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"Ich bin ein eher zurückhaltender Typ"

FU-Präsident Günter M. Ziegler über seinen Konflikt mit der Kanzlerin, die Kritik an seiner Amtsführung, das neue Berliner Hochschulgesetz und seine Pläne, was er im Falle seiner Wiederwahl besser machen will.

Günter M. Ziegler ist seit 2018 Präsident der Freien Universität Berlin – und will es auch bleiben.
Foto: Freie Universität Berlin / David Ausserhofer.

Sind Sie ein Teamplayer, Herr Ziegler? 

 

Ja. 

 

Und was zeichnet Sie als Teamplayer aus?

 

Zuhören, Grundvertrauen ins Team, Kommunikation auf Augenhöhe. Und ich glaube ans Teamplay, auch für die Hochschulleitung: Ich denke, dass die Entwicklung einer Hochschule im Team sehr viel besser gelingt. Hierarchische Leitungsstrukturen mögen in Ministerien oder Krankenhäusern sinnvoll sein, an Hochschulen sind sie es nicht.

 

Sie lassen das Teamwork hochleben und haben trotzdem als Präsident eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die eigene Kanzlerin eingereicht. Ein ziemlich einmaliger Vorgang.

 

Ich habe einen Brief an die zuständige Senatsverwaltung geschrieben, in dem ich um die rechtliche Prüfung von zwei Vorgängen gebeten habe, die aus meiner Sicht unzulässig und nicht akzeptabel sind. Dieser Brief ist offenbar als Dienstaufsichtsbeschwerde gewertet worden.

 

Es geht um den Vorwurf, die Kanzlerin, Andrea Bör, habe an allen Gremien vorbei eine Personalagentur beauftragt, damit bei der anstehenden FU-Präsidentenwahl neben Ihnen weitere Bewerber antreten. An der FU heißt es, Sie selbst hätten diesen Vorwurf an die Medien durchgestochen.

 

Ich habe nichts an die Medien durchgestochen. In der Presse wird ein Schreiben zu diesem Vorgang an Gremiumsmitglieder erwähnt, dieses kam nicht von mir.  

 

Hat denn die Kanzlerin inhaltlich Recht, dass der Universität weitere Bewerber neben Ihnen und vor allem externe Bewerber guttun würden?

 

Um eine optimale Hochschulleitung zu finden, ist es generell gut, breit nach Bewerbungen Ausschau zu halten, intern wie extern. Ob man dafür eine Agentur einschalten muss, sei dahingestellt. Die Leitung der Freien Universität wird aber ohnehin immer öffentlich ausgeschrieben.

 

Aber unter Umständen kann eine Personalagentur schon sinnvoll sein?

 

Das stimmt, aber sie darf nicht unter Umgehung der zuständigen Gremien und von einer Person, die im Verfahren befangen ist, beauftragt werden, wie es in diesem Fall offenbar passiert ist. 

 

Was macht die Kanzlerin in dem Verfahren befangen?

 

Das Kuratorium der Freien Universität wird im Jahr 2026, in der Amtszeit des nächsten Präsidenten oder der nächsten Präsidentin, wieder eine Person für das Kanzleramt wählen. Nach der Teilgrundordnung der Freien Universität steht das Vorschlagsrecht dem Präsidenten oder der Präsidentin zu. Das heißt, die Wiederwahl der Kanzlerin hängt von dem dann amtierenden Präsidenten oder der dann amtierenden Präsidentin ab. 

 

Ist das Verhältnis zwischen Ihnen und Andrea Bör überhaupt noch zu retten?

 

Es geht hier nicht primär um das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und der Kanzlerin.

 

"Es handelt sich um ein inkorrektes, nicht
a
kzeptables Agieren der Kanzlerin"

 

Das sehen viele an der FU anders.

