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Präsenz ja – aber verantwortlich!

Die Hochschulen wollen sehr wohl öffnen und schaffen schon die Voraussetzungen dafür. Sie brauchen aber auch Unterstützung von der Politik. Eine Replik von Peter-André Alt.

Peter-André Alt ist Literaturwissenschaftler und Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Von 2010 bis 2018 leitete er die Freie Universität Berlin. Foto: HRK/David Ausserhofer.

Unis, beendet das Rumgeeiere und plant endlich beherzt ein Präsenzsemester im Winter – das forderte ich am Montag. Darauf antwortet heute HRK-Präsident Peter-André Alt.

NEIN, VERZAGT SIND SIE NICHT, die deutschen Hochschulen, wenn es um die Planung des kommenden Semesters geht. Seit Wochen werden überall die Voraussetzungen für ein Wintersemester im Präsenzbetrieb geschaffen. Wer verantwortlich handelt, muss allerdings auch ehrlich sagen, wo derzeit die Grenzen des Möglichen liegen.

 

Bedingung für ein Lehrangebot auf dem Campus ist, dass Zugang zu Veranstaltungen mit kleineren Gruppengrößen – Übungen, Praktika, Seminare – nur erhält, wer geimpft, getestet oder genesen ist.

 

Am einfachsten wäre die Organisation hier, wenn alle Studierenden eine Impfung nachweisen könnten. Beim Test gelten die bekannten Unsicherheiten, vor allem die Gefahren einer noch nicht dokumentierbaren Ansteckung. In jedem Fall muss die Zugangsvoraussetzung bei der Anmeldung überprüft und gegebenenfalls in späteren Wochen stichprobenartig bestätigt werden.



Bei Vorlesungen gilt bei jetziger Rechtslage das Abstandsgebot, was dazu führt, dass größere Veranstaltungen angesichts mangelnder Raumkapazitäten virtuell stattfinden müssten. Hier ist die Politik gefordert, die Ausnahmen von der Abstandsregelung erlauben sollte, sofern die Teilnehmenden geimpft sind. In etlichen Bundesländern wird dieses derzeit mit den Hochschulen verhandelt.

 

Unterstützung ist auch in einem anderen Problemfeld erforderlich. Studierende, die nicht geimpft sind und keinen tagesaktuellen Test nachweisen, können keinen prinzipiellen Anspruch darauf geltend machen, dass sie die betreffende Veranstaltung virtuell besuchen dürfen. Für die Hochschulen wäre es technisch nicht möglich, jedes Seminar und jede Übung gleichzeitig präsent und virtuell – also hybrid – anzubieten.

 

Hier ist eine Verordnung von Seiten der Landesministerien geboten, die klar regelt, dass Studierende, die die Zugangsvoraussetzungen nicht erfüllen, keinen Rechtsanspruch auf Teilnahme an der Veranstaltung oder auf ein Ersatzangebot haben.

 

Es ist klar, dass alle Beteiligten ihren je spezifischen Anteil am Gelingen eines mit möglichst großen Präsenzanteilen laufenden Wintersemesters haben werden. Die Hochschulen müssen die Lehre in ihren Räumlichkeiten gut organisieren. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Testkapazitäten, die von den Ländern zu sichern sind.

 

Die Studierenden sollten das überall zugängliche Impfangebot wahrnehmen. Die Hochschulen haben dafür vielfach auf ihren Campi oder in Verbindung mit lokalen Impfzentren beste Möglichkeiten geschaffen. Allen Studierenden sollte bewusst sein, dass sie sich, sofern nicht gesundheitliche Beeinträchtigungen definitiv dagegen sprechen, impfen lassen sollten, damit der Präsenzbetrieb wieder anlaufen kann. Nicht zu vergessen sind diejenigen internationalen Gaststudierenden, die in ihren Heimatländern noch keine Impfung erhalten konnten. Auch für sie stehen ausreichende Angebote zur Verfügung.

 

Damit es ab September bzw. Oktober wirklich losgehen kann mit einem weitgehend normalen Semester, müssen die Studierenden wieder an die Hochschulorte zurückkehren. Das sollten sie in jedem Fall tun, selbst wenn einzelne Veranstaltungen auch im Wintersemester noch virtuell stattfinden werden.

 

Dass die Inzidenzen bis zum Herbst wieder steigen, ist klar. Aber die Hochschulen sind nicht die Schulen, denn ihre Mitglieder können sich in großer Mehrheit impfen lassen und auf diese Weise zuverlässig vor der vierten Welle schützen. Noch vor einem Jahr hätten wir nicht geahnt, dass diese Möglichkeit so schnell gegeben sein würde.

 

Nutzen wir also gemeinsam die Chance, die sich dadurch ergibt. Zur akademischen Autonomie, die Individuen und Institutionen gleichermaßen für sich beanspruchen, gehört auch, dass wir Freiheitsrechte nicht nur einfordern, sondern verantwortungsvoll mit ihnen umgehen. Weder Bedenkenträgerei und Verhinderungsmentalität noch Aktivismus und Vorwärtsappelle helfen hier.

