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Was die neue Regierung anpacken muss

Egal, wer die nächste Bundesregierung bildet: Zehn wissenschaftspolitische Ziele, die in jeden Koalitionsvertrag gehören.

Foto: Arek Socha / Pixabay.

IM WAHLKAMPF waren Bildung und Forschung überraschend selten Thema, noch weniger waren sie es in den Fernsehdebatten der drei Bundeskanzler-Kandidat:innen. Wobei so überraschend das dann doch nicht war, wenn doch das wichtigste Anliegen für die meisten Deutschen eine sichere Rente zu sein scheint – wie unter anderem der Spiegel-Wirtschaftsmonitor ergab. Es gibt nun einmal nur gut 35 Millionen Menschen unter 40 in Deutschland, aber 23 Millionen zwischen 40 und 60 und weitere 24 Millionen, die 60 und älter sind.

 

Was bedeutet das für die Prioritätensetzung in der nächsten Legislaturperiode? Hoffentlich vor allem, dass die Politik in der Lage ist, sich nicht von den bloßen Quantitäten ihrer Wählerschaft leiten zu lassen, sondern von Fragen der Zukunft und der Generationengerechtigkeit. Denn dann müssten Bildung und Wissenschaft ganz oben auf der Agenda einer neuen Bundesregierung landen. Doch was hieße das abgesehen von der in keiner Sonntagsrede fehlenden Forderung nach "mehr Geld" für Kitas, Schulen, Ausbildungsbetriebe, Hochschulen und Forschungsinstitute?

 

In zwei Teilen versuche ich mich an Antworten. Ich starte mit einer  Liste der zehn wichtigsten wissenschaftspolitischen Aufgaben. Subjektiv natürlich, doch ich finde, dass sie in jeden  Koalitionsvertrag gehören – egal, wer die Wahlgewinner am Ende sein werden. 

 

1. Zukunftsvertrag anpassen

Eigentlich gibt es keinen Handlungsbedarf, aber gleichzeitig ist er am größten. Beim "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" (dem Hochschulpakt-Nachfolgeprogramm) zahlen Bund und Länder seit diesem Jahr jeweils 1,88 Milliarden Euro, jedes Jahr. Und sie haben schon 2019 festgelegt: Von 2024 an gibt es mehr Geld. Dann steigt der Bundesanteil einmalig um 170 Millionen Euro auf 2,05 Milliarden pro Jahr, in gleicher Höhe kofinanziert von den Ländern. Doch das reicht nicht und war schon zum Zeitpunkt des Beschlusses unfair, denn der parallel verlängerte "Pakt für Forschung und Innovation" (PFI) sieht ein jährliches Plus von drei Prozent für die ohnehin schon großzügiger finanzierten außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Helmholtz, Max Planck & Co) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft vor.

 

Was dazu führt, dass die Unterfinanzierung vor allem der Hochschullehre immer größer wird. Eigentlich wollen Bund und Länder erst 2027 über eine weitere Erhöhung des Zukunftsvertrags verhandeln – zu spät. Das muss in dieser Legislaturperiode passieren, und es muss analog zum PFI zu einer jährlichen Erhöhung kommen. Dabei sollte dann gleich auch ein weiterer Schwachpunkt des Zukunftsvertrags beseitigt werden: Mehr Geld gibt es nur, wenn die Länder wirklich und nachvollziehbar den Anteil der Dauerstellen erhöhen. Derzeit hat die Vereinbarung in der Hinsicht nur Appellcharakter. Ist all das realistisch angesichts Sparhaushalten in Bund und Ländern als Folge der Corona-Krise? Meine Antwort: Wenn eine neue Bundesregierung es ernst meint mit ihrer Zukunftsorientierung und ihre Prioritäten entsprechend setzt, dann sollte es, dann muss es das sein. 

 

2. Forschungsförderung agiler machen

Es wird eines der zentralen wissenschaftspolitischen Themen der neuen Legislaturperiode sein: Wie gelingt es, Deutschlands Forschungseinrichtungen innovativer und agiler zu machen? Die künftige Forschungspolitik soll sich stärker an sogenannten "Missionen" ausrichten, fordert zum Beispiel die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), es geht dabei um die strategische Forschungsförderung zur Bearbeitung der großen Herausforderungen vom Klimawandel bis zur digitalen Transformation. Der ehemalige EFI-Vorsitzende und Innovationsforscher Dietmar Harhoff hat in diesem Zusammenhang in der ZEIT den Vorschlag gemacht gemacht, mehrere Forschungsförderagenturen einzurichten, "die unabhängig agieren und die Forschung "strategisch planen, fördern und koordinieren sollen".