 

Das weiß ich. Das ist aber eine Fokussierung, die von den eigentlichen Problemen ablenkt. Präsident und Kanzlerin haben immer und grundsätzlich unterschiedliche Aufgaben und Perspektiven, die in der Zusammenarbeit abgeglichen werden müssen. Das liegt in der Natur der Sache. Da ist oft Spannung drin, das sieht man quer durch die Republik und quer durch die Zeiten. Im aktuellen Fall handelt es sich aber um ein inkorrektes, nicht akzeptables Agieren der Kanzlerin. Das beziehe ich auch nicht nur auf mich. Schon im Sommer 2013 hieß es in der Presse in Passau: "Kanzlerin und Uni-Chef entzweit". Der Uni-Chef war nicht ich, die Kanzlerin war Andrea Bör. 

 

In Passau hörte damals der Präsident auf, und Frau Bör wurde zur Kanzlerin der FU gewählt.

 

In Passau hörte der Präsident auf, es gab dann auch mit der neuen Präsidentin Konflikte. Frau Bör wurde 2016 Kanzlerin unserer Universität. 


Foto: Sandro Most, CC BY-SA 2.5.

Der 58 Jahre alte Günter M. Ziegler, geboren in München, gehört zu den herausragenden Mathematikern seiner Generation. Er promovierte am MIT, habilitierte an der TU Berlin und erhielt 2001 die wichtigste Auszeichnung für Wissenschaftler in Deutschland, den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis. Das Foto stammt von 2007, als er Sprecher der Graduiertenschule Berlin Mathematical School war und Professor an der TU. 2011 wechselte er an die Freie Universität. Ziegler fungierte als Präsident der Deutschen Mathematikervereinigung und ist Mitglied der Acatech. 2018 wurde er überraschend als Kandidat für die Nachfolge von FU-Präsident Peter-André Alt aufgestellt und erreichte im erweiterten FU-Senat 39 von 61 Stimmen. Für die im Februar 2022 anstehende Wahl hat er erneut seine Kandidatur erklärt. 



Unter Ihrem Vorgänger als FU-Präsident, Peter-André Alt, scheint der Konflikt zwischen Präsident und Kanzlerin aber erstmal nicht so virulent gewesen zu sein. 

 

Ihre erste Frage an mich war, ob ich ein Teamplayer bin. Teams, so, wie ich sie mir vorstelle, bestehen aus Menschen, die unterschiedliche Perspektiven mitbringen, unterschiedliche Interessen und Stärken mitbringen, die sie dann gemeinsam zum Besten einsetzen wollen. In einem Team müssen die Rollen klar verteilt sein, und bei uns gibt die Teilgrundordnung der Freien Universität den Rahmen vor. Der zufolge haben die Kanzlerin oder der Kanzler die Präsidentin oder den Präsidenten in der Amtsführung zu unterstützen. Diese Unterstützung sehe ich derzeit nicht. Deshalb braucht es eine Rollenklärung auf Seiten der Kanzlerin, die kann ich Frau Bör nicht abnehmen.  

 

Wenn Frau Bör diese Rollenklärung gelingt, so verstehe ich Sie, wären Sie bereit, weiter mit ihr zusammenzuarbeiten?

 

Ich habe die Absicht und den Plan, sofern ich die Hochschule und ihre Mitglieder mit meiner Leidenschaft für die Freie Universität erneut überzeugen kann, die Universität weiter zu leiten – und mit einer geklärten Rolle tue ich das auch gern mit Frau Bör im Präsidiumsteam.

 

War die FU-Präsidentenwahl in der Vergangenheit zu sehr eine interne Angelegenheit, manche würden sogar sagen: eine Klüngelei?

 

Das sehe ich nicht so. Die letzten Präsidenten der Freien Universität wurden alle intern gefunden, sie haben sich auch gegen externe Bewerberinnen und Bewerber durchgesetzt, und sie haben dann Großes geleistet. Das Ergebnis, die Universität aus der akademischen Selbstverwaltung heraus durch Professorinnen und Professoren aus dem eigenen Haus zu führen, hat also funktioniert. 

