· 

"Was shoppen wir da eigentlich?"

Lernen aus der Corona-Krise? Die Kultusminister wollen ihre Digital-Strategie noch dieses Jahr updaten. Zum Glück haben sie erstmal die Bildungsforschung um Rat gebeten. Felicitas Thiel und Olaf Köller sagen, was die Politik jetzt tun sollte – und warum wir die Debatte über digitale Bildung nochmal ganz von vorn anfangen sollten.

Frau Thiel, Herr Köller, die Kultusministerkonferenz will ihre 2016 verabschiedete Strategie "Bildung in der digitalen Welt" aktualisieren und hat Sie als Ständige Wissenschaftliche Kommission (Stäwiko) um Rat gefragt. Was Sie und die übrigen 14 Stäwiko-Mitglieder geliefert haben, ist fast schon ein Manifest.

 

Olaf Köller: Wieso? Es sind doch nur 27 Seiten. Aber im Ernst: Die Politik ist mit der Bitte an uns herangetreten, dass wir das Thema breit behandeln und dieser Bitte sind wir nachgekommen.

 

Felicitas Thiel: Es ging ja auch nicht darum, dass wir der KMK einfach nur ein paar Vorschläge machen für ihr neues Strategiepapier, das bis Jahresende fertig sein soll und das auf dem von 2016 aufsetzen soll. Unsere Aufgabe als Stäwiko haben wir so verstanden, dass wir ein wissenschaftliches Modell und wissenschaftliche Befunde als Grundlage liefern. Das Modell soll es der Politik ermöglichen, die Lernprozesse und den Einsatz digitaler Medien in der Schule von den Zielen her zu beschreiben. Um so die wesentlichen Herausforderungen für die Schulentwicklung und für die Schulträger zu definieren.  



Felicitas Thiel ist Professorin für Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung an der Freien Universität Berlin und Herausgeberin der "Zeitschrift für Erziehungswissenschaft". Olaf Köller ist geschäftsführender wissenschaftlicher Direktor des IPN Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik. Zusammen stehen sie der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (Stäwiko) der Kultusministerkonferenz vor. Fotos: privat/IPN.


Auffällig war erneut die Geschwindigkeit, mit der Sie – nicht einmal ein halbes Jahr nach der Stäwiko-Gründung – nun schon Ihre zweite Stellungnahme vorlegen – und erneut recht spitz formulieren. Wollen Sie etwas beweisen?

 

Thiel: Wir wollen und müssen nichts beweisen. Sehr wohl aber signalisieren wir mit Format und Inhalt unserer Stellungnahmen von Anfang an, dass wir unsere Rolle als unabhängige wissenschaftliche Kommission selbstbewusst verstehen und selbst entscheiden, auf welche Weise wir eine gegebene Fragestellung bearbeiten. 

 

Köller: Wir stimmen dann das Ganze natürlich mit der KMK ab, so auch das Vorgehen bei der Veröffentlichung. Bislang ist dieser Prozess aber unproblematisch und bei beiden bisherigen Stellungnahmen waren die Rückmeldungen, die wir aus der Politik bekommen haben, sehr positiv.

 

Sie hätten die Stellungnahme aber auch veröffentlicht, wenn das nicht so gewesen wäre, oder?

 

Köller: Natürlich. Das ist unser Auftrag. Aber es freut uns, wenn die Kultusminister mit uns ein gemeinsames Bewusstsein für die Problematik entwickeln. 

 

"Was meinen wir eigentlich, wenn wir
über Bildung in der digitalen Welt sprechen?"

 

Dann machen wir es doch mal konkret. Was ist Ihre wichtigste Forderung in Ihrer Stellungnahme?

 

Köller: Am wichtigsten ist, dass wir eine Klärung herbeiführen, was wir eigentlich meinen, wenn wir über Bildung in der digitalen Welt oder über digitale Bildung oder über digitales Lernen sprechen. 

 

Und was meinen wir?