 

Als einen ersten Schritt nannte Harhoff die neu gegründete Bundesagentur für Sprunginnovationen (SprinD), um gleich hinzuzufügen: "Wenn solche Institutionen jedoch vom Forschungsministerium an die Kette gelegt werden, können sie nicht erfolgreich arbeiten." SprinD zu entfesseln, und zwar sehr schnell, wird eine Muss-Aufgabe der neuen Regierung sein.

 

Weshalb ich ergänzen möchte: Die Zauberworte einer neu strukturierten Forschungspolitik sind nicht allein "Missionen" oder "Agenturen", sondern vor allem auch "Entmachtung der Ministerialbürokratie". Denn nicht nur die Förderagenturen müssen freier agieren können, die Forschungsorganisationen müssen es ebenfalls. Im Augenblick stehen aber die großen Forschungsorganisationen von Helmholtz bis Max Planck alle unter der Aufsicht auch eines Bundesministeriums, meist des Ministeriums für Bildung und Forschung. Die dortigen Beamten wachen mit Argusaugen über "ihre" Forschungsorganisationen und bestimmen oft nach wenig durchsichtigen Kriterien mit, welches Institut mit wem Kooperationen eingeht, gemeinsame Projekte betreibt und Forschungsaufträge erhält. Und weil das so ist, leisten sich die anderen Ministerien fast alle noch eigene sogenannte Ressortforschungseinrichtungen, die sie wiederum wie nachgeordnete Behörden behandeln. 

 

Woraus folgt: Die Forschungseinrichtungen müssen raus aus dem Verantwortungsbereich einzelner Ministerien, sie müssen in eine Art übergeordnete Trägerschaft der gesamten Bundesregierung, die sich auf die Grundfinanzierung und die juristischen Rahmenbedingungen beschränkt. Dann wären die Forschungsorganisationen frei von ministeriellen Machtspielchen. Und diese Freiheit, verbunden mit den neuen unabhängigen Förderagenturen, würde den Wettbewerb anregen, bei der Erforschung wissenschaftlicher Grundlagen, aber auch im Sinne der gewünschten Missionsorientierung – bis hin zum Wissenstransfer. Die Leistungen der Institute würden transparenter, und die Institute wären stärker gefordert – weil die einzelnen Ministerien nicht mehr "ihre Forschungseinrichtungen" und das darin vorhandene Führungspersonal protegieren könnten.

 

3. Pakt für Forschung und Innovation nachverhandeln

Es war ein Lobbyerfolg der Extraklasse: Helmholtz, DFG und Co schafften 2019, Bund und Länder von einer Kürzung des PFI abzubringen. Die jährliche Erhöhung von drei Prozent für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft wurde sogar gleich auf zehn Jahre festgeschrieben – bis 2030, während die Hochschulen, siehe oben, mit einer einzigen Plus-Stufe abgespeist wurden und dazu noch Planungssicherheit nur bis 2027 bekamen. Auch von den BMBF-Versprechungen, die Außeruniversitären stärker zur Kooperation zu verpflichten (abgegeben, um PFI-Kritiker im Bundestag zu beschwichtigen), blieb wenig bis nichts übrig. Ursprünglich war gedacht gewesen, dass ein Teil des jährlichen Drei-Prozent-Aufwuchses (vielleicht ein paar Zehntel Prozentpunkte) in einen gemeinsamen "Strategieentwicklungsraum" für gemeinsame Projekte und organisationsübergreifende Initiativen fließen sollte. Doch dann wurde der neue PFI besiegelt, ohne dass der "Strategieentwicklungsraum" festgeklopft war.

