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Debatte um degradierte Max-Planck-Direktorin: Jetzt melden sich MPG-Doktoranden zu Wort

Frauen werde schneller Führungsfehlverhalten vorgeworfen – doch die Schlussfolgerung könne nicht sein, Vorwürfe gegen sie weniger zu beachten. Stattdessen müssten junge Wissenschaftler auch vor männlichem Machtmissbrauch besser geschützt werden.

DIE ENTLASSUNG DER ARCHÄOLOGIN Nicole Boivin aus ihrer Position als Direktorin am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena hat eine neuerliche Debatte über den Umgang mit Machtmissbrauch in der Wissenschaft ausgelöst. Nicht nur, aber ganz speziell in der Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Nach einem Offenen Brief von 145 Wissenschaftlerinnen hat am Donnerstagabend nun auch das MPG-Doktorennetzwerk "Max Planck PhDnet" eine Stellungnahme veröffentlicht, Überschrift: "Beurteilt die akademische Welt das Verhalten weiblicher Führungskräfte strenger?"


Wie es weiterging: Siehe Update
vom 16. Dezember am Ende des Artikels


Zuerst hatte Science Ende Oktober berichtet, dass die 51 Jahre alte Boivin degradiert worden war und nur noch als Forschungsgruppenleiterin am Institut bleiben soll. Grund seien mehrjährige Untersuchungen über das angebliche Führungsverhalten Boivins gewesen. Nature berichtete später, der kanadischen Forscherin werde eine schlechte Behandlung junger Wissenschaftler und die Aneignung wissenschaftlicher Ideen von Kollegen vorgeworfen, weswegen MPG-Präsident Martin Stratmann Boivin am 23. Oktober ihre sofortige Abberufung vom Direktorenposten mitgeteilt habe.

 

Berichte in Science und Nature: Mehr öffentliche Beachtung in der internationalen Wissenschaftswelt geht nicht.

 

145 Wissenschaftlerinnen und ihr Offener Brief
über Gender-Bias in der Wissenschaft

 

Boivin bestreitet alle Vorwürfe und wehrt sich gerichtlich gegen die Kündigung. Sie will kurzfristigen Rechtsschutz erreichen, der es ihr erlauben würde, als Direktorin weiterzumachen, bis die Hauptsache entschieden ist. 

 

Vor zwei Wochen unterzeichneten dann zunächst 145 Wissenschaft­lerinnen aus aller Welt einen Offenen Brief, um ihre "Sorge angesichts der weithin bekannt gewordenen Entlassungen, Degradierungen und Konflikte im Zusammenhang mit Direktorinnen von Max-Planck-Instituten auszudrücken". Sie forderten die MPG auf, ihren Umgang mit weiblichen Führungskräften zu überprüfen.

 

Ohne Bezug zum konkreten Fall und zur MPG stellten die Unterzeichnerinnen fest, dass Frauen in Leitungspositionen kritischer beurteilt würden als Männer und dass Vorwürfe von Fehlverhalten gegenüber weiblichen Führungskräften viel häufiger gemacht würden als gegenüber ihren männlichen Kollegen. Die Max-Planck-Gesellschaft habe daher die "Pflicht sicherzustellen, dass Frauen und internationale Forschende, die als MPG-Direktoren rekrutiert werden, nicht auf diskriminierende Bedingungen stoßen." Außerdem müsse die MPG proaktiv diejenigen Umstände identifizieren und beseitigen, die zu künftigen Missständen führen könnten, "inklusive der schlechten Behandlung, Belästigung und dem Mobbing von weiblichen Führungskräften".

 

Unabhängig vom dem Brief zeigte sich die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard laut Spiegel "fassungslos" von dem neuen Fall, und der frühere MPG-Vizepräsident Herbert Jäckle erklärte, er könne die Vorwürfe gegen Boivin nicht beurteilen, doch: "Die Max-Planck-Gesellschaft hat leider ein Frauenproblem."