 

Thiel: Tatsächlich geistern unscharfe Begrifflichkeiten herum. Besonders fällt mir das auf, sobald in den digitalen Bildungsdebatten von "Content" die Rede ist. Ich habe lange gar nicht verstanden, was damit gemeint sein soll. Geht es um die digitalen Tools oder um die Inhalte, die diese transportieren?

 

Köller: Wir haben deshalb in unserem Papier drei Dimensionen digitaler Bildung beschrieben, die es zu erreichen gilt, und zwar in den unterschiedlichen Bildungsetappen von der Kita bis in die berufliche Bildung. Natürlich immer auf unterschiedliche Weise.  >>> 


Digitalisierung, Maskenpflicht und die Zukunft der KMK

Heute treffen sich die Kultusminister in Potsdam. Gastgeberin ist Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), die dieses Jahr den Vorsitz in der Kultusministerkonferenz führt.

 

Ihre Präsidentschaft hat Ernst unter das Motto "Lernen und Lehren – guter Unterricht in Zeiten der digitalen Transformationen" gestellt und will damit bewusst an die 2016 verabschiedete, damals vielbeachtete KMK-Strategie "Bildung in der digitalen Welt" anknüpfen. Bis Jahresende will die KMK als Update und Ergänzung ein neues Positionspapier verabschieden – inklusive Lehren und Schlussfolgerungen aus der Corona-Pandemie.

 

Die erst im Mai von der KMK gegründete, unabhängige "Ständige Wissenschaftliche Kommission" wurde von den Kultusministern gebeten, dazu eine Stellungnahme zu erarbeiten. Diesen Auftrag haben  sie 16 Stäwiko-Mitglieder sehr weit ausgelegt – und gleich konkrete Leitplanken für eine bildungspolitische Digitalstrategie formuliert, die ihren Namen verdienen würde. 

 

Womit die Stäwiko nach ihren Empfehlungen zum Corona-Aufholprogramm vom Juni zum zweiten Mal eine selbstbewusste Duftmarke gegenüber der Politik setzt.

 

Schon damals sagte der Stäwiko-Kovorsitzende Olaf Köller: "Die Ministerinnen und Minister wussten, dass sie, wenn sie eine unabhängige Kommission einrichten, auch unbequeme  Empfehlungen bekommen." Wichtig sei aber auch, dass Politik wie Wissenschaft bewusst sei: "Nicht alle Empfehlungen, die wir als Wissenschaft machen, müssen oder werden

von der Politik auch eins zu eins umgesetzt werden. Das wäre auch nicht sinnvoll." 

 

Jetzt sind wieder die Bildungsminister dran. Neben der digitalen Bildung haben sie bei ihrem Treffen noch andere dicke Bretter zu bohren: vor allem zur Frage, wie Schulen künftig mit der Corona-Pandemie umgehen sollen – und wie einheitlich die Regeln in den Ländern sein sollten. Die Debatte kulminiert in der Maskenpflicht im Unterricht. Einige Länder haben sie schon ausgesetzt, andere wollen folgen, wieder andere haben das nicht vor. Auch die Mediziner und Virologen sind sich uneins, was zum jetzigen Zeitpunkt, kurz vor einer möglichen Herbstwelle, richtig ist. Formuliert die KMK eine gemeinsame Position, oder lautet die gemeinsame Position: Jeder macht seins?

 

Und dann steht ein Thema an, das trocken wirkt, tatsächlich aber enorm wichtig ist, wenn die Kultusministerkonferenz schlagkräftiger und in der Öffentlichkeit präsenter werden will: die Reform der KMK-Geschäftsordnung, an der schon länger geschraubt wird.

 

Seit Sommer arbeitet eine eigens eingesetzte Struktur Kommission sogar noch grundsätzlicher an der "Weiterentwicklung der Kultusministerkonferenz und des Sekretariats der Kultusministerkonferenz". 

