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Ist das der Scheitelpunkt der Welle?

Die Corona-Zahlen sinken bundesweit, vor allem die Zahl der infizierten Kinder und Jugendlichen nimmt ab. Allerdings infizieren sich jetzt immer mehr ältere Menschen.

ERST STIEGEN SIE LANGSAMER, dann stagnierten sie, und seit etwa einer Woche gehen sie gemächlich zurück: Die bundesweiten Corona-Inzidenzen. Ist der Scheitel der vierten Welle bereits erreicht? Und bedeutet der Rückgang der gemeldeten Infektionen auch, dass es bald weniger Schwerkranke gibt? Was ist mit den noch ungeimpften Kindern, was mit den größtenteils durchgeimpften Senioren? Der wöchentliche Überblick.

 

1. Deutschlandweit gibt es weniger Neuinfektionen, aber die regionalen Unterschiede sind groß.

 

Am Mittwoch meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) deutschlandweit 64.763 Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen, das entsprach einer Inzidenz von 77,9 pro 100.000 Einwohnern. Ein Rückgang um 4,8 Inzidenz-Punkte bzw. 5,8 Prozent gegenüber der Vorwoche. Damit steigt das Minus aktuell von Tag zu Tag. Doch wenn man sich die einzelnen Bundesländer anschaut, sah man schon gestern enorme Unterschiede im Wochenvergleich: von -24,5 Prozent Saarland bis zu 44,9 Prozent in Thüringen.

 

Zwei Muster sind dabei zu erkennen, beide sind schon länger da, doch das erste fällt vielen erst allmählich auf: Die neuen Bundesländer hatten zuletzt im Schnitt die steilere Wachstumskurve. Nur wurde dies über Wochen dadurch verdeckt, dass der Osten absolut gesehen noch relativ niedrige Inzidenzen hatte. Weil sie nach der dritten (sehr hohen) Welle dort auf ein niedrigeres Niveau gedrückt worden waren als in vielen westlichen Bundesländern. Doch führen höhere Wachstumsraten über einen längeren Zeitraum eben auch von niedrigen Inzidenzen kommend zu absolut hohen Werten, und genau dieser Punkt ist in Sachsen (vor zwei Wochen noch 20, jetzt 37) und Thüringen (vor zwei Wochen 25, jetzt 49) erreicht. Vergleichsweise hohe Zuwächse gab es in der vergangenen Kalenderwoche auch in Mecklenburg-Vorpommern (aktuell 38), Brandenburg (43) und Sachsen-Anhalt (30). Damit belegten die fünf ostdeutschen Länder vergangene Woche vier der fünf Top-Plätze im bundesweiten Corona-Wachstumsranking. 

 

Das zweite Muster ist schon seit Wochen festzustellen, und es ist so deutlich, dass es eigentlich längst keiner mehr übersehen kann: Je länger die Sommerferien zurückliegen, desto stärker sinken in den meisten Bundesländern die Inzidenzen. So kamen die ersten sechs Bundesländer, in denen das neue Schuljahr teilweise bereits vor sechs Wochen gestartet ist (Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein), in der vergangenen Kalenderwoche zusammengenommen auf 11,5 Prozent weniger gemeldete Neuinfektionen als in der Woche davor. Und dieser Trend ist so deutlich, dass er in der Summe der sechs Länder sogar den aktuellen ostdeutschen Aufwärtstrend überlagert – mit dem Ergebnis, dass Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zwar, siehe oben, mehr Corona-Fälle hatten als in der Vorwoche, aber ein deutlich schwächeres Plus als etwa Sachsen oder Thüringen.

 

In der Gesamtschau geringer fiel der Rückgang in denjenigen  Bundesländern aus, die noch nicht so lange aus den Ferien zurück sind und wo (wie bislang in allen Ländern) direkt zu Schulanfang die Melde-Inzidenzen besonders bei den Kindern und Jugendlichen zunächst gestiegen waren. Doch in der vergangenen Woche steht auch für Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Sachsen-Anhalt zusammengenommen ein Minus von immerhin noch 7,0 Prozent registrierten Neuinfektionen zu Buche.

 

Und schließlich die Länder, die vergangene Woche noch in den Ferien waren (Bayern und Baden-Württemberg) oder wo das neue Schuljahr gerade erst begonnen hat (Sachsen, Thüringen): insgesamt ein Plus von 2,3 Prozent im Wochenvergleich – wobei ich fairerweise wiederholen muss, dass hier der eben beschrieben Ost-Trend natürlich stark reinspielt. Allerdings hatte zuletzt auch Bayern in den vergangenen sieben Tagen 10,7 Prozent mehr offizielle Corona-Fälle als im selben Zeitraum davor. 

 

2. Weniger Neuinfektionen bei Kindern, mehr bei alten Menschen

 

Auch hier setzte sich in der vergangenen Kalenderwoche ein schon zuvor erkennbarer Trend fort. Bundesweit sank die Zahl der neuinfizierten Kinder zwischen 5 und 14 um 8,4 Prozent, die der neuinfizierten Jugendlichen zwischen 15 und 19 um 13,8 Prozent – jeweils schneller als der Rückgang der Gesamtbevölkerung (-5,8 Prozent in der vergangenen Kalenderwoche). Während das RKI 5,2 Prozent mehr Neuinfektionen bei den 60- bis 79-Jährigen verzeichnete und sogar 14,3 Prozent mehr bei den über 80-Jährigen. Trotz der in diesen Altersgruppen so hohen Impfquote – und fast keinem geimpften Kind unter 12. Im vergangenen Herbst gab es – damals noch ohne Impfungen – übrigens eine ähnliche Entwicklung: Während Politik und Gesellschaft über Schulen diskutierten, versäumten sie den Schutz der Alten. Nur dass diesmal hoffentlich dank der Impfungen die Folgen nicht so gravierend sein werden. 

