Eine neue Studie prognostiziert einen enormen Erzieher:innen-Mangel bis 2030. Wer hoffte, die Sorge nach den Kita- und Schulschließungen werde ein Umdenken in der Bildungsfinanzierung bewirken, sieht stattdessen die Rückkehr ihrer altbekannten Vernachlässigung.
Foto: Esi Grünhagen / Pixabay.
WAHRSCHEINLICH SIND AUCH DAS erste Anzeichen einer neuen Normalität, die ziemlich viel Bekanntes enthält: Neue Komplett-Schließungen von Kitas und Schulen mögen unwahrscheinlicher werden, doch ihre altvertraute Vernachlässigung durch die Politik geht weiter. Die Bertelsmann-Stiftung hat nämlich berechnet, wieviele ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher bis 2030 fehlen werden, die eigentlich nötig wären, um a) genügend Kitaplätze einzurichten und b) die Kinder vernünftig betreuen zu können. Das Ergebnis: 230.000.
Zahlen, die in der Größenordnung schon häufig zu hören waren, so hatte das Deutsche Jugendinstitut schon vor Jahren gewarnt, dass bis 2025 mehr als 300.000 Kita-Fachkräfte fehlen könnten. Was den aktuellen "Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule" indes noch frustrierender macht: Die Bertelsmann-Stiftung geht davon aus, dass die enorme Lücke selbst dann nicht mehr zu schließen wäre, wenn Bund und Länder ab sofort maximale Anstrengungen unternehmen würden.
"Weder ist diese Lücke durch Aufstockung der Ausbildungskapazitäten zu schließen, weil dafür Berufsschullehrkräfte fehlen; noch sind bis 2030 genügend Quereinsteiger:innen zu gewinnen, die außerdem erst pädagogisch qualifiziert werden müssen", schreiben die Studienmacher. Verschärfen werde den Personalmangel ab 2026 der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder – der schon um ein Jahr nach hinten geschoben wurde.
Der Zug ist schon abgefahren, doch bleibt festzuhalten: Es wäre angesichts all der frühzeitigen Warnungen Zeit gewesen für die Länder zu handeln. Und für den Bund, sie dabei engagierter zu unterstützen.
Die Warnungen waren da –
das Geld nicht
"Kommt, werdet Erzieher:nnen, wir wollen euch!", das hätte die glaubwürdige Botschaft sein können. Indem Bund und Länder gemeinsam schon vor Jahren mehr in die Ausbildungskapazitäten, vor allem aber in die Gehälter der Erzieherinnen und Erzieher investiert hätten. Um zu signalisieren: Die Kinder sind uns wichtig. Nicht nur ihre angemessene Betreuung. Sondern auch ein Aufbruch zu flächendeckenden Konzepten, die die viel beschworene Bezeichnung "frühkindliche Bildung" tatsächlich verdienen.
Die Warnungen waren da. Doch das Geld nicht. Oder wurde, wie viel zu viel von den knappen Milliarden aus dem "Gute-Kita-Gesetz", zur Beitragssenkung auch für Besserverdiener eingesetzt. Warum? Weil weite Teile der Politik nie die zentrale Bedeutung frühkindlicher Bildung für die Bildungsgerechtigkeit, aber auch für die gesellschaftliche Teilhabe vor allem von Müttern aus benachteiligten Familien begriffen haben.
Wenn man sich die enormen Ausgaben zum Schutz der Wirtschaft, von Staatskonzernen, Fluggesellschaften oder Restaurants in der Coronakrise anschaut und vergleicht mit dem, was (und dann auch noch zögerlich) zum Schutz und zur digitalen Aufrüstung von Bildungseinrichtungen geflossen ist, sieht man: Die Prioritäten-Schieflage deutscher Politik zulasten der nächsten Generation hat sich auch durch Corona nicht verändert.
Die Bertelsmann-Stiftung bemüht sich trotzdem um Optimismus und spricht von einem "großen Schritt", den die frühkindliche Bildung in Deutschland trotzdem noch bis 2030 machen könne. Es bestehe "die realistische Chance, noch in diesem Jahrzehnt im Osten die Personalschlüssel an das Westniveau und im Westen die U3-Teilhabe an das Ostniveau anzugleichen", also mehr Erzieherinnen für dieselbe Zahl an Kindern im Osten einzustellen und im Westen mehr Krippen-Kinder in den Kitas zu betreuen.
Erreichen die Länder
zumindest das "Etappenziel"?
Voraussetzung: Im Osten werden keine Fachkräfte entlassen und die Berufseinsteiger, die kommen, auch tatsächlich eingestellt. Helfen sollen dort auch die rückläufigen Geburtenraten. Viele West-Länder müssen dagegen zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen – was aber wohl gehen würde. Zumindest für dieses "Etappenziel", wie die Stiftung es nennt.
Die Realität ist allerdings, dass der Bundesrat im Juni das Gesetz der Großen Koalition zum Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern abgelehnt hat – womit es vorerst gescheitert ist. Weil der Bund, wie die Länder kritisierten, sich bei den dafür nötigen Investitionskosten, vor allem aber auch bei den auf Dauer anfallenden Betriebskosten einen aus ihrer Sicht allzu schlanken Fuß machen will.
Der Widerstand der Ministerpräsidenten ist legitim und in weiten Teilen angemessen, der Vermittlungsausschuss wird hoffentlich noch vor der Wahl die Wende bringen – und doch zeigt das Geschacher in geradezu idealtypischer Weise die fortgesetzte bildungs- und sozialpolitische Misere. Sie zu ändern, dafür hat offenbar selbst die Erschütterung durch Corona nicht gereicht. Altvertrautes auf dem Weg in die neue Normalität.
Dieser Beitrag erschien gestern zuerst in meinem Newsletter.
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