 

Bei Geschäftsordnung und – was noch dauern wird – bei der KMK-Strukturentwicklung geht es um nicht weniger als die künftigen Regeln, mit denen der Bildungsföderalismus künftig seine Gremien und seine alltäglich Zusammenarbeit gestalten will. Etwas Mut dabei könnten die Kultusminister gut brauchen.



>>> Welche Dimensionen sind das?

 

Thiel: Erstens digitale Kompetenzen, die im jeweiligen Fach erworben werden und in die fachlichen Kontexte eingebunden sind, zum Beispiel die Nutzung digitaler Tools im Mathe- oder Deutschunterricht passend zu den jeweiligen Inhalten.

 

Köller: Mein Lieblingsbeispiel sind Simulationen oder Modellierungen, um Prognosen – beispielsweise in der Corona-Pandemie oder in der Klimaforschung – abzugeben. Digitale Tools bieten hier die Chance zu verstehen, wie die Variation von Eingangsgrößen die Vorhersage drastisch verändern kann. 

 

Thiel: Zweitens die informations- und computerbezogene Grundbildung, auch ICT-Literacy genannt, und drittens informatische Kompetenzen wie Programmieren, die sich am besten in einem Fach Informatik vermitteln lassen. 

 

Köller: Diese Unterscheidung ist sehr wichtig, denn das KMK-Strategiepapier von 2016 hat sich im Wesentlichen auf die ICT-Literacy beschränkt. Wie finde ich Informationen im Netz? Wie kann ich Informationen digital aufbereiten? Unbestritten wichtig, aber nur ein begrenzter Ausschnitt der drei Zieldimensionen. Digitale Bildung ist mehr als die Nutzung von PowerPoint für ein Referat oder von Excel im Matheunterricht. 

 

"Es gibt eine Tendenz, die Klassen mit Geräten und spektakulär aussehenden Unterrichtstools zu fluten."

 

Das klingt alles ziemlich basal, um nicht zu sagen: fast schon banal. Wie kann es sein, dass die Schulpolitik so etwas im Jahr 2021 noch explizit gesagt bekommen muss?

 

Köller: Nicht nur die Schulpolitik. Für uns viel wichtiger ist, dass wir alle Akteure im Bildungssystem mit unseren Empfehlungen erreichen. Denn es sind am Ende nicht die Minister, die die Digitalisierung umsetzen. Uns ist wichtig, dass wir noch einmal einen breiten Aufschlag zur Beantwortung der folgenden Frage gemacht haben: Wie kann Schule, wie kann Unterricht die Zieldimensionen digitaler Bildung erreichen?

 

Ich habe nicht den Eindruck, dass die Schulpolitik die von ihnen angeregte inhaltliche Debatte überhaupt geführt hat in den vergangenen Jahren. Eigentlich ging es die ganze Zeit nur um die Verteilung von Tablets, Laptops und die WLAN-Ausleuchtung.

 

Thiel: Ganz so stimmt das sicher nicht. Aber es lässt sich schon beobachten, dass es eine gewisse Tendenz gibt, die Klassenzimmer mit Geräten und spektakulär aussehenden Unterrichtstools zu fluten. Doch der Markt ist unübersichtlich, und die inhaltlichen Angebote sind oft nicht so hochwertig wie behauptet. Wenn Olaf Köller zum Beispiel von Simulationen im naturwissenschaftlichen Unterricht spricht: Richtig gute, die auf den neusten Erkenntnissen der Unterrichtsforschung aufsetzen, gibt es bislang kaum. Da ist ein Forschungs- und Entwicklungsprozess notwendig, den wir aufsetzen müssen.

 

Köller: Dass wir inhaltlich so langsam weiterkommen, liegt auch daran, dass digitale Tools nicht entlang fachdiaktischer Impulse entwickelt werden, sondern meist von Akteuren, deren Stärken in der Informatik liegen. Leider fehlen vielfach noch Impulse aus den Fachdidaktiken oder aus der pädagogisch-psychologischen Forschung zu der Frage: Welches digitale Medium muss ich wie einsetzen, um zu einem bestimmten Lernziel zu kommen? Wir sehen also auch Schwächen in der allgemeinen und fachspezifischen Lehr-Lernforschung, die sich dem Thema bislang eher zurückhaltend genähert hat. 

