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"Warum sollten wir uns als Hochschulen darauf einlassen?"

Gefährdet das Bundesfinanzministerium Forschungskooperationen,
weil es das neue Umsatzsteuerrecht falsch interpretiert?
HU-Vizepräsident Ludwig Kronthaler warnt vor ausbleibenden wissenschaftlichen Durchbrüchen und sagt, was Doppelberufungen
mit einem Club von Weinfreunden zu tun haben.  

Ludwig Kronthaler ist seit 2017 Vizepräsident für Haushalt, Personal und Technik der Humboldt-Universität zu Berlin. Vorher war er unter anderem Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft und Kanzler der TU München. Foto: HU Berlin.

Herr Kronthaler, Doppelberufungen nach dem sogenannten Berliner Modell sollen von 2023 an umsatzsteuerpflichtig werden. Was bedeutet das für das Berliner Standing im Exzellenzwettbewerb?

 

Der Schaden wäre nicht nur für die Forschungslandschaft groß, sondern für die Gesellschaft und die Wirtschaft insgesamt, weil der Output der Forschung zurückginge. Wissenschaftliche Durchbrüche entstehen vor allem in Kooperationen und würden weniger wahrscheinlich werden. Am Ende stünde ein suboptimaler Ertrag der für die Wissenschaftsfinanzierung eingesetzten Steuergelder. 

 

Das müssen Sie erklären.

 

Wissenschaft lebt von der Kooperation, und die wissenschaftlich wirksamste Kooperation ist die über Personen und Köpfe. Das gilt gerade in Berlin, wo neben den Hochschulen über 50 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen zu Hause sind. Würden nun Doppelberufungen nach dem Berliner Modell umsatzsteuerpflichtig, würde das bedeuten: Hochschulen, die mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen gemeinsam einen Wissenschaftler beschäftigen, müssten den Forschungseinrichtungen dafür Umsatzsteuer in Rechnung stellen. Die diese ihrerseits nicht vom Finanzamt zurückbekämen. Das würde die Kooperation viel teurer machen. In vielen Fällen vermutlich zu teuer. Und durch die Leistungserfassung, –berechnung und –abrechnung bürokratisch aufwändig dazu. So dass viele gemeinsame Berufungen gar nicht mehr zustande kämen und damit wissenschaftlich sinnvolle Kooperationen unterblieben.

 

Übertreiben Sie nicht ein bisschen? Es gibt doch auch andere Berufungsmodelle. Das Jülicher zum Beispiel bleibt umsatzsteuerfrei.

 

Warum sollen wir uns als Hochschulen auf eine schlechtere Lösung einlassen, nur weil das Bundesfinanzministerium unter Annahme eines unzutreffenden Sachverhaltes zu einer falschen Rechtsauffassung gelangt? Die Unterschiede zwischen dem Berliner und dem Jülicher Berufungsmodell sind grundsätzlicher Natur. Im Berliner Modell ist die berufene Person vollwertiges Mitglied sowohl der Universität als auch der Forschungseinrichtung. Entsprechend unbegrenzt sind die Aktionsmöglichkeiten. Im Jülicher Modell wird die berufene Person an der Hochschule beurlaubt. Das hat weitreichende Konsequenzen.

 

"Natürlich kann man versuchen, über Satzungsänderungen oder Kooperationsvereinbarungen die verlorenen Rechte wieder zu gewähren, aber das ist juristisch äußert wacklig." 

 

Welche?

 

Der oder die Wissenschaftlerin hat in den meisten Fällen dann keine Antragsberechtigung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, weil kein aktives Beamtenverhältnis an einer Hochschule vorliegt. Entsprechend ist er oder sie ist auch nicht mehr Inhaberin aller akademischen Rechte, über die Hochschullehrer sonst verfügen. Die Person darf nicht mehr in Berufungskommissionen mitwirken und hat auch kein eigenes Promotionsrecht. Natürlich kann man in einem zweiten Schritt versuchen, durch verschiedene Konstruktionen auch beim Jülicher Modell die genannten Rechte wieder zu gewähren, über Satzungsänderungen der Hochschulen oder über Kooperationsvereinbarungen, aber das ist juristisch äußert wacklig. 



Aber andere Bundesländer bekommen es doch auch hin. 