 

Besonders kräftig war der Rückgang bei den Kindern und Jugendlichen übrigens dort, wo schon länger wieder Schule ist. Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein: -15 Prozent bei den 5- bis 14-Jährigen und -18,0 Prozent bei den 15- bis 19- Jährigen. Bei den Bundesländern, wo noch Ferien sind oder die Schule gerade erst wieder angefangen hat (Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen) gab es demgegenüber einen Zuwachs um 10,7 Prozent bei den 5- bis 14-Jährigen, aber immerhin einen Rückgang um -3,6 Prozent bei den 15- bis 19-Jährigen – Anzeichen der rasant steigenden Impfquote?

 

3. Der Anteil älterer Corona-Patienten in den Krankenhäusern steigt weiter

 

Die absoluten Zahlen bei den Krankenhaus-Einweisungen sind nicht belastbar, weshalb ich sie an dieser Stelle vernachlässige. Die Relationen zwischen den Altersgruppen sind es hingegen schon. Und hier setzte sich in der vorgegangenen Woche (derzeit gibt es keine aktuelleren Zahlen) die Entwicklung der Woche davor fort. 2,7 Prozent der Hospitalisierungen entfielen auf die 5- bis 14-Jährigen – nach 2,9 Prozent in der Woche davor. Während der Anteil der 60- bis 79-Jährigen bei 22,3 Prozent lag – nach 19,5 Prozent in der Woche davor. Bei den über 80-Jährigen waren in der vorgegangenen Woche bereits 14,7 Prozent Anteil erreicht – nach 12,8 Prozent eine und 10,3 Prozent zwei Wochen davor. 

 

Das ist kein Zufall. Denn während die öffentliche Debatte sich auf Kinder und Schule konzentrierte, stiegen die Corona-Neuinfektionen bei den Älteren relativ gesehen seit Anfang Juli fast genauso stark an. Zwischen Kalenderwoche 26 und 36 bei den 5- bis 14-Jährigen: +2.467 Prozent. Bei den über 80-Jährigen im selben Zeitraum: 2.271 Prozent. Auf absolut zwar bislang nur 1.660 Neuinfektionen pro Woche, doch war der Vergleichswert Anfang Juli eben 70 Neuinfektionen.

 

Dass in der vergangenen Woche 14.093 Neuinfektionen bei 5- bis 14-Jährigen festgestellt wurden (gegenüber 549 Anfang Juli), hört sich zwar immer noch dramatisch viel mehr an. Doch ist die Wahrscheinlichkeit für ältere Menschen, wegen Corona ins Krankenhaus zu müssen, pro Inzidenzpunkt etwa 18-mal so hoch. Wobei das rein statistisch ist, weil sich der Großteil des Risikos bei den über 80-Jährigen auf die vielleicht zehn Prozent Ungeimpften konzentriert. Aber eben nicht alles. 

 

4. Wie es jetzt weitergeht

 

Keiner weiß, ob die Inzidenzen zunächst weiter sinken. Es sieht erstmal so aus. Und das, obwohl in Bayern und Baden-Württemberg diese Woche die Schule beginnt, dort die Schultests anfangen und dadurch die registrierten Fälle vor allem unter Kindern und Jugendlichen noch einmal massiv steigen werden. Relativ sicher ist nur, dass die Corona-Dynamik zum Herbst hin wieder mehr Fahrt aufnehmen wird. Doch auch hier weiß keiner: wieviel. Was wiederum relativ klar ist: Die vierte Welle ist noch nicht zu Ende. Sie war von Anfang an flacher als die dritte, und sie verläuft hoffentlich auch weiterhin gemächlicher, aber wir steuern nicht auf ein neues Niedrig-Inzidenz-Tal zu. Hinzu kommt: Weil die Demographie der Infizierten sich gerade wieder wandelt, bedeutet eine Abschwächung bei den Inzidenzen, die vor allem auf die Jungen zurückgeht, keine Abschwächung bei den Einweisungen ins Krankenhaus und auf die Intensivstationen im gleichen Maße. Wobei diese absolut gesehen deutlich niedriger liegen als in der ersten, zweiten oder dritten Welle und ihr Wachstum nie die damalige Dynamik erreicht hat. 

 

Immerhin: Auch die Zahl der Intensiv-Patienten wächst langsamer. Gestern meldete das DIVI-Intensivregister 1.537 Patienten, 14 Prozent mehr als vor einer Woche (1.348 Patienten). Die Wachstumsrate in der Woche davor: 30 Prozent, noch eine Woche weiter zurück: 40 Prozent. 

 

Um die erfreulicherweise geringe Dynamik der vierten Welle mit dem vergangenen Herbst zu vergleichen, zwei Zahlen von damals. Am 26. Oktober 2020 gab es etwa so viele Intensivpatienten wie vor einer Woche: 1.362. Doch wurden daraus nur zwei Tage später schon 1.569 und nach sieben Tagen 2.243. 



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