 

Worin genau sehen Sie die Krise der Politik?

 

Thiel: Um mal mit dem Positiven anzufangen: Die Infrastruktur in den Schulen, von den digitalen Lernplattformen bis zu den Videokonferenz-Tools, hat durch die Pandemie einen großen Sprung gemacht. Aus der Not geboren, ja, aber immerhin hat die Politik dann gehandelt. 

 

Köller: Ich würde auch nicht von Krise sprechen. In vielen Bundesländern sind in mit hohem Tempo Landeslizenzen für Lernsoftware angeschafft worden. Dahinter steckt zugegebenermaßen noch keine nachhaltige Strategie. Aber man hat nicht zuletzt durch den Digitalpakt und das Corona-Aufholpaket die finanziellen Mittel, um Software anzuschaffen, von der man sich verspricht, dass sie Schülerinnen und Schüler beim Lernen unterstützt. So sammelt man Erfahrungen. 

 

"Das Mindset vieler Lehrerinnen und Lehrer
hat sich gedreht in der Pandemie."

 

Ein wildes Shopping der Kultusbürokratie?

 

Thiel: Klar ist das eine Form von Shopping, und das muss durch die von uns geforderte Strategie systematischer werden. Aber die Sondersituation der vergangenen anderthalb Jahre hatte auch ihr Gutes. Das Mindset vieler Lehrerinnen und Lehrer hat sich gedreht in der Pandemie. Vorher hatten viele große Vorbehalte gegen die Digitalisierung. Jetzt sehen viele auch große Vorteile. 

 

Köller: Langfristig kann es aber nicht so sein, dass sich jede Lehrkraft selbst überlegen muss: Was nutze ich in meinem Unterricht? Das Motto darf nicht sein: Ich bin da mal auf dieses oder jenes Tool gestoßen, das probiere ich halt aus. Nein, es braucht ein koordiniertes Vorgehen, das sich durchaus von Fach zu Fach unterscheiden wird. Dafür brauchen die Lehrkräfte Unterstützung und Informationen, welche digitalen Tools im Unterricht wirklich helfen können, so dass die Schülerinnen und Schüler mehr lernen.  

 

Thiel: Das heißt, wir brauchen ein Zertifizierungssystem oder zumindest Empfehlungslisten für eine Übergangszeit, damit die Endabnehmer, die Schulen und Lehrkräfte wissen: Was shoppen wir da eigentlich? Am Ende aber brauchen wir noch mehr, und auch das beschreiben wir im Stäwiko-Papier: eine Forschungs- und Entwicklungsstrategie. Denn das Potenzial digitaler Tools ist noch viel größer. Sinnvoll eingesetzt, könnten sie die Diagnostik und Förderung auf der Ebene der einzelnen Schüler verknüpfen.  

 

Sehen Sie, dass die Politik die strategische Herausforderung annimmt?

 

Köller: Die KMK ist dabei, die Strategie von 2016 weiterzuentwickeln und hat uns um Rat gefragt! Allerdings ist es meines Erachtens noch lange nicht allen Akteuren im Bildungssystem klar, welch tiefgreifender und finanziell aufwendiger Anstrengungen es in Forschung und Entwicklung bedarf, um qualitätsvollen Unterricht unter Nutzung digitaler Tools durchzuführen. 

 

"Eine Strategie des digitalen Wandels, die die vorwiegend reaktive Politik der letzten Jahre ablöst."

