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Was bei Hanna durcheinandergeht

Sind Befristungen das Grundübel wissenschaftlicher Karrieren? Eine Gegenrede zur "#IchbinHanna"-Debatte von Reinhard Jahn.

Genauer hinschauen: Brauchen wir eine differenziertere Debatte über Befristungen in der Wissenschaft? Foto (Symbolbild): University of Washington Photo.

DIE DISKUSSION über wissenschaftliche Karrierewege hat Fahrt aufgenommen. Unzählige Zeitungsartikel und Social-Media-Beiträge (#IchbinHanna) geißeln den hohen Anteil befristeter Arbeitsverträge. Dabei geht einiges durcheinander, und es ist höchste Zeit, die zunehmend von Partikularinteressen geleitete Debatte auf den Boden der Realität zurückzuholen. 

 

Der erste Schritt in einem akademischen Berufsweg besteht in einer erfolgreichen Promotion. Sie erfordert außergewöhnlichen Einsatz und dauert mehrere Jahre, wobei nur in seltenen Fällen ein volles Akademiker-Gehalt gezahlt wird. Warum wird sie dennoch von vielen angestrebt, die nicht in der Forschung bleiben wollen? Dafür gibt es handfeste Gründe: Man lernt während der Promotion, komplexe Projekte selbständig durchzuführen, und erwirbt Fähigkeiten, die wertvolles Kapital für vielfältige Aufgaben sind und damit für ein breites Berufsspektrum qualifizieren. Eine Promotion verbessert die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und ermöglicht höhere Einstiegsgehälter. In manchen Berufen geht sogar fast nichts ohne den "Doktor" – so in der Chemie, wo fast 90 Prozent aller Studierenden mit der Promotion abschließen.

 

Die irreführende Rechnung, die zu
90 Prozent Befristungsanteil führt

 

Dementsprechend verlassen die meisten Promovierten unmittelbar nach der Doktorarbeit die Uni, nur ein kleinerer Anteil verbleibt in der Wissenschaft. 

Dauerstellen für alle Promovierende zu fordern ist daher unsinnig. Noch unsinniger ist es, Promovierende mit Arbeitsverträgen dem befristeten wissenschaftlichen Stellenpool zuzurechnen. Nur mit dieser irreführenden Rechnung kommt man auf einen Befristungsanteil von 90 Prozent und mehr, denn die Promovierenden stellen die mit Abstand größte Kohorte am wissenschaftlichen Personal (leider fehlen noch immer genaue Zahlen). Der echte Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere beginnt erst mit der Forschungstätigkeit nach der Promotion. 


Reinhard Jahn ist Neurobiologe und war über viele Jahre Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Er war unter anderem Vorsitzender des Auswahlgremiums des Tenure-Track-Programms von Bund und Ländern und von Ende 2019 bis Anfang 2021 Präsident der Universität Göttingen. Foto: Universität Göttingen/Christoph Mischke.


Welche Faktoren bestimmen dann den Erfolg einer solchen wissenschaftlichen Karriere? In erster Linie kommt es auf die eigene wissenschaftliche Leistung an – darüber muss man sich von Anfang an im Klaren sein. Immer vorausgesetzt, dass genügend Zeit zum Forschen bleibt, haben wir als Wissenschaftler*innen große Freiheiten in unserer vom Steuerzahler finanzierten Arbeit, und diese sind nur zu rechtfertigen, wenn die Leistung stimmt. Die Bewertung der Leistung erfolgt durch uns selbst, durch "peer review" anhand fachspezifischer Kriterien. 


Das System ist nicht perfekt. Gutachter können irren und streiten sich gelegentlich. Auch geht es nicht immer gerecht zu. Zudem sind neben Leistung andere Faktoren für einen Karriere-Erfolg wichtig, darunter soziale Kompetenz, Führungsqualitäten oder der Bekanntheitsgrad in der Fach-Community. 

 

Einen Anspruch auf eine Dauerstelle gibt
es nicht und sollte es auch nicht geben

 

Wichtig ist zu verstehen, dass es sich um einen Wettbewerb handelt, in dem man die Peers von der Qualität und Relevanz der eigenen Arbeiten überzeugen muss. Einen Anspruch auf eine permanente Stelle, nur weil man fleißig war, publiziert und Drittmittel eingeworben hat, gibt es nicht und sollte es auch nicht geben. Daher ist jede/r gut beraten, die eigenen Chancen und Risiken stets im Auge zu behalten und sich gegebenenfalls andere berufliche Optionen offenzuhalten.

Leider sind sich viele nicht über diese Rahmenbedingungen im Klaren. Als wir vor Jahren in Göttingen professionelle Beratung für Postdocs eingeführt haben, waren wir erschrocken, wie unreflektiert viele in ihre Karriere hineinstolpern. Außer denen, die sich genuin für die Wissenschaft begeistern, bleiben manche dabei, weil sie ihre Komfort-Zone nicht verlassen wollen: Forschung und den Uni-Betrieb kennt man, und irgendwie wird es schon weitergehen. Dagegen ist ein Berufswechsel mit Ängsten und Unsicherheiten behaftet. 

 

Dazu kommt, dass es für zahlreiche Spezialdisziplinen außerhalb der akademischen Institutionen kaum einen passenden Arbeitsmarkt gibt. Hier wird man später nur einen Job finden, wenn man sich umorientiert und akzeptiert, in ganz anderen Bereichen zu arbeiten. Das fällt vielen schwer. Sie sehen ihre einzige Berufsoption in der Wissenschaft. Es fällt auf, dass die "#IchbinHanna"-Debatte stark von Kolleg*innen getragen wird, die aus solchen Fächern kommen. 

Selber schuld also? So einfach ist es nicht. Die Institutionen und wir Professor*innen tragen ein gerütteltes Maß an Mitverantwortung für die Misere. Es ist unsere Aufgabe, den jungen Kolleg*innen ein ehrliches Feedback zu ihrer Karriereentwicklung zu geben. Spätestens zwei bis drei Jahre nach der Promotion sollte eine intensive Beratung stattfinden, in denen die Karrierechancen reflektiert und Alternativen ausgelotet werden. Das Problem ist allerdings, dass viele der betreuenden Professor*innen selbst zu wenig über die vorhandenen – ebenso spannenden und anspruchsvollen – Tätigkeiten außerhalb der akademischen Forschung wissen. 