 

MPG: "Können nicht bestätigen, dass
mehr Frauen als Männer belastet werden"

 

MPG-Sprecherin Christina Beck sagte auf Anfrage, die Max-Planck-Gesellschaft könne "zu dem spezifischen Fall, auf den sich der Open Letter bezieht, aus personalrechtlichen Gründen keine Auskunft geben." Die 145 Wissenschaftlerinnen hätten den Brief "daher auch ohne jede Detailkenntnis in dem Fall" geschrieben. Grundsätzlich gelte aber: "In den vergangenen zehn Jahren wurde genau zwei Direktor*innen wegen nichtwissenschaftlichen Fehlverhaltens ihre Leitungsfunktion entzogen – dies betraf einen Mann und eine Frau."

 

Beide Fälle seien öffentlich – womit Beck neben Nicole Boivin offenbar auf den US-Amerikaner Ian T. Baldwin anspielt, der nach Untersuchungen von Mobbing-Vorwürfen seit Ende 2020 nicht mehr Direktor am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie (ebenfalls in Jena) ist.

 

Darüber hinaus hätten, so Beck, eine Direktorin und ein Direktor auf ihre Leitungsfunktion verzichtet, letzterer temporär für mehrere Jahre, wobei dessen Fall nicht öffentlich geworden sei. Bei der Direktorin, die verzichtet hat, handelt es sich offenbar um Tania Singer, die im Dezember 2018 von ihrem Amt als Direktorin der Abteilung Soziale Neurowissenschaften am Max-Planck-Institut in Leipzig zurückgetreten war. 

 

Martin Grund, Doktorand am Max-Planck-Institut in Leipzig und Vorsitzender des Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie Mitteldeutschland, sagt allerdings, er sei "von der Zählweise und dem Framing der Generalverwaltung überrascht". So könne bei Singer von Verzicht keine Rede sein, wenn eine Kommission "erhebliches Führungsfehlverhalten" feststelle. "Wie auch an Hochschulen sind die rechtlichen Möglichkeiten leider häufig sehr eingeschränkt und ein langer Rechtsstreit ist nachteilig für Doktorand*innen und Postdocs."

 

MPG-Sprecherin Beck berichtet weiter: Die 2019 eingerichtete Stabsstelle "Interne Untersuchungen", an die sich Mitarbeiter wenden können, habe bislang in 23 Fällen zentrale Verfahren eingeleitet, bei insgesamt etwa 1000 wissenschaftlichen Führungskräften in der MPG. In fünf Fällen sei dabei ein nicht-wissenschaftliches Fehlverhalten bestätigt wurde, wovon es sich nur in einem Fall um eine weibliche Führungskraft gehandelt habe. Vor diesem Hintergrund "können wir nicht bestätigen, dass mehr Frauen als Männer belastet würden".

 

MPG-Doktorandenvereinigung: Gegenmaßnahmen
müssen weiter ausgebaut werden

 

Die am Donnerstagabend veröffentlichte Stellungnahme des "Max Planck PhDnet" rechnet indes anders. "Innerhalb der MPG mussten sich in den letzten Jahren vier von 54 Direktorinnen (7,4 Prozent) offiziellen und öffentlichen Mobbingberichten und ihren Folgen stellen. Bei den männlichen Direktoren traf dies nur auf einen von 250 oder 0,4 Prozent zu." Während in einer Umfrage" des "Max Planck PhDnet" von 2019 jedoch  13 Prozent der Promovierenden angaben, sie hätten Mobbing durch einen Vorgesetzten erlebt.

 

"Ist es also möglich", schreiben Lea Heckmann, Sarah Young, Hang Liu und Lindsey Bultema vom "Max Planck PhDnet", "dass die psychologische Barriere niedriger ist, begründete Beschwerden gegen weibliche Führungskräfte zu äußern, aber gleichzeitig männliche Direktoren immer noch mit Mobbing und Machtmissbrauch davonkommen?"

 

Aus den Ergebnissen einer weiteren Umfrage von 2020 ziehen die jungen MPG-Forschenden folgende drei Schlussfolgerungen: Erstens würden Konflikte mit weiblichen Führungskräften entweder eher gemeldet oder eher als schwerwiegend genug wahrgenommen, um sie zu melden. Zweitens: "Es ist weniger wahrscheinlich, dass Konflikte mit etablierten Direktor*innen gemeldet werden". Und drittens: "Die meisten etablierten Direktor*innen sind männlich."