 

Thiel: Wir brauchen eine Strategie des digitalen Wandels im Bildungssystem, die die vorwiegend reaktive Politik der letzten beiden Jahre ablöst.  Der große internationale Wettbewerbsdruck auf das Bildungssystem führt zu dem Impuls, alles ganz schnell zu erneuern. Dann bleibt keine Zeit mehr zum grundsätzlichen In-die-Zukunft-Denken. Es muss aber vermieden werden, dass eine kleinteilige Maßnahme auf die andere folgt und am Ende nichts richtig zusammenpasst. Wichtig ist es jetzt, neudeutsch formuliert, das Window of Opportunities zu nutzen. Der Bedarf an nachhaltiger Veränderung in den Schulen ist so groß, und der Wunsch der Politik nach Rat ist es ebenfalls, weil alle verstehen: Entweder setzen wir dieses unkoordinierte Shopping-Modell fort – oder wir planen jetzt zügig die notwendigen Schritte für gelingende Bildungsprozesse in der digitalen Welt. 

 

Was bedeutet dieser Ruf nach Strukturen in der digitalen Bildung für die föderale Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern?

 

Thiel: Sie erwarten nicht ernsthaft, dass wir hier mit einer schnellen Antwort aufwarten und sagen, wie ein künftiges Modell von Zuständigkeiten und Finanzierungsmodellen im Bildungsföderalismus aussehen sollte. Was wir sehen: Es besteht Optimierungsbedarf, wenn zum Beispiel Gelder aus dem Digitalpakt zu langsam abfließen. 

 

Köller: Wenn Sie Ihre Frage aber auch die von uns geforderte Forschungs- und Entwicklungsstrategie beziehen, so lässt sich dazu schon einiges sagen. Der Bund kann überregionale Forschungs- und Entwicklungscluster zur digitalen Bildung finanzieren, dies kann im Rahmen der regulären Forschungsförderung geschehen. Und diese Cluster spielen dann ihre Forschungsergebnisse über Multiplikatoren in die von den Ländern finanzierten Landesinstitute hinein, die wiederum die Lehrkräfte fortbilden. Das wäre ein sehr wichtiger Beitrag zur vorher diskutierten Versorgung der Schulen mit lernwirksamen digitalen Tools.

 

Haben Bund und Länder nicht genau das über die digitalen Kompetenzzentren, die sie verabredet haben, vor?

 

Köller: Die Pläne, die hierzu von Bund und Ländern entwickelt wurden, liegen ja nicht zuletzt durch den Wahlkampf und die aktuelle Herausforderungen bei der Regierungsbildung  erstmal auf Eis. Aber in der Tat geht es um ein solches Modell, wobei nicht die Kompetenzzentren das Neue wären, weil sie in Form der Landesinstitute schon existieren, sondern die überregionalen thematisch gruppierten Forschungs- und Entwicklungscluster, die der Bund finanzieren müsste. 

 

"Der oder die Schulleiterin wird die Aufgabe eines
Chief Digital Officers nicht übernehmen können." 

 

Würde das dann nicht auch eine flächendeckende Fortbildungspflicht erfordern?

 

Thiel: Absolut! Nur müssten alle Länder, bevor sie eine Fortbildungspflicht einführen, erst einmal in ein entsprechend hochwertiges Fortbildungsangebot investieren.  Wenn man den Lehrkräften ein qualitativ minderwertiges Angebot aufzwingt, löst man unnötige Reaktanz aus. Übrigens erleichtern digitale Fortbildungsangebote die Teilnahme, weil sie orts- und zeitunabhängig genutzt werden können. Aber auch hier muss natürlich die Qualität stimmen.

 

Viele Schulen sorgt derweil noch etwas Anderes. Wie geht es weiter, wenn 2024 der Digitalpakt ausläuft?

 

Thiel: In unserem Papier ist die Forderung enthalten, dass die Schulen professionelles und zusätzliches Personal brauchen, um die Digitalisierung nachhaltig gestalten zu können. 

 

Ja, aber wer zahlt für dieses Personal?

