Der wissenschaftspolitische Teil des Koalitionsvertrages ist ein Mutmacher, das Versprechen eines wirklichen Aufbruchs. Organisiert werden soll er vor allem über die Hochschulen. Gut so.
SOLCHE SÄTZE haben die Hochschulen schon oft gehört. Sie seien "das Herz des Wissenschaftssystems", schreiben SPD, Grüne und FDP in ihrem am Mittwochnachmittag vorgestellten Koalitionsvertrag. In der Vergangenheit ist aus solchen Beschwörungen führender Politiker allerdings meist wenig Konkretes gefolgt, das die eklatante Ungleichbehandlung der Hochschulen und vor allem der Hochschullehre im Vergleich zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen verringert hätte.
Das, versprachen die Ampel-Parteien schon vor Wochen, solle jetzt anders werden. Sie wollten die Hochschulen mit dem Rest des Wissenschaftssystems "auf Augenhöhe" heben. Was aus der zuständigen Verhandlungsgruppe drang, klang dann bereits vielversprechend. Und wer jetzt die Ankündigungen von SPD, Grünen und FDP im Ampel-Koalitionsvertrag liest, bekommt tatsächlich Hoffnung, dass das mit der Augenhöhe gelingen könnte.
Am wichtigsten: Die Hochschulen sollen jedes Jahr mehr Bundesgelder erhalten, schon von 2022 an über den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken". Drei Prozent mehr, kofinanziert von den Ländern, analog zum Pakt für Forschung und Innovation für Max Planck, DFG und Co. Die darüber schon seit anderthalb Dekaden jedes Jahr ein garantiertes Plus überwiesen bekommen.
Und wer meint, diese Priorität falle leicht, weil die Ampel zugleich im Koalitionsvertrag verspricht, schon bis 2025, also bis zum Ende dieser Legislaturperiode, die gesamtstaatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen, der vergisst: Investitionen in die Hochschullehre zählen bei den F&E-Ausgaben nicht mit.
Zudem soll es einen Digitalpakt Hochschule geben, den die Länder seit anderthalb Jahren fordern, den Noch-Bundesforschungsminsterin Anja Karliczek (CDU) ihnen aber bislang stets verweigert hatte. Der Digitalpakt wird allerdings nicht so heißen, sondern schlicht "Bundesprogramm Digitale Hochschule", und er soll breit angelegt "Konzepte für den Ausbau innovativer Lehre, Qualifizierungsmaßnahmen, digitale Infrastrukturen und Cybersicherheit" fördern.
Spannend ist auch, dass die Ampel sich ans Kapazitätsrecht heranwagen will. Wie genau, sagt sie zwar nicht, aber allein die Absicht ist schon der Erwähnung wert nach Jahrzehnten des politischen Stillstands bei dem Thema.
Und wie von den SPD-, grün und unionsregierten Ländern sowie vom zuständigen Expertengremium gefordert, soll es mehr Geld für zusätzliche Cluster in der Exzellenzstrategie geben, und besondere Unterstützung sollen Verbünde erhalten, "die Anträge für kooperative oder interdisziplinäre Exzellenzcluster erarbeiten". Das "kooperative" auf Wunsch der SPD, das "interdisziplinäre" auf Wunsch der Grünen. Etwas seltsam mutet der Halbsatz an, die Anträge dieser Verbünde sollten im Wettbewerb "gleichberechtigt" behandelt werden – handelt es sich doch, wie Wissenschaftspolitiker normalerweise nie müde werden zu versichern, um einen rein wissenschaftsgeleiteten Prozess.
Vor allem die Hochschulen für angewandte Wissenschaften wird freuen, dass eine Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) gegründet werden soll, "um soziale und technologische Innovationen insbesondere an den HAW und kleinen und mittleren Universitäten" zu fördern – in Zusammenarbeit mit Startups, kleinen und mittleren Unternehmen sowie sozialen und öffentlichen Organisationen. Auch dies der Ergebnis einer jahrelangen Debatte, politisch vorangetrieben vor allem von der FDP und den Grünen.
