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Mit, nicht über Hanna reden

Gut, dass endlich über Befristungen und mangelnde Karriereaussichten in der Wissenschaft diskutiert wird. Doch wer mitreden will,
sollte nicht nur mit halbem Ohr zuhören. Eine Replik auf Reinhard Jahn von Torsten Kathke.

Foto: Screenshot aus dem "Erklärfilm zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz" des BMBF.

DIE "#ICHBINHANNA"-DEBATTE HAT VERÄNDERT, wie in Deutschland über die meisten derer, die Wissenschaft betreiben, geredet wird. Es ist gut, dass Medien und Gesellschaft endlich den Überfluss an Befristungen und den Mangel an Karriereaussichten an Hochschulen und Forschungsinstituten diskutieren. Weniger gut an der Debatte ist die Art, wie manche, die an Schlüsselpositionen im Wissenschaftssystem stehen, über eine Prekarität sprechen, von der sie im Gegensatz zu vielen anderen nicht betroffen sind.

 

Reinhard Jahn hat kürzlich an dieser Stelle einen Text veröffentlicht, der sinnbildlich dafür steht, wie Menschen mit Macht denjenigen, denen diese Macht fehlt, nur mit halbem Ohr zuhören. Hier zum Beispiel, wenn betroffene Wissenschaftler*innen von ihren Problemen berichten und Lösungsansätze vorstellen.

 

Gleich eingangs befindet Jahn in seinem Gastbeitrag, es gehe in der Diskussion "einiges durcheinander" und es sei "höchste Zeit, die zunehmend von Partikularinteressen geleitete Debatte auf den Boden der Realität zurückzuholen." Jemand, der selbst eine in der Debatte repräsentierte Gruppe vertritt, kann sich allerdings schwerlich als objektiver Schlichter über eben diese Debatte stellen. Vor allem, wenn er diese nicht in Gänze zu überblicken scheint.

 

Dauerstellen für die Promotion sind  
kein Anliegen der "Ich-bin-Hanna"-Debatte

 

"Dauerstellen für alle Promovierende zu fordern ist [.] unsinnig", meint Jahn nämlich. Das ist es in der Tat. Natürlich findet sich diese Forderung vereinzelt unter einem Hashtag, an dem sich vor allem auf Twitter inzwischen tausende Accounts mit zehntausenden Äußerungen beteiligt haben. Aber den Kern der Debatte verfehlt Jahn damit. Und er impliziert mit seiner Formulierung, Dauerstellen für die Promotion zu schaffen sei ein zentrales Anliegen derer, die den "#IchbinHanna"-Diskurs federführend vorantreiben. Was explizit nicht der Fall ist und was Jahn wissen müsste, wenn er sich näher mit der Debatte beschäftigt hätte.

 

Nur wenn man die Promovierenden einbeziehe, so Jahn, komme "man auf einen Befristungsanteil von 90 Prozent und mehr, denn die Promovierenden stellen die mit Abstand größte Kohorte am wissenschaftlichen Personal (leider fehlen noch immer genaue Zahlen)". Ja, die Zahlen fehlen in der Tat oft. Dort wo es sie gibt, sieht die Situation so viel besser aber nicht aus. Anderswo auf diesem Blog ist das inzwischen eindringlich beschrieben.

 

Auch die historische Studie über die Befristungspraxis in der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) von Ariane Leendertz zeigt, dass dort 2016 fast 70 Prozent der Angestellten befristet angestellt waren – und das obwohl bei dieser Berechnung fast alle Promovierenden ausgeklammert sind. 1986, als Jahn am Max-Planck-Institut für Psychiatrie Nachwuchsgruppenleiter wurde, waren es im Vergleich dazu lediglich 22 Prozent. 


Torsten Kathke ist Historiker und Amerikanist und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Obama Institute der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.  Er forscht zur Geschichte der USA und der Bundesrepublik im 19. und 20. Jahrhundert. Foto: privat.



Wer in den 1980er Jahren in der MPG nach der Promotion befristet angestellt war, gehörte zu einer Minderheit. Wer es heute ist, bildet dort wie an den deutschen Universitäten die überwiegende Mehrheit. Die Chance, einmal eine Festanstellung in der Wissenschaft zu finden, hat sich in den vergangenen 30 Jahren, das zeigen diese Zahlen eindrücklich, massiv verringert. Das bleibt im Text außen vor.