 

Das BMBF halte an dem Ziel fest, es werde eine "gute und baldige Lösung geben", hieß es 2019 zwar – aber passiert ist seither nichts. Das passt nicht mehr in die Zeit, in der von strategisch geleiteten Missionen in der Forschungspolitik die Rede ist. Darum muss der PFI noch einmal nachverhandelt werden. Ja, das geht. Denn am Ende muss jede einzelne Tranche von den Parlamenten freigegeben werden, das gibt einer neuen Bundesregierung den Verhandlungsspielraum. Übrigens ist das kein Widerspruch zum oben beschriebenen Ziel, die Forschungsorganisationen zugleich freier von der Ministerialbürokratie zu machen. Größere Freiheit im täglichen Handeln heißt ja nicht, dass es nicht klare Regeln und Systematiken geben kann und muss.

 

4. Genauer hinschauen bei den Außeruniversitären

Wie ist es um die Führungskultur in den großen Forschungsorganisationen bestellt? Wenn man sich etliche Beispiele aus der vergangenen Legislaturperiode anschaut, von Max Planck bis zu Fraunhofer, offenbar nicht überall zum Besten. Nicht alles davon ist kalter Kaffee und längst aufgearbeitet, in einigen Fällen stellte und stellt sich die Frage, ob die Chefetagen schnell genug reagiert haben, als Beschwerden über Fehlverhalten oder Mobbing bekannt wurden. Und ob sie stärker an deren Aufarbeitung oder Vernebelung interessiert waren. Neulich erst hat die Wirtschaftswoche über Vorwürfe gegen den auf ungewöhnliche Weise wiedergewählten Fraunhofer-Chef Reimund Neugebauer berichtet. Unter seiner Führung herrsche ein "Diktat der Angst" und "Spezlwirtschaft", Politiker von Grünen und FDP forderten Aufklärung. Was für die nächste Bundesregierung umso mehr bedeutet: Die Forschungsorganisationen müssen getrennt werden von den engen Verflechtungen mit der Ministerialbürokratie, die im Zweifel Beißhemmungen gegenüber dem von ihr abhängigen Führungspersonal hat. Mit Beißhemmungen schafft man aber keine Transparenz. 

 

5. Exzellenzstrategie weiterentwickeln

Es ist eine der Aufgaben, die auf die künftige BMBF-Führung unmittelbar nach Amtsantritt zukommt. Eigentlich müssten die Regeln der zweiten Runde der Exzellenzstrategie schon jetzt festgeklopft werden, auf jeden Fall aber unmittelbar nach Regierungsbildung. Denn die Förderbekanntmachung soll spätestens Ende 2022 herausgehen. Einig sind sich die Länder, die politischen Lager und die Wissenschaft (vertreten zum Beispiel im ExStra-Expertengremium) bislang nur darin, dass es mehr Geld für mehr Exzellenzcluster geben sollte, damit auch neue Anträge eine faire Chance erhalten. Das könnte nicht nur der oder die Bundesfinanzministerin kritisch sehen, sondern auch all jene, die sich ohnehin schon fragen, wie ein Exzellenzwettbewerb mit am Ende 70 oder mehr Clustern noch nur die "Besten" fördert. 

 

Derzeit stellen Bund und Länder für die gesamte Exzellenzstrategie pro Jahr 533 Millionen Euro zur Verfügung, wovon die Cluster und Exzellenzuniversitäten, aber auch die Programm- und Universitätspauschalen, Verwaltungskosten sowie die Auslauf- und Überbrückungsfinanzierung bezahlt werden müssen. Die SPD-Wissenschaftsminister hatten Mitte März ihre Forderungen für die Weiterentwicklung der ExStra vorgelegt, die schwarz-grünen Ressortchefs folgten ein paar Wochen später. Strittige Punkte: Sollen die Ausschreibungskriterien, wofür die SPD-Minister plädieren, so geändert werden, dass kleinere und mittlere Uni-Standorte bessere Chancen haben? Soll, ebenfalls ein SPD-Vorschlag, ein zusätzliches Förderformat für Langzeit-Cluster entstehen? Und soll es, der schwarz-grünen-Seite folgend, in der Begutachtung Pluspunkte für "stark interdisziplinäre" (gemeint sind vor allem geistes- und sozialwissenschaftliche) Vorhaben geben?