 

Also ja, sei "eine eindeutig geschlechtsspezifische Differenzierung beim Meldeverhalten von erlebten Konflikten unserer Promovierenden" zu sehen. Doch dürfe die Reaktion auf dieses Bias nicht darin bestehen, die derzeitigen Gegenmaßnahmen wieder zu limitieren. Stattdessen plädiert das "Max Planck PhDnet" für "einen weiteren Ausbau dieser Maßnahmen und einen besseren Schutz von Nachwuchswissenschaftler*innen, die mit Mobbing und Machtmissbrauch konfrontiert sind, unabhängig vom Geschlecht ihrer Betreuenden."

 

MPG-Sprecherin Beck versichert, natürlich sei die MPG bestrebt, ihre Direktorinnen und Direktoren vor ungerechtfertigten Anschuldigungen zu schützen. "Genauso muss es uns aber ein Anliegen sein, den wissenschaftlichen Nachwuchs vor Machtmissbrauch durch die Leitung zu schützen." Die MPG müsse Hinweisen auf Fehlverhalten ihrer Direktorinnen und Direktoren in alle Richtungen nachgehen und bei festgestellten Verstößen angemessen reagieren. "Das ist keine Frage des Geschlechts!", betont Beck. "Wir haben eine Fürsorgepflicht gegenüber allen Mitarbeitenden und dieser Pflicht kommen wir selbstverständlich nach."

 

Mehr Fairness gegenüber weiblichen Führungskräften: ja. Aber nicht, indem künftig deren mutmaßliches Fehlverhalten genauso oft unbeachtet bleibt wie das von Männern – das ist das Kernanliegen des "Max Planck PhDnet". Ihr Positionspapier dürfte die Debatte weiter beleben.

 

Hinweis: Ich habe den Artikel am 3. Dezember um 13 Uhr um ein Statement des MPG-Doktoranden Martin Grund ergänzt.

 

 

Nachtrag am 16. Dezember:  

Der Spiegel berichtet in einem sehr interessanten Stück über die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin zugunsten Boivins. Es sei dabei allerdings ausschließlich um Verfahrensfragen gegangen. "Sofern das Kammergericht diese Entscheidung nicht aufhebt, bleibt die kanadische Wissenschaftlerin Institutsdirektorin, bis das Hauptsacheverfahren klärt, ob sie zu Recht degradiert wurde."

 

In der MPG rumore es nun immer stärker, schreibt der Spiegel weiter, Präsident Stratmann gerate unter Druck: "Empört über den Umgang mit der Causa Boivin, haben sich Männer aus den obersten Etagen der Max-Planck-Gesellschaft zusammengetan und ihm geschrieben, mehr als 20 emeritierte Direktoren. Sie fordern ihn auf, deutliche Konsequenzen zu ziehen, um Schaden von der MPG abzuwehren." Der Ruf der MPG sei massiv geschädigt worden, überproportional mehr Frauen seien einem Entzug ihrer Leitungsfunktion ausgesetzt, und bei der Entscheidung über Boivins Absetzung sei der Senat als wesentliches Entscheidungsgremium der MPG übergangen worden.

 

Max-Planck-Generalsekretär Rüdiger Willems zitiert der Spiegel mit den Worten, die einstweilige Verfügung sei "insofern enttäuschend", als das Urteil der Kammer "das Wohl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort unberücksichtigt lässt". Man werde nun beraten, wie man diese angemessen "schützen" könne, auch werde die MPG Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen.



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Kommentare: 12
  • #1

    Björn Brembs (Freitag, 03 Dezember 2021 09:59)

    Früchte einer fehlgeleiteten Politik.

    Was mir bisher in dieser Debatte etwas zu kurz kommt, ist der Umstand, dass in einer wissenschaftlichen Gemeinschaft, in der sozialdarwinistische Bestenauslese (euphemistisch "Meritokratie" genannt) ganz offiziell oberstes Gebot ist, die Definition von Machtmissbrauch verschwimmt: was bei einer Person als in dieser Welt notwendige und hilfreiche Motivation und Anreiz ankommt, gilt bei einer anderen als klarer Machtmissbrauch. Die Kollision einer mit Helikoptereltern erwachsenen gewordenen Generation mit knallharter, neoliberaler Realität könnte dramatischer kaum sein.

