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Was die Wissenschaftler sagen

Die Kultusminister wollen die Schulen künftig inzidenzunabhängig offenhalten und berufen sich dabei auf ungenannte Wissenschaftler. Wie aber beurteilen die eigentlich tatsächlich die Lage?

Mit Präsenzunterricht planen. Foto: Bruno Germany / Pixabay.

NEULICH BERIEFEN sich die Kultusminister bei ihrer Forderung, die Schulen künftig inzidenzunabhängig offenzuhalten, auf namentlich nicht näher genannte wissenschaftliche Expertise. Was schwammig daherkam, jedoch offenbar damit zu tun hatte, dass für das vorangegangene Hintergrundgespräch mit fünf Wissenschaftlern und einer Wissenschaftlerin Vertraulichkeit vereinbart worden war.

 

Die Namen der Wissenschaftler, die am 30. Juli 2021 mit dem KMK-Präsidium konferiert und dort eine Reihe von Thesen vorgestellt hatten, machte die Pressestelle der Kultusministerkonferenz allerdings auf meine Nachfrage hin öffentlich. Es handelte sich um den Charité-Chefvirologen Christian Drosten, die Kinder- und Jugendmediziner Reinhard Berner und Jörg Dötsch von den Universitätskliniken in Dresden und Köln, den langjährigen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, Gerd Fätkenheuer, und um die Epidemiologen Gérard Krause und Berit Lange, beide vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Dötsch, Krause und Lange verantworten auch die von der KMK in Auftrag gegebene Studie "COVID-SCHULEN", von der die Kultusminister nach langem Hin und Her kürzlich erste Zwischenberichte veröffentlicht hatten.

 

Es war also eine geballte Expertise, die da mit den Kultusministern zusammenkam, und allzu gern hätten diese sich wohl in ihrem Plädoyer für offene Schulen trotz steigender Corona-Zahlen direkt auf diese sechs Namen berufen. Wussten sie doch, dass das ihren Argumenten in den Ohren vieler sehr viel mehr Schlagkraft und Glaubwürdigkeit verliehen hätte. Haben sie aber nicht. Vielleicht ja, weil die Wissenschaftler die zu dem Zeitpunkt heftig geführte Debatte um die Ständige Impfkommission und die Impfungen von Kindern und Jugendlichen nicht weiter anfachen wollten? Weil sie fürchteten, dann mit der STIKO gemeinsam ins Feuer zu geraten?

 

Sind die Erkenntnisse der KMK
die Erkenntnisse der Wissenschaftler?

 

Sei es drum. Die STIKO hat inzwischen eine veränderte Empfehlung beschlossen und rät nun allen 12- bis 17-Jährigen zur Impfung. Die Debatte ist damit zwar nicht beendet, trotzdem wäre jetzt die Gelegenheit für die sechs und weitere Wissenschaftler, ihre Einschätzung zur Frage offener Schulen im kommenden Winterhalbjahr doch noch nach außen zu kommunizieren. 

 

Jedenfalls wäre es äußerst spannend, ihre Äußerungen mit denen im KMK-Beschluss abzugleichen, und zwar vor allem mit den folgenden, von den Kultusministern betonten Punkten:

 

- dass "die Delta-Variante zwar insgesamt ansteckender ist, aber nicht zu schwereren Krankheitsverläufen bei Kindern und Jugendlichen führt. Kinder und Jugendliche sind nach aktuellem Kenntnisstand unabhängig von den Varianten selten schwer betroffen."

 

- dass "die Konsequenzen fehlender Bildungsangebote und -chancen eine hohe Belastung der sozial-emotionalen Entwicklung von vielen Kindern und Jugendlichen sind und die psychischen und körperlichen Einschränkungen im Zuge von Schulschließungen eine sehr ernst zu nehmende und konkrete Gefahr für deren soziale und emotionale Gesundheit darstellen.“

 

- dass "die gleichzeitige Anwendung von Lüftung und Beachtung der je nach Infektionsgeschehen geltenden Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmen ausreichend wirkungsvoll (ist) für den Infektionsschutz. Qualitätsgeprüfte, mobile Luftfilter können ergänzend eine zusätzliche Wirkung entfalten.“

 

– dass bei "einer im Herbst zu erwartenden, erhöhten Infektionsdynamik die Situation vor Ort entscheidend für weitere Schritte sein" muss.  

