Deutschlands Ausgaben für die Hochschullehre fallen international weiter zurück – was durch die hohen Ausgaben für die Forschung verdeckt wird: eine Analyse der neuen OECD-Bildungsstatistiken.
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AUF DEN ERSTEN BLICK steht Deutschland bei seinen Hochschulausgaben gar nicht schlecht da. 19.324 Dollar pro Studierendem investierte die Bundesrepublik 2018, berichtet die OECD in "Bildung auf einen Blick". Das waren 2.259 Dollar oder 11,7 Prozent mehr als der Schnitt aller untersuchten Industriestaaten. Klar, Spitzenreiter wie Luxemburg (47.700 Dollar), die USA (34.000 Dollar) oder Großbritannien (29.900 Dollar) geben zwei, dreimal so viel aus – aber Luxemburg ist ein reicher Kleinstaat und in den angelsächsischen Ländern müssen die Studierenden den Großteil der Kosten selbst stemmen.
Verbirgt sich hinter den OECD-Zahlen also eine Erfolgsgeschichte deutscher Hochschulpolitik, das dem von den Hochschulen verbreiteten Narrativ der chronisch unterfinanzierten Lehre zuwiderläuft? Auf den zweiten Blick leider dann doch nicht.
Ja, Deutschland hat seit 2012 jedes Jahr die Hochschulausgaben um 1,9 Prozent gesteigert, weit mehr als es die OECD-Staaten im Schnitt taten (0,8 Prozent). Allerdings wuchsen gleichzeitig die Studierendenzahlen in Deutschland jährlich um 2,7 Prozent (OECD-weit nur um 0,4 Prozent), was erfreulich ist, aber zur Folge hatte, dass pro Student/in in Deutschland ein jährliches Minus von 0,8 Prozent herauskam – verglichen mit einem Plus von 0,7 Prozent im internationalen Schnitt.
Zu Recht kann man dem entgegenhalten, dass die Entwicklung ohne die seit 2007 bislang rund 40 Bund-Länder-Milliarden aus dem Hochschulpakt noch viel dramatischer verlaufen wäre – und dass es Deutschland ja trotz allem noch schafft, über dem OECD-Ausgabenschnitt zu liegen.
Unter den internationalen
Schnitt gerutscht
Allerdings stimmt letzteres nur, solange man die Hochschulausgaben für Forschung und Entwicklung nicht herausrechnet. Denn die sind – trotz der enormen Zuwächse bei den Studierendenzahlen – noch weitaus schneller gewachsen als die Ausgaben für die Lehre. Der Vergleich mit 2008 zeigt dies eindrucksvoll. Damals gab Deutschland rechnerisch pro Student/in 15.390 Dollar aus, von denen allerdings 39 Prozent direkt weiter in F&E gingen. Von den erwähnten 19.324 Dollar 2018 aber flossen schon mehr als 44 Prozent in Forschung und Entwicklung. Mit dem Ergebnis, dass Deutschland bei den reinen Ausgaben für die Hochschullehre (10.793 Dollar) 2018 unter den OECD-Durchschnitt (11.653 Dollar) gerutscht ist. Während die Bundesrepublik 2008 mit 9.504 Dollar noch über dem internationalen Benchmark (9.349 Dollar) lag.
Demgegenüber überstieg der F&E-Anteil an den deutschen Hochschulausgaben schon 2008 den OECD-Vergleichswert ( 5.886 versus 4.368 Dollar) und hat ihn 2018 mit 8.531 versus 5.412 Dollar) erst so richtig abgehängt. Was in der Schlussfolgerung bedeutet, dass die deutsche Politik trotz eines atemberaubenden Anstiegs der Studierendenzahlen um 840.000 im selben Zeitraum ihre Priorität auf die Forschung, nicht auf die Lehre legte.
Schweden, USA oder
keines von beiden?
