 Prozent). Ein erfreulicher Wert. Bricht man die Ergebnisse allerdings herunter auf den schulischen Hintergrund, dann berichteten 48 Prozent der Nicht-Gymnasiasten (außer Gesamtschule) von weniger guten oder gar nicht guten Erfahrungen. Von Kindern und Jugendlichen, die sich selbst für maximal durchschnittliche Schüler halten, sagten 57 Prozent, sie seien nicht gut zurechtgekommen, nur 38 Prozent ziehen eine positive Bilanz.
Noch bedenklicher: Von Kindern, die zu Hause keine ausreichende digitale Ausstattung hatten, gaben 66 Prozent an, dass das Homeschooling für sie eine schlechte Erfahrung gewesen sei. Dazu passend sagten 65 Prozent der Gymnasiasten, ihre Schule sei gut oder sehr gut mit Digitaltechnik ausgestattet –aber nur 53 Prozent der Schüler von Sekundarschulen (im Bericht werden sie Haupt- und Realschüler genannt). Auch das sollte zu denken geben – ebenso, dass 47 Prozent aller Eltern meinten, in Sachen digitaler Ausstattung der Schulen habe sich nicht viel getan. Nur 32 Prozent sagten das Gegenteil.
Spannend sind die Aussagen zu den Lerndefiziten wegen der Schulschließungen. Vier Fünftel der Schüler stellten welche an sich fest, doch nur ein gutes Viertel sprach von deutlichen Rückständen, und gerade mal 38 Prozent sorgten diese Rückstände. Während die Eltern pessimistischer waren: Schon zum Zeitpunkt der Umfrage im März/April 2021 sah ein ein Drittel deutliche Rückstände, und 61 Prozent waren deswegen besorgt. Von den Schülern, die sich selbst Nachholbedarf attestierten, sagten übrigens weniger als die Hälfte (44 Prozent), dass sie aktiv bemühten, den Stoff aufzuholen – am häufigsten ausgerechnet die Gymnasiasten und die über alle Schularten hinweg ohnehin lernwilligsten Schüler.
Natürlich muss man sich immer vor Augen halten, dass es sich um subjektives Erleben der Schüler und Eltern handelt, doch das befürchtete Aufgehen der Bildungsschere durch die Coronakrise zeigt sich in bedrückender Weise in den Ergebnissen. Das sieht auch Thomas de Maizière, der Vorstandsvorsitzende der Telekom-Stiftung, so und und fordert "nun Angebote zu schaffen, die es möglichst vielen Kindern und Jugendlichen ermöglichen, Defizite aufzuholen. Solche Angebote müssen nicht nur von Schulen kommen. Auch Bibliotheken, Jugendhäuser oder Vereine sollten sich hier mit ihren Konzepten wirkungsvoll einbringen."
Zum Glück berichtete die große Mehrheit der Schüler (81 Prozent) in der Umfrage bereits von unterschiedlichen Unterstützungsangeboten ihrer Schulen, und 72 Prozent nahmen sie in irgendeiner Form wahr.
Ebenfalls ermutigend: Die Kinder und Jugendlichen beobachteten an sich selbst abseits der klassischen Schulfächer zusätzliche Lernfortschritte – etwa beim Umgang mit dem Computer (wenig überraschend), aber auch beim Recherchieren von Informationen, beim selbstständigen Erarbeiten von Wissen, in Sachen Selbstorganisation und Zeitmanagement. Und die Eltern bestätigten die Selbsteinschätzung ihrer Kinder. Allerdings waren es wiederum vor allem die Gymnasiasten und lernstarken Schüler, die Fortschritte bei sich feststellten.
Außerhalb der Schule haben die Kinder und Jugendlichen vor allem die Zeit im Sportverein vermisst (66 Prozent), alle anderen Aktivitäten wie Jugendfeuerwehren, Pfadfinder oder kirchliche Jugendgruppen fielen demgegenüber weit ab.