 

Immer mit Abstrichen. Zumal in den meisten Bundesländern die Beurlaubung von Beamten nur zeitlich befristet möglich ist. Eine einigermaßen probate Regelung gefunden hat Brandenburg. Dort wurde per Hochschulgesetz bestimmt, dass beurlaubte Personen die vollen akademischen Rechte haben. Und die Beurlaubung ist auf Dauer möglich. Baden-Württemberg hat das ähnlich geregelt. Allerdings sind diese Bestimmungen bislang rechtlich nie überprüft worden. Und in allen anderen Bundesländern gibt es lediglich die Möglichkeit, die Beurlaubungen immer wieder zu verlängern.

 

Läuft das nicht aufs Gleiche hinaus?

 

Ganz und gar nicht. Die Hochschulen haben dann keine Planungssicherheit. Stellen Sie sich vor, irgendwann sagt eine Forschungseinrichtung: Die berufene Person brauchen wir nicht mehr.  Also verlängern wir sie nicht. Dann steht die Hochschule plötzlich mit einer beamteten Wissenschaftlerin oder einem Wissenschaftler da, für die es keine Planstelle gibt und auch keine Ausstattung – und muss der Person beides liefern. Das ist ein enormes finanzielles Risiko, das zumindest Berliner Hochschulen nicht eingehen können. An der RWTH Aachen oder an der TU München mögen die finanziellen Möglichkeiten andere sein.  

 

Wäre es dann nicht einfacher und angemessener, dass Berlin sein Hochschulgesetz anpasst? In Brandenburg klappt es ja auch, wie Sie selbst sagen. Stattdessen wollen Sie, dass gleich die ganze bundesweite Steuergesetzgebung geändert wird.

 

Eben nicht! Ich fordere nicht, dass die Steuergesetzgebung geändert wird, sondern dass das Bundesfinanzministerium seine falsche Rechtsauffassung ändert, die von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgeht.

 

"Eine Hochschule stellt doch nicht Wissenschaftler ein
und schaut dann, wie sie deren
Arbeitsleistung meistbietend verkaufen kann."

 

Was ist an der falsch?

 

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Drei Freunde treffen sich regelmäßig zum Weintrinken, testen mal diesen Wein und mal jenen. Einer bestellt nach Absprache 60 Flaschen. Die teilen sich die drei Freunde, jeder bekommt 20. Einer bezahlt also alles, die anderen erstatten ihm ihren Anteil. Das ist eine schlichte Kostenteilung, die laut Umsatzsteuerrecht nicht zu steuerbaren Leistungen führt. Jetzt stellen Sie sich aber vor, die Runde der Weinfreunde wird immer größer, und einer der ursprünglich nur drei Freunde sagt: Ich eröffne eine Weinhandlung, bestelle auf eigene Rechnung verschiedene Weine und biete sie den Leuten an. Wobei dann jeder entscheidet, ob er etwas kauft und wieviel – oder eben nicht. Plötzlich haben wir es nicht mehr mit einer Kostenteilung zu tun, sondern jetzt übernimmt einer das unternehmerische Risiko und wird zum Verkäufer. Das ist steuerbar. 

 

Und die Doppelberufungen nach dem Berliner Modell entsprechen Ihrer Logik nach den drei ursprünglichen Weinfreunden?

 

Eindeutig. Eine Hochschule stellt doch nicht Wissenschaftler ein und schaut dann, wie sie deren Arbeitsleistung meistbietend an Forschungseinrichtungen verkaufen kann. Das könnte in der Tat eine Form der umsatzsteuerpflichtigen Personalgestellung sein. Sondern Hochschule und kooperierendes Institut suchen gemeinsam nach der wissenschaftlich besten Person auf einem bestimmten Gebiet. Beide wissen: Dieser Person müssen sie besonders viel bieten, das beste beider Welten, und das können sie über eine Doppelberufung. Und der berufenen Wissenschaftlerin ist natürlich von Anfang an klar, dass sie zu beiden Arbeitgebern gehört. Während die Institutionen wissen, dass sie sich die Kosten teilen. Denn natürlich zahlt die Forschungseinrichtung nur den Anteil, den die Person bei ihr forscht. Die Hochschule finanziert den Anteil für die Lehre.



Das Bundesfinanzministerium zeigt sich bislang unbeeindruckt. Währenddessen wird gerade das Berliner Landeshochschulgesetz geändert. Ist das nicht Ihre Chance?

 

Wir haben der für Wissenschaft zuständigen Senatskanzlei vorgeschlagen, die Brandenburger Regelung zu übernehmen. Doch war man nur zu einer Verlängerung der Befristungszeit von fünf auf zehn Jahre bereit, danach müsste die Beurlaubung wie bisher erneuert werden. 