 

Für eine/n Professor*in wie mich ist es außerdem von Vorteil, erfahrene Mitarbeiter*innen, die mich in Forschung und Lehre unterstützen, möglichst lange bei der Stange zu halten. Aus purem Eigennutz. Ich rate daher dringend, sich neben den eigenen Mentor*innen, bei denen immer eigene Interessen mitspielen, unabhängige Beratung durch Externe und/oder ein professionelles Karriere-Coaching zu suchen, wie es inzwischen von vielen Unis angeboten wird. 

Klar sollten Sie weitermachen, wenn Sie für die Wissenschaft brennen, aber halten Sie die Augen offen, "bench-marken" Sie sich im Vergleich zu Ihren Peers, und übernehmen Sie selbst, soweit es geht, die Steuerung Ihres Berufswegs – statt darauf zu hoffen, dass am Ende irgendwie eine sichere Stelle da sein wird. 

 

Das deutsche Karrieresystem ist komplex,
wenig transparent und zu hierarchisch

 

Erschwerend kommt hinzu, dass das Karrieresystem in der deutschen Wissenschaft von einer komplexen Vielfalt bestimmt ist, die wenig transparent und von hierarchischen Elementen durchsetzt ist. Die EU-Kommission unterscheidet zwischen Promotion und Professur zwei Karriere-Abschnitte ("R2" und "R3"), die man vereinfacht mit "Postdoc" und "Junior Faculty" bezeichnen kann. Während am Ende der Postdoc-Phase, solange sie nicht zu lange dauert, noch viele Optionen offen sein sollten, sind ab der Stufe der "Junior Faculty" klare und transparente Karriereperspektiven erforderlich. 

 

Die gibt es aber kaum, denn eine "Junior Faculty" mit dem Recht auf eigenständige Forschung, Drittmitteleinwerbung und Personalverantwortung passt nicht so recht zu dem hierarchischen System der langen Abhängigkeiten, das die deutsche Wissenschaftslandschaft prägt. Kein Wunder, dass der R3-Karriereabschnitt in Deutschland durch ein dschungelartiges Konvolut von befristeten und oft weisungsgebundenen Stellen geprägt ist.

 

Immerhin: Es gibt Drittmittel-geförderte Programme (ERC, DFG-Emmy Noether) sowie Gruppenleiter-Positionen in den außeruniversitären Forschungsinstituten, die zwar sehr kompetitiv vergeben werden, es aber erlauben, unabhängig von institutionellen Verpflichtungen eine eigene Forschergruppe aufzubauen. Eine weitere Option ist die Juniorprofessur mit Tenure Track, die es aber trotz Unterstützung durch BMBF-Milliarden schwer hat, sich durchzusetzen. 

DAS sind einige der Probleme, um die es geht und von denen ich in zahlreichen Beiträgen zur "#IchbinHanna"-Debatte zu wenig habe finden können. Stattdessen wird häufig pauschal eine Erhöhung unbefristeter Stellen im Mittelbau gefordert. 

 

Ein eigener Karriere-Track –
getrennt, aber durchlässig

 

Nun ist es richtig, dass es in einem akademischen Betrieb Aufgaben in Forschung und Lehre gibt, die dauerhaft sind und daher von permanent beschäftigtem Personal erfüllt werden sollten. Dies sollte aber ein eigener Karriere-Track sein – mit klar geregelten und offenen Zugängen, getrennt von den übrigen wissenschaftlichen Laufbahnen, auch wenn es Durchlässigkeit geben mag. 

 

Natürlich kann ich den Frust vieler nachvollziehen: Man hat sich jahrelang abgerackert, den Forschungs- und Lehrbetrieb am Laufen gehalten (in der Pandemie dazu noch unter erschwerten Bedingungen) und dafür die eigene Forschung hintangestellt – und dann wird man nicht übernommen. Reformen sind in der Tat überfällig. 

 

Andererseits: Es gehören immer zwei dazu. Niemand ist gezwungen, sich auf solche Bedingungen einzulassen, besonders nicht, wenn man so hoch qualifiziert ist. Selbstverständlich sollte jede/r, der/die eine wissenschaftliche Karriere verfolgen will, eine faire Chance bekommen. Dazu gehören vertraglich garantierte Zeiträume und ausreichend Freiräume für Forschung. Daran hapert es oft, und darauf sollte man achten, bevor man eine Stelle annimmt. Doch die Qualitätsanforderungen sind zu Recht hoch und sollten es bleiben. Allerdings müssen sie anders als bisher überall in transparenten Verfahren anhand verlässlicher Kriterien geprüft werden. Das bedeutet dann freilich immer noch, dass es viele nicht schaffen werden. 

 

So ist es in den Tenure-Track Verfahren geregelt, die als Vorbild dienen mögen. Es würde jedem Leistungsgedanken widersprechen, wenn die Unis und das Wissenschaftssystem diejenigen dauerhaft versorgen sollen, die im Wettbewerb nicht erfolgreich sind und die sich nicht rechtzeitig um Karriere-Alternativen gekümmert haben.




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Kommentare: 28
  • #1

    F. Gercke (Donnerstag, 12 August 2021 08:19)

    Das ist eine sehr klare und dingend notwendige Darstellung der Problematik von Herrn Jahn. Wissenschaft ist und darf
    keine "Wünsch-Dir-was"-Sendung.

  • #2

    Was bei Herrn Jahn ... (Donnerstag, 12 August 2021 09:42)

    ... durcheinander geht.

    1.) Niemand fordert unbefristete Stellen für Doktoranden. Es ist aber trotzdem sinnvoll, die Doktoranden in die Befristungsquoten reinzurechnen, weil so deutlich wird, wie die Universitäten das Sonderbefristungsrecht missbrauchen: Stellen, auf denen Daueraufgaben wahrgenommen werden, werden mit §2(1)-WissZeitVG-Befristungen und in Teilzeit ausgeschrieben, weil Promovierende günstiger sind. Sobald die Universitäten Maßnahmen ergriffen haben, um jede Form von Rechtsmissbrauch (Stipendienmissbrauch, Teilzeitmissbrauch, Befristungsmissbrauch und Arbeitszeitmissbrauch) zu verhindern, können die unpromovierten Mitarbeitenden aus der Statistik rausgenommen werden, weil dann sichergestellt ist, dass diese Gruppe sich tatsächlich vorrangig qualifizieren kann und nicht "halbe Stelle, volle Arbeit" kohortenweise für die Aufrechterhaltung des Hochschulbetriebs und die Drittelmittelwalze verheizt wird.