 

So gut, dass man die vorgeschriebenen öffentlichen Stellenausschreibungen immer auf den allerletzten Drücker vorgenommen hatte?

 

Der eigentliche Konstruktionsfehler im Ablauf des bisher üblichen Verfahrens liegt an der Zeitplanung zwischen der Wahl und dem Amtsantritt. 2018 zum Beispiel bin ich am 2. Mai gewählt worden, und schon einen Monat später, am 3. Juni, sollte ich mein Amt antreten. Wenn jemand von außen kommen können soll, um in kritischen Zeiten in die Hochschulleitung einzusteigen, geht das dann einfach nicht, das ist viel zu kurzfristig. Insofern war es richtig, dass der Prozess dieses Mal früher angesetzt wurde. Diesmal soll am 16. Februar gewählt werden mit Amtsantritt Anfang Juli, so dass auch Externe eine realistische Chance haben. 

 

Die Bewerbungsfrist ist gerade abgelaufen. Wie erklären Sie sich, dass nicht einmal die FU-Professorenliste, die Sie 2018 aufgestellt hat, die Vereinte Mitte, bereit ist, Sie diesmal geschlossen als Kandidat zu unterstützen?

 

Die Vereinte Mitte ist eine sehr große und nicht homogene Gruppe. Dass sie aus Leuten mit sehr unterschiedlichen Perspektiven und Interessen besteht, nehme ich zur Kenntnis, das sehe ich auch als eine Stärke.

 

So vielfältig die Vereinte Mitte sein mag: 2018 konnte sie sich sehr wohl auf eine einheitliche Position einigen, jetzt aber kritisieren viele Sie als führungsschwach.

 

Ich stelle mich der Bewertung der Universitätsangehörigen. Mir ist eine Menge gelungen, aber keine Frage: Man kann Aspekte meiner Arbeit auch kritisch sehen. Und diese Kritik nehme ich ernst, und reflektiere sie, um daraus zu lernen. Nur ist die Kritik, die aus der Vereinten Mitte heraus formuliert wird, auch nicht ganz konsistent – wenn die einen sagen, ich würde mich in der Hochschulleitung nicht hinreichend durchsetzen, und die anderen finden, es gebe zu viel Konflikt in der Hochschulleitung. Das passt nicht zusammen.

 

"Ich glaube, dass ich eine Kultur der

Wertschätzung sehr wohl verkörpere."

 

Der Erste Vizepräsident der FU, Klaus Hoffmann-Holland, hat bereits bestätigt, dass er gegen Sie kandidieren wird. Er ist ebenfalls Mitglied der Vereinten Mitte und hat im Tagesspiegel verkündet, dass er der FU Stabilität bringen und eine Kultur der Wertschätzung schaffen wolle. Er wolle die zahlreichen Spannungsverhältnisse an der FU überwinden, sagte Hoffmann-Holland – womit er sagte, dass Sie das nicht geschafft haben, oder? 

 

Das ist eine naheliegende Interpretation. Ich glaube aber, wenn das Ziel eine Kultur der Wertschätzung ist, dass ich eine solche sehr wohl und sehr umfassend verkörpere.

 

Was heißt das? 

 

Wenn in Klaus Hoffmann-Hollands Aussage die implizite Kritik enthalten sein sollte, ich könne keine Kultur der Wertschätzung schaffen, dann nehme ich diese Kritik nicht an. Wertschätzung ist charakteristisch für das, was ich denke und mache, sie ist die Grundlage für meine Arbeit. Das war sie immer, auch schon vor meiner Amtszeit als Präsident. 

 

Sie haben gesagt, Sie hätten nicht alles perfekt gemacht als FU-Präsident. Was ist denn schiefgegangen?

 

Ich habe sehr viel gelernt in den letzten mehr als drei Jahren, und zu dem, was ich gelernt habe, gehört, bei Entscheidungen über wichtige Projekte von Anfang an nicht nur das Präsidium, sondern auch die betroffenen Fachbereiche und Institute mitzunehmen. Das hatte ich nicht immer hinreichend im Blick. 