Vor wenigen Tagen erst hatte die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in einer Pressemitteilung davor gewarnt, bei der Antragsberechtigung eine willkürliche Grenze anhand der Studierendenzahl einzuziehen – offenbar zum Unmut vieler in der HRK vertretenen HAWs. Die im Koalitionsvertrag gewählte Formulierung "insbesondere an den HAW und kleinen und mittleren Universitäten" fällt in der Hinsicht nun maximal unscharf aus, hier bedarf es einer Klärung, ob vor allem die großen Technischen Universitäten nun faktisch draußen bleiben oder nicht. Unter dem Dach der DATI sollen laut Koalitionsvertrag die bestehenden HAW-Förderprogramme vereint werden, dazu "perspektivisch" die relevanten Förderprogramme aus den verschiedenen Ressorts, also auch AIF & Co, die zurzeit beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt sind. Was dieses dazu sagen wird, ist offen.
Zur Herstellung der Augenhöhe mit den Außeruniversitären gehört, dass künftig auch die Akademien der Wissenschaften nach PFI-Vorbild einen jährlichem Budgetzuwachs erhalten, ebenso der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und die Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH). Während die Außeruniversitären stärker als bisher an die Kandare gekommen werden. So müssen sie nun doch einen Teil ihres jährlichen Zuwachses in den seit Jahren geplanten, aber nie umgesetzten "Strategieentwicklungsraum" investieren. Außerdem kündigen SPD, Grüne und FDP an, bis zur Zwischenevaluation der aktuellen PFI-Phase 2025 "Transparenz über den Stand der Zielvereinbarungen" herzustellen und "Mechanismen" zu entwickeln, um die bisher ziemlich locker interpretierten Zielvereinbarungen verbindlicher zu machen.
In Sachen "#IchbinHanna"-Debatte reagiert die künftige Koalition ebenfalls und verspricht, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz "auf Basis der Evaluation", die im Frühjahr ansteht, zu reformieren. So weit, so erwartbar und allgemein. Ein wenig konkreter wird der Koalitionsvertrag dann aber doch: Die Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Postdoc-Phase solle "deutlich" erhöht werden, es sollen "frühzeitiger Perspektiven" für alternative Karrieren geschaffen werden. Letztere vor allem durch ein neues Bund-Länder-Programm, das Best-Practice-Projekte für solche alternativen Karrieren "außerhalb der Professur" fördern soll, außerdem Projekte für ein besseres Diversity-Management oder auch für "moderne Governance-, Personal- und Organisationsstrukturen". Bemerkenswert: Das Tenure-Track-Programm soll verstetigt und sogar noch ausgebaut werden, auch das Professorinnenprogramm wollen SPD, Grüne und FDP "stärken".
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wiederum wird freuen, dass ihr Slogan" Dauerstellen für Daueraufgaben" Einzug in den Koalitionsvertrag gefunden hat, auf diese will die Ampel "hinwirken" und außerdem die Vertragslaufzeiten von Promotionsstellen an die gesamte erwartbare Projektlaufzeit knüpfen.
Irgendwie schillernd und doch nur schemenhaft erkennbar ist die neue "Zukunftsstrategie Forschung", die die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag ankündigt. "Programmlinien, Hightech-Strategie und Ressortforschungen" sollen, so heißt es "missionsorientiert" weiterentwickelt werden. Dabei sollen auch "gewagte Forschungsideen einen Platz finden", und die Forschungsbedarfe sollen "ressortübergreifend, schneller und wirksamer adressiert werden". Nach dieser so richtigen wie nebulösen Ansage folgt eine Stoffsammlung möglicher "Zukunftsfelder" von einer wettbewerbsfähigen und klimaneutralen Industrie über Klima, Biodiversität und Nachhaltigkeit bis hin zu einem vorsorgenden, krisenfesten und modernen Gesundheitssystem, technologischer Souveränität und gesellschaftlicher Resilienz, Geschlechtergerechtigkeit und Zusammenhalt. Letztere drei Begriffe klingen fast so, als hätte man dann doch sicherstellen wollen, zumindest ein geistes- und sozialwissenschaftliches Zukunftsfeld dabei zu haben. Doch was genau passiert künftig auf diesen Feldern? Der Koalitionsvertrag bleibt eine klare Antwort schuldig – auch wenn sie zweifellos recht hat, dass das bisherige Sammelsurium an forschungspolitischen Strategien der Bundesregierung dringend einer neuen Ordnung bedarf.