Noch ein Wort zur privaten Finanzierung. Deren Anteil liegt in Deutschland laut OECD bei nur 15 Prozent an allen Ausgaben für tertiäre Bildung, wobei hierin auch die Studiengebühren an reinen Privathochschulen enthalten sind. Der Staat finanziert im Umkehrschluss also 85 Prozent. Das ist deutlich weniger als in Finnland (96 Prozent) und etwas weniger als in Schweden (88 Prozent), aber signifikant mehr als in den USA (36 Prozent) oder Großbritannien (29 Prozent).
Was zu mehreren interessanten Erkenntnissen führt: Finnland gibt für jede/n Student/in zwar etwas weniger aus als Deutschland, aber wenn man nur den Staat betrachtet, investiert er mit 17.440 Dollar mehr Geld pro Kopf als Deutschland (16.425 Euro). Schweden mit (sehr hohen) 23.000 Dollar erst recht. Und selbst die USA kommen mit 12.240 Dollar an staatlichen Hochschulausgaben immerhin noch auf Dreiviertel des deutschen Wertes.
OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher sagte schon 2017, es gebe Länder, die blockierten sich selbst, indem sie nicht in der Lage oder willens seien, ausreichend Steuergelder in die Hochschulen zu investieren – ihnen andererseits aber auch nicht erlaubten, Studiengebühren zu kassieren. Im Grunde, sagte Schleicher damals, seien zwei Modelle denkbar: das schwedisch-norwegische, wo hohe Steuern und Staatsausgaben die Qualität der Hochschulen sicherten, "oder Sie können den britischen Weg gehen und die Gebühren erhöhen."
Vier Jahre später liegt Deutschlands Hochschulfinanzierung immer noch dazwischen. Tendenz: abwärts.
Und jedes Jahr dieselbe Botschaft
Pünktlich im September hat der Industriestaaten-Club OECD wieder seinen Ländervergleich "Bildung
auf einen Blick" veröffentlicht. Für Deutschland ist wie gewohnt wenig Erbauliches und viel Bedenkliches dabei. Nur dass diesmal die Corona-Folgen noch obendrauf kommen.
(17. September 2021) >>>
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Klaus Diepold (Freitag, 17 September 2021 15:26)
Die erhöhte Investition in die Forschung wird mit dem gesteigerten Bedarf an Innovationen begründet. Das ist aber ein Fehler. Akademische Forschung an sich erzeugt keinen nachweisbaren Beitrag zur Innovation in einem Land (siehe einschlägige OECD Studien). Innovationen werden von schlauen Menschen vorangebracht. Wir brauchen also mehr schlaue, sprich, gut ausgebildete Menschen, die zu Innovator:innen in der Industrie werden können. Dementsprechend sollte der Staat mehr in die Hochschulbildung investieren, statt in die Forschung.
René Krempkow (Freitag, 17 September 2021 17:48)
Ich sehe es ebenfalls so, dass der Staat in Forschung UND LEHRE investieren sollte. Dass dies eben nicht in demselben Ausmaß geschieht, ist leider keine neue Erkenntnis. Dies stellte bereits 2015 eine Studie zur Hochschulfinanzierung in Deutschland fest, die für die Konrad-Adenauer-Stiftung erstellt wurde. Bereits darin "wird deutlich, dass der Forschungsanteil zulasten der lehrbezogenen Finanzmittel zugenommen hat", wobei sich insbesondere der Bundesanteil "in den letzten Jahren noch deutlicher zugunsten der Forschung verschoben hat" (S. 20).
Außerdem war schon damals die Auswertung der Entwicklung in den Bundesländern aufschlussreich: "Eine statistische Analyse zeigt einen schwachen bis mäßigen negativen Zusammenhang zwischen den Landeszuschüssen und den Bundeszuweisungen, d.h. in den Ländern, die höhere Bundeszuweisungen erhalten, sinken tendenziell die Landesmittel in einem größeren Umfang als in Ländern mit einem geringen Bundeszuschuss." (S.31) Nachzulesen ist dies alles in:
https://www.researchgate.net/publication/272477280.