 

Am Ende wird es auf eine Kernfrage hinauslaufen, die Bund und Länder so nie formulieren würden: Wie viel Politik steckt künftig in Ausschreibung und Förderentscheidung? Und wie wissenschaftsgeleitet darf die Exzellenzstrategie noch sein? Ich würde sagen: Gerade wenn ansonsten "Missionen" und strategische Forschungsförderung an Gewicht gewinnt, sollte die ExStra möglichst unbehelligt von politischem Einfluss bleiben. Ob das auch das Ziel der künftigen BMBF-Führung sein wird?

 

6. Deutsche Transfergemeinschaft gründen

Es ist ein Teil des deutschen Innovationsproblems: Wissenschaftler sammeln ständig neues Wissen und machen immer wieder bahnbrechende Entdeckungen. Doch zu wenige der vielen guten Anwendungsideen, die dabei entstehen, werden verfolgt. Oder sogar bis zur Marktreife gebracht. Komplett auf der Strecke bleiben meist die besonders ausgefallenen Einfälle, weil Geldgebern und Unternehmen das Risiko einer Beteiligung zu hoch ist. 

 

Seit Jahren wird über eine "Deutsche Transfergemeinschaft" als Teil einer möglichen Lösung diskutiert. Sie könnte eine der agilen Agenturen werden, die Harhoff fordert. Und während die Deutsche Forschungsgemeinschaft vorrangig Grundlagenforschung fördert, würde eine "DTG" den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Wirtschaft und Gesellschaft hinein unterstützen, und zwar in Form einer wissenschaftsgeleiteten, staatlich finanzierten Innovationsforschung.

 

Das Gute ist: Die Idee wird langsam reif. Die Grünen haben zusammen mit Hochschulvertretern unter der Überschrift "D.Innova" ein eigenes Konzept der Transfergemeinschaft vorgelegt, die FDP verfolgt die "DTG"-Idee auch schon seit Jahren, und auch SPD und Union äußern die Bereitschaft zu einer Gründung nach der Wahl. Wichtig: Die "DTG" (oder wie auch immer sie am Ende heißt) wäre keine Förderagentur allein für die Innovationsforschung an Fachhochschulen, wie ihr oft unterstellt wird, sondern Forscher aller Hochschultypen könnten sich mit ihren Projektideen bewerben – ohne reservierte Quoten oder ähnliches. Sonst leiden schon wieder Agilität und Innovationskraft. 

 

7. Das Bafög zu neuem Leben erwecken

Die Ausbildungsförderung wird 50 und steckt in einer tiefen Krise. Wie tief, lässt sich auch daran ablesen, dass das BMBF gut 1,6 Millionen Euro für eine Image-Jubiläumskampagne samt Herzchen-Logo investiert hat, wie eine Anfrage über das Informationsfreiheitsgesetz ergeben hat. Die Realität sieht so aus: Zum achten Mal in Folge sank 2020 die Zahl der Bafög-Bezieher und lag mit 639.000 um ein Drittel niedriger als 2012. Dabei hatten Anja Karliczek und ihre Vorgängerin Johanna Wanka regelmäßig die Trendumkehr versprochen. Und jedes Mal, wenn diese doch nicht kam, hatten sie eine Ausrede auf Lager. Wanka 2017: Die Empfängerzahl sei wegen der günstigen Konjunktur- und Einkommensentwicklung "noch nicht so deutlich angestiegen wie ursprünglich erwartet." Karliczek 2020 über die 2019er Zahlen: Der weitere Rückgang sei eine  "Momentaufnahme aus dem vergangenen Jahr – aus der Zeit vor der Pandemie." Karliczek 2021 über die 2020er Zahlen: Immerhin sei (bei weniger Empfängern) der durchschnittliche Förderbetrag pro Empfänger gestiegen, was sie sehr freue, weil es die Attraktivität des Bafög noch einmal unterstreichen "sollte". 

 

Kurz vor der Bekanntgabe der jüngsten miesen Zahlen hatte die amtierende BMBF-Chefin, wohl bereits in deren Kenntnis, dann doch die Flucht nach vorn ergriffen. In der Augsburger Allgemeinen verkündete sie: "Wir brauchen in der neuen Wahlperiode eine Weiterentwicklung des Bafög". Als Beispiele erwähnte sie eine mögliche Anhebung der Altersgrenze für den Bezug oder die Ausweitung der Förderung auch auf eine Zweitausbildung. Sogar ein "Notfallmechanismus für Krisenfälle" könne bei so einer Reform aufgenommen werden. Ein Eingeständnis, dass das Hin und Her um die Corona-Überbrückungshilfe für Studierende hätte vermieden werden können?