    Was will deutsche Wissenschaftspolitik denn nun? Dass Chefs ihre Mitarbeiter, hart wie Kruppstahl, zu Höchstleistungen anspornen? Das wird ohne Schmerzen nicht gehen - no pain no gain. Oder sollen sie Wohlbefinden und work-life-balance der jungen Forschenden priorisieren? Dann sollte man sich vom Fetisch Exzellenz verabschieden. Beides zusammen zu wollen, ist wie einen weissen Rappen zu fordern.

  • #2

    Edith Riedel (Freitag, 03 Dezember 2021 10:22)

    Eine Absetzung wegen Führungsfehlverhaltens erfolgt meiner Erfahrung nach nie aufgrund des Führungsfehlverhaltens selbst. Führungsfehlverhalten wird nur dann als Abesetzunggrund genutzt, wenn man die Person aus anderen Gründen loswerden möchte. Es wird toleriert, solange die Person die Leistung bringt oder die (forschungs)politische Agenda bedient, die die Einrichtung haben möchte. Sobald sie das nicht mehr tut, ist eine Absetzung wegen Führungsfehlverhalten eine feine Sache, da sie der Einrichtung die Möglichkeitet bietet, die Person loszuwerden und gleichzeitig "Verantwortungsbewusstsein" zu demonstrieren. Man sollte sich also eher fragen, warum Einrichtungen Frauen in Führungspositionen eher loswerden wollen als Männer in Führungspositionen.

  • #3

    Michael (Montag, 06 Dezember 2021 12:37)

    Ich finde es bei dieser Debatte befremdlich, dass sich viele geäußert haben, ohne den konkreten Fall zu kennen und nun daraus ein Gender-Ding machen. Könnte es nicht auch sein, dass es einfach Frauen in wiss. Führungspositionen gibt, die tatsächlich ihre Mitarbeiter schlecht behandeln - aus jahrelanger Erfahrung als Mitarbeiter an Unis weiß ich, dass es Männer und Frauen in Führungspositionen gibt, die so agieren, dass man das auch leicht als Fehlverhalten deklarieren könnte - nur hat man das früher selten so erkannt / bezeichnet. Da muss ich dem Kommentar 1 recht geben - junge Wissenschaftler , die heute an der Uni sind, wollen exakt so arbeiten, wie es der Tarifvertrag vorsieht, work-life-balance etc. Das ist aber für eine wissenschaftliche Karriere oft nicht ausreichend. Worauf ich hinaus will, ist, dass Anrufe am Wochenende, Dinge bis Montag vorzubereiten, Whats Apps mit Arbeitsaufträgen auch abends oder mails nachts usw. früher vielleicht genervt akzeptiert wurden, heute jedoch ganz anders interpretiert werden. Und solch schlechtes Führungsverhalten war aus meiner persönlichen Anschauung betrachtet, nie nur ein Phänomen eines Geschlechts. Hier müsste man eher da ansetzen, dass Wissenschaftler, die irgendwann hohe Positionen bekleiden, nie Management und Personalführung gelernt haben. Zudem müssten Mitarbeiter erkennen, dass sich Wissenschaft nur sehr schlecht in Tarifbedingungen fassen lässt.

  • #4

    MüderProf (Montag, 06 Dezember 2021 14:12)

    Vielen Dank, sehr geehrter Herr Wiarda, für das Teilen des Briefes aus dem Max-Planck-Doktoranden-Netzwerk. Er wirft einige Fragen auf:

    Doktorand:innen berichten zweieinhalbmal häufiger von wahrgenommenen Führungsverletzungen durch weibliche Direktoren als von wahrgenommenen Führungsverletzungen durch männliche Direktoren. Die Gründe für die Nichtmeldung sind 1) dass die Doktorand:innen nicht glauben, dass der Konflikt gelöst wird, oder 2) dass sie Angst vor persönlichen Konsequenzen haben. Haben die Doktorand:innen bei den männlichen Vorgesetzten also 2,5 Mal mehr Angst vor persönlichen Konsequenzen als bei den weiblichen Vorgesetzten?

    Die Doktorand:innen kommen zu dem Schluss, dass "1. Konflikte mit weiblichen Führungskräften entweder eher gemeldet werden oder eher als ernst genug empfunden werden, um gemeldet zu werden". Der zweite Teil des Satzes scheint mir im Widerspruch zu der Tatsache zu stehen, dass die Angst vor persönlichen Konsequenzen im Konflikt mit weiblichen Führungskräften als deutlich geringer eingeschätzt wird.