 

Akkurat diagnostiziert Jahn hingegen, "dass das Karrieresystem in der deutschen Wissenschaft von einer komplexen Vielfalt bestimmt ist, die wenig transparent und von hierarchischen Elementen durchsetzt ist." Recht hat er auch mit der Feststellung, dass es "eine 'Junior Faculty' mit dem Recht auf eigenständige Forschung, Drittmitteleinwerbung und Personalverantwortung" in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern kaum gibt, denn sie "passt nicht so recht zu dem hierarchischen System der langen Abhängigkeiten, das die deutsche Wissenschaftslandschaft prägt." Hier anzusetzen, wie Jahn es fordert, ist nicht falsch.

 

Auch wäre es in der Tat wünschenswert, ein Tenure-Track-System einzuführen, das den Namen verdient. Ebenfalls wäre ein eigenständiger Karrierepfad für entfristete Hochschullehrkräfte überdenkenswert. Und zugleich sollten Universitäten Professor*innen anhalten, ihre Mitarbeitenden in deren Karriereplanung zu beraten – wozu diese Professor*innen die alternativen Optionen und Wege allerdings auch kennen müssten. Zudem stellt sich hier die Frage: Wer wäre bei den oft verworrenen und internationalen Karrierewegen in der Wissenschaft wann für wen zuständig? Hinzu kommt, dass nicht jedes Angestelltenverhältnis frei von Spannungen ist. Im schlechtesten Fall könnte eine derartige Beratung bereits existierende Problematiken von Diskriminierung gegenüber etwa Frauen, Bildungsaufsteiger*innen, Minderheiten oder Nicht-Staatsbürger*innen verstärken.

 

Jahn perpetuiert ein fragwürdiges Bild
der Wissenschaft als gänzlich andere Welt

 

Derweil perpetuiert Jahn ein fragwürdiges Bild der Wissenschaft als gänzlich andere Welt als etwa Wirtschaft oder Verwaltung, wenn er kommentiert: "Einen Anspruch auf eine permanente Stelle, nur weil man fleißig war, publiziert und Drittmittel eingeworben hat, gibt es nicht und sollte es auch nicht geben." 

 

Warum eigentlich nicht? Was ist – außer der Idee von der "Verstopfung" des Systems, deren Kritik "#IchbinHanna" gerade mit Nachdruck angestoßen hat – das schlagende Argument dagegen? Das unbefristete Arbeitsverhältnis ist im Arbeitsrecht der Regelfall. Wer klar erkennbare Leistung gebracht hat, und Drittmittel und Publikationen sind dafür zwar nicht unproblematische, aber durchaus oft sinnvolle Marker, kann anderswo meist mit Weiterbeschäftigung oder gar Beförderung rechnen. In der Wissenschaft dagegen aufgrund des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes überwiegend mit dem Karriereende.

 

Jahn wünscht sich, die "#IchbinHanna"-Debatte solle sich mehr den Möglichkeiten widmen, die es schon gibt, um Wissenschaftler*innen eigenständige Forschung zu ermöglichen, etwa durch ERC Starting Grants oder das Emmy-Noether-Programm der DFG. 

 

Was er dabei außer Acht lässt ist, dass auch für diese Stellen zuvor schon auf allen Ebenen des akademischen Systems eine Auswahl stattfindet, die mitunter wenig mit Leistung oder Fähigkeiten der Personen zu tun hat, die dabei durchs Raster fallen. Jahn erkennt das auch ansatzweise an: "Zudem sind neben Leistung andere Faktoren für einen Karriere-Erfolg wichtig, darunter soziale Kompetenz, Führungsqualitäten oder der Bekanntheitsgrad in der Fach-Community."

 

Hier geht er freilich über einen immens wichtigen Teil der "#IchbinHanna"-Debatte (nicht umsonst gibt es auch den Hashtag "#IchbinReyhan") hinweg: Diese "anderen Faktoren" sind bedeutend bestimmt durch die Herkunft und den sozialen Status der Eltern, durch verschiedene Formen der Diskriminierung offener und struktureller Art, durch Neurodivergenz, Behinderung, und nicht zuletzt auch durch Glück. Keiner dieser Punkte findet in Jahns Analyse Eingang.