    2.) Herr Jahn ist eine löbliche Ausnahme, der sich mit Blick auf die eigene Laufbahn nicht völlig unglaubwürdig macht, wenn er behauptet, dass die Wissenschaft meritokratisch ist. Normalerweise wird gerade dieses Argument aber gerne von den jetzigen Professoren (*hust* Hochschulrektorenkonferenz *hust*) angeführt, die sich selbst nicht einem so kompetitiven Umfeld beweisen mussten. Da wimmelt es von überfrachteten, aber national begrenzten Publikationslisten und Hausberufungen. Mehr unbefristete Stellen für die jetzigen Post-Docs pauschal abzulehnen, weil es zunehmend Tenur-Track-Stellen gibt, verkennt, dass ein funktionierendes Hochschulssystem beides braucht: Herausragende Forschende, ggf. mit narzisstischen Zügen, um Neuland zu betreten, aber auch Teamplayer, mit sozialer Kompetenz, um Kontinuität und Qualität im Wissenschaftsmanagement und in der Lehre zu gewährleisten. Für die erste Gruppe sind kompetitive Karrierewege das Richtige, die zweite Gruppe geht aber verloren, wenn ihr nicht ebenfalls attraktive Perspektiven angeboten werden. Dass es so viele Post-Docs gibt, die dafür, dass sie sich jahrelang sozial eingebracht haben, jetzt mit einem Fußtritt aus dem System raus bestraft werden, ist nicht zuletzt auf die Angehörigen der ersten Gruppe zurückzuführen, die sich nicht dem Hochschulwesen, sondern nur der eigenen Karriere verpflichtet gefühlt haben.

  • #3

    Michael Liebendörfer (Donnerstag, 12 August 2021 10:01)

    Eine intensive Beratung zwei bis drei Jahre nach der Promotion also als Lösungsvorschlag? Meinem Gefühl nach ist die biografische Schließung da bei einigen schon zu weit fortgeschritten. Man müsste vor sich selbst und gegenüber den anderen eingestehen, dass Wissenschaft ein Fehlversuch war, und das eigene Kapital in Form von Preisen und Publikationen, Netzwerk und natürlich Spezialwissen aufgeben - die zwei bis drei Jahre scheinen entwertet.
    Warum nicht direkt nach der Promotion? Die Universitäten könnten sich selbst verpflichten, befristete PostDoc-Beschäftigungen nur nach einem Beratungsgespräch mit einer externen Person zu vereinbaren, in dem die langfristigen Berufsaussichten besprochen werden.
    Ich selbst hatte das Glück, bei einem Bewerbungsgespräch sehr ehrliches Feedback zu meinem Lebenslauf zu bekommen, was ironischerweise dazu geführt hat, dass ich das Jobangebot nicht angenommen habe, weil ich eine entscheidende Lücke auf dieser Stelle nicht hätte schließen können. Dem Kollegen bin ich bis heute sehr dankbar dafür.
    Die frühe Einordnung von außen kann nicht nur helfen, sich für oder gegen Wissenschaft zu entscheiden, sondern auch, die nächsten Schritte auf diesen Wegen zu planen.

  • #4

    Felix Schabasian (Donnerstag, 12 August 2021 11:43)

    Dieser Beitrag zeigt Mal wieder warum es durchaus kritisch zu betrachten ist, dass im Hochschulmanagement, wo man verantwortlich für viele Beschäftigte ist, vor allem renommierte Naturwissenschaftler*innen eingesetzt werden. Der eigene Survivor Bias gepaart mit einer Erinnerung daran, wie es vor dutzenden Jahren war, führt oftmals dazu, dass jegliche Empathie verlorengeht. Stattdessen finden wir hier Argumente aus "Fordern und Fördern" und kein Verständnis dafür was eigentlich gute Arbeit bedeutet. Niemand hätte Ansprüche geltend zu machen und die Besten könnten sich glücklich schätzen, dass sie ihre Privilegien haben. Wenn man die Arbeitsbedingungen nicht gut findet, solle man sich doch einfach einen anderen Job suchen. Klar sei das Management auch selbst Schuld, aber nicht weil es die Bedingungen geschaffen und aufrechterhalten hat, teilweise selbst davon profitiert, nein sondern weil es die Hoffnungen der Menschen nicht genug zerstört hätte, es könnte anderes sein und Sie würden für ihre wichtige Tätigkeit angemessen gewürdigt und erhielten finanzielle Sicherheit.
    Dazu kommen noch Fehlschlüsse:
    Arbeiten Promovierende nur an ihrem Projekt und tragen nebenbei einen angemessenen Beitrag zum Universitätsbetrieb bei oder werden Sie nicht vielleicht noch über die Maßen belastet, trotz schlechterer Entlohnung und teils fehlender Perspektiven? Gehen so viele von Ihnen anschließend nicht in die Wisschenschaft, weil andere Stellen immer attraktiver sein werden oder wissen Sie vielleicht schon was aktuell auf sie wartet, sollten Sie bleiben? Ist das Leistungsprinzip ein geeignetes Primat, welches man an einer Universität einfach als gegeben sehen sollte oder führt es neben schlechten Arbeitsbedingungen nicht auch zu einer permanenten Verzerrung welche Tätigkeiten und Forschungsgebiete "wertvoll" sind und welche man in einen Strudel der Abwertung befördern möchte? Warum sind Unis dann keine Unternehmen, wo alles auf Leistung ausgerichtet ist?
    Es wurde höchste Zeit, dass die Betroffenen sich organisieren und statt Diskussionen auf dieser Ebene, ob sie diese überhaupt verdient hätten, zu führen, ihr Recht auf gute Arbeit einfach durchsetzen

  • #5

    Literaturwissenschaftlerin (Donnerstag, 12 August 2021 12:34)