    Die Autor:innen des Schreibens gehen nicht darauf ein, dass sie selbst, die die Konsequenzen der Meldung von männlichem und weiblichem Führungsverhalten signifikant unterschiedlich bewerten, nicht auch das Führungsverhalten selbst signifikant unterschiedlich bewerten könnten. Dies scheint mir wenig reflexiv zu sein.

    Ich bin daher nicht überrascht, sondern eher hoffnungsvoll, dass das Landgericht Berlin heute dem Antrag der Anwälte von Frau Boivin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stattgegeben hat.

    Ich stimme allen Vorredner:innen und vor allem Frau Riedel zu: Es geht um ein Loswerdenwollen der Institution von Personal und um die Durchsetzung von Machtpositionen, und das Max-Planck-Doktorandennetz lässt sich dafür instrumentalisieren. Im Nachhinein werden vor allem die Doktorandinnen dieses "sich instrumentalisieren lassen" bedauern.

  • #5

    Noch 'ne Hanna (Dienstag, 07 Dezember 2021 07:44)

    "Da muss ich dem Kommentar 1 recht geben - junge Wissenschaftler , die heute an der Uni sind, wollen exakt so arbeiten, wie es der Tarifvertrag vorsieht, work-life-balance etc. Das ist aber für eine wissenschaftliche Karriere oft nicht ausreichend."

    Was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass die jetzigen Professor:innen den Generationenvertrag mit Füßen getreten haben, indem sie zu viele Doktorand:innen als billige Arbeitskräfte verheizt haben. Den jetzigen Doktorand:innen ist schlicht bewusst, dass auch Selbstausbeutung für eine wissenschaftliche Karriere nicht ausreichend ist. Mit dieser Einsicht steigt die Gegenwartspräferenz: Warum Lebenspläne aufschieben, wenn der/die Vorgesetzte das Direktionsrecht doch nur schamlos für eigene Zwecke missbraucht und man Ende irgendwo unter "ferner liefen" auf der Publikation steht, für die man die ganze Arbeit gemacht hat? Wenn man bedenkt wie endemisch Machtmissbrauch in der Wissenschaft ist, stößt einem der offenen Brief der 145 Wissenschaftlerinnen übel als Form von "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus!" auf. Haben die nicht die Berichterstattung zu den Fällen gelesen? Im Fall von Guinevere Kaufmann hat BuzzFeed Ausschnitte aus den E-Mails veröffentlicht. Da ging es nicht um Leistungsdruck, sondern um schlichten Rassismus. Im Fall von Tania Singer ging es um die Benachteiligung von schwangeren Frauen, also um sehr rudimentäre Regelungen zum Mutterschutz, die für alle Arbeitnehmerinnen in Deutschland gewährleistet sein sollten. Jetzt ein Narrativ zu schaffen, in dem die Mitarbeiter:innen einfach nur nicht leistungsbereit genug seien, weil sie die Bedingungen nicht mehr unwidersprochen hinnehmen und sich alles bieten lassen, ist Täter-Opfer-Umkehr: Kann sein, dass es einen Gender-Bias gibt und dass Führungsfehlverhalten von Frauen eher zu Konsequenzen führt, weil man (also auch die Mitarbeiter:innen) von Frauen eher fürsorgliches Verhalten erwartet. Aber gerade in den Fällen bei der MPG, in denen es dann zur "Degradierung" von Direktorinnen kam, war es mitnichten so, dass ihnen ihr Leistungsdenken zum Verhängnis wurde, mit dem die angeblich so verweichlichten Mitarbeiter:innen nicht umgehen konnten. Das sind schlichte Schutzbehauptungen von den "degradierten" Direktorinnen, die schon ihre "Gradierung" nicht Leistung, sondern der Missachtung von gesellschaftlichen Normen zu verdanken hatten. Es ist ein Missstand, dass Männer mit einem solchen Fehlverhalten jahrhundertelang durchgekommen sind und immer noch durchkommen. Aber es wäre zutiefst unsinnig, jetzt einen Frauen-Bonus einzuführen, der Frauen wegen eines möglichen Gender-Bias erspart, die Konsequenzen ihres Fehlverhaltens zu tragen. Und das sage ich als Frau, die von einem männlichem Vorgesetzten, dessen Fehlverhalten bis in den strafrechtlich relevanten Bereich reichte, schwer geschädigt wurde und deswegen weiß, was es bedeutet, männliches Führungsfehlverhalten zu thematisieren. Wollen Sie mal die Schreiben von der Senatorischen Behörde sehen, in denen mir einfach mal so prophylaktisch, ohne Aufklärung des Sachverhalts, mit Verleumdungsklagen gedroht wird - weil man mich nicht mehr abmahnen kann? Der Eilrechtsschutz im Fall von Frau Boivin ist eher ein Hinweis darauf, wie verantwortungslos die MPG solche Fälle bislang gehandhabt hat: Der Eilrechtsschutz wird in den Fällen gewährt, in denen es zuvor keine arbeitsrechtliche Warnung, z.B. in Form einer Abmahnung, gab, samt Zeitraum, in dem die Führungskraft die Gelegenheit hat, ihr Verhalten zu ändern. Und exakt das schildern die Mitarbeiter:innen: Dass sie in den Fällen, die dann später öffentlich bekannt wurde, teilweise schon Jahre vorher versucht haben, interne Lösungen zu finden, z.B. indem sie Präsidiumsmitglieder und Beiräte angesprochen haben. Das haben sie nicht gemacht, weil sie einen bequemen Weg gesucht haben, zu fordernde Vorgesetzte loszuwerden, sondern weil sie Höchstleistungen erbringen wollten, das in dem Umfeld, das die Direktor:innen geschaffen haben, aber nicht konnten.