Was ist Ihre Vision für die nächsten vier Jahre, die Sie der FU anbieten – außer, dass Sie alle irgendwie noch mehr mitnehmen wollen?

 

Wir sind in vielen Bereichen schon auf einem sehr guten Kurs, trotz eines schwierigen Umfelds. Das ist ein Erfolg, das müssen wir besser sichtbar machen, und daran müssen wir weiterarbeiten. Ich hätte mir gewünscht, bei der Formulierung einer übergreifenden Strategie und Profilierung für die Freie Universität gemeinsam mit dem Präsidium schon weiter vorangekommen zu sein. Außerdem muss ich in meiner zweiten Amtszeit neue Akzente setzen, zum einen in einem sehr umfassenden Konzept von Personalentwicklung: Wie gewinnen, halten, fördern und wertschätzen wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Auch hierbei lege ich bewusst einen Fokus auf die Wertschätzung. Zum anderen im Bereich der Forschungsinfrastrukturen, vor allem in der IT: Da läuft bereits ein Strategieprozess, der hat aber bislang noch nicht die Ergebnisse gebracht, die wir brauchen, um uns zukunftssicher als eine forschungsstarke Exzellenzuniversität aufzustellen. Da müssen wir ran, und da muss auch der nächste Präsident oder die nächste Präsidentin ran.

 

"Die Freie Universität ist nie die stillste und

friedfertigste Universität der Welt gewesen."

 

Ist die wichtigste Frage nicht, wie Sie die FU befrieden wollen?

 

Die Freie Universität ist nie die stillste und friedfertigste Universität der Welt gewesen, aber immer eine der kommunikativsten. Ich sehe da keine unlösbaren Konflikte, ich sehe einen lebendigen Austausch, das Ringen um Konzepte und um die Auswahl der Personen, die die Agenda mitbestimmen sollen. 

 

Und wie genau wollen Sie da als Präsident zwischen Team und Führung balancieren?

 

Das Präsidium ist von der Verfassung her ein Kollegialorgan, und deshalb bin ich auch mit einem sehr konsensorientierten Ansatz in mein Amt hineingegangen – mit dem Ziel, Entscheidungen im Präsidium immer erst dann zu treffen, wenn wir einstimmig dazu bereit sind. In den vergangenen 40 Monaten ist das fast immer gelungen, selbst bei äußerst kritischen Fragen. Aber natürlich waren dazu viel Austausch und intensive Diskussionen notwendig und das hat uns auch ordentlich langsam gemacht. Da braucht die Universität und ihr Präsidium in Zukunft mehr Tempo.

 

Und wie wollen Sie Tempo machen?

 

Das ist nicht bei jeder Entscheidungsfindung möglich, aber zum Beispiel indem ich häufiger durchsetze: "Nein, das diskutieren wir jetzt nicht erneut aus, sondern wir stimmen jetzt darüber ab."

 

Sie wollen die Richtlinienkompetenz für sich einfordern?

 

Als Präsident habe ich die Richtlinienkompetenz. So gibt es unsere Teilgrundordnung vor. Der Begriff ist mir aber zu formal, zu juristisch formuliert, erst recht für ein Kollegialorgan und mit meinem Anspruch im Team zu arbeiten. Es geht darum, effektive und nachhaltige Entscheidungen im Präsidium herbeizuführen. Und als Grundlage müssen wir als Präsidium gemeinsam Vorgaben formulieren, an die wir uns alle an der Universität halten können. Im Sinne einer Selbstvergewisserung. In der Vergangenheit war es manchmal so, dass ich sehr grundlegende Dinge für selbstverständlich hielt, die aber nicht ausformuliert waren. Nur, weil ich sie klar sah und keinen direkten Widerspruch bekam, bedeutete das nicht, dass alle schon in dieselbe Richtung unterwegs waren. Das ist aber eine wichtige Grundlage für Transparenz und Verbindlichkeit von Entscheidungen, das ist mir in vielen Gesprächen im Präsidium und mit anderen Hochschullehrern deutlich geworden. 

