Die Corona-Zahlen steigen wieder kräftiger, besonders unter den Alten nehmen die Neuinfektionen zu. Was bedeutet das für die nächsten Wochen? Und was lässt sich aus dem Herbst 2020 lernen?
Die Corona-Inzidenzkurve: steiler Anstieg im Herbst 2020. Und wie wird der Herbst 2021? Quelle: Statista (Screenshot).
VERGANGENE WOCHE SCHRIEB ICH: Jetzt kommen die entscheidenden Tage. Bis Ende Oktober werden wir sehr viel klarer sehen, wie der Corona-Winter verlaufen wird. Was wir in der vergangenen Woche bereits gesehen haben: Das Wachstum der gemeldeten Neuinfektionen nimmt wieder Fahrt auf, die Dynamik ist erheblich. Es gibt wie berichtet besorgniserregende Parallelen zum Herbst 2020. Es gibt aber auch Anzeichen, die optimistischer stimmen.
1. Deutlich mehr Neuinfektionen, und das Wachstumstempo beschleunigt sich weiter.
Heute meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) eine bundesweite 7-Tages-Inzidenz von 75,1. Das sind 9,3 Punkte bzw. 14,1 Prozent mehr als vor genau einer Woche. Doch unterschätzt diese Wachstumsangabe die Dynamik. Der Prozentwert, um die sich die Inzidenz zur Vorwoche erhöht, steigt derzeit fast jeden Tag. Die Statistiken des Portals "Risklayer", das die Infektionszahlen früher und gleichmäßiger registriert als das RKI, kam bei den gestrigen Neuinfektionen bereits auf +31,7 Prozent zur Vorwoche.
2. Sehr unterschiedliche Entwicklung in den Bundesländern
Die Wachstumskurven der 16 Bundesländer laufen im Moment wieder stärker auseinander. Spitzenreiter bei Inzidenz (147,1) und Wachstum (+51,5 Prozent zur Vorwoche) ist Thüringen. Schleswig-Holstein hat mit 32,6 die niedrigste Inzidenz, Bremen mit -27,9 Prozent den stärksten Rückgang. Insgesamt gibt es sogar vier Bundesländer mit weniger gemeldeten Neuinfektionen im Vergleich zum 12. Oktober: Neben Bremen sind das Hessen (-12,4 Prozent), Rheinland-Pfalz (-6,4 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (-5,6 Prozent). Am heftigsten legten die Fallzahlen neben Thüringen in Sachsen (+33,3 Prozent), Sachsen-Anhalt (+32,7 Prozent) und Bayern (+25,8 Prozent) zu.
Die Beschreibung der Trends wird komplizierter. Zwar bleibt es dabei, dass die Länder mit der besten Entwicklung tendenziell im (Süd-)Westen liegen und drei der fünf neuen Bundesländer die größte Corona-Dynamik zeigen. Aber in beiden Fällen gibt es Gegenbeispiele. Das Saarland (+25,0 Prozent) im Westen, Mecklenburg-Vorpommern (nur +7,6 Prozent) im Osten.
3. Stagnation bei den Kindern und Jugendlichen, weiter stark überdurchschnittliche Zunahme bei den Älteren
Das RKI mag einzelne Spitzen-Inzidenzen bei Schülerinnen und Schülern betonen, absolut gesehen lag die Zahl der registrierten Neuinfektionen zwischen 0 und 19 in der am Sonntag zu Ende gegangenen Kalenderwoche 41 mit 18.402 niedriger als in der zweiten Augusthälfte (KW 34) mit damals 22.437. Das ist die Bilanz nach je nach Bundesland mehr als zwei Monaten Schule. Im gleichen Zeitraum verdoppelte sich die Zahl der pro Woche neuinfizierten über 60-Jährigen laut RKI von 4.359 auf 8.495 – bei einer insgesamt fast identischen gesamtgesellschaftlichen Inzidenz wohlgemerkt.