  • #6

    Spurt (Dienstag, 07 Dezember 2021 11:55)

    Der Präsident der MPG Stratmann hat 2019 in einem Interview auf diesem Blog referiert, die MPG hätte eine Umfrage zu Arbeitsbedingungen durchgeführt, von der diejenigen Ergebnisse, die "weniger schön" (Zitat) ausgefallen wären, auf der Ebene der Institute behandeln werden würden. Die MPG hat im Fall der laut FAZ-Interna "weniger schönen" Vorwürfe gegen eine Direktorin diesen von ihr angekündigten Weg beschritten. 2019 betonte der MPG-Präsident, dass selbstverständlich die Direktorinnen und Direktoren, gegen die Vorwürfe bei der MPG eingingen, die wiederum von einer Kommission geprüft würden, von den Vorwürfen Kenntnis erhielten und die Kommission ihnen Gelegenheit böte, Stellung zu nehmen. Wenn man davon ausgeht, dass dieses Verfahren auch in dem hier diskutierten Fall angewendet wurde, dann geht es bei den Diskussionen vielleicht weniger darum, ob die MPG sich willkürlich entscheidet, sondern eher darum, was der durch die emeritierte MPI-Direktorin initiierte Brief von ausschliesslich Nicht-MPG Frauen und die von den MPG-Doktorandinnen und Doktoranden erhobenen Daten insinuieren: Die MPG bekommt mehr Beschwerden über Direktorinnen als über Direktoren und setzt dann für alle schwerwiegenden Beschwerden jeweils eine Kommission ein, die diese Beschwerden prüfen, und zwar, ohne die relative und absolute Häufung von Vorwürfen gegen Direktorinnen zu korrigieren in der Weise, dass aus der Mehrheit der Beschwerden über eine Minderheit an DirektorInnen eine Proportionalität hergestellt würde. Ich lese den MPG-Non-MPG-Frauenbrief und die MPG-DoktorandInnen so, dass sie sich wünschen, dass Vorwürfe gegen Frauen betrachtet werden als zwei Aufgaben für die MPG. Einmal, Beschwerden im Sinne einer Weiterführung der Abteilung zu lösen, und zum zweiten, Beschwerden gegenüber Direktoren, senior Direktoren und Direktorinnen und Direktoren und Direktorinnen mit deutscher Staatsbürgerschaft ebenso genau zu prüfen wie Beschwerden über Direktorinnen, junior Direktoren und Direktorinnen und Direktoren und Direktorinnen mit ausländischer Staatsbürgerschaft.