 

"Spaß zu haben ist ja auch gar nicht

die primäre Aufgabe eines Präsidenten." 

 

Wenn man Sie so reden hört, kommen einem Zweifel, ob es Ihnen eigentlich Spaß macht, FU-Präsident zu sein. Und man könnte fragen: Warum wollen Sie es dann eigentlich überhaupt nochmal werden, Herr Ziegler?

 

Ich kenne die Frage. Vielleicht entsteht der Eindruck, weil ich ein eher zurückhaltender Typ bin, dem man nicht sofort anmerkt, was ihm an welchen Stellen Spaß macht. Am Ende ist das aber eben meine Art und mein eigener Stil. Und Spaß zu haben ist ja auch gar nicht die primäre Aufgabe eines Präsidenten. Was ich nach meiner Erfahrung im Amt aber sagen kann: Ich bin mit großer Freude Universitätspräsident, und damit das so bleibt, muss natürlich die Rückendeckung aus der Universität da sein und das Vertrauen, dass ich meine Aufgabe gut mache – gekoppelt mit kritischen Rückmeldungen als ein für mich wichtiges Korrektiv. 

 

Ein anderer FU-Vizepräsident, Hauke Heekeren, ist zum nächsten Präsidenten der Universität Hamburg gewählt worden. Vorher galt auch er als möglicher und starker Gegenkandidat für Sie hier an der FU. Erleichtert?

 

Ich finde Hauke Heekeren und seine Arbeit großartig, das habe ich immer gesagt. Toll, dass Hamburg sich für ihn entschieden hat. Er hat da eine große und komplexe Aufgabe vor sich, das weiß er. Herzlichen Glückwunsch! Dass er die Freie Universität leiten möchte, habe ich von ihm persönlich nie gehört.

 

Während Sie noch einmal antreten wollen, hat Ihre Amtskollegin von der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, wegen des neuen Berliner Hochschulgesetzes freiwillig ihren Rücktritt angekündigt. Können Sie das verstehen?

 

Das ist ihre persönliche Entscheidung, die ich ausgesprochen respektabel finde.

 

Und warum treten Sie dann nicht auch mit Verweis aufs Berliner Hochschulgesetz zurück? Das wäre doch eine Möglichkeit.

 

Weil wir angesichts dieses Gesetzes jetzt eine große Gestaltungsaufgabe zu bewältigen haben und ich denke, dass mir bei dieser aktuellen Aufgabe eine wichtige Rolle zufällt. Deshalb wäre ein Rücktritt genau das falsche Signal. Das Ziel muss sein, Karrierewege nach der Promotion so zu gestalten, dass sie attraktiv sind, dass für Forschende Perspektiven entstehen. Davon profitiert auch Berlins wissenschaftliche Exzellenz. Das Problem ist: Das funktioniert nicht mit dem Gesetz, so wie es ist, das müssen wir jetzt gemeinsam aushandeln und gestalten, zwischen Hochschulen und Politik, unter Mitwirkung der betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Eine große Aufgabe für die nächsten Monate und Jahre, auf die ich mich freue. Ich bin Mathematiker und gewohnt, schwierige Probleme anzugehen. Das ist eines.

 

Der Ende Oktober aus dem Amt ausgeschiedene Wissenschaftsstaatsekretär Steffen Krach (SPD) hat Sabine Kunst vorgeworfen, sie habe keine einzige Alternativlösung zum umstrittenen Paragraphen 110, Absatz 6 präsentiert. 