Und das überdurchschnittliche Wachstum bei den Älteren setzt sich fort. In der vergangenen Kalenderwoche: +15,9 Prozent bei den 60- bis 79-Jährigen und sogar +20,3 Prozent bei den über 80-Jährigen. Zum Vergleich: +6,8 Prozent bei den 0- bis 4-Jährigen, +1,1 Prozent bei den 5- bis 14-Jährigen und +5,4 Prozent bei den 15- bis 19-Jährigen.
4. Auf den Intensivstationen geht es noch seitwärts, in den Krankenhäusern steigt der Anteil Älterer weiter
Gestern wies das bundesweite Verzeichnis der Intensivpatienten mit Corona-Infektion 1.456 Fälle aus, das waren 102 (+7,5 Prozent) mehr als sieben Tage zuvor und ziemlich genau so viele wie vor drei Wochen. Allerdings lässt das starke Wachstum bei den Neuinfizierten über 60 Jahre erwarten, dass es demnächst auch bei den Intensivpatienten deutlicher nach oben geht.
Die erst mit Wochen Verzögerung aussagekräftigen RKI-Angaben zu den Krankenhauseinweisungen lassen sich aktuell nur zu einer Feststellung gebrauchen: Der Anteil der über 60-Jährigen unter allen Krankenhauspatienten, die nachweislich eine Corona-Infektion haben, steigt wie schon seit vielen Wochen immer weiter. Auf 55,6 Prozent in Kalenderwoche 40 (das ist der neuste derzeit verfügbare Wert). Vier Wochen davor waren es noch 41,0 Prozent. Acht Wochen davor 31,2 Prozent.
5. Was zeigt der Vergleich mit 2020?
Im Herbst des vergangenen Jahres war die Entwicklung der Meldezahlen lange ruhiger verlaufen als 2021, doch hoben die registrierten Corona-Neuinfektionen seit Ende September 2020 ab – mit wöchentlichen Wachstumsraten von +50 Prozent und mehr. Der Vergleich der Kalenderwochen 41/2021 (11. bis 17. Oktober) und 42/2020 (12. bis 18. Oktober) zeigt das deutlich. Gesamtzahl der Neuinfektionen 41/2021: 64.147, +14,1 Prozent zur Vorwoche. Gesamtzahl der Neuinfektionen 42/2020: 42.062, +49,6 Prozent. Die heutige 7-Tages-Inzidenz von 75,1 wurde 2020 am 26. Oktober (80,9) überschritten und stieg bis 31. Oktober 2020 rasant weiter auf 110,9.
Wie dargestellt nimmt die Dynamik derzeit wieder stark zu, allerdings haben wir die Wachstumsraten von Oktober 2020 längst nicht erreicht. Auch hier gilt also: Jetzt sind die entscheidenen Tage, wie es weitergeht.
6. Was verhalten optimistisch stimmt
Die Meldezahl der Neuinfektionen unter den über 60-Jährigen klettert überdurchschnittlich, genau wie 2020. Nur dass damals die Entwicklung noch dramatischer verlief. Statt 20,3 Prozent mehr Corona-Infizierte über 80 gab es in der Kalenderwoche 42/2020 binnen Wochenfrist 94,7 Prozent mehr. Und so ging das wochenlang weiter. Hier der Verlauf der Kalenderwochen 40/2020 bis 46/2020 in absoluten Zahlen: 599, 960, 1.869, 3.877, 6.083, 7.437, 8.938. Und das war vergangenes Jahr noch längst nicht der Höchstwert. Zum Vergleich die Kalenderwochen 37/2021 bis 41/2021: 1.700, 1.450, 1.760, 1.965, 2.363. Also: höheres Ausgangsniveau, aber ein flacherer Verlauf. Hoffentlich bleibt es so. Dies wird eine, wenn nicht neben der Hospitalisierungsrate und der Zahl der Intensivpatienten die wichtigste Zahl für die Beurteilung der nächsten Wochen sein. Hier zeigt sich, wie gut die Impfungen noch vor Ansteckungen schützen und wie stark sich auswirkt, dass eine Minderheit der Älteren nicht geimpft ist.
