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Zwei Debatten, die viel miteinander zu tun haben

Wer das "#IchbinHanna"-Problem angeht, tut auch etwas für die Wissenschaftskommunikation. Deshalb lohnt es sich, künftig beide Themen stärker zusammenzudenken.

Zuschauer beim Science Slam Hamburg. Foto: CCO.

ZWEI THEMEN HABEN die wissenschaftspolitischen Debatten der vergangenen Monate beherrscht. Erstens: die prekären Karriereaussichten vieler Wissenschaftler. Zweitens: die Rolle der Wissenschaftskommunikation im Wechselspiel zwischen Forschung, Politik, Journalismus und Gesellschaft.

 

Beide sind interessanterweise eng miteinander verwoben. Erst die unbeholfene Krisenkommunikation des Ministeriums von Anja Karliczek hat die Empörung über ein verunglücktes Erklärvideo zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz derart anschwellen lassen, dass daraus eine digital vernetzte und medial breit begleitete Protestbewegung entstehen konnte – deren Hashtag "#IchbinHanna" zeitweise Platz 1 der deutschen Twitter-Rangliste erreichte.

 

Was umso ironischer ist, weil Karliczek zeitgleich unter dem deutlich weniger bekannten Hashtag "#Factory Wisskomm" wichtige Akteure aus Forschung, Politik, Journalismus und Gesellschaft zusammengeholt hatte, um mithilfe gemeinsam erarbeiteter "Handlungsempfehlungen" der qualitätsvollen Wissenschaftskommunikation wenn schon keinen Schub, dann zumindest einen Schubs nach vorn zu geben.

 

Doch die Verbindung zwischen beiden Debattenthemen geht noch weiter. Es wird immer klarer, dass die nach wie vor zu einseitig auf Forschung konzentrierte Berufungspraxis kombiniert mit einer Befristigungsquote von über 90 Prozent unter jungen, aber eben auch unter gar nicht mehr so jungen Wissenschaftlern dazu führt, dass sich deren Blick auf das, was Wissenschaft ausmacht, verengt.

 

Warum die Perspektive

sich verengt

 

Das Hangeln von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, der Wettkampf um die wenigen Dauerstellen und Professuren lässt schon die Doktoranden und noch mehr die Postdocs fast all ihr Bemühen nur an dem einen Ziel ausrichten: wissenschaftlich zu veröffentlichen. Möglichst schnell und, je nach Fachkultur, möglichst viel, in möglichst hoch gerankten und damit schwer zugänglichen Wissenschaftsjournals.

 

Außerordentliches Engagement für Innovationen in der Lehre? Kann man Leuten, die in der Wissenschaft bleiben wollen, parallel kaum empfehlen. Denn die so dringend benötigte wissenschaftlicher Reputation gibt es dafür kaum. Wissenschaftsinteressierten in spannenden, ausgefallenen Formaten von der eigenen Forschung berichten? Als Liebhaberei nett. Sobald es aber Zeit zum Publizieren stiehlt, eher wissenschaftliche Kamikaze als Karrierestrategie.

 

Übrigens enthalten die Handlungsempfehlungen der "#FactoryWisskomm unter der Zwischenüberschrift "Anerkennung und Reputation" eine ähnliche Bestandsaufnahme, die Lektüre ist insofern auch für "#IchbinHanna"-Mistreiter lohnend. So, wie es überhaupt lohnen würde, beide Debatten verstärkt zusammenzudenken.  

 

Wissenschaftler unter 40 entstammen der digitalen Ära. Die sozialen Medien haben viele von ihnen von Anfang an begleitet. Sie können und wollen von dem, was sie als Forschende umtreibt und begeistert, berichten. Womöglich besteht ja die beste Förderung von Wissenschaftskommunikation darin, sie durch verkrustete Karrierestrukturen nicht länger zu verhindern. 

 

Was es dazu braucht: eine ausreichenden Grundfinanzierung durch die Politik. Und echte Veränderungsbereitschaft in den Chefetagen der deutschen Wissenschaft. 

 Dieser Kommentar erschien heute zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen3.


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Kommentare: 2
  • #1

    Reinhard Jahn (Montag, 12 Juli 2021 14:35)