 

Die bessere Alternative wäre gewesen, den Absatz wegzulassen, und diese Alternative haben wir sehr wohl vorgeschlagen. Es geht aber gar nicht nur um Paragraph 110, Absatz 6. Es geht darum, dass die Senatsverwaltung in den vergangenen vier Jahren immer wieder zu einem Forum "Gute Arbeit" eingeladen hat, dass die Universitäten dieses Forum aber nie als geeignet erlebt haben, um offen und zielorientiert zu diskutieren. Wir alle sollten uns in der Rückschau fragen, woran das lag.

 

"Mein Appell an alle ist: aufstehen, Staub von

den Händen klopfen, und weiter geht’s."

 

Haben Sie als Universitäten zu lange gedacht, Veränderungen bei Befristungen und Arbeitsverträgen in der Wissenschaft ausbremsen zu können?

 

Das habe ich nicht so erlebt. Wir sollten uns aber trotzdem alle an die Nase fassen, in den Hochschulen und in der Politik, warum wir da nicht vorangekommen sind. Woraufhin kurz vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus einzelne Parlamentarier es für sinnvoll hielten, auf die "#IchbinHanna"-Debatte mit einer gut gemeinten, aber schlecht gemachten Gesetzesänderung zu reagieren. Mein Appell an alle ist: aufstehen, Staub von den Händen klopfen, und weiter geht’s. Und zwar gemeinsam. 

 

Welchen Verhandlungsspielraum werden Sie haben, falls in der neuen Landesregierung genau jene sitzen, die das Gesetz formuliert haben? So könnte Tobias Schulze, der als eine treibende Kraft hinter dem Paragraphen 110 gilt, nächster Wissenschaftssenator werden.

 

Auch wenn es zum größten Teil dieselben Akteure sein mögen wie vor der Wahl, werden auch diese erkannt haben, dass alle sich bewegen müssen. Und wenn Herr Schulze im nächsten Senat für die Wissenschaft zuständig sein sollte, dann werden wir mit Herrn Schulze intensiv über die neu entstanden Probleme diskutieren müssen, die jetzt auf dem Tisch liegen und für die das schnell durchgeboxte Hochschulgesetz noch keine Lösung bietet. 

 

Tobias Schulze hat am Wochenende getwittert, die Exzellenzinitiative sei nur "ein Mitnahmeeffekt". Hätte sich die Unterstützung der Berliner Politik für den Exzellenzverbund erledigt, wenn Schulze Wissenschaftssenator würde? Und wäre es das dann mit den Chancen für eine erfolgreiche erneute Bewerbung? 

 

Ich hoffe, dass er künftig bei der Bewertung eines so wichtigen und komplexen Themas solche verkürzten Sätze in Twitter-Länge weglässt, weil die in der Tat nicht weiterhelfen. 

 

Selbst innerhalb der Berlin University Alliance (BUA) und deren Mitgliedsuniversitäten herrscht verbreitet die Auffassung, dass der Verbund bislang keine Dynamik entwickelt hat und vor allem als Beutegemeinschaft funktioniert. Eine Beutegemeinschaft, deren Mitglieder vor allem darauf achten, bei der Verteilung der Beute ihren Anteil abzubekommen. 

 

Eine solche Stimmung nehme ich manchmal auch wahr. Sie entspricht aber nicht dem, was wir erreicht haben. Die BUA basiert auf einem starken und zukunftsorientierten Konzept, das sehen Sie schon daran, dass wir lange vor der Coronakrise als BUA-Kernthemen auf den sozialen Zusammenhalt und die globale Gesundheit gesetzt hatten. Doch das waren Setzungen von oben, das dritte Thema soll jetzt aus dem Dialog mit der Berliner Stadtgesellschaft kommen, und da wird sich erweisen, dass die BUA schon vom Grundsatz her partizipativ angelegt ist. 

 

"Wir haben in der Pandemie 

gezeigt, was die BUA kann."

 

Im Alltag ist die BUA vor allem durch ein ewiges Ringen um ihre juristische Struktur und Ausgestaltung aufgefallen. 