 

"Die Verunsicherung in den
Wissenschaftseinrichtungen ist schon jetzt groß.
Mehrere Doppelberufungen liegen bereits auf Eis." 

 

Die Neuregelung des Umsatzsteuergesetzes, die ab nächstem Jahr das "Berliner Modell" bedroht, ist schon vor einem halben Jahrzehnt beschlossen worden. Haben Hochschulen und Forschungseinrichtungen gepennt, und jetzt versuchen sie das durch umso mehr Alarmismus auszugleichen? 

 

Wir haben auf allen Ebenen argumentiert, seit Jahren. Tatsächlich hat die zunächst zuständige Berliner Landesfinanzverwaltung auch Verständnis für unsere Argumentation. Allerdings hält das Bundesfinanzministerium nach wie vor an seiner unzutreffenden Rechtsauffassung fest – und damit muss man sich jetzt auseinandersetzen. Natürlich kann man sich gegen rechtswidrige Steuerfestsetzungen gerichtlich zur Wehr setzen; dann wäre der Schaden für die Wissenschaft aber schon entstanden, auch wenn die Hochschulen Jahre später Recht bekommen. Die Verunsicherung in den Wissenschaftseinrichtungen ist schon jetzt groß. Mehrere Doppelberufungen liegen bereits auf Eis. 

 

Manchmal kann es einem so vorkommen, als betreibe die Wissenschaft beim Steuerthema Rosinenpickerei. Mal will sie, dass ihre Arbeit als unternehmerische Tätigkeit gesehen wird, manchmal nicht. Die Max-Planck-Gesellschaft etwa, deren Generalsekretär Sie früher waren, hat sich zum Beispiel vehement dafür eingesetzt, dass die MPG weiter wie ein Unternehmen behandelt wird und vorsteuerabzugsberechtigt bleibt.

 

Das war vor meiner Zeit. Man dachte, so Steuern zu sparen, weil Unternehmen sich über den Vorsteuerabzug gezahlte Umsatzsteuer erstatten lassen können. Als ich MPG-Generalsekretär würde, hatte ich noch mit den Auswirkungen zu tun, weil das Finanzamt München 2008 den vollen Vorsteuerabzug rückwirkend aberkannt und dreistellige Millionenrückzahlungen forderte. Bis heute bin ich überzeugt: Der generelle Vorsteuerabzug für Wissenschaftseinrichtungen ist der falsche Weg, denn wenn Grundlagenforschung im allgemeinen Interesse liegt, dann handelt es sich eben nicht um eine Leistung an einen individuellen Empfänger, was einer unternehmerischen Leistung gleichkäme. Anders ist das natürlich in dem Umfang, in dem eine wirtschaftliche Tätigkeit, zum Beispiel Auftragsforschung oder Routineanalytik betrieben wird, und so wird es ja auch bei der MPG und anderswo heute gehandhabt. Was ich mir stattdessen wünschen würde: dass gemeinnützige Forschung insgesamt steuerlich zutreffend behandelt würde. 

 

Was würde das konkret bedeuten?

 

Das würde bedeuten, dass gemeinnützige Hochschulen und Forschungseinrichtungen grundsätzlich keine Umsatzsteuer bezahlen müssten, soweit sie unabhängige Forschung für die Allgemeinheit betreiben – und zwar auch in der Zusammenarbeit öffentlich finanzierter Forschungseinrichtungen untereinander. Dazu kann ich mich auf Europäisches Primärrecht berufen und zitiere aus Artikel 179 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU: "In diesem Sinne unterstützt sie (die EU) …die Forschungszentren und Hochschulen bei ihren Bemühungen auf dem Gebiet der Forschung und technologischen Entwicklung von hoher Qualität; sie fördert ihre Zusammenarbeitsbestrebungen… und zwar insbesondere durch …Beseitigung der dieser Zusammenarbeit entgegenstehenden rechtlichen und steuerlichen Hindernisse." Also dann mal los, kann ich nur sagen. 

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Kommentare: 5
  • #1

    T. Fischer (Mittwoch, 04 August 2021 12:33)

    Mir ist die Argumentation des BMF auch schleierhaft. Kann das Argument von Herrn Kronthaler nur unterstreichen: "Eine Hochschule stellt doch nicht Wissenschaftler ein
    und schaut dann, wie sie deren
    Arbeitsleistung meistbietend verkaufen kann." Dann wäre Umsatzsteuer zu zahlen, aber so läuft es ja in der Praxis (Gottseidank) nicht.