 

Ein wichtiger Beitrag, der doch
im alten Denken gefangen bleibt

 

Jahns Beitrag ist wichtig, da er von einflussreicher Seite einige tiefe Missstände des wissenschaftlichen Systems in Deutschland eindeutig benennt. Doch bleiben seine Lösungen in einem Denken gefangen, das der Existenz von Faktoren wie Rassismus, Klassismus, Sexismus und anderen Benachteiligungen nicht argumentativ begegnet, sondern sie einfach ignoriert. Ganz so, als könnte man die vermeintlich so objektive Leistungserwartung von persönlichen und gesellschaftlichen Umständen trennen. 

 

Man kann und sollte jedoch die Frage stellen, warum das System überhaupt so gestrickt ist und ob es das notgedrungen sein muss, damit gute Wissenschaft am Ende dabei herauskommt. Die Befristungszahlen aus früheren Jahrzehnten zumindest lassen anderes vermuten.

 

Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass sich Professoren wie Reinhard Jahn an den Aussprachen zu "#IchbinHanna" beteiligen. Mühsam und müßig ist es allerdings, wenn sie über die Köpfe der Betroffenen hinweg Lösungsvorschläge unterbreiten, die allein schon deswegen unzureichend sind, weil sie die Debatte nicht in ihrer Vollständigkeit berücksichtigen. Besser man redet mit Hanna als über sie.



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Kommentare: 4
  • #1

    Tobias Denskus (Mittwoch, 25 August 2021 11:42)

    Der Artikel ordnet Jahn's Beitrag gut ein, aber lässt auch einen mittelgrossen Elefanten im Raum stehen: Mit dem bestehenden Lehrstuhlprinzip werden sich systemische Probleme kaum lösen lassen. Ob "Verstopfung" oder "kein Anrecht auf Dauerstelle" bedeutet doch fast immer NIMBY: An MEINEM LEHRSTUHL möchte sich schon einen Durchlauf an Menschen haben, an MEINEM LEHRSTUHL kann ich mir keine "faule" Kollegin auf einer Dauerstelle leisten..."soll doch das Zentrum fuer Lehrinnovation festangestellte Lehr-Dingsbums anstellen, aber an MEINEM LEHRSTUHL...". Das wird natuerlich kaum diskutiert, auch weil vermutlich eine 2-stellige Anzahl von Jura-ProfessorInnen schon Gutachten in der Schublade haben, warum das die Freiheit beschneidet, das Wesen der Uni untergräbt & ueberhaupt verwaltungsrechtlich gar nicht sein kann. Mehr Dauerstellen in einer Department-Struktur und nach einer Generation hätten wir eine transformierte Unilandschaft-in vielen Bereichen zum besseren...

  • #2

    lN2 (Mittwoch, 25 August 2021 13:09)

    @Kommentar#1: "...wir eine transformierte Unilandschaft-in vielen Bereichen zum besseren..." Wo wird denn der Beweis erbracht, dass dann alles besser wäre? Was wird denn genau besser sein? Die wissenschaftliche Leistung des Systems? Die Lebensplanung der betroffenen? Beides? Keins von beidem? Die Leistungskriterien in der Wissenschaft sind recht klar definiert (je nach Fachdisziplin nach unterschiedlichen Faktoren, soviel sei zugegeben) und die Gesellschaft hat davon in den letzten Jahrzehnten sehr gut profitiert, auch wenn das meist verleugnet wird. Im Moment gleicht die wissenschaftliche Karriere einem Sportturnier: Promotion ist die Vorrunde, dann folgt der Postdoc, ab da dann vielleicht eine Dauerstelle oder auch nicht, nur wenige schaffen es zur Professur. Und immer steht die Leistung im Vordergrund, daneben im positiven Sinne persönliche Eignung und weiter Faktoren, immer von einer Kommission bewertet, die alle Statusgruppen enthält. Auch mit mehr Dauerstellen (sehr gerne wenn dafür die Promotions-Stellen nicht beschnitten werden, sonst verlagert sich die Diskussion nur) werden einige sehr gute Leute ausscheiden müssen. Man gewinnt auch nicht automatisch die 100 m bei Olympia, nur weil man sie unter 10 Sekunden läuft. Es ist immer ein relativer Wettkampf, und im Übrigen hat auch nicht jeder Speerwerfer das recht zu gewinnen, nur weil er sich in die Arena begibt. Auch wenn es ungern gehört und gesagt wird: Zu viele Dauerstellen schaden der wissenschaftlichen (ich betone, wissenschaftlich, die Lehre ist ein anderes Feld) Leistungsfähigkeit eines Systems, weil dies von kreativen Ideen lebt, die von hungrigen Nachwuchswissenschaftlern generiert werden. Jeder weiß, dass auch viele Professoren im Laufe ihres Lebens an wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit verlieren. Ihr Job ist es oft, gute Ideen zu kanalisieren.

