Die Corona-Dynamik lässt nach. Was steckt dahinter? Was ist mit den Kindern? Wie wirkt sich der Urlaub aus? Und was lässt sich im Ausland beobachten? Eine Analyse der neuesten Infektionszahlen in sechs Punkten.
1. Das Wachstum flacht ab – und das liegt vor allem an den 15- bis 29-Jährigen
In der gestern zu Ende gegangenen Kalenderwoche 29 registrierte das Robert-Koch-Institut (RKI) nach vorläufigen Zahlen 11.925 Corona-Fälle. Das waren – Stand heute – knapp 32 Prozent mehr als in Kalenderwoche 28. Erfahrungsgemäß kommen hier noch etliche Fälle durch Nachmeldungen dazu, so dass die endgültige Zuwachsrate eher bei 37, 38 Prozent liegen dürfte. In jedem Fall aber beträchtlich weniger als im vorhergehenden Wochenvergleich: Zwischen Kalenderwoche 27 und 28 waren die registrierten Corona-Neuinfektionen noch um 63 Prozent geklettert. Und die Wachstumsrate der 7-Tages-Inzidenz flachte sich zuletzt weiter ab. Der Thinktank Risklayer, dessen Zahlen meist etwas aktueller sind als die des RKI, berichtete, dass die am Sonntag gemeldeten Corona-Fälle den Sonntag der Vorwoche nur noch um 15,0 Prozent übertrafen.
So erfreulich die nachlassende Dynamik ist (noch vergangene Woche hatte es nach einem Run gen 50er-Inzidenz bis 10. August ausgesehen), so spannend ist, woher sie kommt. Die Antwort: Vor allem aus der Altersgruppe der 15- bis 29-Jährigen. In den vergangenen Wochen hatten sie die Dynamik noch getrieben, nun sorgen sie dafür, dass die neuen Corona-Zahlen weniger dramatisch ausfallen. In Zahlen: Zwischen Kalenderwoche 27 und 28 gab es 82 Prozent mehr Corona-Neuinfizierte zwischen 15 und 29, zwischen Kalenderwoche 28 und 29 nur noch 22 Prozent. Ihr Wachstum entwickelte sich also binnen Wochenfrist von stark überdurchschnittlich zu stark unterdurchschnittlich. Ihr Anteil an allen neuen Fällen sank in den vergangenen sieben Tagen um 3,5 Prozentpunkte auf 41,8 Prozent. Das ist bemerkenswert.
2. Kleine Kinder sind weiter unterdurchschnittlich von Neuinfektionen betroffen, bei den 5- bis 14-Jährigen zieht das Wachstum an
Der Anteil der Kitakinder an allen neuen Meldefällen lag vergangene Woche bei niedrigen 2,8 Prozent – 0,5 Prozentpunkte weniger als 14 Tage zuvor. Gleichzeitig stieg der Anteil der 5- bis 14-Jährigen von 9,0 auf 9,9 Prozent. Das deutet auf ein stark überdurchschnittliches Wachstum hin. Damit liegt der Anteil der Neuinfektionen bei Kindern und Jugendlichen auch erstmals seit längerem wieder über ihrem Anteil an der Bevölkerung. Bemerkenswert war, dass der Anteil der noch komplett umgeimpften Kinder und Jugendlichen trotz der zunehmend hohen Impfquote bei den Erwachsenen lange so niedrig geblieben war. Hinzu kommt: Der gegenwärtige Anteil ist noch weit von den Ständen des Frühjahrs entfernt, als er bei fast 12 Prozent lag – trotz geringer Durchimpfung der Erwachsenen zu dem Zeitpunkt.