    Von einer „Gegenrede“ hätte man sich erwartet, dass Herr Jahn die von #IchBinHanna vorgetragenen Argumente zur Kenntnis nimmt und keine unterstellt, die niemand vorträgt. Stattdessen entdifferenziert er die Debatte selbst und reproduziert alle ideologischen Platitüden, die seit der Bayreuther Erklärung die meisten Einlassungen des Hochschulmanagements und seiner Unterstützer (im BMBF und anderswo) kennzeichnen:
    1) #IchBinHanna sei eine „von Partikularinteressen geleitete Debatte“: Das trifft auf den Machterhaltungsanspruch der Hochschulrektorate sicher nicht weniger zu als auf die Hannas selbst, die sich einfach erlauben, die Systemfrage zu stellen. Wer will in einer Universitätslandschaft arbeiten, die systematisch wissenschaftliches Personal verheizt und es durch Prekarisierung gefügig und wissenschaftlich unfrei hält? Diejenigen, die von den dadurch beförderten Hierarchien profitieren – aber häufig selbst nicht (mehr) wissenschaftlich tätig sind. Ob dieses System der Wissenschaft guttut, können diejenigen, die sie aktiv betreiben, durchaus beurteilen, und sie haben begründete Zweifel daran.
    2) „Dauerstellen für alle Promovierende zu fordern ist daher unsinnig.“ Es gibt niemanden, wirklich niemanden in der #IchBinHanna-Debatte, der das tut, und dass es wirklich niemand tut, wurde auch immer und immer wieder gesagt.
    3) „Nur mit dieser irreführenden Rechnung [Promovierende dem befristeten Stellenpool zuzurechnen] kommt man auf einen Befristungsanteil von 90 Prozent und mehr“. Laut OECD-Bericht (Reducing the Precarity of Academic Research Careers) sind 77% der Postdocs in Deutschland befristet beschäftigt. In Anbetracht der sich nach der Promotion stetig verschlechternden Chancen auf einen Berufswechsel ist auch das keine vertretbare Quote.
    4) „Wichtig ist zu verstehen, dass es sich um einen Wettbewerb handelt, in dem man die Peers von der Qualität und Relevanz der eigenen Arbeiten überzeugen muss.“ Das müsste und könnte man auch, wenn Dauerstellen nach der Promotion die Regel wären. Es würde lediglich faire und transparente Besetzungsverfahren erfordern und den professoralen Verzicht auf persönliche Hofstaaterei.
    5) „jede/r [ist] gut beraten, die eigenen Chancen und Risiken stets im Auge zu behalten […]. Leider sind sich viele nicht über diese Rahmenbedingungen im Klaren.“ Grundmuster dieses Arguments, ideologiekritisch gesehen: a) Naturalisierung sozial konstituierter Verhältnisse. #IchBinHanna strebt eine kooperativere, kollegialere und egalitärere Hochschule anstelle des gegenwärtigen rat race an, und das nicht nur für sich selbst, sondern zum Vorteil wissenschaftlicher Praxis im Allgemeinen. b) Inividualisierung struktureller Probleme. Nein, wir sind nicht alle schlechte Wissenschaftler:innen, die bloß „versorgt“ sein wollen, wir möchten, dass mehr gute eine echte Perspektive bekommen, und dass sie ihre Arbeit machen können, statt einen Großteil ihrer Zeit mit Selbstvermarktung zu vergeuden.
    6) „Es ist unsere Aufgabe, den jungen Kolleg*innen ein ehrliches Feedback zu ihrer Karriereentwicklung zu geben.“ Siehe 5. Warum hält sich die logisch verquere Behauptung so hartnäckig, individuelle Beratung könne ein strukturelles Problem lösen? Sind Stellen vorhanden, werden sie besetzt, und jeder austauschbaren Person, die auf dem Weg scheitert, wird man hinterher vorhalten können, sie sei nicht gut genug gewesen. Das aber heißt, systematisch einen überwiegenden Teil der Forschung und Lehre von Personen bestreiten zu lassen, die angeblich gar nicht gut genug dafür sind und es erst merken (sollen), wenn es zu spät ist. Denn was explizit niemand der Verantwortlichen sagen mag: Einerseits hält man den Laden so billig am Laufen, andererseits pflegt man steile Hierarchien mit Privilegien für die happy few – wissenschaftliche Vielfalt allerding eher nicht.
    7) „Es würde jedem Leistungsgedanken widersprechen, wenn […] das Wissenschaftssystem diejenigen dauerhaft versorgen soll[], die im Wettbewerb nicht erfolgreich sind und die sich nicht rechtzeitig um Karriere-Alternativen gekümmert haben.“ Nicht genug, dass es enorme Realitätsferne beweist zu meinen, man habe überhaupt eine Chance, im Wettbewerb zu bestehen, wenn man gleichzeitig Alternativen aufbaut, um sich abzusichern – ‚naturalisiert‘ wird hier erneut, was Wettbewerb eigentlich heißt und dass er in seiner gegenwärtigen Form dazu führe, die ‚beste‘ Wissenschaft zu belohnen. Nein: Der Status quo sollte nicht mehr die Norm sein, sondern das abschreckende Beispiel. Replikationskrisen und sinkende Publikationsqualität bei gleichzeitiger Publikationsflut sollten hinreichende Warnung sein, dass nicht nur für die betroffenen Wissenschaftler:innen etwas schiefläuft.

  • #6

    Kristin Eichhorn (Donnerstag, 12 August 2021 12:54)

    "Einen Anspruch auf eine permanente Stelle, nur weil man fleißig war, publiziert und Drittmittel eingeworben hat, gibt es nicht und sollte es auch nicht geben."

    Man fragt sich hier schon: Wenn Leistung nicht zur unbefristeten Stelle reicht, widerspricht das doch dem von Jahn betonten Leistungsprinzip?! Denn darüber reden wir hier: Man kann sagen, "fleißig" sein reicht nicht für einen Leitungsposten - geschenkt. Das Problem ist, dass es zur Zeit fast nur Leitungsposten gibt. Folglich wird Entfristung widersinnigerweise im Artikel wieder einmal mit Leitungsposten gleichgesetzt. Jahns Argument sollte eigentlich besser lauten: Fleiß allein begründet keinen Anspruch auf eine Leitungsfunktion.
    Wir fordern auch nicht, dass alle Professor*in/Direktor*in werden, sondern eine Schaffung von weiteren unbefristeten Stellen NEBEN Leitungsposten. Das unbefristete Anstellungsverhältnis ist laut unserem Arbeitsrecht der REGELFALL. Es Menschen zu verwehren, ist begründungsbedürftig, nicht umgekehrt. Das Pochen auf grundlegendem Arbeitsrecht als Anspruchsdenken zu diskreditieren ist mehr als schäbig.

    Übrigens: Niemand ist gezwungen sich in die #IchBinHanna-Debatte einzumischen und die alten Strohmänner wieder herunterzubeten.