Dafür ist er sehr konkret dabei, dass die Ampel unter anderem "Innovationsregionen nach britischen Vorbild schaffen und dafür Handlungsspielräume des nationalen und europäischen Rechts nutzen und ausweiten" will – "Free Enterprise Zones" a.k.a. Sonderwirtschaftszonen in Deutschland? Eine faszinierende und – angesichts des staatlichen Modernisierungsproblems – mutige Vision. Vor allem im Zusammenspiel mit einer dann hoffentlich durchdeklinierten Zukunftsstrategie.
Und schließlich legen sich SPD, Grüne und FDP auch noch indirekt mit dem Wissenschaftsrat an. Dieser hatte sich erst kürzlich dagegen ausgesprochen, die Wissenschaftskommunikation systematisch bei der Bewilligung von Fördermitteln zu verankern. Genau das hat die Ampel vor – wie auch die (weniger umstrittene, aber vor wenigen Jahren noch unvorstellbare) Einrichtung einer unabhängigen Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus.
Insgesamt ist das, was die Ampelparteien an Plänen zu Wissenschaft, Hochschulen und Innovation aufgeschrieben haben, ein echter Mutmacher, das Versprechen eines wirklichen Aufbruchs im Wissenschaftssystem. Die Leerstellen des Sondierungspapiers, in dem Hochschulen und die Förderung der Grundlagenforschung praktisch nicht vorkamen, haben SPD, Grüne und FDP ambitioniert gefüllt – und dabei die Balance zwischen Hochschulen und außeruniversitärer Forschung neu justiert. Was schon die Große Koalition bei den Paktverhandlungen vor zweieinhalb Jahren hätte tun müssen, aber unterlassen hat.
Allein ein Risiko besteht darin, dass über der Vielzahl an im Koalitionsvertrag enthaltenen Ideen, Vorhaben und Initiativen so viele Erwartungen geweckt werden, dass die nächste Bundesforschungsministerin – Bettina Stark-Watzinger von der FDP – aufpassen muss, sich bei der Umsetzung nicht zu verzetteln. Und doch: Wenn jetzt noch die Bekenntnisse zu einer missionsorientierten Forschung, zu einer konsequenten Innovationsförderung und zu besseren Karrierechancen in der Wissenschaft in einer großzügigen, konsequenten und möglichst unkomplizierten Umsetzung münden, dann könnten sich die Ampelparteien die Vorschusslorbeeren, die sich selbst bereits gegönnt haben, tatsächlich verdienen. Dann wären sie wirklich eine "Fortschrittskoalition".
Hinweis am 25. November: In der Passage zur DATI habe ich einen Satz geändert/ergänzt.
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Barbara Ebert (Mittwoch, 24 November 2021 21:16)
Ein Bekenntnis zu ausreichender Grundfinanzierung der Hochschulen, die auch die Forschung wieder unabhängiger von Projektförderung macht, wäre mir lieber gewesen. So läuft es doch nur wieder um Steuerung über Geld hinaus, um das man sich bewerben muss.
Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 24 November 2021 21:20)
@ Barbara Ebert: Aber die Mittel des Zukunftsvertrags gehen doch jetzt in die Grundfinanzierung ein? Und nur für diesen Teil kann der Bund ja ein Bekenntnis abgeben, oder?
Beste Grüße!