    Leider haben auch Sie, lieber Herr Wiarda, die an Desinformation grenzenden Zahlen über die Befristungsquoten übernommen, die seit Wochen immer wieder in der Presse hochgespielt werden, dadurch aber nicht richtiger werden.
    Bei den befristeten Wissenschaftler*innen werden alle Promovierende mitgezählt, die mit Arbeitsverträgen angestellt sind. Initiiert von der DFG, haben viele Institutionen die früher üblichen Promotionsstipendien auf reguläre und versicherungspflichtige Arbeitsverträge umgestellt. Diese positive Entwicklung rächt sich nun, da die Umstellung die statistisch ermittelte Befristungsquote weiter erhöht.
    Es ist dringend erforderlich, endlich öffentlich klarzustellen, dass im Wissenschaftssystem die überwiegende, leider noch immer nicht ganz genau bezifferbare Mehrzahl aller befristet Beschäftigten Promovierende sind. Für diese Dauerverträge zu fordern, ist unsinnig. Die Promotion ist ein akademischer Abschluss, der für über 80% aus der akademischen Forschung herausführt, mit in vielen Fächern besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt und höheren Einkommens-Erwartungen als mit jedem anderen Abschluss.
    Damit sollen die Probleme unsicherer Karriereperspektiven, intransparenter Karrierewege, überkommener Hierarchien und vielfach immer noch fehlender Personalentwicklung im akademischen System nicht kleingeredet werden. Wer aber als Lösung den Anteil permanenter Stellen erhöhen möchte, verliert aus den Augen, dass die nachfolgenden Generationen das Nachsehen haben werden. Ist es wirklich sinnvoll, wenn die Mehrheit der verfügbaren Qualifizierungsstellen im akademischen System fast über Nacht wegbricht, weil sie durch die Verdauerungen auf Jahrzehnte blockiert sind, und das leider nicht nur von Leistungsträger*innen? Jeder, der nach der Promotion im Wissenschaftssystem verbleibt, sollte wissen, welche Risiken eine wissenschaftliche Karriereplanung mit sich bringt, welches die Kriterien und Rahmenbedingungen für ein Weiterkommen sind, und welche Leistungen man bringen muss und mit wem man konkurriert. Einen Plan B sollte man immer in Reserve halten, und die berufliche Entscheidung, nach der Promotion in der Forschung zu bleiben, sollte man sich gut überlegen und nicht blind hineinstolpern. Außerdem: Es ist ja nicht unbedingt ein Unglück, wenn man sich nach einer Reihe von Jahren in der Forschung beruflich zu neuen Ufern begibt – das ist in vielen anderen Berufen nicht anders.

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 14 Juli 2021)

    Lieber Herr Jahn,

    haben Sie besten Dank für Ihren Kommentar, den ich wegen meines Urlaubs erst jetzt freischalten konnte. Deshalb kann ich Ihnen heute auch nur kurz antworten.

    Das allerdings möchte ich unbedingt tun, denn ich fürchte, dass Sie Ihrerseits stark – allzu stark – vereinfachen.

    Den Begriff der Desinformation weise ich, insofern Sie ihn auf meine Arbeit als Journalist beziehen, als unangemessen von mir. Zu der vermeintlich erhobenen Forderung nach Dauerstellen für alle (auch für Doktoranden) habe ich mich unter anderem hier geäußert:

    https://www.jmwiarda.de/2021/06/28/damit-hanna-bleiben-kann/

    Recht haben Sie, dass man stark unterscheiden muss zwischen Doktoranden und Postdocs, und das tue ich dort auch. Der vorliegende Artikel hier hatte einen anderen Fokus. Allerdings war die Über-90-Prozent-Angabe von mir zugegebenermaßen nicht gut gewählt, weil sie tatsächlich nicht differenziert. Point taken.

    Nur wirklich Desinformation kann ich darin nun wirklich nicht entdecken, denn es gibt sehr wohl recht gute Zahlen über die Befristung unter Postdocs, und die sehen wenig besser aus. Im aktuellen BuWin steht, dass die Befristungsquote an Hochschulen unter 35 Jahre 98 Prozent erreicht, bei Personen zwischen 35 und 45 liegt sie bei 77 Prozent.

    Die 35 bis 45-Jährigen werden FAST keine Doktoranden enthalten, aber zur großen überwiegenden Zahl Postdocs und sonstige wissenschaftliche Mitarbeiter. Können wir uns darauf einigen?

    Ich könnte und würde gern noch auf einige Ihre Punkte eingehen, doch bitte entschuldigen Sie, dass ich dies urlaubsbedingt nicht schaffe. Bemerkenswert finde ich, dass Sie offenbar JEDE (auch nur graduelle) Erhöhung der Quote unbefristeter Stellen für falsch halten. Und das empfinde ich als erstaunlich undifferenziert.

    Apropos differenziert: Die Argumente pro und contra Befristung und Drittmittel finden Sie übrigens seit Jahren immer wieder in meinem Blog, zuletzt unter anderem in einem Streitgespräch zwischen Oliver Günther und Tilmann Reitz.

    Auch würde ich mich gern mit Ihnen über die Rolle transparenter wissenschaftlicher Karrierewege und von professioneller Personalführung an Hochschulen unterhalten, denn deren beider Fehlen an vielen Stellen ist für mich, neben der zu hohen Drittmittelquote, ein ganz wesentliches Problem. Sehen Sie dies auch so?

    Über die sinnvolle Umwandlung von Stipendien in sozialversicherungspflichtige Stellen habe ich übrigens auch in der Vergangenheit geschrieben.

    So, und nun gehe ich zurück in den Urlaub und würde mich über die differenzierte Fortsetzung der Debatte bei Gelegenheit sehr freuen.

    Beste Grüße und gute Wünsche
    Ihr Jan-Martin Wiarda