  • #2

    Tja, nun? (Mittwoch, 04 August 2021 13:44)

    "Warum sollten wir uns als Hochschulen darauf einlassen?"

    Erm ... weil die Hochschulen nunmal nicht die Gesetze machen? Ich empfand viele Argumente als nachvollziehbar, aber durch die ganze Argumentation zog sich schon ein gewisser Standesdünkel: Es gibt funktionierende Modelle in anderen Bundesländern, aber die Berliner Hochschulen wollen nicht ihre Ordnungen ändern, um den Professoren in den Forschungseinrichtungen volle akademische Rechte einzuräumen. Die Hochschulen würden durch die Auslegung des USt-Rechts durch das BMF nicht sachgerecht besteuert, aber Leistungserfassung ist ihnen zu aufwändig. Die Rechtsauffassung des BMF sei falsch, aber die Berliner Hochschulen wollen diese Frage nicht gerichtlich klären lassen. Tja, nun, und jetzt? Niemand will Steuern zahlen und mir kommt das wieder wie das typische wissenschaftliche Armdrücken vor, bei dem ständig verheerende Folgen für Innovationsfähigkeit & Wissenschaftsstandort angedroht werden, wenn die Hochschulen nicht ihren Willen bekommen.

  • #3

    Hanno Bruckner (Mittwoch, 04 August 2021 15:34)

    @Nr. 2: Mit Polemik kommt man nicht weiter. Es geht ja ganz offensichtlich nicht darum, Gesetze zu machen oder zu ändern, sondern darum, einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde zu legen und bestehende Gesetze richtig anzuwenden. Klar kann das zu einen späteren Zeitpunkt auch mal ein Finanzgericht machen, aber dann hat man erst einmal die gesamte wissenschaftliche Landschaft umgekrempelt und der Schaden ist eingetreten. Daher wäre es besser, man würde miteinander reden (und auch zuhören) und zu einer einvernehmlichen Lösung kommen.

  • #4

    Tja, nun. (Nr. 2) (Mittwoch, 04 August 2021 16:14)

    "Einvernehmliche Lösung" kann nicht bedeuten, dass die Berliner Hochschulen ihre Rechtsauffassung durchsetzen können, weil sie mit dem schon ziemlich strapazierten "Schadet der Wissenschaft"-Argument die Muskeln anspannen können. Und die pauschale Behauptung, dass Durchbruch-Innovationen wegen einer steuerrechtlichen Frage unterbleiben könnten, ist nicht weniger polemisch. Wenn diese Frage seit 5 Jahren diskutiert wird, dann hat ja offensichtlich auch die Gegenseite gute Argumente & es bleibt den Gerichten überlassen, welcher Rechtsauffassung sie sich anschliessen wollen.

  • #5

    Ein Weinfreund (Freitag, 27 August 2021 17:46)

    Die Finanzverwaltung bzw. das BMF vergleicht hier nicht nur im sprichwörtlichen Sinne den Apfel mit der Birne, sondern vielmehr den Apfel mit der Tomate. Die Grundannahme des BMF, die zur kritisierten umsatzsteuerlichen Behandlung führt, fusst darauf, dass staatliche und private Hochschulen gleichartig funktionieren. Wenn man sich im Wissenschaftsrecht, Dienstrecht, Arbeitsrecht, Tarifrecht und Steuerrecht gleichermaßen gut auskennt, weiß man, dass die Unterscheide zwischen beiden himmelweit sind. Allein schon die Tatsache, dass die staatlichen Hochschulen ihre Professorinnen und Professoren aufgrund verfassungsrechtlicher Grundsätze verbeamten muss, markiert einen elementaren Unterschied. Dass das Berliner Modell ein Ausfluss des Verbeamtungsgebotes ist, muss durch das BMF in seiner Auffassung berücksichtigt werden. Ansonsten wäre es für die staatlichen Hochschulen und die AuF ein einfaches mit der zu berufenden Person jeweils einen eigenen Arbeitsvertrags abzuschliessen, der eine hälftige Beschäftigung an jeder Einrichtung vorsieht. Das spart Umsatzsteuer, funktioniert wegen der verfassungsrechtlichen Anforderungen aber nicht.