  • #7

    Tobias Denskus (Donnerstag, 12 August 2021 15:21)

    Das Erschreckende an dem Beitrag des vollversorgten 70-jährigen Pensionärs ist doch, dass es Menschen wie er waren/sind die seit Jahrzehnten an mitentscheidenden Positionen in der deutschen Wissenschaft sitzen. Der Ausgangspunkt ist wie so oft, dass Universitäten "anders" als der restliche öffentliche Dienst funktionieren wo trotz aller Vielfalt sichere Stellen ein wesentlicher Bestandteil sind. Es folgt dann viel drumherum Gerede um die "black box" der "early career", denn wie wird man denn nun ProfessorIn und was macht man denn zwischen ca. Ende 20 und ca. Mitte 40 an Unis ausser sich auf eine alternative Karriere vorzubereiten? Naja, sagt der ehemalige MPI-Leiter, vielleicht können wir ja die Zombie-Idee eines "Tenure track" wieder beleben, wo es dann "richtige" ForscherInnen gibt und solche die halt das "Gedöns" machen-wer halt nicht so "gut" ist, kann dann ja ein Master-Programm verwalten, mehr Lehre anbieten oder in der Archivierungskommission der Fakultät mitarbeiten...aber der Autor möchte sich weder mit dem nordischen Uni-Modell auseinandersetzen (wo sogar Promotionen meistens bezahlte Stellen sind), noch ueber ein britisches Beförderungssystem nachdenken, weil MPIs natuerlich die besten Einrichtungen der Welt sind und deutsche Lehrstuehle die wesentlichen Orte wissenschaftlicher Revolutionen sind. Noch ein Tip: Im Jahr 2021 wäre ich mit "Es gehören immer zwei dazu"-Formulierungen etwas vorsichtig, denn so werden ja leider oft Machtmissbrauch und ähnliche Uebergriffigkeiten rationalisiert...

  • #8

    McMurphy (Donnerstag, 12 August 2021 15:33)

    "Niemand ist gezwungen, sich auf solche Bedingungen einzulassen, besonders nicht, wenn man so hoch qualifiziert ist. " Da hat er recht. In allen anderen Arbeitsmärkten führen bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung dazu, dass besser qualifiziertes Personal rekrutiert werden kann. Auch mir leuchtet nicht ein, warum das in der Wissenschaft grundsätzlich anders sein sollte. Trotzdem ist die Frage nicht: Sind alle Stellen besetzt? sondern: Entscheiden sich die besonders kreativen, leistungs- und risikobereiten Hochschulabsolventen für die Wissenschaft (oder eben für Karrieren in anderen Bereichen, die in vielerlei Hinsicht attraktiver sind)? Ohne diese Überlegung bleibt der abstrakte Verweis auf "Qualitätsanforderungen" wenig sinnvoll. Dass Drittmittel zurückgegeben werden, weil man gerade nicht "die Besten" für die Arbeit im Projekt rekrutieren konnte, ist ja eher die Ausnahme.

  • #9

    Michael Liebendoerfer (Donnerstag, 12 August 2021 18:16)

    Die Spaltung der Forschenden in Narzissten und Teamplayer (@Nr. 2) scheint mir völlig unangebracht. Der Wortlaut (Fußtritt, bestraft) unterstellt dem System eine Ungerechtigkeit, die viele tatsächlich empfinden. Aber so einfach, dass alle, die sich im System halten konnten, asozial wären, ist es nicht. Im Gegenteil, Teamplayer zu sein hilft bei Drittmitteln und Publikationen ungemein.
    Und ohne Leistungsprinzip (@Felix Schabasian) wird man die wenigen Stellen, die es zu besetzen gibt, wohl auch nicht fair verteilen können. Oder fänden Sie eine Verlosung besser? Hier muss man ja zunächst weniger an die Interessen der Bewerber:innen denken, sondern vor allem an die Interessen der Studierenden und die wissenschaftlichen Ergebnisse. Irgendeine Art von guter Arbeit muss also schon her und wir sollten diskutieren, welche „Leistung“ das ist. Dass die Qualität der Lehre dabei bislang zu wenig berücksichtigt wird, darüber sind wir uns wohl einig. Aber wie machen wir die vergleichbar?
    Auch ansonsten würde mich interessieren, welche konstruktiven Vorschläge nun wirklich zur Debatte stehen. Unbefristet ab PostDoc (@Literaturwissenschaftlerin), mehr Stellen ohne Leitungsfunktion (@Kristin Eichhorn) das nordische Uni-Modell oder das britische Beförderungssystem (@Tobias Denskus)? Es wäre spannend, die Modelle vergleichend vorzustellen!
    Wenn man die derzeit unter #ichbinhanna kursierende Kritik vollständig aufgreifen wollte, müssten in der Tat nach der Promotion nur noch Dauerstellen mit dem Recht auf unabhängige Forschung, einem nicht überzogenen Lehrdeputat (sagen wir 8-10 SWS) und voller Mitbestimmung in der akademischen Selbstverwaltung fordern. Das ist für meine Begriffe eine Professur, nur nennt das niemand so. Warum eigentlich?
    Die PostDoc-Phase nur noch auf TenureTrack-Professuren würde vielen Leuten viel früher eine klare Perspektive geben, man könnte Familie mit Wissenschaft vereinbaren und man könnte Forschung machen, die man selbst inhaltlich voll vertritt.
    Allerdings müssten wir uns darauf einstellen, dass es auch dann sehr viele Unzufriedene gäbe. Ich male mir schon den Run auf diese Stellen aus: Man würde nach der Dissertation noch über Elternzeitvertretungen/Stipendien/Praktika/Auslandsforschung versuchen, das eigene Profil zu verbessern. Manche würden die Abgabe der Diss künstlich herauszögern, um noch mehr Publikationen zu sammeln, schließlich darf man nach der Abgabe nicht mehr befristet beschäftigt werden. Natürlich wären die im Vorteil, die sich das finanziell leisten können, ein Netzwerk haben und die Gebräuche wissenschaftlicher Kommunikation nicht erst während der Promotion erlernen mussten, also die Söhne alter, weißer Männer...

  • #10

    Junior Cheerleader (Donnerstag, 12 August 2021 23:45)

    „ Einen Anspruch auf eine permanente Stelle, nur weil man fleißig war, publiziert und Drittmittel eingeworben hat, gibt es nicht und sollte es auch nicht geben.“ Achso. Jetzt wird mir manches klar.

  • #11

    Studi (Freitag, 13 August 2021 07:19)

    "Es gehören immer zwei dazu. Niemand ist gezwungen, sich auf solche Bedingungen einzulassen, besonders nicht, wenn man so hoch qualifiziert ist."

    Hört hört liebe lohnabhängig Beschäftigten. So einfach ist das mit den guten Arbeitsbedingungen!

  • #12

    Jan-Martin Wiarda (Freitag, 13 August 2021 07:21)

    Liebe Leserinnen und Leser,

    aus gegebenem Anlass der Hinweis: Bitte hart in der Sache argumentieren, aber respektvoll im Ton, okay?

    An Studi: Ich schalte Ihren Kommentar frei, habe aber den ersten Satz entfernt.