  • #7

    Schreck (Dienstag, 07 Dezember 2021)

    zu #4 "Die Autor:innen des Schreibens gehen nicht darauf ein, dass sie selbst [...] das Führungsverhalten selbst signifikant unterschiedlich bewerten könnten." Darf ich fragen: wenn Senat und Präsidium der MPG aggressives Agieren von Direktorinnen gegenüber Untergebenen mehrfach mit Rauswurf beantwortet haben und es Direktoren mehrfach durchgehen liessen - was wäre dann in Zukunft gerechter, alle rauszuwerfen oder alles durchgehen lassen?

  • #8

    MüderProf (Mittwoch, 08 Dezember 2021 11:21)

    Zu #7: Ich zitiere aus dem Brief:
    „Etwa 13% der Promovierenden haben Konflikte mit ihren direkten Betreuenden (nur Direktor*innen) erlebt, und zwar sowohl bei weiblichen wie auch bei männlichen Betreuenden. Erstaunlich ist, dass 8,7% der Promovierenden, also knapp zwei Drittel dieser 13% den Konflikt melden, wenn es sich um eine Direktorin handelt, während dies nur auf 3,4% der Promovierenden mit männlichen Betreuenden zutrifft. Die Hauptgründe für den Verzicht der Meldung eines Konfliktes mit einem Betreuenden sind: 1) dass die Promovierenden nicht glauben, dass der Konflikt beigelegt werden würde, oder 2) weil sie Angst vor persönlichen Konsequenzen haben.“
    Tatsache ist, dass die Promovierenden zwischen männlichen und weiblichen Führungskräften diskriminieren. Sie gehen bei weiblichen Führungskräften davon aus, dass 1.) die Konflikte schneller beigelegt werden können - z.B. weil sie Hilfe durch das Präsidium erhalten? Oder 2. weil sie weniger Angst haben, wenn sie das als Fehlverhalten wahrgenommene Verhalten weiblicher Führungskräfte melden.
    Meine Frage war: wenn man in so einem wichtigen Punkt diskriminiert - nämlich in dem Punkt, wie man als promovierende Person mit als Fehlverhalten wahrgenommenen Verhalten umgeht -, warum ist man sich dann sicher, dass man nicht bei der Wahrnehmung des Führungsverhaltens selbst diskriminiert. Die Lösung scheint mir nicht darin zu liegen, nach ein paar Direktorinnen noch die fünffache Menge an Direktoren zu schassen, sondern auf die Frage von Frau Riedel, die eine grundsätzliche Frage unserer Gesellschaft ist, einzugehen: „Man sollte sich also eher fragen, warum Einrichtungen Frauen in Führungspositionen eher loswerden wollen als Männer in Führungspositionen.“ Und ich möchte noch hinzufügen: warum die Promovierenden bei Frauen in Führungspositionen sich stärker am Loswerden beteiligen als bei Männern in Führungspositionen?

  • #9

    Noch 'ne Hanna (Mittwoch, 08 Dezember 2021 13:48)

    "Und ich möchte noch hinzufügen: warum die Promovierenden bei Frauen in Führungspositionen sich stärker am Loswerden beteiligen als bei Männern in Führungspositionen?"

    Inwiefern ist das für die Behebung der Machtmissbrauchs-Problematik in der Wissenschaft relevant? Es gibt zunehmendes Bewusstsein für den unconscious bias, der in solchen Zusammenhängen wirkt: Die "Fallhöhe" ist bei Frauen größer, weil man von ihnen nicht nur neutrales Führungsverhalten, das keinen Schaden anrichtet, sondern aktiv fürsorgliches Verhalten erwartet. In den wenigen Fällen, in denen es zu Konsequenzen wegen Führungsfehlverhalten kam, ging es aber nicht darum, dass die Vorgesetzten nicht aktiv fürsorglich oder neutral nicht-schädigend aufgetreten sind, sondern es gab aktiv schädigendes Verhalten, in Form von Rassismus und Diskriminierung. Die Promovierenden haben sich nicht zusammengerottet, um selbst zu diskriminieren, sondern sie wollten einfach nur ein diskriminierungs- & rassismusfreies Arbeitsumfeld, was eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Inwiefern sollte weitere Analyse des Frauenüberhang da noch irgendwas zur Lösung beitragen, abgesehen davon dass mehr Aufmerksamkeit im Hinblick auf männliches Führungsverhalten notwendig ist.