Ihr J-M Wiarda
Peter-André Alt (Donnerstag, 25 November 2021 09:03)
Zustimmung zu Jan-Martin Wiardas Einschätzung in allen Punkten: ein für die Hochschulen erfreulicher Schritt nach vorn, wie ihn die HRK lange schon gefordert hat. Nur eine abweichende Bewertung: Dass die großen Technischen Universitäten bei der neu zu errichtenden “Deutschen Agentur für Transfer und Innovation” (DATI) außen vor bleiben, ergibt sich so nicht aus dem Wortlaut des Koalitionsvertrags (S.20, Z.597ff.) und wäre auch nicht im Sinne einer wissenschaftsgeleiteten Förderstruktur. Beim Aufbau dieser Agentur wird es wesentlich darauf ankommen, die Vielfalt der unterschiedlichen Projektstrukturen, Kooperationsformate und Arbeitskulturen im Bereich der anwendungsorientierten Forschung angemessen, sachgerecht und chancengleich über alle Hochschultypen hinweg zu organisieren. - Unbedingt positiv und zum Wiarda-Bericht zu ergänzen: die lange überfällige Erhöhung der Programmpauschalen der DFG wird nun bis 2030 schrittweise vollzogen und umgesetzt. Auch das eine richtige Weichenstellung für das Hochschulsystem und seine Spitzenforschung.
Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 25 November 2021 09:41)
Lieber Herr Alt,
vielen Dank für Ihren Kommentar, das mit den Programmpauschalen gehört tatsächlich noch erwähnt!
Was die DATI angeht, scheint mir der Text des Koalitionsvertrags an dieser Stelle tatsächlich uneindeutig zu sein. Es heißt, es sollten Innovationen "insbesondere an den HAW und kleinen und mittleren Universitäten" gefördert werden. Also: kein formaler Ausschluss? Aber faktisch dann doch? Jedenfalls schärfe ich die Stelle in meinem Text auf Ihren Hinweis Hin nach.
Vielen Dank dafür und viele Grüße
Ihr J-M Wiarda
Maik Eichelbaum (Donnerstag, 25 November 2021 13:46)
Sehr geehrter Herr Wiarda, sehr geehrter Herr Kollege Alt,
die Formulierung "insbesondere an den HAW und kleinen und mittleren Universitäten" taucht in fast wortgleicher Form auch in der Bund-Länder-Vereinigung zur Förderinitiative "Innovative Hochschule" auf ("insbesondere Fachhochschulen sowie kleine und mittlere Universitäten"). Und jetzt schauen Sie gerne nach, wieviele große Universitäten und TUs in diesem Rahmen gefördert wurden, nämlich keine. Das sollte also ein Fingerzeig sein, wie diese Formulierung zu interpretieren ist. Erwarten Sie hier also keine Nachschärfungen. Das ist aus meiner Sicht auch nicht notwendig, denn die DFG "verbietet" in ihren Programmlinien auch nicht die Bewerbung von HAWs, dennoch spielen sie bei der Mittelvergabe fast keine Rolle. Die Feinsteuerung lässt sich daher sehr gut über die Ausgestaltung des Begutachtungsprozesses und vor allem der darin involvierten Personen regeln, die bei der DFG nun einmal vorrangig Universitätsprofessoren sind. Ein expliziter Ausschluss großer Unis und TUs würde der neuen Agentur dagegen Flexibilität nehmen und sinnvolle Einzelfallentscheidungen ausschließen. Gönnen wir uns daher doch diese Grauzone, auch wenn uns Deutschen so etwas schwer fällt. Trotzdem kann es doch keinen Zweifel daran geben, dass der angewandten Forschung an den HAWs (und kleinen und mittleren Unis) nun endlich ein besonderer Stellenwert eingeräumt werden sollte, wenn wir hier noch mehr Professionalität und Transfererfolge erzielen wollen, und vor allem wenn die Arbeitsteilung und Zweiteilung des Hochschulsystems in HAWs und Universitäten, wie auch von den Unis gefordert, aufrecht erhalten werden soll. Die großen Unis haben bereits die Exzellenzstrategie und DFG, also lassen Sie "uns" die Innovative Hochschule und DATI.
Mit freundlichen Grüßen
Maik Eichelbaum
Paul Kleve (Donnerstag, 25 November 2021 14:32)
Lieber Herr Wiarda,
eine eingängige Analyse der ersten Seiten!
Hoffentlich bringt uns das auch im Mittelbau einen großen Schritt voran.
Wissen Sie schon etwas über die weitere Personalplanung im BMBF? Zuständige Themen und Staatsekretariate?
Mit freundlichen Grüßen
PK