    Besten Dank!
    Ihr J-M Wiarda

  • #13

    Nr. 2 (Freitag, 13 August 2021 07:50)

    "Die Spaltung der Forschenden in Narzissten und Teamplayer (@Nr. 2) scheint mir völlig unangebracht. Der Wortlaut (Fußtritt, bestraft) unterstellt dem System eine Ungerechtigkeit, die viele tatsächlich empfinden. Aber so einfach, dass alle, die sich im System halten konnten, asozial wären, ist es nicht. Im Gegenteil, Teamplayer zu sein hilft bei Drittmitteln und Publikationen ungemein."

    Bislang ist es tatsächlich so, dass das System als vermeintlich meritokratischer Ausleseprozess Teamplayer bestraft und antisoziales Verhalten befördert, ohne dass man das verabsolutieren muss: Jmd, der/die sich stärker in Lehre und Selbstverwaltung engagiert hat, hat schlechtere Aussichten auf eine Professur, als jmd, der/die die eigene Publikationsliste maximiert hat, ggf. auch mit problematischen Praktiken wie "Ehrenautorenschaften" oder Salami-Publikationen. Und solange es nur die Optionen "Professur" oder "raus" gibt, fördert das System Narzissmus und bestraft stärker soziales Verhalten. Oder wollen Sie bestreiten, dass sich gerade die Wissenschaft in den letzten Jahren mit den antisozialen Geistern, die sie rief, befassen musste? Initiativen wie das N2-Netzwerk wären gar nicht notwendig, wenn sich die angeblich so meritokratische Auslese nicht als völlig dysfunktional erwiesen hätte.

  • #14

    lN2 (Freitag, 13 August 2021 09:45)

    Mir ist die Grundstimmung der meisten Argumente zu negativ. Nicht jeder Professor ist ein Narziss und asozial, im Gegenteil, das ist eine kleine Minderheit. Und befristete Mitarbeiter werden auch nicht von allen ausgebeutet, sondern die Karriere nach der Promotion sehr oft auch gezielt unterstützt. Genauso ist der Auswalprozess nicht meritokratisch, das ist populistisch und falsch. Es gibt bei der Auswahl an Dauerstellen klar definierte Zielfunktionen, bei Professuren ist dies nun mal der wissenschaftliche Erfolg, und da gibt es nach dem aktuell angewandten Wertesystem recht klare Kriterien (zumindest in den Naturwissenschaften, und der Kommentar sei erlaubt: Herr Jahn hat durchaus recht, dass es eine Fächerdysbalance gibt wenn man sich die energischen Stimmen bei #ichbinhanna anschaut). Auch Dauerstellen werden nicht intransparent besetzt, sondern noch klaren Regeln unter Beteiligung der Personalräte und mit klar definiertem Anforderungsprofil. Am Ende führt ein Auswahlprozess zur Wahl der am besten geeigneten Kandidaten. Dass das Anforderungsprofil von den Professoren in deren Bereich die Dauerstelle angesiedelt ist definiert wird, entspricht der aktuellen Organisation wissenschaftlicher Einrichtungen und hat auch zum recht großen Erfolg der deutschen Wissenschaft beigetragen. Und der wissenschaftliche Erfolg sollte auch in Zukunft ein wichtiges Kriterium bleiben….nebst guter Lehre.
    Bleibt die Forderung nach mehr Dauerstellen. Diese ist natürlich berechtigt. Aber mir fehlt ein klares inhaltliches Konzept bei den Forderungen. Hier lohnt ein Blick auf die (Fach)Hochschulen. Dort ist das Lehrdeputat deutlich höher und man kann natürlich über die Einrichtung von reinen, permanenten Lehrstellen nachdenken. Dies würde auch der Forderung der Politik, dass mehr permanente Stellen die Qualität der Lehre verbessern müssen, gerecht werden. Wäre das eine Möglichkeit, die „Zweiklassengesellschaft“ in Lehrende und Forschende eingeschlossen? Solange keine konkreten Vorschläge jenseits dem Rufen nach mehr Dauerstellen und Planbarkeit auf dem Tisch liegen können keine Argumente zielführend sein und es wird immer der Geschmack von „Wünsch-Dir-was“ bleiben. Noch ein Wort zur Planbarkeit. Solange man nicht in einem großen Betrieb unterkommt, ist auch jenseits der Wissenschaft keine Planbarkeit möglich, die aktuelle Diskussion mag Menschen, die häufige Firmenwechsel hinter sich haben und trotzdem ein glückliches Familienleben haben, befremdlich vorkommen.

  • #15

    Michael Liebendörfer (Freitag, 13 August 2021 09:47)

    @Nr. 2: Natürlich kenne ich Fehlbesetzungen aus leidvoller Erfahrung. Ich wäre sehr froh, wenn die Berufungskommissionen etwas mehr auf (charakterliche) Eignung und weniger auf fachliche Leistung schauen würden, insbesondere bei Stellen (oft W3), die Verantwortung für deutlich mehr als die eigene Forschung und Lehre mit sich bringen. Der rechtliche Rahmen gibt das her, aber die Praxis nicht immer. Und dass Berufungen insgesamt oft fraglich ablaufen, ist auch klar (z.B. https://www.forschung-und-lehre.de/wer-klagt-ist-verbrannt-3383/). Aber zumindest in meinem Bereich sind sehr viele, die in letzter Zeit einen Ruf bekommen haben, auch wirklich geeignet und faire Teamplayer. Ob sie die Besten sind, ist eine Frage der Perspektive und immer streitbar.

    Die Frage nach den Einstellungskriterien ist für mich übrigens unabhängig von der Art der Stelle. Solange Stellen an Hochschulen attraktiv sind, werden sich die Massen bewerben und die meisten Leute am Ende keine solche Stelle bekommen. In vielen Fächern ist jede unbefristete Stelle attraktiv genug.

    Und wie würden Sie dann die Narzist:innen ausfiltern?
    Letztlich haben sich doch alle Bewerber:innen mehr oder weniger engagiert und das "mehr" lässt sich schwer quantifizieren. Manche Unis setzen auf Assessment-Center, wäre das in Ihrem Sinn?

    Mein Gefühl sagt übrigens "nein". Ich glaube, viele Leute würden sich dann immer noch ungerecht behandelt fühlen, weil sie sich in guter Lehre engagiert haben, während (oder weil?) es in der Forschung nicht hinreichend gut lief, und doch am Ende gehen müssen. Es werden aber immer Leute gehen müssen (Flaschenhals). Daher frage ich ja nach konstruktiven Vorschlägen, zumindest die Enttäuschung zu verringern.