3. Der Urlaub treibt weiter die Infektionen
Laut RKI können Auslandsaufenthalte als Ursprung nur für schätzungsweise zehn Prozent der Neuinfektionen verlässlich angenommen werden. Dies dürfte die Bedeutung des Urlaubs für die Infektionslage in Deutschland jedoch stark unterschätzen. Dies zeigt der Vergleich der Corona-Wachstumsraten in den vergangenen zwei Wochen (zwischen Kalenderwoche 27 und 29). Bundesländer, in denen Sommerferien sind: +139 Prozent. Länder, in denen noch Schule ist: +114 Prozent. Als Ferienländer habe ich hierbei nur jene gewertet, in denen schon seit mindestens drei Wochen Ferien sind, um die Inkubationszeit zu berücksichtigen, also Berlin, Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Natürlich kann und wird im Falle von NRW und Schleswig-Holstein auch die geografische Nähe zu den Niederlanden bzw. Dänemark mit jeweils (deutlich) höheren Inzidenzen eine Rolle spielen.
4. Deutlich höhere Infektionsrate bei Kindern und Jugendlichen, wo Ferien sind
Die immer wieder gehörte These, dass Schulferien Kinder und Jugendliche vor Infektionen schützen, lässt sich erneut nicht bestätigen. In den oben genannten Ferien-Bundesländern stiegen die Neuinfektionen bei den 5- bis 14-Jährigen innerhalb von zwei Wochen um 180,0 Prozent, bei den 15- bis 19-Jährigen sogar um 219,7 Prozent. In den Nicht-Ferienländern waren es 112,1 bzw. 124,8 Prozent. Der Abstand ist enorm – und noch größer als der zwischen den gesamtgesellschaftlichen Wachstumsraten. Und er ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass da, wo Unterricht ist, die Kinder und Jugendlichen weiter zweimal die Woche zum Schnelltest müssen, die Dunkelziffer also niedriger sein dürfte als in den derzeitigen Ferien-Ländern. Woraus sich die Vermutung ableitet: Wenn in den Ferien-Ländern die Schule wieder anfängt und damit die Pflichttest wieder starten, gibt es dort nochmal einen Inzidenz-Schub, weil die Dunkelziffer schrumpft.
5. Weniger Dynamik ab über 30, und die bereits hohe Impfquote über 50 wirkt sich massiv aus
Die Altersgruppen zwischen 30 und 50 infizierten sich in den vergangenen zwei Wochen auch häufiger, aber im oder sogar unter dem Schnitt der Gesamtbevölkerung. Erfreulich: Mit +87 Prozent zwischen KW 27 und 29 legten die Über-50-Jährigen wieder deutlich unterdurchschnittlich zu (Gesamtgesellschaft +114 Prozent). Der Anteil der zum großen Teil doppelt Durchgeimpften ging noch weiter zurück: von 17,9 auf zuletzt 15,6 Prozent. Das bedeutet: Es stecken sich derzeit in etwa so viele Über-50-Jährige neu mit dem Coronavirus an, wie es allein die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen tut.
6. Internationale Hoffnungszeichen
Deutschland ist nicht allein mit dem nachlassenden Corona-Wachstum. In Großbritannien sank die 7-Tages-Inzidenz innerhalb weniger Tage um rund 20 Prozent, in den Niederlanden ging sie ebenso flott um ein gutes Drittel zurück. Jeweils natürlich auf noch sehr hohem absoluten Niveau. In Spanien, Portugal und Griechenland stagnieren die Neuinfektionen immerhin. Einige äußerten bereits die Vermutung, dass jetzt das Corona-Echo der Europa-Meisterschaft durch sei. Keine Ahnung, ob da etwas dran ist. Vielleicht wirkt sich auch aus, dass Länder wie Spanien oder die Niederlande bei Parties (gerade in Feriengebieten) und Clubs auf die Bremse getreten sind. Hoffen wir in jedem Fall, dass Deutschland dem Trend weiter folgt. Auf eine weitere hoffnungsvolle Entwicklung wies der britische Pädiatrie-Forscher Alasdair Munroe auf Twitter hin: In Großbritannien hatten Schulkinder bis 11 zuletzt die niedrigste Corona-Prävalenz aller Altersgruppen bis 35 – "despite being totally unvaccinated, no masks anywhere and full time school for 4 months".
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