 

Forscher finden klare
Worte im Kieler Landtag

 

Andere Wissenschaftler haben sich zuletzt bereits in großer Deutlichkeit zur Schulfrage geäußert, und zwar bei einer Expertenanhörung vorm Landtag von Schleswig-Holstein. "Angesichts der Tatsache, dass mittlerweile jedem und jeder Erwachsenen ein Impfangebot gemacht wurde und junge Leute kaum mit einem ernsten Krankheitsverlauf rechnen müssten, seien Schulschließungen im kommenden Herbst kaum zu rechtfertigen", so fassen die Kieler Nachrichten heute die Kernaussagen von Experten wie Philip Rosenstiel, dem leitenden Molekularbiologen am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, oder dem Kieler Infektionsmediziner Helmut Fickenscher zusammen.

 

Rosenstiel sagte, die Gesellschaft habe knapp zwei Jahre lang künstlich das Infektionsgeschehen unterdrückt. Nun sei die Zeit gekommen, behutsam zur Normalität zurückzukehren. "Wir dürfen die Kinder für eine schleppende Impfkampagne nicht in Haft nehmen", sagte er weiter. Jan Rupp, leitender Infektionsbiologe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, sagte gar: "Wir sind uns relativ einig, dass man Infektionen im Alter von Kindern und Jugendlichen laufen lassen kann." 

 

Vom Einsatz von Luftfiltern rieten die Experten den Kieler Nachrichten zufolge eher ab, das sei "ein wunderbarer Weg, viel Geld zu versenken", sagte Fickenscher, der wie Rosenstiel und Rupp auch davon abriet, mittelfristig die zweimal wöchentlichen Antigentests für alle an den Schulen fortzusetzen. Stattdessen sollten nur noch Kinder und Jugendliche mit Symptomen getestet werden. Masken hält Fickenscher aber zumindest bei hohen Inzidenzen weiter für notwendig – im Gegensatz zu Rupp und Rosenstiel.

 

Klare Worte. Ob sie demnächst auch von den Wissenschaftern, die sich mit den Kultusministern getroffen haben, zu hören sein werden?

 

Die Diskussion um die Frage offener Schulen befindet sich, soviel steht bereits fest, gerade an einer Weggabelung. So sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Bayerischen Rundfunk: "Wir haben gerade in der Schule das mit Abstand sicherste System», sagte er dem Bayerischen Rundfunk".  Er zeigte sich der Nachrichtenagentur dpa zufolge zuversichtlich, dass Bayern, "Schulunterricht gut gewährleiste" könne. Das erklärte Ziel sei: «Kein Homeschooling mehr, kein Distanzunterricht mehr."

 

Auch Christian Drosten äußerte sich bereits mit einem behutsamen Plädoyer Richtung Offenhalten der Schulen.  "Ein kontrolliert schwelendes Geschehen muss man akzeptieren, wenn der Schulbetrieb laufen soll", sagte er. "Man wird nicht jegliche Verbreitung an Schulen unterbinden können, aber möglichst eine unkontrollierte Ausbreitung."



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Kommentare: 2
  • #1

    Dedo v. Krosigk (Mittwoch, 25 August 2021 17:42)

    Es wäre schön, wenn sich Experten nur zu ihrem Fachgebiet äußern würden, also Mediziner zum altersabhängigen Krankheitsverlauf bei Covid oder der Bedeutung von Impfungen - und Lüftungsexperten und Aerosolforscher zur Wirksamkeit von mobilen Lüftern. Die haben da nämlich, jedenfalls teilweise, eine ganz andere Einschätzung als Herr Fickenscher

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 25 August 2021 18:53)

    @Dedo von Krosigk:

    Die Ausschließlichkeit finde ich zu eng, sie würde bedeuten, dass 80 Prozent der Äußerungen von Wissenschaftlern wie Virologen oder auch Medizinern in dieser Krise nicht hätten getätigt werden dürfen. Ich stimme Ihnen aber ganz ausdrücklich zu, dass die Sichtweise der Kinder- und Jugendmediziner und ihrer Verbände eine weitaus stärkere Berücksichtigung bei der Einordnung von Corona-Infektionen und ihren Folgen für Kinder und Schulbetrieb finden sollten als bislang.

    Beste Grüße!