 

Das war in der Anfangsphase schwierig, und trotzdem haben wir beim Organisationsaufbau Bemerkenswertes geleistet, und das mitten in der Krise. Auf die wir deshalb auch in unserer Forschungsagenda sehr gut reagieren konnten: von der Datenerhebung in der Pandemie über die Modellierung bis hin zur Erforschung des Virus und der Erkrankung selbst. Wir haben da gezeigt, was die BUA kann. Dass wir innerhalb der Allianz viele Förderprojekte als Wettbewerb zwischen den Universitäten konzipiert haben, halte ich für richtig, denn wir wollen ja die besten Ideen identifizieren und fördern. Das mag manchmal auch Frust bei denen auslösen, die dann nicht zum Zug kommen.  

 

Die BUA ist also toll, nur sieht das leider kaum jemand? 

 

Die BUA ist komplex, und ein Teil der Herausforderung wird darin bestehen, das Miteinander, das sie ausmacht, so offen zu halten und so darzustellen, dass man sich dafür begeistern kann, innerhalb der beteiligten Institutionen als auch extern. Da sind wir auch weiterhin dran. 

 

Wieso glauben Sie, dass sich ein linker Wissenschaftssenator für den Exzellenzverbund begeistern und einspannen ließe, wenn doch die Exzellenzstrategie im Grunde allem widerspricht, was die Linkspartei auf Bundes- und auf Länderebene seit Jahren sagt?

 

Erstens wäre es überhaupt gut und wichtig, dass Berlin wieder ein eigenständiges Wissenschaftsressort bekommt. Ausgemacht ist das noch nicht. Derzeit wird offenbar diskutiert, ob die Wissenschaft zur Kultur oder zur Wirtschaft kommt. Zweitens bin ich überzeugt, dass auch ein linker Wissenschaftssenator die absolut zentrale Rolle, die die Wissenschaft für Berlin hat, sehen, anerkennen und fördern muss. Der scheidende Regierende Bürgermeister Michael Müller hat selbst nicht studiert und wusste trotzdem immer, wie wichtig eine exzellente Wissenschaft für die Stadt ist. 

 

Exzellente Wissenschaft ist aber nicht automatisch dasselbe wie Exzellenzstrategie und BUA.

 

Zu einer auch international strahlenden Wissenschaft gehört eine exzellente Wissenschaftsorganisation. Und das ist die BUA. Sie steht für exzellente Arbeitsmöglichkeiten, exzellente Karrierewege, exzellente Forschungsförderung, exzellente Gleichstellung und für Diversität. All das sind Aspekte von Exzellenz, die auch ein linker Wissenschaftssenator vertreten kann. 

 

Herr Ziegler, Ihre eigene Universität, die FU, befindet sich im Wahlkampf, die Technische Universität ebenfalls, an der Humboldt-Universität ist vollends unklar, wie es weitergeht: Wie wollen Sie denn da in den nächsten Monaten, die entscheidend sein werden für die nächste Exzellenzbewerbung, den Verbund weiter voranbringen?

 

Für mich folgt daraus, dass ich mich nicht primär um Wahlkampf werde kümmern können. Viel wichtiger ist: Wir müssen das Hochschulgesetz mit dem Senat neu verhandeln, die neuen Hochschulverträge ebenfalls, wir haben die Exzellenzstrategie und die BUA, alles große Themen, und das wird komplex mit dem neuen Senat. Ich bin aber optimistisch. Ich sehe mich gefordert und stelle mich gerne den Aufgaben.