 

Auch wenn unwahrscheinlich ist, dass Karliczek eine Reform überhaupt noch als Ministerin wird umsetzen müssen: Ihre Ankündigung ist der letzte Beleg, dass – egal, wer nächste/r BMBF-Chef/in wird – das Bafög runderneuert werden muss und wird. Was lange überfällig ist, wie auch der Studentenwohnreport 21 zeigt den das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) für den Finanzdienstleister MLP erstellt hat: trotz Pandemie weiter steigende Mieten für studentische Wohnungen, der aktuelle Bafög-Wohnzuschlag reicht von 30 untersuchten Hochschulstädten allein für Magdeburg. Eine entscheidende Frage neben höheren Fördersätzen und neuen Altersgrenzen ist, ob und inwieweit die Kopplung ans Einkommen der Eltern aufgehoben oder abgeschwächt wird und wie hoch der Darlehensanteil künftig ist. Klar ist: Das Bafög muss wieder näher an die Lebensrealität vor allem der Studierenden. Anders als die Jubiläumskampagne: Fast die Hälfte der 1,6 Millionen wurde für Beileger in Printmedien ausgegeben. Dass die Bafög-Bezieher, Studierende, Auszubildende und Schüler, "nicht vorrangig über Tageszeitungen erreicht werden, sollte mittlerweile auch im BMBF angekommen sein", kommentiert die Initiatorin der Anfrage, Franziska Chulek.

 

8. Wissenschaftszeitvertragsgesetz reformieren

Die "#IchbinHanna"- Debatte um mehr Dauerstellen und neue Karrierewege in der Wissenschaft ist zu komplex, um sie mit ein paar Sätzen abzuhandeln. Fest steht: Ziel muss sein, mehr Vollzeit-Verträge mit angemessener Laufzeit für Doktoranden zu erreichen und ein Ende perspektivloser Kettenverträge bei den Postdocs. Dass letzteres auf mehr Dauerstellen hinauslaufen muss, ist richtig und notwendig. Auf welchen Anteil genau, ist zu verhandeln. 

 

Die nächste Bundesregierung und speziell das BMBF wird sich mit der Debatte ernsthafter als bislang auseinandersetzen und eine Lösung finden müssen, und zwar bald. Die viel zu späte Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes hat die Stimmung weiter aufgeheizt. Seine Komplett-Abschaffung erschiene mir umgekehrt zwar hochsymbolisch, aber weder sinnvoll noch hilfreich. Vielmehr sollte es so reformiert werden, dass der Bund seine Möglichkeiten und seine Verantwortung als Gesetzgeber nutzt.  Um einen Rahmen für bessere Beschäftigungsbedingungen zu schaffen – und die an sich sinnvolle Sonderbefristungsmöglichkeit für die Wissenschaft mit mehr Auflagen für die Hochschulen zu verbinden. Dies wird Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein, und dass, Stichwort Hochschulfinanzierung, dabei auch der Zukunftsvertrag zu einem Hebel werden muss, habe ich bereits ausgeführt.

 

Am Ende aber entstehen mehr Dauerstellen vor allem dann, wenn es mehr dauerhaftes Geld für die Hochschule gibt. Und so wichtig die Rolle des Bundes bei der Hochschulfinanzierung ist, die Länder haben die zentrale. Es ist zu einfach, wenn viele Wissenschaftsminister immer nur auf den Bund zeigen, der in der Tat bereits viel Geld in die Hochschulen pumpt. Die Länder müssen auch selbst die Hochschulen in ihren Haushalten priorisieren. Mehrere tun es ja auch längst schon, Baden-Württemberg zum Beispiel, Hessen oder auch Berlin. Und sie müssen ihre Landesgesetzgebung ändern – wobei abzuwarten bleibt, ob der in Berlin eingeschlagene Weg sinnvoll und richtig ist. 