  • #16

    Nr. 2 (Freitag, 13 August 2021 13:24)

    "Und wie würden Sie dann die Narzist:innen ausfiltern? [...] Manche Unis setzen auf Assessment-Center, wäre das in Ihrem Sinn?"

    Ich würde die Narzisst:innen gar nicht ausfiltern, sondern in erster Linie den Anteil der Dauerstellen für Post-Docs erhöhen. Wahrscheinlich wegen Trump bewerten wir Narzissmus jetzt sehr negativ, aber die Geschichte ist ja bekanntermaßen voll von Menschen, die ihre eigene Agenda verfolgt haben und dabei gleichzeitig Großes geschaffen haben. Nur können diese Menschen eben auch Organisationen sprengen, speziell dann, wenn es ausgeprägte Machtgefälle gibt, so dass sich ihnen niemand in den Weg stellen kann. Deswegen halte ich die Balance für wichtig: Eine Art "harter Kern" von Menschen, die nicht in ständiger Angst um ihre Existenzgrundlage leben müssen und sich deswegen behaupten können, z.B. wenn ein/e Forschende:r in der Hoffnung auf einen Durchbruch ethische Standards bei Experimenten verletzten will. Ohne diesen "harten Kern" geht es in der Wissenschaft nicht und der ist mit den hohen Befristungsquoten nicht gewährleistet: Selbst diejenigen, die unbefristete Stellen haben, geraten durch den absurden Turn-Over unter Druck. An der Uni, an der ich promoviert wurde, gibt es Abteilungen mit einer/m verbeamteter/n Abteilungsleiter:in und 20 und mehr Promovierenden, teilweise ganz ohne Post-Docs, teilweise mit nur einer/m Post-Docs. Das ist ein "recipe for disaster", denn es gibt in den Abteilungen niemand mehr der wissenschaftliche Integrität vermitteln kann, wenn der/die Abteilungsleiter:in "astray" geht.

    Was zu den ACs führt. Fun Fact: Es ist die Uni, die als erste damit angefangen hat - und ich sitze gerade an der Vorbereitung einer Amtshaftungsklage, die sich u.a. damit befasst. Kurz gefasst: Große Unternehmen sind mittlerweile von den ACs wieder abgekommen, weil die zu stark Menschen mit Persönlichkeitszügen aus der dunklen Triade rekrutieren und zu wenig Wert auf Integrität legen. Es ist nicht so schwer, einen Nachmittag lang den Eindruck zu erwecken, man sei empathisch oder gewissenhaft, speziell dann nicht, wenn man intelligent ist und zudem die für Narzissmus typische Fähigkeit hat, wunde Punkte beim Gegenüber zu erkennen.

    1N2: Lesen. Ich habe zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass jede/r Lehrstuhlinhaber:in narzisstisch veranlagt ist (" ... ohne dass man das verabsolutieren muss ...").

  • #17

    Nr. 2 (Freitag, 13 August 2021 13:39)

    Und, Nachtrag, weil hier ja auch auf die Fächerverteilung eingegangen wurde: Gerade dann, wenn wir herausragende Forschung in den Natur- und Technikwissenschaften wollen, brauchen wir starke Geisteswissenschaften als moralischen Kompass: Wir brauchen die Leute dann z.B. in den Ethikkommissionen, eine Tätigkeit in der Selbstverwaltung, die nur wenig für die eigene Karriere bringt.

  • #18

    Literaturwissenschaftlerin (Freitag, 13 August 2021 15:34)

    @lN2 (#14) - Da Sie nach konkreten Vorschlägen fragen: Hier der Link zum Personalmodelle-Papier des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft, weitere Papiere werden dort zitiert: https://mittelbau.net/diskussionspapier-personalmodelle-2/diskussionspapier-personalmodelle/. Faktisch liegt schon ziemlich viel auf dem Tisch - schön wäre, wenn das besser bekannt wäre (erfreulicherweise wurde das NGAWiss-Papier in diesem Blog bereits von Tilman Reitz und Oliver Günther diskutiert). Man es kann sich auch als Film anschauen (gleicher Link).

  • #19

    MAUni (Freitag, 13 August 2021 16:12)

    Ich finde, Herr Jahn hat das klar ausdifferenziert.
    Was würde denn "eine Dauerstelle für jeden PostDoc" bedeuten?
    Rechnen wir doch mal: Wenn nur pro Fakultät alle 2 Jahre ein PostDoc eine Dauerstelle bekäme und vorausgesetzt die meisten bleiben bis zur Rente, was in bestimmten Konstellationen nicht ganz unwahrscheinlich ist- absolvieren also ca. 30 Arbeitsjahre, dann wären das pro Fakultät irgendwann 15 Dauerstellen, die bereitgehalten werden müssten, aber auch ziemlich lange "blockiert" wären. Interessant, das pro Professur mal für eine ganze Uni hochzurechnen. Welche Universität macht das? Wo sind die Konzepte, wie diese Stellen besetzt werden und was sie für die Uni "bringen" sollen, damit sie dauerhafte Beschäftigung rechtfertigen? Wer gibt die Forschungsthemen vor oder macht jeder, was er/sie will? Wie integriert man das in eine Lehre, die von Lernmodulen und Credits geprägt ist? "Dauerstellen" in der Wissenschaft ist ein schöner Slogan, aber klein Konzept.

  • #20

    Dr. Seltsam (Freitag, 13 August 2021 16:30)

    Es ist schon putzig, wie ein pensionierter Molekularbiologe glaubt, selbst mehr oder minder großzügig darüber befinden zu können, wann unbefristete Stellen "vergeben" werden sollten. Unbefristete Stellen sind nach wie vor definiert als "Normalarbeitsarbeitsverhältnis" (auch in der Wissenschaft) und brauchen keine Begründung - das Gegenteil vielmehr ist begründungspflichtig. Und diese Begründungen sind in der (Vor)Geschichte des WissZeitVG allesamt ideologischer Natur, weil niemals auch nur ansatzweise belegt (Befristung fördert Innovation, Qualifikation etc.). Das WissZeitVG ist arbeitsrechtlich nichts weiter als eine skandalöse Umgehung des Kündigungsschutzes. #ichbinhanna sollte sich m.E. so langsam darauf konzentrieren, die ersatzlose Abschaffung dieses Gesetzes zu fordern und so wissenschaftliche Tätigkeiten wieder mit dem allgemein geltenden Arbeitsrecht in Einklang zu bringen.