 

Erforderlich ist bei der Öffnung der Hochschulen ebenso wie beim gesamtgesellschaftlichen Umgang mit dem zweiten Herbst der Pandemie, dass wir miteinander Lösungen finden, die auf der Wahrnehmung individueller Verantwortung für das große Ganze beruhen.

 

Diese Replik erschien heute zuerst im Tagesspiegel. 

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Kommentare: 5
  • #1

    Dorothea Wanziek (Mittwoch, 28 Juli 2021 14:33)

    Leider verfehlt diese Antwort das Ziel. Schuld ist immer die "Politik". Warum gehen denn von den Hochschulen und vor allem ihren Vertretern keine konstruktiven Vorschläge und Forderungen zur Änderung der Lage aus? Insofern ist die Stellungnahme von Herrn Alt in der Tat eine "Herumeierei". Schade!

  • #2

    Klaus Diepold (Mittwoch, 28 Juli 2021 20:15)

    Herr Alt eiert keineswegs herum. Er schildert die Bemühungen der Unis hier etwas zu erreichen. Allerdings muss sich auch eine Uni an geltende Gesetze und Recht halten. Die Politik hat es hier in der Hand entsprechende Regeln zu etablieren. Unis machen Vorschläge soweit sie können, aber sie schaffen nicht auf eigene Faust die
    erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen.

  • #3

    Charlotte Schubert (Donnerstag, 29 Juli 2021 09:25)

    „Rumgeeiere“ ist natürlich sehr polemisch, aber im Kern weisen beide Beiträge auf das jetzt Notwendige hin: Klare Vorgaben, an die sich die Studierenden und die Lehrenden zu halten haben, die v.a. auch kontrolliert werden (d.h. auch kontrolliert werden dürfen!). Dass soviele Studierende noch nicht geimpft sind, läßt sich leicht beheben und die Kontrolle des Status muß dann wohl z.B. bei Seminarsitzungen leider durch die Lehrenden erfolgen. Das ist lästig und wird sicher vielen nicht gefallen. „Genesen“ ist eindeutig, aber „Getestet“ sollte in jedem Fall bedeuten, daß ein negativer PCR-Test vorliegt (zur Unzuverlässigkeit der Antigen-Schnelltests ist genügend gesagt worden). Und „Stichproben“ sind nicht ausreichend und außerdem schwieriger zu organisieren als eine generelle Kontrolle aller Teilnehmer/innen von Lehrveranstaltungen. Was dann allerdings unser Datenschutz dazu sagen wird, wage ich mir gar nicht vorzustellen. Dieser ewige Widerspruch zwischen Gesundheitsschutz und Datenschutz ist m.E. das Hauptproblem an der ganzen Sache, weniger der Sommerschlaf unserer Kultusbürokratie.

  • #4

    Klaus Diepold (Donnerstag, 29 Juli 2021 11:10)

    Es ist weniger eine Frage, ob es mir als Lehrendem gefällt die Studierenden in Präsenzveranstaltungen zu kontrollieren. Für mich ist das in vielen denkbaren Fällen schwer vorstellbar, wie das konkret aussehen soll. Das Lehrpersonal ist seit Corona bereits in vielfältiger Weise "überstrapaziert". Jetzt noch Kontrollen durchführen und vielleicht auch noch Tische und Tastaturen desinfizieren ... ich bin schon dankbar, wenn es keine Pflicht zum Hybrid-Unterricht geben soll.

  • #5

    PB (Donnerstag, 29 Juli 2021 17:04)

    @#3 "Dass soviele Studierende noch nicht geimpft sind, läßt sich leicht beheben"

    volle Zustimmung

    "und die Kontrolle des Status muß dann wohl z.B. bei Seminarsitzungen leider durch die Lehrenden erfolgen."

    Das ist hingegen für mich ein nogo. Denn es gibt ja nicht nur kleine Seminare sondern auch Veranstaltungen mit 100+ Teilnehmern.

    Lehrenden kann man diese Kontrolle nicht "aufs Auge drücken". Das bedeutet deutlich mehr Aufwand als pure Anwesenheitslisten zu führen.

    Wenn Kontrolle schon wirklich sein müsste, dann muss es dafür technische Lösungen mit digitalen QR-Code Scannern geben Dies sollte auch z.B. mit dem digitalen Impfpass oder Testergebnis via Cov Pass/Corona/Luca App funktionieren.

    Mich würde sehr interessieren, ob es Hochschulen gibt
    (auch Ausland), die eine solche technische Lösung "schon" jetzt oder mit Start des WS am Start haben.

    Mindestens in Deutschland ist der Datenschutz diesbzgl. fast in jedem Bundesland gleich. Auch da gebe ich Vorrednerin #3 recht, die Überwertung des Datenschutzes (den ich für sehr wichtig halte) ist ein wirkliches Problem.