  • #10

    MüderProf (Mittwoch, 08 Dezember 2021 15:53)

    Für Noch 'ne Hanna #9,

    ich kann Ihre Argumente nicht nachvollziehen. Mein Argument ist, dass die Promovierenden weibliche Vorgesetzte unterschiedlich zu männlichen Vorgesetzten behandeln (diskriminieren) und frage danach, ob das nicht auch in Bezug auf die Wahrnehmung von Führungsverhalten Wirksamkeit entfalten könnte. Sie schreiben, es gäbe ein zunehmendes Bewusstsein für den unconscious bias, aber im vorliegenden Fall habe es aktiv schädigendes Verhalten, in Form von Rassismus und Diskriminierung gegeben. Ich frage noch einmal nach: Wie kommt man in einer Situation weiter, in der sich die Diskriminierenden diskriminiert fühlen? Zielführend scheint mir, dass man die Situation im sozialen Kontext analysiert. Zu diesem Zweck lege ich zwei Zitate bei, die aus meiner Sicht die Situation erhellen.

    „Menschen, die unter struktureller Ablehnung litten, würden sich durchaus politisieren und beispielsweise antirassistisch tätig werden. Heidrun Frieses Kollege Frank Asbrock, Professor für Sozialpsychologie an der Technischen Universität Chemnitz, stellt in seiner Studie zu Diskriminierungserfahrungen von Chemnitzer Studierenden aber ebenso fest, dass „Angehörige statusniedriger Gruppen“ nur verhältnismäßig selten an sozialen Protesten teilnehmen. Die Opfer würden sich aus Angst vor weiterer Ablehnung eher bedeckt halten und die strukturelle Leugnung mittragen, sagt Friese.“ (CHRISTOPH DAVID PIORKOWSKI (04.12.2019), Alltagsrassismus in Deutschland - Wenn der Hass krank macht, https://www.tagesspiegel.de/wissen/alltagsrassismus-in-deutschland-wenn-der-hass-krank-macht/25295914.html)

    „Eine neue Untersuchung vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn legt nahe, dass es noch eine weitere Ursache geben könnte: dass weibliche Vorgesetzte von ihren Untergebenen diskriminiert werden. Der amerikanische Ökonom Martin Abel hat über die Plattform Amazon Mechanical Turk 2700 Menschen angeheuert, die er für ein fiktives Unternehmen Aufträge erledigen ließ: simple Arbeiten, die in den Bereich der sogenannten „Gig Economy“ fallen. Per Zufallsprinzip ordnete er ihnen ebenfalls fiktive Vorgesetzte zu – mal männlich, mal weiblich – die den Arbeitskräften ein Feedback zu ihrer Arbeit gaben, wenn sie in etwa die Hälfte der Aufgaben erledigt hatten. Dieses fiel mal positiv und mal negativ aus. Das Ergebnis: Im Fall einer negativen Rückmeldung konnten die Arbeitskräfte viel schlechter damit umgehen, wenn diese von Frauen kam. Ihre Zufriedenheit mit der gestellten Aufgabe war dann 70 Prozent niedriger, als wenn das Feedback von männlichen Vorgesetzten stammte. Und der Anteil der Arbeitskräfte, die nach eigenem Bekunden an einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Unternehmen nicht interessiert waren, fiel immerhin doppelt so hoch aus.“ https://edition.faz.net/faz-edition/wirtschaft/2019-10-14/8d4b861a6a75c42eb5eab26d30707412?GEPC=s9

  • #11

    Dr. A Chemseddine (Freitag, 17 Dezember 2021 10:44)

    Ich habe den Eindruck, dass Wissenschaftler versuchen, sich auf ein Mann-Frau-Problem zu beschränken. Schauen Sie sich die Vorwürfe im Detail an.
    Nature berichtete, dem kanadischen Forscher sei vorgeworfen worden, sich wissenschaftliche Ideen von Kollegen angeeignet zu haben.
    Dies ist wissenschaftliches Fehlverhalten, das unabhängig untersucht werden sollte, ob der Chef eine Frau oder ein Mann ist.

  • #12

    Fan von Björn Brembs (Freitag, 17 Dezember 2021 17:41)

    Den Nagel auf den Kopf getroffen, lieber Björn Brembs (anders als Herr W. in seinem Artikel).