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Kommentare: 4
  • #1

    Noch 'ne Hanna (Donnerstag, 04 November 2021 12:27)

    Vielen Dank, Herr Wiarda, für das spannende Interview. Es ist schon faszinierend: Ich bin ja auch Volkswirtin und ich sehe solche Konflikte, wie der Konflikt, der im Interview geschildert wurde, als Zeichen einer "scarcity economy". Soll heißen: In den Jahren der Exzellenzinitiave entstand der irreführende Eindruck, dass es in der Wissenschaft den "free lunch" gibt: Es stand genügend Geld zur Verfügung, damit die Hochschulleitungen und die "Statusgruppe" der Professor:innen ihre Ziele verfolgen und durchsetzen konnten. Unter der Oberfläche schwelte es aber und das fiel nicht auf, weil sich andere "Statusgruppen" kaum Gehör verschaffen konnten. Erst kam das Thema "Machtmissbrauch" auf, dann wurde #IchBinHanna virulent. Durch die Corona-Krise schrumpft das real verfügbare Budget für die Wissenschaft, teilweise weil tatsächlich Mittel abgezogen werden müssen, teilweise weil die Aufwüchse mit der anziehenden Inflation nicht mithalten können. Und plötzlich fällt auf, dass die Hochschulleitungen ihren Job vielleicht doch nicht sooo gut machen, wie man während der "Wissenschaftswunder-Jahre" gedacht hatte. Der Wettbewerb verschärft sich, es brechen Konflikte zwischen den Verantwortlichen für Forschung und Lehre und den Haushaltsverantwortlichen auf, die es in den Jahrzehnten vor 2010 regelmäßig gegeben hat, aber die in den letzten zehn Jahren kaum eine Rolle gespielt haben. Faszinierender, spannender Stoff - wenn man nicht das Pech als Post-Doc mit einer prekären Existenzgrundlage direkt betroffen zu sein.

  • #2

    MüderProf (Samstag, 06 November 2021 07:18)

    Das Interview ist interessant und gibt einen guten Einblick in einen offensichtlich regelgeleiteten und eher zurückhaltenden Führungsstil des Präsidenten. Mehr würde mich allerdings ein Interview mit der Gruppe interessieren, die einen neuen Präsidenten wünscht. Mich interessiert, ob es tatsächlich um die Bereinigung eines Konflikts mit der Kanzlerin und um eine bessere Kultur des Miteinander geht. Oder ob es darum geht, dass die (an jeder Universität) notwendigen Veränderungen und Weiterentwicklungen verhindert werden sollen. Dazu ist die Auswechslung des Führungspersonals immer eine gute Maßnahme. Bis eine neue Person sich eingearbeitet hat, ist die Wahlperiode schon wieder vorbei: Dann behält man das Personal, das nichts verändern will oder kann, oder man sucht sich einen neuen unbedarften Kopf.

  • #3

    Lichterfelder (Montag, 08 November 2021 09:34)

    Warum keine Frage zur Causa Giffey/ Börzel? Zieglers Tatenlosigkeit in dem Zusammenhang hat viele an der FU verärgert.

  • #4

    UndJetzt (Donnerstag, 11 November 2021 17:56)

    Das Interview zeichnet das Bild eines Menschen, der zur Führung einer so großen Einrichtung wie einer Universität nicht geeignet ist. Herr Ziegler war als Mathematiker sehr erfolgreich, aber einer Universität Richtung und Halt zu geben, scheint ihm nicht gegeben.

    Er versteht recht einfache Anforderungen an einen Präsident*in nicht, z.B. in der Aussage "Nur ist die Kritik, die aus der Vereinten Mitte heraus formuliert wird, auch nicht ganz konsistent – wenn die einen sagen, ich würde mich in der Hochschulleitung nicht hinreichend durchsetzen, und die anderen finden, es gebe zu viel Konflikt in der Hochschulleitung. " Das ist ein und derselbe Vorwurf nur ein bisschen anders formuliert. Konflikte konstruktiv lösen und sich damit auch durchsetzen ist ein wichtiges Kennzeichen guter Führung. Statt dessen tun scheinbar in diesem Präsidium alle so, als wenn nichts los wäre.

    Es fehlt ihm an Durchsetzungkraft. Es fehlt ihm leider auch an Ideen für die Zukunft seiner Uni, siehe Antworten gegen Ende. Die FU täte gut daran, jemand anderen zu suchen.