 

9. Den Digitalpakt Hochschule nachholen

Einerseits brauchen die Hochschulen mehr Dauerfinanzierung vor allem für die Hochschullehre, andererseits bedürfen sie dringend verschiedener Sonderprogramme, um technisch-didaktisch auf einen modernen Stand zu kommen. Von den vielen Milliarden, die nötig wären, um die vielerorts marode Gebäudesubstanz zu sanieren, traut man sich ja kaum noch zu reden – auch wenn man diese Forderung nicht oft genug wiederholen kann. Das Mindeste ist aber, dass die Hochschulen doch noch den ihnen verwehrt gebliebenen eigenen Digitalpakt erhalten. Sie haben viel geleistet in der Corona-Krise, indem sie fast ihr gesamtes Angebot in den virtuellen Raum verlegten. Die Technik ist vielerorts, wenn auch längst nicht überall da (anders als an den Schulen), doch woran es vor allem fehlt, ist die didaktisch-technisch-strategische Weiterentwicklung der Hochschullehre. Und genau an der Stelle braucht es einen Bund-Länder-Digitalpakt – und zwar zusätzlich zu dem, was viele Länder ihrerseits in eigens aufgelegten Digitalprogrammen schon investieren. 

 

2019 hatte die EFI den Pakt gefordert, 2020 die Landeswissenschaftsminister – sie blitzten jeweils beim BMBF ab. Zuletzt hat der Senat der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) im Juni 2021 seine "Forderungen an Bund und Länder zur Weiterentwicklung der digitalen Lehrinfrastrukturen" verabschiedet, Kernbestandteil: eine Digitalisierungspauschale von 92 Euro pro Studierenden. Ergibt 270 Millionen Euro jährlich. Es wäre die Unterkante für einen Digitalpakt Hochschule und im Vergleich zu den 6,5 Milliarden Schul-Hochschulpakt erstaunlich bescheiden, wenn doch laut HRK  Studios, Labore und Makerspaces fehlen mit aktueller Hard- und Software, dazu ausreichende und rechtlich abgesicherte Kommunikationskanäle für Videokonferenzen, flächendeckendes, breitbandstarkes WLAN und jederzeit verfügbare Server- und Speicherinfrastruktur. 

 

Wenn die Hochschulen in diesem Herbst zeigen, dass sie selbst beweglich sind, dass sie so viel Präsenz wie möglich schaffen, dann verleihen sie ausgerechnet damit ihrer Forderung nach einem didaktisch motivierten Digitalprogramm den größten Nachdruck. Und dem sollte sich eine neue Bundesregierung nicht länger entziehen. 

 

10. Wissenschaftskommunikation weiter priorisieren

Das ist etwas, was Anja Karliczek richtig gut gemacht hat: Sie hat seit Beginn ihre Amtszeit die Förderung der Wissenschaftskommunikation als elementare Aufgabe im Wissenschaftssystem forciert und unter der Überschrift "#FactoryWisskomm" wesentliche Player (nicht immer ganz freiwillig) zusammengebracht. Über die Schlagkraft des dabei entstandenen Papiers ("Handlungsperspektiven") kann man geteilter Meinung sein, klar ist: Das Thema muss in der neuen Legislaturperiode wieder auf den Tisch. Denn die diskutierten neuen Förderformate für kommunizierende Wissenschaftler, aber auch (versehen mit der nötigen Feuermauer zur Politik) für den Wissenschaftsjournalismus müssen jetzt bald umgesetzt werden. Dabei argumentiere ich als (noch dazu als Moderator an der "#FactoryWiskomm" beteiligter) Wissenschaftsjournalist freilich nicht objektiv. Den Punkt weglassen, das möge man mir verzeihen, konnte ich aber an dieser Stelle auch nicht. 

 

Das sind nicht Ihre zehn Punkte? Welche fehlen? Teilen Sie es mit mir und allen Leser:innen – hier in der Kommentarspalte. Vielen Dank! Nächste Woche folgt dann Teil 2: die bildungspolitischen Ziele, die in jeden Koalitionsvertrag gehören.



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Kommentare: 9
  • #1

    Jacob Schneidereit (Donnerstag, 23 September 2021 10:44)

    Wollen Sie nicht Minister werden, lieber Herr Wiarda?
    Es würde manches klarer werden.

  • #2

    Sigmund Maier (Donnerstag, 23 September 2021 11:05)

    Ja! Herr Wiarda! Die Politik täte gut daran, einen Experten mit solch umfassendem Überblick zu Rate zu ziehen!