  • #3

    Friedrich Stratmann (Mittwoch, 25 August 2021 15:39)

    Zunächst einmal möchte ich mich Torsten Kathke anschließen, die Entfristung der Promovierenden aus der Debatte auszuklammern. Auszuklammern wäre auch die Beschäftigung von nicht-wissenschaftlichem Personal bzw. Personal für nicht-wissenschaftliche Tätigkeiten, deren Befristung ausschließlich - auch im Hochschul- und Wissenschaftsbereich – sich nach den Voraussetzungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes regelt. Eine andere Praxis ist rechtswidrig.
    Dieses sozusagen als Vorspann. Wichtige Aussage im Beitrag von Herrn Kathke ist der Satz, „das unbefristete Arbeitsverhältnis ist im (deutschen) Arbeitsrecht der Regelfall“. Wem dem so ist, müssten wir in der Debatte um #IchbinHanna doch das Szenario durchspielen, welche Konsequenzen dies für die Hochschule und die außerhochschulische Forschung als Organisation denn hätte – ein Szenario nicht im „alten Denken§“ der Verstopfung, sondern vor dem Hintergrund, das obige Praxis ja alle anderen (privatrechtlichen) Organisationen und Unternehmungen, auch jene die Forschung und Beratung betreiben, so handhaben müssen. Es wäre dann sinnvoll sich mit den Spielregeln dieser Organisationen auseinanderzusetzen und zu fragen, was gewinnt die Hochschule/Wissenschaftsorganisation mit der Praxis, aber auch welchen Preis zahlt sie?
    Nehmen wir also den Normalfall: Es sollte bekannt sein, dass sich der/die Mitarbeiter*in Mitarbeiterin in die Zwecksetzung/Aufgabenstellung der Unternehmung einzuordnen hat. Wenn er/sie die Leistung erbringt, sei es kreativ, sei es in Routine, wird die Unternehmung an einer langfristigen Bindung interessiert sein – man hat ja schließlich „investiert“ und das Einarbeiten neuer Mitarbeiter*innen ist aufwändig. Man wird sich aber auch von ihnen trennen (müssen), wenn die Leistung nicht stimmt oder die Refinanzierung der Mitarbeiter*innen nicht gesichert ist. Das deutsche Arbeitsrecht stellt diesbezügliche Verfahren bereit. Wenn wir ehrlich sind, müssten wir diese Option dann auch in den Hochschulen/Wissenschaftsorganisationen mitdenken. Es gibt keinen Rechtsanspruch auf Beschäftigung, wenn z.B. das Gehalt nicht mehr gezahlt werden kann.
    Schwierig wird zumindest im Hochschulbereich die Steuerung dieses Prozesses. Die Leistungsproduktion/Leistungsbewertung findet dezentral in Fachbereichen, Instituten, Arbeitsgruppen und Projekten statt. Die Budgethoheit und die (rechtliche) Personalhoheit liegen bei der Hochschulleitung. Das erschwert Verantwortungsübernahme, aber auch Steuerungskompetenz für eine langfristige die Beschäftigung aufgrund der Asymmetrie. Hier sind Organisationsmodelle gefragt, die beiden Seiten Orientierung geben.
    Mein Fazit: In die aktuelle Diskussion, bitte die organisatorischen Rahmenbedingungen für die Entfristung im „Neuen Denken“ miteinbeziehen. Einfach mal über den Tellerrand schauen, wie „kommerzielle“ Forschungsunternehmen mit der „Verstopfungsproblematik“ denn umgehen.

  • #4

    Erwin Ladner (Freitag, 03 September 2021 17:04)

    In der "Hanna-Debatte" gibt es in der Tat viele berührende
    Berichte und Schicksale. Aus dem Kommentar von Prof.
    R. Jahn geht aber sehr klar hervor, daß es im Bereich von
    Forschung und Lehre zu Recht ein striktes Leistungsprinzip gibt. Eine hohe Motivation und Leidenschaft ist existentiell. Wer sich aber nicht erfolgreich (!) nach im Per-Review-Betrieb bewährt, der sollte nach endlicher Zeit selbst die Konsequenzen ziehen und eine für ihn geeignete Stelle suchen. Für die sachliche und menschlich anständige Beratung sind natürlich die im System wirkenden Personen verantwortlich.