  • #21

    Michael Liebendörfer (Freitag, 13 August 2021 17:31)

    @Dr.Seltsam: Heißt das im Ernst, Sie würden das WissZeitVG ersatzlos streichen? Dann vergeben Unis nur noch Dauerstellen und Stipendien ohne Sozialversicherung. Am Ende promoviert also nur, wer es sich leisten kann. Für mich ist das Privileg, selbständig forschen zu dürfen, der besondere Grund für die Befristungsmöglichkeit. Sie dürfen machen wann, was und wie sie wollen, Gehalt und weitere Kosten trägt die Uni. Wo sonst gibt es das?

    Die NGAWiss-Modelle sind insofern spannend (danke @Literaturwissenschaftlerin für die Erinnerung daran), weil sie schon verdeutlichen, inwieweit dann Innovationspotential verloren geht:
    Im NGAWiss-Modellinstitut nehmen beim Status Quo jährlich 4,8 Personen eine Promotionsstelle auf. In den alternativen Modellen sind es 2,6. Wenn die dafür bessere Forschung machen können und zudem einige Leute ihre Themen vertiefen können, wäre vielleicht schon etwas gewonnen.

  • #22

    Dr. Seltsam (Freitag, 13 August 2021 18:01)

    Ich argumentiere allein arbeits- (und verfassungs)rechtlich. Das WissZeitVG statuiert Befristungsregeln, die es so arbeitnehmerfreundlich in keinem anderen Bereich gibt. Dies erfordert höherstufige Begründungen, die ich gerne sehen würde (die sog. "Qualifikation" ist eine Begründung, die erst geschaffen wurde, um Befristungen zu begründen, also eine petitio principii) . Auch ohne WissZeitVG sind Befristungen in der Wissenschaft möglich - wie im allgemeinen Arbeitsrecht auch (z.B. Teilzeitbefristungsgesetz). Nur werden sie unter Begründungspflicht gesetzt, ganz nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz, dass Ungleichbehandlung im Einzelfall begründungspflichtig ist. Diese Begründung kann aber nicht durch großflächige unbestimmte Rechtsbegriffe (Qualifikation, Innovation usw.) geschehen, sondern muss überprüfbare Gehalte haben (Dauer der Tätigkeit, Grad der Abhängigkeit vom Arbeitgeber etc.).

    Die Berechnung der Personalmodelle von NGAwiss ist zweifellos verdienstvoll, allerdings funktioniert sie nur unter der Prämisse, dass die DFG abgeschafft wird und die freiwerdenden Mittel in die Haushaltsfinanzierung fließen. Die ist ein politisches Ziel, das m.E. viel schwieriger zu erreichen ist als eine arbeitsrechtlich ausgerichtete Zielsetzung.

  • #23

    Michael Liebendörfer (Samstag, 14 August 2021 13:06)

    ... und die Frage nach der rechtlichen Gestaltung ist ja die alles entscheidende. Wie soll es gehen?

    Dazu sagt leider auch das NGAWiss-Papier nichts. Sollen z.B. Promovierte nur noch unbefristet beschäftigt werden dürfen? Damit das wie im Modell funktioniert müssten dann auch alle gewöhnlichen Befristungsgründe unzulässig sein, also keine sachgrundlose Befristung, Elternzeitvertretung, Finanzierung aus Mitteln einer Stiftung, Vertretungsprofessur, usw.

    Über solche konkreten Änderungen der Rechtslage müssen wir diskutieren, wenn #IchBinHanna nicht versanden soll!

  • #24

    Ralf Wunderlich (Samstag, 14 August 2021 16:45)

    Man hat bei einigen Protagonisten dieser Diskussion den
    Eindruck, als ob dieser Staat beliebig viel Geld zu vergeben hat. Das klingt fast so, als wenn BK-Kandidat O. Scholz mal
    wieder Milliarden verteilt. Es wird wohl Zeit, daß man hier mal auf den Boden der Tatsachen kommt. Für die neue Regierung kommt dann der finanzielle Offenbarungseid.

  • #25

    Dr. Seltsam (Montag, 16 August 2021 11:55)

    @Ralf Wunderlich. Was bei Ihnen durcheinandergeht: Es wird vom Staat bereits viel Geld ausgegeben, nur in einer Weise, die jeder Beschreibung spottet. So fließen Mittel in vermeintliche wissenschaftliche Karrieren, die zu 80% mit Mitte 40 abrupt enden, so dass alle mühsam erworbenen und öffentlich finanzierten Kompetenzen dem Wissenschaftssystem wieder entzogen werden. Ganz zu schweigen von der Anheizung eines künstlichen Wettbewerbs (Exzellenzinitiative etc.), in den ebenfalls eminente öffentliche Mittel fließen, um dann in SFB's und ähnlichem zu versickern. Deren buzzword-getränkter Antragstext enthält zu weiten Teilen die "Forschungsergebnisse", die dann nach der Förderungsphase gleich wieder der Vergessenheit anheimfallen. Dies nur zwei Anmerkungen zum "Boden der Tatsachen".

  • #26

    Ex-Physiker (Mittwoch, 18 August 2021 10:06)

    Der Text geht mMn an den eigentlichen Problemen vorbei. Es geht gar nicht darum die privilegierte Stellung von Max-Planck-Direktoren und Top-Professoren zu verwässern. Für diese Stellen kommen in der Tat nur wenige in Frage und das sind hoffentlich dann auch die Besten, die es per Leistung geschafft haben. Es geht um den Missbrauch der befristeten Angestellten für die Lehre an den Unis. Es gibt gar keinen Grund, nicht einen höheren Anteil an diesen zu entfristen.

  • #27

    Michael Liebendörfer (Donnerstag, 19 August 2021 20:51)

    @Ex-Physiker:
    Was meinen Sie mit dem "Missbrauch der befristeten Angestellten für die Lehre"? Sollen Promotionsstellen von Lehrverpflichtung freigestellt werden? Sofern Leuten ein Lehrauftrag aufgedrängt wird, würde ich zustimmen. Dass man auf Landesstellen aber beides hat, kann Vorteile haben. Beispielsweise kann weiten Gelder, die vorrangig aufgrund erweiterten Leberbedarfs kommen, die Forschungsmöglichkeiten aus .
    Der Artikel hat jedenfalls schon angedeutet, man könnte für gute Lehre einen eigenen Karriereweg einrichten, und greift Ihren Punkt so auf, oder?

  • #28

    McFischer (Mittwoch, 25 August 2021 11:21)

    "Sind Befristungen das Grundübel wissenschaftlicher Karrieren?"
    Ja.