7. Was die Politik jetzt tun muss
Es ist erstaunlich und auch erschreckend, wie parallel weiterhin die öffentliche Corona-Debatte 2021 zu der von 2020 läuft. Das Land diskutiert intensiv über die Schulen und die Corona-Ausbrüche dort, obwohl die Infektions-Statistik für die Kinder und Jugendlichen, seit wieder Unterricht ist, eher Entspannung auf (seit den Ferien) hohem Niveau signalisiert. Währenddessen steigen und steigen die Fallzahlen bei den Älteren. Dass das zuerst kaum einer merkte, weil die absoluten Werte noch so niedrig waren – kann passieren, auch wenn es einem RKI eigentlich nicht passieren dürfte.
Dass aber selbst jetzt der Fokus nicht schleunigst wechselt, verursacht nur noch Kopfschütteln. Wo sind die Mahnungen aus der Politik an die älteren Menschen, sich bitte jetzt dringend sozial zurückzunehmen, auch wenn das wehtut? Wo sind die hektischen (da reichlich späten) Versuche, die Altenheime besser zu schützen? Genau das wäre jetzt die Aufgabe der Regierungen von Bund und Länder, genau das zu fordern und mit Daten zu unterlegen die des RKI.
Soll es wirklich wie im Vorjahr laufen, dass bis zum Aufwachen noch weitere ein bis zwei Wochen vergehen, obwohl man die Entwicklung schon vor ein bis zwei Monaten hätte kommen sehen können?
8. Und was ist mit den Schulen?
Was ein Versagen der Politik schlechthin wäre: wenn sie wie 2020 dann wieder die Kinder und Jugendlichen in Regress nehmen würde. Bei denen es a) seit Schulstart einen Rückgang der Inzidenzen auf breiter Linie gab, b) die Anstiege bis zu den Herbstferien geringer verliefen und c) die absoluten Zahlen der Krankenhaus-Einweisungen weiter gering bleiben. Es ist möglich und wahrscheinlich, dass es wie nach den Sommerferien auch nach dem Herbsturlaub bei den Schülern wieder einen scharfen Anstieg durch die Rückkehr zu den Pflichttests an den Schulen geben wird – das sagt dann aber nichts über den Unterricht aus. Die Corona-Realität des Unterrichts unter Hygienebedingungen haben wir anhand der Zahlen seit Ende August sehen können, und sie sprechen eine deutliche Sprache: Unterricht ist sicherer als kein Unterricht.
Allerdings nur Unterricht unter bestimmten Bedingungen. Was passiert, wenn bei hohen Inzidenzen leichtsinnig gelockert wird, kann man in Thüringen beobachten, wo die Maskenpflicht auch für ältere Jahrgänge fiel und die Pflichttests aufgehoben wurden. In der Altersgruppe der 5- bis 14-Jährigen gab es hier in der vergangenen Woche ein Plus von 23,6 Prozent, bei den 15- bis 19-Jährigen waren es sogar 42 Prozent. Ersteres zwar immer noch unter dem gesamtgesellschaftlichen Zuwachs von knapp 42 Prozent, zweitens ziemlich genau auf demselben Niveau. Aber trotzdem: vermeidbar in der Höhe. Zumindest die Tests müssen jetzt zwingend wieder eingeführt werden.
Natürlich stellt sich dadurch eine Gerechtigkeitsproblem, solange dies nicht gleichermaßen für alle ungeimpften Arbeitnehmer gilt. Aber dieses Gerechtigkeitsproblem im Umgang mit Kindern und Jugendlichen ist ja nicht neu. Und es wird, so bedrückend das ist, immer unwahrscheinlicher, dass sich daran noch etwas ändert.
Kommentar schreiben
Lothar Mosel (Dienstag, 19 Oktober 2021 12:37)
Nun wird es aber Zeit, daß die Spitze BMG gewechselt wird.
René Krempkow (Mittwoch, 20 Oktober 2021 08:49)
Danke für diese differenzierte Darstellung und Mahnung.
Olaf Bartz (Donnerstag, 21 Oktober 2021 21:28)
Ceterum censeo omnes esse boosterendos*as.