Was aber bedeutet all das für die Sicht der Kinder und Jugendlichen auf Schule und Lernen? Haben die gewonnen Erfahrungen im Umgang mit digitalen Medien oder die berichteten Fortschritte an Selbstorganisation und Selbstlernkompetenz dazu geführt, dass die Schüler sich künftig eine andere Schule wünschten, einen dauerhaft veränderten Unterricht? Zumindest ist dies eine Hoffnung, die manche Medienpädagogen umtreibt: dass Schule nach der Coronakrise ein Stückweit neu gedacht werden könne – mit neuen Lernformaten und einer anderen Rolle des Digitalen. Die Antwort der Schüler fiel indes ziemlich deutlich aus: Die meisten wollten im Frühjahr 2021, dass alles wieder so wird, wie es vor Corona war.
Zwei Drittel der Schüler wünschten sich, den Unterrichtsstoff wieder weitgehend von den Lehrkräften vermittelt zu bekommen, nur ein knappes Drittel wollte sich zumindest ab und zu selbst Inhalte erarbeiten. "Der Lehrer sollte festlegen, was und wie wir lernen sollen, das ist seine Aufgabe": Dieser Aussage stimmten in diesem Jahr 30 Prozent der Schüler zu – sieben Prozentpunkte mehr als 2020 vor den Schulschließungen. 54 Prozent wollten, dass auch künftig der Unterricht ausschließlich in der Schule stattfindet – und nur vier Prozent "vor allem digital zu Hause". Von den Eltern forderten sogar 74 Prozent Komplett-Beschulung vor Ort.
Alles in allem scheint es nicht so, als habe der Distanzunterricht in seiner real existierenden (und viel kritisierten) Form die Begeisterung der Schüler und ihrer Eltern für neue Formen des Unterrichtens, vor allem in digitaler Form, gesteigert. Eine vertane Chance?
Denn gleichzeitig sagen 87 Prozent der Schüler, das sie durchaus gern lernen, wenn es um Themen außerhalb der Schule geht, also zum Beispiel Hobbys, sogar nochmal zwei Prozentpunkte mehr als 2020. Während nur 36 Prozent antworteten, dass sie gern für die Schule lernen. Was aber drei Prozentpunkte mehr sind als 2020. Ein wenig mehr Wertschätzung hat das schulische Lernen in der Coronakrise also doch gewonnen. Immerhin.
Jungen daddelten, Mädchen bastelten
Jungen und Mädchen haben die Zeit der Schulschließungen laut der Allensbach-Umfrage sehr unterschiedlich verbracht. So berichteten 63 Prozent der Jungen, aber nur 30 Prozent der Mädchen, sie hätten häufiger Computer gespielt als vor der Krise. Auch das Internet spielte für Jungen eine wichtigere Rolle als für Mädchen (57 versus 47 Prozent). Außerdem trieben Jungs nach eigenen Angaben etwas häufiger Sport (30 Prozent) als Mädchen (24 Prozent).
Dafür gingen Mädchen etwas mehr raus für Spaziergänge und Ausflüge, vor allem aber lasen sie häufiger (40 Prozent versus 27 Prozent der Jungen), sie hörten auch etwas mehr Musik oder Podcast. Vor allem aber berichteten 43 Prozent der Mädchen, dass sie häufiger als vor der Krise gebacken und gekocht hätten, was nur auf 16 Prozent der Jungen zutraf. Gerade einmal sieben Prozent der Jungen malte oder bastelte häufiger – aber 33 Prozent der Mädchen.
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Christian Füller (Donnerstag, 08 Juli 2021 21:27)
Lieber Jan-Martin, tolle Zusammenfassung. Nur eine Frage: Könnte es nicht auch sein, dass die Ki+Ju einfach in die Schule wollen, weil da ihre Peers sind?
Und: Manche Fragen und Erkenntnisse der Studie sind einfach zu ulkig! Herrlich