 

Köller: Das ist tatsächlich die große Frage, die aber nicht die Stäwiko beantworten kann. Hierfür braucht es politische Antworten. Was wir sagen können: Der oder die Schulleiterin wird die Aufgabe eines Chief Digital Officers oder einer IT-Fachkraft nicht übernehmen können. Damit die digitale Infrastruktur für eine große Schule mit über 1000 Schülerinnen und Schülern und über 100 Lehrkräften funktioniert, ist qualifiziertes Fachpersonal die Voraussetzung, und zwar auf Dauer. 

 

Reden Sie von einem neuen Berufsbild ähnlich den Bildungstechnologen etwa in Estland?

 

Thiel: So etwas in der Art schlagen wir vor: schulische Funktionsstellen im Schnittfeld von mediendidaktischen, fachdidaktischen und informationstechnischen Kompetenzen. Das wären die Personen, um die Medienbildungskonzepte in den Schulen zu koordinieren und einen Basissupport zu gewährleisten. So ein Berufsbild haben wir aber in Deutschland bisher noch gar nicht, insofern ist auch das wieder ein Auftrag an die Hochschulen, zum Beispiel Weiterbildungs-Studiengänge zu schaffen. 



Das heißt, jede Schule braucht künftig einen oder mehrere eigene Systemadministratoren bzw. Bildungstechnologen?

 

Köller: Nicht jede sicherlich, in ländlichen Regionen haben wir teilweise sehr kleine Grundschulen, die Verbünde bilden müssen. Jede halbwegs große Schule wird aber schon Fachpersonal benötigen. 

 

Thiel: Es geht ja auch nicht nur um IT. Jede Schule muss die Nutzung digitaler Tools in ihrem Schulprogramm und vor allem in der Arbeit der Fachkonferenzen verankern. Digitale Bildung ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern erfordert riesige Professionalisierungsanstrengungen. Ohne Geld geht es allerdings auch nicht. Die Politik tut sich vielleicht ein wenig schwer, das auszusprechen. 

 

Dafür hat die KMK ja nun die Stäwiko.

 

Köller: Darum steht die Empfehlung, zusätzliches Personal zu rekrutieren, auch bei uns im Papier, und vielleicht geben wir damit eine Argumentationshilfe, Wege der Finanzierung zu finden. 

 

"Und wann reden wir endlich
über den Datenschutz?" 

 

Thiel: Nur dass die Finanzierungsströme schon zwischen Ländern und Kommunen und deren Zuständigkeiten sehr komplex sind. Ich glaube auch nicht, dass wir nur über Geld sprechen sollten, sondern auch über Qualität. Berlin zum Beispiel gibt viel mehr Geld für seine Schulen aus als Bremen, und beide Bundesländer befinden sich gemeinsam am Ende des Leistungsspektrums bei den bundesweiten Leistungstests. 

 

Köller: Ich finde schon, dass im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung neben der Finanzierung der Forschungs- und Entwicklungscluster für digitale Lehr-Lernumwelten, vergleichbar mit der Struktur der deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, auch ein Bekenntnis zur dauerhaften Finanzierung digitaler Bildung stehen müsste.

 

Thiel: Absolut einverstanden! Man sollte aber in Ruhe überlegen, wie genau. Es gibt ja auch die Option, die Finanzverfassung zu ändern, um Länder und Kommunen finanziell besser zu stellen. Zunächst müssen aber das das Planungsrecht und die Verwaltungsabläufe vereinfacht werden. Nehmen Sie das Bundesprogramm zum Breitbandanschluss, das seit 2015 läuft. Gerade mal elf Prozent von den Milliarden sind innerhalb von sechs Jahren geflossen. Und wann reden wir endlich über den Datenschutz? Jedes Bundesland hat hier ja offensichtlich ein ganz eigenes Verständnis, trotz europäischer Datenschutzgrundverordnung. Dadurch entsteht für die Schulen, die Kollegien und Eltern eine andauernde Rechtsunsicherheit bei der Nutzung digitaler Tools. Hier sollten die Länder dringend gemeinsame Regelungen abstimmen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0