    Ich bin gespannt auf Ihre bildungspolitischen Ziele.

  • #3

    Rainer Lange (Donnerstag, 23 September 2021 11:44)

    Noch ein Handlungsfeld für eine künftige Bundesregierung ist das Umsatzsteuerrecht, eher was für Feinschmecker. Weitgehend unbemerkt von der wissenschaftlichen Öffentlichkeit, ist es aus europarechtlichen Gründen reformiert worden. Ab Anfang 2023, wenn die letzten Übergangsfristen auslaufen, unterliegt der Leistungsaustausch zwischen juristischen Personen öffentlichen Rechts nach § 2b UStG der Umsatzsteuer. Das kann bedeuten, dass künftig Kooperationen im Wissenschaftssystem, von gemeinsamen Berufungen über geteilte Infrastrukturen bis zu hochschulübergreifenden Studiengängen steuerpflichtig werden. Mit Folgen für die Kosten, den administrativen Aufwand, und damit die Kooperationsbereitschaft. Manche sehen darin das Potenzial, jahrzehntelange Bemühungen gegen die "Versäulung" im Wissenschaftssystem zunichte zu machen.

  • #4

    PB (Donnerstag, 23 September 2021 13:30)

    Wiarda@BMBF = gute Idee! hat in der heutigen Ausgabe der im Ministerroulette für das BMBF in der Zeit mindestens in der Rubrik "Joker" klar gefehlt!

    Inhaltlich geht es mir um den Punkt 1.

    Die Zweckentfremdung der ZSL-Mittel muss aufhören. ZSL-Mittel komplett für das Löcherstopfen der landesfinanzierten Uni-Budgets zu verwenden (heißt an einem gewissen Ort Kostenschere) und dann 0 Euro für ZSL-Studienplätze übrig zu haben, kann und darf der Bund nicht länger dulden.

  • #5

    bregalnica (Donnerstag, 23 September 2021 16:16)

    Toller Beitrag! insbesondere der Teil zum Bafög ist wichtig. Dass so viel Geld für sinnlose Kampagnen (Printmedien)ausgegeben wurde, bestürzt mich. wie viele Studierende hätte man von diesem Geld fördern können; zu einer Zeit, wo das Geld dringend gebraucht wurde! Auch die 500€ maximalen Überbrückungshilfen, die monatlich neu beantragt werden mussten und zunehmend bürokratischer zu bekommen waren, waren einfach viel zu wenig Unterstützung.

  • #6

    Georg Zentrop (Freitag, 24 September 2021 07:07)

    Wenn man einen strukturell wirksamen Ansatz hervorheben sollte, quasi als "Game Changer", wäre es für mich die deutliche Zuordnung von Verantwortlichkeiten - also die Trennung der Kompetenzen von Bund und Ländern. Die eine Seite zeigt auf die andere, und zurück, niemand fühlt sich wirklich letzt-verantwortlich.

    Hochschulen (v.a. die Finanzierung) bei den Ländern, Forschungsorganisationen beim Bund, fertig. Die Kooperationen finden dann da statt, wo sie hingehören, nämlich zwischen den Einrichtungen. (Und ja, da könnte das Umsatzsteuerthema ein echtes Problem sein.)

  • #7

    Gregor Schoebel (Samstag, 25 September 2021 13:17)

    Nein, Herr Dr. Wiarda sollte in seinem Metier bleiben.
    Sonst gibt es ja kaum noch jemand, der die deutsche Bildungslandschaft kritisch verfolgt.

  • #8

    Henning Groscurth (Mittwoch, 29 September 2021 10:28)

    Zwischen Verwaltung und Wissenschaft tut sich bekanntermaßen was. Daher gerne das Wissenschaftsmanagement professionalisieren.

  • #9

    Regina Link (Mittwoch, 29 September 2021 12:25)

    Vielleicht dürfte ich auch noch das ewige, aber weiterhin aktuelle Thema Chancengleichheit in den Verhandlungsring werfen. Auch in puncto Frauen in wissenschaftlichen/Hochschul-Führungspositionen sind wir längst noch nicht da, wo wir sein sollten. Und auch die Frage, aus welchen Schichten das Führungspersonal in Wissenschaft und Bildung kommt, bleibt für mich eine weiter zu verfolgende Frage(Stichwort Bafög).